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CHICO

Zimmer 113 hat sie gesagt. 113. 113. 113... Gefunden. Das war einfach. Dafür, dass hier jede Tür gleich aussieht, hab ich mich gut geschlagen. Ich stecke mein Handy in meine Hosentasche, bevor ich anklopfe. Das ist eine der Besucherregeln: keine Handys für Patienten. Das ist zwar mein Handy, aber ich weiß, wie meine Schwester tickt.
Es tut sich nichts. Ich klopfe noch einmal.
"Fonda?", frage ich durch das Holz hindurch.
Keine Antwort.
Wo steckt sie schon wieder? Sie hat mir versprochen, dass sie keine Scheiße baut. War ja klar, dass ich am Ende wieder-
"Chico?"
Ich drehe mich etwas erschrocken herum und sehe meine kleine Schwester vor mir stehen.
"Wo warst du?", frage ich, bevor sie etwas sagen kann.
Fonda verdreht die Augen. "Auf Klo."
"Ist das hier ein Synonym für eine rauchen gehen?"
"Nein?"
"Ich kann's riechen. Du stinkst."
Sie verdreht ihre Augen. "Bist du hier, um meinen Tag noch beschissener zu machen?"
"Muss ich das?" Ich verschränke die Arme.
"Halt die Klappe. Gehen wir raus? Ich halt's hier drinnen nicht mehr aus." Bevor ich was sagen kann, geht sie einfach los. Mir bleibt nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
Sie ist erst drei Tage hier, aber ich habe nicht das Gefühl, dass hier schon irgendein Arzt zu ihr durchgedrungen ist. Ihr scheint alles scheißegal zu sein. Unsere Eltern reden nicht mehr mit ihr, haben sie praktisch vor die Tür gesetzt. Und sie interessiert das alles gar nicht.
"Glaubst du, die lassen Jeremy hier rein?", fragt sie, als wir uns draußen im Besuchergarten auf eine Bank setzen.
"Damit er dir Stoff bringen kann? Vergiss es. Hast du immer noch nicht gecheckt, warum du hier bist?" Mit Fonda zu reden ist, als würde man versuchen, gegen eine Wand anzureden. Zwecklos. Und frustrierend.
"Es war der leichteste Weg, mich loszuwerden", zuckt sie mit den Schultern.
"Du bist nicht hier, weil sie dich loswerden wollten, Fonda. Sie versuchen dir zu helfen."
"Helfen?", lacht sie freudlos. "Indem sie mich einfach wegschicken?"
"Sie wussten keinen Ausweg mehr. Sie konnten dir nicht mehr weiterhelfen, also was hätten sie sonst tun sollen?"
"Wow, ich dachte eigentlich, du stehst auf meiner Seite."
"Ich stehe auf keiner Seite."
"Typisch."
Ich bleibe einfach still. Mit Fonda zu diskutieren bringt mich kein Stück weiter.
"Also", sagt sie nach einer kurzen Pause. "Bald fängt Schule wieder an, huh?"
"In zwei Wochen."
"Ich hoffe, ich bin bis dahin wieder raus."
Ich schweige. Ich will ihr nicht sagen, dass ihr Aufenthalt auf drei Monate festgelegt ist.
"Hey", sagt sie plötzlich in einer anderen Tonlage. "Kennst du den da?" Sie nickt mit ihrem Kinn nach vorne, wo sie jemanden mit ihrem Blick fixiert hat und ich hebe meinen Kopf in die gleiche Richtung.
Es ist ein Junge, wahrscheinlich in unserem Alter, mit blonden Locken und einer Zigarette in der Hand. Er starrt meine Schwester an.
„Nein", schüttele ich langsam meinen Kopf, ohne meine Augen von ihm zu nehmen. Es gefällt mir nicht, wie er Fonda anschaut. Ich kenne Typen wie ihn. Sie bedeuten nie etwas Gutes.
„Glaubst du, er würde mir eine abgeben?"
„Eine was?"
Bevor ich gecheckt habe, was sie meint, steht sie einfach auf und geht zu ihm. Ich beobachte mit ungutem Gefühl, wie sie mit ihm redet. Der Typ verzieht keine Miene, als er in seine Jackentasche greift und ihr eine Zigarettenschachtel hinhält. Fonda nimmt sich natürlich eine Zigarette heraus und lässt sie sich von dem Kerl anzünden, dann kommt sie wieder zu mir gelaufen, ohne sich bei dem Typen überhaupt bedankt zu haben. Aber er sieht auch nicht aus, wie der gesprächige Typ.
Fonda lässt sich mit einem langgezogenem Seufzen auf die Bank fallen und legt ihren Kopf in den Nacken.
„Schon viel besser", murmelt sie mit einem Lächeln auf den Lippen.
„Ich will nicht wissen, wie deine Lunge schon aussieht."
„Ach komm, übertreib mal nicht. Du machst es doch selber", schmunzelt sie und drückt mir die glühende Zigarette in die Hand.
Ich verdrehe die Augen, ziehe aber daran. „Ich bin aber schon 18. Du erst 16."
„Fast 17."
„Macht keinen Unterschied."
„Na und? Wo ist das Problem? Wir werden doch eh alle irgendwann sterben. Manche erst später, manche eben früher. Wen juckt's." Sie richtet sich auf und nimmt mir die Zigarette wieder weg.
„Das ist kein Grund, den Tod herauszufordern", sage ich ernst.
„Wer sagt, dass ich ihn herausfordere? Ich spiele mit ihm. Das ist was anderes."
„Bis er irgendwann keine Lust mehr auf deine Spielchen hat."
Sie zuckt mit den Schultern. „Dann ist das so. Aber solange hab ich wenigstens meinen Spaß."
„Wie du meinst", antworte ich. Ich habe meine Lust mehr, mit ihr darüber zu diskutieren. Ich schaue auf mein Handy. „Ich muss los. Ich hab Mamá versprochen, noch einkaufen zu gehen."
„Oh natürlich, wenn sie etwas sagt, springst du sofort."
Mir entgeht ihr giftiger Unterton nicht, doch ich sage dazu nichts. Noch während sie ihre Zigarette ausdrückt, verabschiede ich mich mit einer kurzen Umarmung von ihr. Ich weiß nicht, wann ich sie das nächste Mal besuchen komme. Vielleicht morgen, vielleicht aber auch erst in einer Woche. Wer weiß.
Als ich im Auto sitze, wird mir klar, dass meine kleine Schwester schlauer und abgebrühter ist, als ich gedacht hätte. Es wird wohl doch eher morgen.
Mein Handy ist weg.

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