29
ELLIOT
„Hier", sagt Chico und drückt mir einen Kaffee in die Hand, als er einsteigt. „Das hilft gegen den Kater."
Was mir jetzt wirklich helfen würde, wäre Ruhe und eine Aspirin, aber wie's aussieht, ist das zu viel verlangt. Ich lehne meinen Kopf zurück und schließe die Augen, Chico fährt durch den Drive In und dreht das Radio leiser. Fucking Whitney Houston. Das kann sich doch morgens keiner geben. Oder mittags. Wir haben mittags.
Ich öffne die Augen erst wieder, als das Auto plötzlich stehen bleibt. Wir stehen auf einen Parkplatz. Er ist leer. Ich drehe meinen Kopf langsam in Chicos Richtung. Er sitzt da und starrt durch die Windschutzscheibe nach vorne. Sein Blick ist so fokussiert, dass ich den Drang verspüre, auch in die Richtung zu schauen um zu gucken, was da so interessant ist.
Aber ich tue es nicht.
„Wir müssen über gestern reden."
Mein Blick fliegt regelrecht von ihm. Ich starre aus dem Fenster auf meiner Seite, der Kaffee in meiner Hand unangerührt.
„Da gibt's nicht zum Reden", antworte ich harsch. Gibt es nicht. Ich weiß, was er meint. Es gibt nicht viel, was ich von gestern noch weiß, aber das weiß ich.
Umarm mich. Bitte.
Die kleinen Härchen in meinem Nacken stellen sich bei der Erinnerung auf. Ich habe plötzlich den unerklärlichen Drang, den Becher aus dem Fenster zu schmeißen.
„Ich dachte, wir hätten die Phase hinter uns, wo du versucht, meine Hilfe wegzustoßen", höre ich Chico murmeln.
Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen. „Was hat das mit Hilfe zu tun?" Und jetzt rede ich doch darüber. Super.
„Meintest du nicht gerade noch, du hast gestern mit Sammy geredet? Das war doch der ganze Plan." Chico klingt komplett verwirrt und dann wird mir klar, dass wir beide über ganz andere Sachen reden. Ich nehme einen Schluck von dem Kaffee (woher weiß er, dass ich den immer Schwarz trinke?), um meine Erleichterung zu verstecken. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie erbärmlich das ist.
„Ich hab mit Sammy geredet", sage ich.
„Und?"
„Und was?"
„Kannst du mir vielleicht auch erzählen, was er gesagt hat? Wenn du nicht zu besoffen warst, dich daran zu erinnern, natürlich." Ah, Sarkasmus.
„Er hat gesagt, er hat sie bei Freunden abgestellt, weil er den beiden was zu trinken holen wollte. Und als er wieder zurückgekommen ist, war Clara nicht mehr da. Oh, und dann haben wir Bierpong gespielt. Mit Shots."
„Was?"
„Bierpong mit Shots. Ich hab gewonnen." Ich grinse.
„Nein, das davor", schüttelt Chico genervt den Kopf und er reibt sich die Stirn. Vielleicht bereite ich ihm ja Kopfschmerzen. Dann wären wir quitt.
„Er hat Clara trinken geholt, aber sie war schon weg."
„Und wo ist sie hingegangen?"
Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung."
Chico kaut nachdenklich auf seiner Unterlippe herum und ich schaue aus dem Fenster.
„Bei wem hat er sie abgestellt? Die Freunde?"
„Olivia, Danielle und Leo. Olivia ist nach New York gezogen und Leo ist irgendwo im Ausland stationiert. Militär", füge ich hinzu, als ich Chicos Blick bemerke.
„Was ist mit der anderen? Danielle?"
„Arbeitet bei unserem Tierarzt in der Praxis."
„Dann wohnt sie hier noch", murmelt Chico nachdenklich und nickt mit dem Kopf, als stimme er sich selbst zu.
„Ich weiß aber nicht wo", gebe ich zu.
„Dann finden wir's raus", sagt Chico, meiner Meinung nach viel zu motiviert, und startet den Motor.
„Ich brauch 'ne Aspirin", nuschle ich unter meinem Atem.
„Und ich brauch ˋnen Beifahrer, der die Klappe hält, aber wir können ja nicht alles haben."
Ich zeige ihm mit geschlossenen Augen den Mittelfinger und höre ihn lachen, bevor er losfährt.
Es ist jetzt schon das zweite Mal, dass Chico in meinem Zimmer sitzt und ich kann mich immer noch nicht an den Anblick gewöhnen. Alles ist so hell und er ist so dunkel. Außer die Augen. Die eisblauen Augen. Das Ganze verwirrt mich. Ich kann ihn nicht lange anschauen, konnte ich noch nie.
Chico blättert im Jahrbuch herum, schreibt sich alle Mädchen raus, die Danielle mit Vornamen heißen. Am Ende kommt er auf drei, und da Danielle dunkelhäutig ist, ist mithilfe der Bilder schnell klar, wer von denen Claras Freundin ist.
„Danielle Forbes", liest Chico laut vor. „Das ist die, die beim Tierarzt arbeitet?"
Ich nicke. Die wilden schwarzen Locken würde ich wahrscheinlich überall erkennen.
„Wie sieht der Plan aus?", fragt Chico und klickt im Sekundentakt mit dem Kugelschreiber. Es nervt. Ich trete ihm leicht gegen das Schienbein, damit er aufhört.
„Wir können heute eh nichts machen, heute ist Samstag." Ich erwische ihn im Augenwinkel dabei, wie er die Augen verdreht. Das macht er immer. Kopf schütteln, seufzen, Augen verdrehen. Ich lerne immer mehr über ihn.
„Apropos", räuspert er sich plötzlich. „Ich hab heute noch ein Spiel. Bist du da?" Chico schaut mich nicht an, als mein Blick hochschießt. Er schaut auf die Decke, sein Kiefer angespannt. Ist das mit Absicht? Er soll mich anschauen.
„Was soll ich da?", frage ich, meine Stimme klingt abwertend. Nein, im Ernst. Ich war noch nie bei irgendwelchen Spielen der High School dabei, was soll ich jetzt da? Das Ganze ist doch komplett unnötig, die Leute machen da mehr draus, als es eigentlich ist.
Chico zuckt mit den Schultern, als würde es ihn nicht jucken. Aber er schaut mich immer noch nicht an. Was ein Lügner. „Mir zugucken? Vielleicht gewinnen wir dann ja mal", sagt er leise, sein Mundwinkel hebt sich leicht.
„Seh ich aus, wie'n Glücksbringer?" Ich hebe eine Augenbraue. Wäre ich einer, dann wären ganz viele Dinge anders gelaufen. Vielleicht wäre Chico dann schwul. Er ist echt verdammt schön, denke ich, als ich ihn von der Seite betrachte. Weiß er das? Muss er. Ich hab's ihm gestern gesagt. Wenn er mich überhaupt ernst genommen hat. Ich weiß nicht, ob ich will, dass er das ernst nimmt. Ich weiß so vieles nicht. Scheiße.
Ich ziehe mich auf den Balkon zurück, als Chico nichts mehr sagt und die Stille so schwer ist, dass ich das Gefühl habe, zu ersticken. Am liebsten würde ich ihn rausschmeißen. Aber das ist nicht fair, weil ich nicht mal einen Grund dafür habe.
Unten höre ich meinen Vater irgendwas rufen und meinen Hund zurückbellen, dann redet meine Mutter dazwischen. Ich weiß nicht, ob meine Eltern wissen, dass Chico hier ist. Es wäre ihnen auch egal, denke ich. Wenn Clara spontan irgendwelche Freunde da hatte, war's jedenfalls egal.
Wolken schieben sich vor die Sonne und es wird kalt. Oder auch nicht. Auf jeden Fall bekomme ich eine Gänsehaut und das ist verdammt unangenehm, also gehe ich wieder rein und entdecke Chico mit geschlossen Augen auf meinem Bett, sein Brustkorb hebt und senkt sich regelmäßig.
Der Typ ist tatsächlich eingeschlafen.
Hat er nicht gerade noch was davon gelabert, er hätte heute noch ein Spiel?
Ich überlege kurz ihn zu wecken, lasse es dann aber doch. Er sah schon den ganzen Morgen so scheiße aus und wenn ich mal ehrlich bin, ist das teilweise meine Schuld. Natürlich hab ich ihn nicht dazu gezwungen, mitten in der Nacht noch zur Party zu fahren und mich abzuholen, aber beschwert hab ich mich auch nicht.
Ich lasse mich auf meinen Bürostuhl fallen und drehe mich zum Bett, betrachte sein schlafendes Gesicht, die leicht geöffneten Lippen. Seine Lippen sind dunkel. Dunkler als meine auf jeden Fall.
Hat er damit schon mal jemanden geküsst?
Ein Gefühl wie heißes Feuer entflammt plötzlich in meiner Brust und ich schaue weg, als ich Sekunden später realisiere, was es ist.
Eifersucht.
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