26


CHICO

Elliot meinte, dass Joanne Hauxleys Schicht um 2 AM endet. Mittlerweile bin ich mir aber nicht mehr so sicher, ob das stimmt. Ich hab mich sowieso gefragt, woher er das weiß.
Es ist fast eine halbe Stunde später und von Joanne ist noch immer keine Spur zu sehen. Ich habe am Straßenrand vor dem Eingang des Stripclubs geparkt, von hier aus würden wir sehen, wann sie rauskommt und sie abfangen. Mit ein bisschen Glück wird sie unsere Fragen beantworten.
Elliot sitzt neben mir auf dem Beifahrersitz und isst Pommes, die er sich vorher von McDonald's aus dem Drive In geholt hat. Ich frage mich, wie er so viel essen kann, ohne einen Gramm Fett am Körper zu haben. Elliot muss einen verdammt schnellen Stoffwechsel haben.
Ich drehe die Musik aus dem Radio ein bisschen leiser. „Sicher, dass sie heute arbeiten muss?", frage ich, mein Blick wandert vom Eingang zu ihm. Das leuchtende Neonschild mit der Aufschrift Annie's Lap leuchtet in den Wagen hinein und lässt Elliot in einem rötlichen Licht schimmern.
„Vertraust du mir nicht?", fragt Elliot mit vollem Mund.
Ich verdrehe die Augen. „Mehr, als mir lieb ist", murmle ich.
„Ouch."
Ich schaue aus meinem Fenster, damit Elliot mein Lachen nicht sieht.
„Chico", sagt er plötzlich und der Ton, in dem er meinen Namen gesagt hat, reicht, damit ich mich umdrehe. Eine halbe Pommes klemmt zwischen seinen Lippen. „Da", zeigt er aus dem Fenster.
Ich folge seinem Finger mit meinen Blick und sehe, was er meint. Ein Mädchen steht plötzlich vor dem Eingang. In der einen Hand hält sie eine Zigarette, mit der anderen Hand wühlt sie in ihrer Handtasche herum.
Bevor ich was sagen kann, steigt Elliot aus, die Pommes lässt er auf meinem Amaturenbrett liegen. Toll. Hauptsache er lässt sie nachher nicht hier liegen.
Ich ziehe meinen Schlüssel und folge ihm aus dem Auto.
Als ich dem Mädchen näher komme, sehe ich ihren Nasenpiercing im roten Licht aufblitzen. Aber das ist auch alles, was ich von dem Bild aus dem Jahrbuch wiedererkenne. Sie scheint sich ihre Haare gefärbt zu haben, von dem hellen Blond auf dem Bild ist nichts mehr zu erkennen. Ihre Haare sind jetzt schwarz. Auf ihren nackten Armen schlängeln sich unzählige Tattoos nach oben und verschwinden in den Ärmeln ihres T-Shirts.
„Scheiße", höre ich sie leise fluchen. Sie hat uns noch nicht bemerkt.
„Brauchst du das hier?", fragt Elliot und hält ihr ein Feuerzeug hin.
Joanne schaut erschrocken auf, ihr Blick wandert erst über Elliot, dann zu mir. Sie lässt ihre Hand langsam in ihrer Tasche verschwinden.
„Haut ab", knurrt sie zwischen zusammengebissene Zähne. „Ich hab ein Pfefferspray und ich werd's auch benutzen."
Ich hebe verteidigend meine Hände. Ich sehe im Augenwinkel, wie Elliot was sagen will, aber ich komme ihm zuvor. Ich bin mir sicher, dass Elliot noch Öl ins Feuer gegossen hätte.
„Sorry, wir wollten dich nicht aufhalten. Ich bin Chico, das ist Elliot", zeige ich auf Elliot. „Wir wollten dir nur ein paar Fragen stellen, falls das okay ist."
„Ein paar Fragen stellen?" Sie gibt einen sarkastischen Laut von sich, ihre Hand steckt immer noch misstrauisch in ihrer Tasche. „Was seid ihr, Cops?"
„Jo", sagt Elliot und ihr Kopf fliegt bei der Erwähnung ihres Namens in seine Richtung. Sie kneift ihre Augen skeptisch zusammen, bis sich ihr Blick plötzlich aufhellt und sie lachend ihre Hand aus der Tasche nimmt. „Elliot! Jesus. Sag das doch vorher. Du hast keine Ahnung, was für Creeps hier nachts rumschleichen."
Elliots rechter Mundwinkel hebt sich leicht. „Sorry. Hier." Er gibt ihr das Feuerzeug und Joanne lehnt sich sichtlich entspannt an die Wand des Stripclubs zurück. Sie zündet sich seelenruhig ihre Zigarette an und schaut dem Rauch beim Ausatmen hinterher.
„Also", sagt sie nach ein paar Sekunden und ihr Blick fixiert sich wieder auf Elliot. „Was willst du hier? Sorry, aber du bist nicht alt genug hierfür und ich kann für dich auch keine Ausnahme machen."
„Nichtmal für'n 100er?"
„Nichtmal dafür", grinst Joanne.
Ich starre Elliot mit einer Mischung aus Verwirrung und Wut an. Was macht der da? Wir wollen nicht in den Club. Ich will nicht in den Club.
"Was hat Clara gemacht, als du sie das letzte Mal gesehen hast?", fragt Elliot direkt. Ohne mit der Wimper zu zucken. Selbst ich bin überrumpelt, da überrascht es mich nicht, dass Joanne genauso dreinschaut, wie ich mich gerade fühle.
"Woah", gibt sie von sich und klopft langsam die Asche von ihrer Zigarette ab. "Wo kommt das denn auf einmal her?"
Diesmal bin ich es, der antwortet. "Kannst du bitte einfach die Frage beantworten?"
Ihr kalter Blick wandert zu mir, sie kneift ihre Augen leicht zu. "Und wer ist das?", nickt sie mit ihrem Kinn auf mich, redet aber offensichtlich nicht mit mir. "Dein Freund?"
Ich blinzele überrascht und schüttele reflexartig den Kopf. "Ich bin nicht-"
„Chico ist ein Freund", betont Elliot, bevor ich meinen Satz beenden kann. Ich schaue ihn kurz von der Seite an, aber er ignoriert meinen Blick. Freund?
„Ah", sagt Joanne, als hätte sie verstanden, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie es wirklich verstanden hat. Irgendwas an ihrem Ah war komisch. So, als wüsste sie mehr als ich.
Ich mag ihren Ton nicht.
„Nichts Ah", erwidert Elliot, seine Stirn gerunzelt, „Was hat Clara gemacht, als du sie das letzte Mal gesehen hast?"
„Gibt's einen Grund, warum du das unbedingt wissen willst?", fragt Joanne vorsichtig.
„Gibt's was, was du mir verheimlichen willst?", fragt Elliot ernst.
Joanne lacht auf, ihr Lachen klingt unnatürlich. „Das ist lächerlich, Leute. Clara ist ertrunken. Tragisch, aber ich hab nichts damit zutun." Sie wirft ihre nicht mal halbaufgerauchte Zigarette auf den Boden und schultert ihre Tasche. „War's das? Ich will nach Hause und endlich schlafen."
„Ich hab nie gesagt, dass du was damit zutun hast. Ich will nur wissen, wann und wobei du sie das letzte Mal auf der Party gesehen hast." Elliot lehnt sich lässig an die Wand, als wäre das eine ganz normale Frage gewesen.
Joanne schenkt Elliot einen langen Blick, dann seufzt sie plötzlich. „Okay hör zu, ich hab Clara fast den ganzen Abend nicht gesehen. Wir haben uns den Tag davor gestritten und ich hatte nicht wirklich Bock auf sie. Sie-"
„Worüber habt ihr gestritten?", unterbricht Elliot sie.
Joanne bearbeitet ihre Unterlippe mit ihren Zähnen. „Weiß ich nicht mehr. Irgendwas Dummes. Es war es auf jeden Fall nicht wert." Über ihre hellen Augen legt sich ein Schatten.
Mit es meinte sie wahrscheinlich den Fakt, dass Clara im Streit mit ihrer besten Freundin gestorben ist. Sie ist gestorben mit dem Wissen, dass ihre beste Freundin wütend auf sie war. Ich würde sowas auch bereuen.
„Ich bin ihr nur einmal kurz über den Weg gelaufen, da war sie mit diesem Sammy unterwegs. Groß, blond, heiß. Collegestudent."
„Ich weiß, wer Sammy ist", sagt Elliot mit festem Blick.
Joanne verdreht die Augen. „Wie auch immer. Mit dem hab ich sie das letzte Mal gesehen. Danach nicht mehr."
„Mehr weißt du nicht?"
„Nein. Kann ich jetzt schlafen gehen?" Sie legt ungeduldig ihren Kopf schief.
„Eine Sache noch", sagt Elliot und drückt ihr sein Handy in die Hand, „Kannst du uns die Adresse von Sammy geben?"
Joanne schaut ihn kurz an und seufzt dann. Sie tippt die Adresse von dem Typen ein und gibt Elliot sein Handy zurück.
Ich sehe dabei zu, wie die beiden sich verabschieden (mir schenkt sie keine Beachtung) und als Elliot und ich wieder im Auto sitzen, frage ich nach der Adresse. Elliot drückt mir sein Handy in die Hand.
„Das ist eine Studentenverbindung", stelle ich fest, als ich die Adresse bei Google Maps eintippe.
Elliots Gesicht hellt sich plötzlich auf und ich habe das Gefühl, etwas Falsches gesagt zu haben. Er hat eine Idee, und bei seinem Gesichtsausdruck bin ich mir absolut sicher, dass sie mir nicht gefallen wird.
„Gut, dass morgen Freitag ist", sagt Elliot mit einem frechen Funkeln in den Augen, „Wir crashen morgen eine Studentenparty."
Mit morgen meint er rein theoretisch heute, wie ich mit einem Blick auf mein Handy bemerke.
Ich hatte recht. Die Idee gefällt mir nicht. Überhaupt nicht. Ich mag Parties, aber keine Parties von Studentenverbindungen. Da geht immer irgendwas heftig schief, bis die Cops mit Blaulicht ranfahren.
„Ich bin morgen eigentlich mit Perry unterwegs..." Ich schweife langsam ab, als Elliot merkwürdig still wird. Ich meine nicht von der Stimme her still, sondern von seiner Körpersprache her. Seiner Mimik.
Ich muss plötzlich daran denken, wie ich mich heute eigentlich auch mit Perry getroffen hätte. Aber dann haben wir das mit dem Stripclub rausgefunden und ich bin mit Elliot gefahren. Ich hab Perry für Elliot abgesagt. Ich habe bis jetzt nicht einen zweiten Gedanken daran verschwendet, ich hab's einfach gemacht, ohne groß darüber nachzudenken.
Ich erschrecke mich darüber, wie leicht es mir fällt, meinen besten Freund gegen Elliot einzutauschen. Und ich werde es morgen wieder tun. Das weiß ich.

Jedenfalls ist es nicht umsonst, denke ich mir, als ich Elliot nach Hause fahre. Ich tue das aus einem wichtigen Grund.

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