𝗄𝖺𝗉𝗂𝗍𝖾𝗅 𝗌𝗂𝖾𝖻𝖾𝗇.

»Ihr seht… anders aus«, bemerkt Dakota und starrt meine Frisur an, als ich um die Ecke trete. Er hat sein Wort gehalten, die Hintertür war offen. In der letzten Ecke des Stalls habe ich ihn gefunden, nicht einmal Pferde sind hier, nur Heuballen. Der Geruch nach Tier liegt in der Luft, das einzige Licht stammt von einigen Öllampen, die alle fünf Meter von den Balken hängen.
»Klappe«, zische ich. Ich habe keine Zeit für seine dämlichen Kommentare.

»Behandelt man so etwa denjenigen, der neue Kleidung bringt?«, heuchelt er. Ich verdrehe die Augen und reiße ihm den zusammengefalteten Stoff aus den Händen. Ein schlichtes, braunes Kleid, das schon einige Löcher am Saum hat. Aber das ist mir egal.
»Wehe, Ihr spannert«, murmele ich und verschwinde ohne ein weiteres Wort hinter einem Berg Heu. Das Blut ist bis auf meine Haut gedrungen, wird von dem neuen Kleidungsstück allerdings verdeckt. Ich muss es später abwaschen.

Seufzend ziehe ich den Umhang über das Kleid. Niemand würde erwarten, dass ich einst Zofe gewesen ist – In diesem Aufzug würde ich direkt als Bettlerin abgestempelt werden. Allerdings ist das gar nicht so schlecht. Je weniger mich erkennen, desto besser. Kennt Waverly eigentlich mein Gesicht? Ich bin mir nicht sicher, immerhin hat sie mich nicht wirklich beachtet. Und als sie Ash umgebracht hat, war es dunkel und ich tränenüberströmt.

»Hier«, meine ich knapp zu Dakota und werfe ihm das blutgetränkte Nachthemd zu. Die Leibwache springt auf, weicht dem fliegenden Stoffstück aus.
»Was sollte das denn?«, empört er sich, die Stimme eine Oktave höher als normalerweise. Ich hebe die Augenbrauen.
»Ihr müsst das für mich loswerden. Ihr wolltet mir doch helfen, nicht wahr?«
Dakota blickt mich an als hätte es ihm die Sprache verschlagen.

»Ihr erinnert Euch also, schön. Damit das klar ist…«, ich mache einen Schritt auf ihn zu, richte meinen Dolch auf seine Brust, »Ihr hört auf mich. Kapiert?«
Woher dieses Selbstbewusstsein kommt, kann ich mir nicht erklären. Vermutlich hängt es damit zusammen, dass mein Hass auf Waverly und das Bild von Ash wiederkehren. Ich muss mich durchsetzen.
»Heilige Scheiße«, murmelt Dakota. Anstelle wie vorhin meine Waffe wegzudrücken, weicht er einen Schritt zurück. Obwohl seine Schultern tapfer gestrafft sind, blitzt Unsicherheit in seinen Augen auf.
»Seit wann seid Ihr so unheimlich?«
Was meint er jetzt schon wieder? Ich lasse den Dolch sinken.
»Ihr seid Euch dem gar nicht bewusst?«, fragt er, seinen Mund kriegt er nur halb zu.

»Was denn?«, entgegne ich. Dakota nervt, ich kann nicht einmal genau sagen, weshalb. Vielleicht liegt es an der Chambers-Uniform, die er trägt. Zumindest scheint er mich endlich ernst zu nehmen.
»Euer Ausdruck…«, er ringt nach Worten, bis er aufgibt, »Vergesst es. Deswegen bin ich nicht hier und ich kann auch nicht lange bleiben – Keine Ahnung, wann meine Abwesenheit auffällt. Nachts übernehmen andere Wachen meinen Dienst, aber ich teile mir das Zimmer mit einigen Soldaten. Wenn die aufwachen und sehen, dass ich nicht da bin, gibt es… Fragen.«

»Verstehe. Warum seid Ihr dann hier?«
Natürlich weiß ich bereits, dass er mir helfen will, aber er kann es gerne wiederholen. Ich will mir sicher sein, dass ich ihm glauben kann – Vertrauen nicht. So weit will ich nicht gehen.
»Ihr wisst, dass meine Mutter Hauswirtschafterin ist. Wenn ich ihr die passende Geschichte erzähle, dass ich Euch bei einem Ausritt auf der Straße aufgegabelt habe und Ihr mir gefallen habt, kann sie dafür sorgen, dass Ihr eingestellt werdet.«

Das wäre auf jeden Fall nicht schlecht – Ich wäre direkt im Chambers-Anwesen, ohne dass ich einbrechen muss. Als Angestellte könnte ich mich ebenfalls frei bewegen. Auch wenn ich nicht begeistert davon bin, Waverly unterstellt zu sein, kann ich nicht abstreiten, dass es mir helfen würde.
»Fahrt fort«, weise ich Dakota an, der darauf anscheinend gewartet hat. Wie sah ich vorhin denn aus, dass er plötzlich solch einen Respekt hat?

»Ihr wärt sehr viel näher an Waverly dran – Küchenmädchen wart Ihr, richtig? Ihr könnt bestimmt auf Hausmädchen umschulen, ich glaube, dass meine Mutter sogar erwähnt hat, dass eine weitere von Nutzen wäre. Außerdem könnte ich Euch stetig Informationen über die junge Gräfin zukommen lassen. Wie klingt das?«
Ich mustere Dakota. Er blickt mich selbstzufrieden an, findet seinen eigenen Vorschlag anscheinend unfassbar genial.
»Was muss ich dafür tun?«, erwidere ich mit zusammengekniffenen Augen. So ein gutes Angebot muss einen Haken haben. Dakotas Gesicht verfinstert sich.
»Waverly töten.«
Ein Grinsen erscheint auf meinen Lippen.

»Deal.«

»Reverie, aufwachen…«
Die sanfte Stimme reißt mich aus der angenehmen, warmen Dunkelheit. Ich gebe ein leises Grummeln von mir.
»Reverie, Süße, los!«
Ich blinzele, doch als ich sehe, dass Chrysan sich direkt über mich gebeugt und sich mit ihren Armen neben meinem Kopf abgestützt hat, reiße ich die Augen auf. Schlagartig bin ich wach.
»Chrysan!«, entfährt es mir. Ihr blondes Haar streift mein Gesicht. Warum ist sie so nah an mir? Und warum grinst sie nur amüsiert?
»Ja, Rev?«

Ich suche nach Worten, scheitere. Sie schafft es als einzige Person, mich sprachlos zu machen. Unglaublich. Chrysan zwinkert mir zu, ehe sie sich aufrichtet, sodass sie an der Seite meines Bettes sitzt. Wir teilen uns ein Zimmer und obwohl ich es genieße, bereue ich es manchmal auch. Eine Weile lang betrachte ich sie, wie sie versucht still zu bleiben.

»Was ist los?«, frage ich sie und erhebe mich ebenfalls. Auch wenn meine Haare nun kinnlang sind, ertappe ich mich ständig bei der routinierten Bewegung, mit der ich sie nach hinten gestreift habe.
»Mein Bruder kehrt zurück!«, erwidert Chrysan fröhlich. Ich ringe mich zu einem Lächeln auf, was nicht einfach ist, wenn man erst vor einigen Sekunden aufgewacht ist.

Zwei Monate ist es her, dass Dakota mich in das Chambers-Anwesen eingeschleust hat. Mittlerweile bin ich erwachsen. Nicht selten haben wir das Attentat auf Waverly geplant, aber kurz bevor wir es vor zwei Woche ausführen wollten, hat sie eine Delegation zum Königsschloss gesandt. Auch Chrysans Bruder ist ein Teil dieser. Und da die Neugier darauf, was sie jetzt schon wieder vorhat, größer als das Bedürfnis nach ihrem Tod war, warten wir ab. Nun, das ist vielleicht der falsche Ausdruck – Mein Hass auf sie ist mit keinem Tag kleiner geworden. Es war Dakota, der mich abgehalten hat.

Die Arbeit als Hausmädchen habe ich schnell erlernt, was hauptsächlich an meiner Lehrerin Chrysan liegt. Sie ist nur ein paar Monate älter als ich, wahnsinnig hübsch und kennt mich unter dem Namen Reverie Lohen, wie alle Angestellten. Auch Dakota nennt mich so. Nach meinem Ausbruch wollen wir kein Risiko eingehen. Einige Tage lang suchten die Chambers-Soldaten nach mir, unwissend, dass ich direkt unter ihnen verweilte. Schließlich gaben sie es auf.

Was mit meinen Eltern und Mirana geschehen ist, weiß ich nicht. Nicht einmal Dakota konnte das herausfinden. Dafür hat er mir erzählt, was mit den Brymans ist. Baron und Baroness haben eine angeblich gewaltige Entschädigungsmenge gezahlt, weil die Hochzeit zwischen Ash und Waverly offensichtlich nicht mehr stattfinden kann. Nun ist Avery die direkte Nachfolgerin des Ehepaares und auf der Suche nach einem Partner. Gerüchten zufolge hat sie eine neue Zofe. Ich hätte erwartet, dass mich das stören würde, aber ich bin froh, dass sie einen Ersatz gefunden hat, der ihr vermutlich keinen solchen Schaden zufügen wird.

»Wann trifft die Delegation denn ein?«, erkundige ich mich gähnend. So aufgeregt wie Chrysan ist, frage ich mich, ob sie überhaupt geschlafen hat. Vorfreude funkelt in den tiefblauen Augen.
»Heute Mittag, Süße«, grinst sie.
»Wieso hast du mich dann jetzt bereits geweckt?«, murre ich.
»Komm schon«, quengelt sie, »Du musst meine Haare machen! Du kannst das am besten.«

Schmunzelnd schüttele ich den Kopf und streife die Decke von mir. Dakota und ich haben erzählt, dass ich eine Waise wäre, und aus einem entfernteren Herzogtum stamme. Dort habe ich bei einem Friseur ausgeholfen – So erklären sich die Angestellten meine Fähigkeiten. Oft fragen mich Mädchen in unserem Alter, ob ich sie frisieren kann, wenn ein besonderer Anlass bevorsteht. Obwohl es mich viel zu stark an meine Zeit als Zofe erinnert, beruhigt mich es auch. Frisieren ist mir zu vertraut als dass ich es aufgeben könnte.

»Na gut«, gebe ich nach und schaffe es irgendwie aus dem Bett. Überglücklich fällt mir Chrysan in die Arme. Sie riecht gut. Woher hat sie das Parfüm? Lächelnd erwidere ich die Umarmung. Es ist wirklich schön, wie schnell sie fröhlich werden kann.
»Also, was willst du?«, frage ich sie, nachdem wir uns wieder gelöst haben.

Mit einer aufwendigen Flechtfrisur und in ihrem besten Kleid zieht mich Chrysan durch die Flure. Wir sind nicht die einzigen, die zum Haupttor eilen – Ich habe gehört, dass sogar Waverly höchstpersönlich die Delegation begrüßen wird. Das heißt, Dakota wird auch anwesend sein. Vielleicht gelingt es uns in dem Trubel ein paar Worte zu wechseln, wir haben uns lange nicht mehr unterhalten. Möglicherweise hat er mehr über das Ziel der Boten herausgefunden.

Es herrscht bereits ein relativ großer Andrang auf dem Hof. Ein leichtes Stechen macht sich in mir bemerkbar. Als Ash empfangen wurde, waren nicht so viele Angestellten anwesend. Selbstbewusst bahnt sich Chrysan einen Weg durch die Menge, bis wir ganz vorne stehen. Tatsächlich erkenne ich die Ansammlung der Kutschen, die vor dem Tor sichtbar werden.

Als ich einen Blick nach hinten werfe, erblicke ich neben Dakota Waverly. Bitterer Hass erfüllt mich. Ich bin ihr ewig nicht mehr begegnet – Obwohl wir in demselben Anwesen leben, treffe ich sie kaum. Wie damals auch wartet sie im Türrahmen, einige Stufen erhöht und überschaut den Auflauf. Erneut trägt sie ein schulterfreies, helles Kleid, ihre welligen Haare fallen sanft über ihren Rücken. Man kann nicht leugnen, dass sie wunderschön ist. Zumindest von außen. Ihre Persönlichkeit ist nämlich der letzte Scheißdreck.

Meine Aufmerksamkeit wird von ihr auf die Delegation gezogen, als Chrysan nach meiner Hand greift und mit der anderen auf den Zug zeigt. Insgesamt drei Kutschen treffen ein – Zwei typisch weiß und mit der Signatur der Chambers, die andere schwarz. Mit dem Wappen der Königsfamilie.
»Rev, siehst du das?«, entfährt es Chrysan entgeistert. Auch die anderen Angestellten tuscheln. Vermutlich ist es das erste Mal, dass sie diese Kutsche erblicken – Tatsächlich kommt sie mir von einer Veranstaltung bekannt vor, die ich mit Avery und Ash besucht habe.

»Es ist schwer, sie nicht zu sehen«, murmele ich, »Was macht die hier?«
»Keine Ahnung«, gesteht meine Freundin. Warum hält sie eigentlich immer noch meine Hand?
»Hey, da ist mein Bruder!«, ruft sie. Ich folge ihrem Finger und… Nein. Aus einer der Chambers-Kutschen steigt ein gutaussehender junger Mann aus. Seine kinnlangen, hellbraunen Haare sind locker nach hinten gebunden, die aufmerksamen Augen suchen den Blickkontakt Chrysans. Er entdeckt sie und steuert auf sie zu.

Chrysan lässt meine Hand los, stürmt zu ihm und die beiden fallen sich lachend in die Arme. Ich starre die Geschwister lediglich perplex an. Chrysans Bruder lässt von ihr ab, sie deutet zu mir, erzählt ihm etwas. Stellt mich vermutlich vor, immerhin sind wir uns noch nie begegnet. Als Bote hat er immer viel zu tun. Er mustert mich langsam, runzelt die Stirn. Eigentlich sollte ich flüchten, aber ich kann nicht. Chrysan Winstone hat einen Bruder.

Und sein Name ist Lorcan.

16 085 Wörter - wir nähern uns dem nächsten Meilenstein!

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