𝗄𝖺𝗉𝗂𝗍𝖾𝗅 𝗓𝗐𝖾𝗂.

Obwohl ich die Pracht des Bryman-Anwesens gewohnt bin, erschlägt mich der Chambers-Sitz. Wie ein kleiner Palast umgeben von einem sorgsam gepflegten Garten empfängt das Gebäude seine Besucher. Waverly hat Ash und Avery nach ihrem Debüt zu sich eingeladen, um gemeinsam Tee zu trinken. Als Zofe der jungen Baroness muss ich natürlich dabei sein. Auf dem Debüt konnte ich die junge Gräfin nur flüchtig sehen, also werde ich Ash‘ Verlobte heute kennenlernen.

Waverly Tracy Chambers, die Frau, der das geschenkt wurde, was ich mir am meisten wünsche – Ash als Lebenspartner.

Er schließt die Tür der Kutsche hinter mir und drückt meine Hand als wüsste er, welche Gedanken mir durch den Kopf gehen. Lächelnd erwidere ich den liebevollen Druck. Seine Haare kommen mir noch perfekter als sonst vor, der weiße Anzug steht ihm hervorragend.
»Es wird alles gut«, wispert er mir zu, »Und dann sind es nur noch anderthalb Monate, bis ich volljährig bin.«
»Ja«, nicke ich mit einem wohligen Gefühl in meinem Inneren, »Es wird alles gut.«

Ash spricht es nicht aus, aber wir wissen beide, was er damit meint. Sobald er volljährig ist, darf er Mätressen ernennen – Die beste Möglichkeit, bei ihm zu bleiben. Eine Mätresse hat zwar nicht die Privilegien einer Ehefrau inne, doch sie steht dem Adeligen sehr nahe und genießt ein fantastisches Leben im Luxus. Denn das einzige was sie tun muss, ist ihrem Vorgesetzten zu gefallen.

Der Fächer klackt, als Avery ihn öffnet. Ihre aufmerksamen, hellblauen Augen schweifen über das Anwesen der Grafenfamilie, ihre untere Gesichtshälfte verbirgt sie hinter dem Accessoire. Das Debüt war ein voller Erfolg. Mit ihrem Charme und tadellosen Benehmen konnte Avery die Adelsgesellschaft von sich überzeugen und genießt seitdem ein hohes Ansehen – Daran habe ich nie gezweifelt seit ich sie kenne. Nicht selten sind wir auf Teepartys und Veranstaltungen gegangen.

Mittlerweile habe ich mich gut in den Beruf der Zofe eingefunden. Hinter Avery erhabener Fassade verbirgt sich eine zuvorkommende Persönlichkeit, die mir sehr geholfen hat. Neben Mirana habe ich sie ebenfalls als Freundin gewonnen. Ich habe sie Avery vorgestellt und kann nicht beschreiben, wie glücklich ich darüber bin, dass die beiden sich auch so blendend verstehen.

»Lasst uns gehen«, weist die junge Baroness an. Das pastellgrüne Kleid mit weißen Elementen, das ich für heute ausgewählt habe, ist nicht zu protzig, zeigt aber ihre Stellung deutlich und betont bis zu den Hüften ihre wunderschöne Figur, bevor es in einem weiten Rock mündet. Wie immer würde man sie für eine Königin und nicht eine Baronentochter halten, der niedrigste Rang, den eine Adelige besitzen kann.

Kurz hakt sich Ash wie selbstverständlich bei mir unter, als uns beiden auffällt, dass wir nicht zuhause sind. Peinlich berührt lösen wir uns voneinander und ich husche hinter Avery, deren Mundwinkel amüsiert zucken. Hier darf niemand von unserem Verhältnis wissen, nicht vor seiner Volljährigkeit – Das wäre ein Skandal und ich will den Brymans nicht schaden. Nicht nach alldem, was sie für mich getan haben. Denn es sind nicht nur Ash und Avery, die mir helfen, sondern auch deren Eltern Clint und Vandeleur.

Eine sommerliche Brise weht eine feine Strähne meines hüftlangen, weißblonden Haares aus meinem Gesicht. Ich habe lediglich zwei vordere Teile nach hinten geflochten und mit einer Spange verziert. Ein weiteres Privileg einer Zofe ist, dass sie auch Zugriff zu edler Kleidung hat, um sich in das Bild der Adeligen zu fügen. Natürlich sehe ich nicht annähernd so aus wie Avery, aber mein beiges, knielanges Kleid bildet einen starken Kontrast zu der dreckigen Uniform des Küchenmädchens, das ich mal war.

Neben dem steinernen Weg blühen gelbe und weiße Blumen auf, die einen angenehmen Duft verströmen, in dem ich mich verlieren könnte. Blumen sind faszinierend. Ihre unterschiedlichen Bedeutungen haben Ash und ich alle gemeinsam gelernt. Ich muss lächeln, als ich daran denke, wie er mir stets die richtigen Blumen geschenkt haben, je nachdem, wie es mir ging.

Auf den Stufen des Anwesens wartet Waverly bereits auf uns. Wie es im südlichen Teil Seraviras üblich ist, trägt sie weiß. Die Ärmel ihres mit Sicherheit teuren Kleides sind weit, doch verbergen ihre Schultern nicht. Auch schmückt keine Kette ihren Hals und ihre welligen, dunkelbraunen Haare fallen nach hinten, sodass sie viel Haut zeigt, auch wenn das Kleid bodenlang ist. Sie hat eine Menge Selbstbewusstsein, realisiere ich, auch ihr fester Blick zeigt das.

Wie Ash und Avery auch verneige ich mich vor ihr, deren kleines Gefolge von drei Angestellten tut es uns gleich. Auch Waverly wird von zwei Soldaten begleitet, die sie rechts und links flankieren. Der Knicks, den sie vollführt, zeugt von purer Eleganz.
»Es freut mich sehr, dass ihr Zeit gefunden habt, Euer Hochgeboren Lord Ashton Charles und Lady Avery Eve Bryman«, begrüßt sie die beiden.

Ihre Stimme lässt mich erschaudern. Die Worte klingen wie eine Melodie, die einen sowohl verzaubert als auch zu töten scheint. Heilige Scheiße, sie ist das komplette Gegenteil von mir. Ich muss mich nicht einmal an meinen Unterricht erinnern, um den Blick zu senken. Und diese Frau soll Ash heiraten?
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Eure Durchlacht«, erwidert er vorbildlich und schenkt ihr sein bestes einstudiertes Lächeln, wie ich es aus den Augenwinkeln wahrnehme.

»Wir danken Euch vielmals für die Einladung«, fügt Avery demütig hinzu.
»Ich danke Euch dafür, sie angenommen zu haben«, winkt Waverly ab und deutet mit einer fließenden Bewegung zur Tür, um uns zu bedeuten, hineinzugehen. Allein die Geste strahlt Macht und Einfluss aus. Automatisch folgt mein Blick ihrer ringbesetzten Hand.

»Nach Eurem Debüt müsst Ihr alle Hände voll zu tun gehabt haben. Ich kann Euch nur erneut mein Lob aussprechen«, sie wirft einen Blick über die Schulter, um zu überprüfen, ob wir ihr folgen, »Ihr werdet eine herausragende Baroness sein.«
Avery neigt zur Antwort den Kopf und lächelt freundlich.

»Auch ist es fantastisch, dass Ihr endlich wieder hier seid, Ashton«, wendet Waverly sich an den jungen Baron und hebt ihren Arm. Vorbildlich hakt sich ihr Verlobter bei ihr unter. Meine Schultern spannen sich an. Selbst von hinten sieht die junge Gräfin wunderschön aus, ihr kerniges, dunkles Haar reicht sogar gelockt bis über ihre Taille. Im Licht der Kronleuchter schimmert es. Den warnenden Seitenblick von Avery auf mich bemerke ich erst, als sie mich sanft an der Schulter berührt. Unbewusst habe ich den Abstand zwischen den Verlobten und mir verringert.

»Es ist ewig her«, lächelt Ash sie an. Ich kann nicht erkennen, ob seine Augen funkeln wie sie es immer tun, wenn er das Lächeln echt meint. Ich hoffe sehr auf einen leeren Ausdruck.
»Viel zu lange. Glücklicherweise haben wir nun genügend Zeit füreinander gefunden.«

Waverly schmiegt sich an ihn. Das edle Kleid und sein heller Anzug ergänzen sich zu dem Bild eines perfekten Paares. Mit zusammengebissenen Zähnen sehe ich auf den spiegelnden Marmorboden. Das wird ein langer Nachmittag.

Monoton löse ich die geflochtene Strähne, nur um sie erneut zu flechten. Mittlerweile habe ich das Zeitgefühl verloren und keine Ahnung mehr, seit wann die drei Adeligen im großen Salon sind. Die drei Soldaten der Brymans und mich hat man in einen kleinen verfrachtet, anscheinend sind wir nicht hochwertig genug, um ihnen Gesellschaft zu leisten.

Gebäck und Tee steht auf einem der niedrigen Tische bereit, bei weitem nicht von solcher Qualität wie das der Adeligen, für Angestellte aber wahre Kochkunst. Während der andere Teil des Gefolges sich untereinander kennt und sich angeregt unterhält, sitze ich etwas verloren in den Polstern eines Sessels versunken in einer Ecke des Salons.

Am liebsten würde ich mich im Anwesen umsehen, aber ich traue mich nicht. Hier herrschen Waverly und ihre Mutter Branwen Charleen und wenn ich ehrlich bin, will auch gar nicht an die Orte, an die Waverly ständig geht. Sie hat das Recht, sich bei Ash aufzuhalten und ihm nahezukommen, dennoch tut es weh, ihn mit einer anderen zu wissen.

Er wird sich doch nicht in die junge Gräfin verlieben? Geschockt halte ich in meinen Flechtbewegungen inne. Nein. Nein, er würde sich bestimmt nicht in diese heuchlerische Adelige verlieben. Oder? Ich meine, was habe ich, was sie nicht hat? Waverly ist wunderschön, reich, mächtig und adelig. Die perfekte Frau für einen perfekten Mann wie ihn.

Scheiße, Nancy, es reicht. Ash hat dir versprochen, dass du seine Mätresse wirst, seine einzige. Ich muss ihm vertrauen – Ich vertraue ihm.

Die hohe Tür des Salons öffnet sich und reißt mich aus meinen Gedanken. Der Hoffnungsfunke auf Ash und Avery, die unsere Abreise verkünden, glimmt auf und holt mich aus meiner zusammengesunkenen Haltung. Doch es sind nicht die Adeligen, die eintreten, sondern einer der Soldaten, der Waverly vorhin begleitet hat. Vorhin habe ich ihn nur aus dem Augenwinkel betrachtet, jetzt hat er meine gesamte Aufmerksamkeit.

Groß gewachsen, schulterlange, dunkelbraune Haare, die locker nach hinten gebunden wurden, eine auffällig weiße Strähne, die ihm ins Gesicht fällt. Definitiv der Typ Mann, mit dem Mirana mich verkuppeln würde, wäre ich noch single. Obwohl… Ich glaube, sie würde eher selbst mit ihm flirten.
»Gäste des Hauses Brymans«, spricht er uns vier an, »Gräfin Wavery trug mir auf, euch Bescheid zu geben, dass Lord Ashton und Lady Avery bis zum Dinner bleiben. Natürlich werdet auch ihr versorgt. In der Zwischenzeit steht es euch frei, euch in diesem Salon oder dem Garten aufzuhalten.«
»Habt Dank«, erwidert einer der Soldaten und die anderen neigen ihre Köpfe.

Wir bleiben bis zum Abend? Verdammte Scheiße. Das halte ich nicht aus. Seufzend sinke ich wieder in die Polster hinab. Normalerweise wäre ich mit Begeisterung in den Garten gegangen, aber jetzt habe ich keine Lust. Ich will nur zurück zu Ash. Dem Chambers-Soldat scheint mein leerer Blick aufgefallen zu sein, denn er hebt seine Augenbrauen und schreitet zu mir. Nicht das auch noch.

»Entschuldigt-«, beginnt er.
»Abgelehnt«, murmele ich. Der verwirrte Ausdruck in seinem markanten Gesicht wechselt rasch zu amüsiert.
»Seid Ihr immer so abweisend, wenn es darum geht, neue Bekanntschaften zu machen?«
Ungefragt nimmt er gegenüber von mir auf einem anderen Sessel Platz.

»Nur wenn sie so ungebeten erscheinen.«
Ich beschließe, sein Spiel mitzuspielen und richte mich auf. Vielleicht lenkt mich ein Gespräch von dem Gedanken ab, dass ich nicht bei Ash bin.
»Ihr seid die Zofe der jungen Baroness, richtig?«
»Sehr gut«, grinse ich und überschlage meine Beine. Was will er von mir? Der Soldat lacht auf, ein tiefes, kehliges Lachen. Eindeutig Miranas Typ, wenn ich sie richtig kenne.

»Ihr seid sehr vorlaut für eine Zofe«, tadelt er mich schmunzelnd. Beiläufig streicht er sich die weiße Haarsträhne zur Seite, eine Bewegung, die so routiniert verläuft, dass es eine seiner häufigen Gewohnheiten sein muss.
»Ihr seid sehr unverschämt für einen Mann«, feuere ich zurück ohne die Miene zu verziehen. In Wahrheit habe ich schon deutlich respektlosere Männer erlebt, aber das ist für ein Küchenmädchen ganz normal. Leider. Näher an mich herangelassen habe ich dennoch nur Ash. Verdammt, ich wollte doch auf andere Gedanken kommen!

»Meine Güte, Ihr habt Recht, ich habe meine Manieren vergessen«, erwidert der Soldat gespielt geschockt und legt seine Faust auf sein Herz, um sich zu verneigen, »Gestatten, Dakota Tench, Leibwache der jungen Gräfin Waverly Tracy Chambers.«
Ach, er ist also der Leibwächter. Genauso schlimm wie die, die er beschützen soll.

»Gestattet. Ich bin Nancy Rees, Zofe von Lady Avery Eve Bryman«, stelle ich mich der Höflichkeit halber vor. Das erste provokante Wort entgeht Dakota nicht, wie ich an dem Funkeln in seinen dunkelbraunen Augen erkennen kann. Ansonsten allerdings kann ich in seinem Gesicht nichts lesen, auch nicht seine Absicht. Wenn er wegen meines Aussehens gekommen ist… Mich kriegt er ganz sicher nicht.
»Nancy also. Darf ich Euch so nennen?«

Mit verschränkten Armen lehne ich mich zurück und mustere ihn langsam. Die Uniform steht ihm gut. Ich muss ihn bei Gelegenheit unbedingt mit Mirana bekannt machen, die würde bei diesem Anblick dahinschmelzen. Automatisch muss ich an Ash zurückdenken. Bei seinen Übungskämpfen bin ich es immer, die das Schwert besser schwingt. Mit dem Militär möchte er am liebsten nichts zu tun haben. Ein Schmunzeln schleicht sich auf meine Lippen.

»Ich habe das Gefühl, dass Ihr das ohnehin tun würdet, Dakota.«
»Da habt Ihr nicht Unrecht, Nancy.«

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