𝗄𝖺𝗉𝗂𝗍𝖾𝗅 𝗇𝖾𝗎𝗇.
»Der Bote hat die Wahrheit gesagt«, bestätigt Dakota langsam, was ich ihm erzählt habe, »Waverly und der Kronprinz haben tatsächlich über eine Verlobung gesprochen. Und, nun ja… Es steht nun fest.«
Ich versuche, das Erfahrene zu verarbeiten. Nachdem mir Lorcan berichtet hat, was Waverly plant, habe ich ihn abgewimmelt und ihm gesagt, dass ich später ausführlich mit ihm reden werden. Als ich schweren Herzens zugestimmt habe, auch Chrysan in die Sache einzubeziehen, hat er mich gehen lassen.
Es kann sein, dass es ein Fehler sein wird, sich den Geschwistern anzuvertrauen. Allerdings kennen sie mich zu gut dafür, dass ich es weiter verheimlichen könnte – Und ich will das gar nicht mehr, nicht vor ihnen. Besonders nicht vor Chrysan. Was ich von Lorcan halten soll, weiß ich nicht genau. Er ist definitiv anders als derjenige, den ich beim Blinddate getroffen habe. Aber macht ihn das gleich zu einer besseren und vor allem vertrauenswürdigen Person?
»Verstehe«, murmele ich, »Habt Ihr mehr mitbekommen?«
Eventuell liegt es an mir, doch ich finde es grausam, nach dem Tod seines Verlobten sich so schnell einen neuen zu suchen. Auch wenn es ein Mord war. Es ist als würde man direkt fremdgehen.
»Ja. Waverly wird schon sehr bald in den Palast ziehen, die beiden wollen so rasch wie möglich heiraten. Ich habe die Vermutung…«
Dakota zögert. Auf ein knappes Nicken meinerseits hin fährt er fort.
»Ich habe die Vermutung, dass das von Anfang an so geplant wurde. Der Kronprinz hat generell einen interessanten Ruf, ich könnte es ihm zutrauen. Das Grafentum Chambers ist hoch angesehen, die Gesellschaft hätte dieser Ehe schon lange zugestimmt. Es gab damals nur ein Problem – Nach dem Tod des Grafen und wegen der Erkrankung der Gräfin war es mit dem Vermögen nicht so weit her.«
»Und deswegen brauchten sie Geld – Am besten von der reichsten Familie Seraviras«, schlussfolgere ich gedehnt. Natürlich. Jetzt erklärt sich, weshalb die ranghöhere Waverly sich auf den niedrigeren Baron einließ - Wegen des Vermögens. Die Zahlungen wegen seines Todes waren immens, vielleicht sogar mehr als Ash für die Chambers in die Ehe gebracht hätte. Ich kann nicht anders als von dieser Idee beeindruckt zu sein.
»Genau. Ich dachte, es wäre nicht so wichtig, aber Waverly hat bereits seit einiger Zeit einen regen Briefwechsel mit dem Kronprinzen.«
Nachdenklich beiße ich mir auf die Lippe. Warum sie Ash umgebracht hat, habe ich mir nie richtig erklären können – Natürlich dachte ich, dass es irgendetwas mit dem Vermögen zu tun haben muss, aber solch ein weitreichendes Ausmaß hätte ich nicht erwartet.
Wenn Waverly Prinz Jaime heiratet, wird sie Kronprinzessin – Und ist somit auf dem direkten Weg, um Königin Seraviras zu werden. Ich balle die Hände zu Fäusten. Ich werde ganz sicher nicht zulassen, dass eine Mörderin die nächste Königin wird.
»Dann sollten wir ebenfalls so schnell wie möglich handeln«, beschließe ich.
»Die Sache ist folgende…«, beginnt Dakota und fährt sich durch die kinnlangen Haare, »Ich denke, wir müssen unser Ziel erweitern. Es reicht nicht, Waverly zu beseitigen. Ich habe einige ihrer Gespräche belauschen können.«
Meint er etwa das, wovon ich ausgehe…?
»Wir werden auch den Kronprinz töten müssen.«
»Seid Ihr Euch sicher?«, hake ich mit gehobener Augenbraue nach. Eine Adelige zu erstechen ist eine ganz andere Angelegenheit als ein Mord an einem Mitglied der königlichen Familie. Das wäre Hochverrat. Andererseits – Was ändert es? Ich habe ohnehin vor, mich an Waverly zu rächen. Was macht es aus, eine weitere Person zu meinen Opfern zählen zu lassen?
»Nicht wirklich. Noch kenne ich den Kronprinzen nicht gut genug – Doch ich schätze, dass die Gerüchte über ihn wahr sind. Die unnötig grausamen Strafen, sein beliebiges, arrogantes Handeln und der kaum wertschätzende Umgang mit den Konkubinen des Palastes. Sein Charakter ist… Schlimm«, gibt Dakota Auskunft. Ich versuche, in seinen Augen zu lesen, ob persönliche Abneigung oder neutrale Beobachtung aus ihm spricht. Anscheinend beides.
»Ich werde darüber nachdenken«, meine ich schließlich.
»Gut. Wir treffen uns wieder, wenn mehr geschehen ist. Ich werde Euch kontaktieren, Ihr wisst Bescheid. Und seid vorsichtig mit diesen Angestellten. Wenn es schiefläuft, werdet Ihr…«
Er lässt den Satz offen, doch ich weiß genau, was er meint. Wenn es schiefläuft, werde ich dafür sorgen müssen, dass sie nichts verraten können.
Auf dem Weg zurück steht Dakotas Vorschlag im Mittelpunkt meiner Gedanken. Der Kronprinz ist generell nicht sehr beliebt unter dem Volk, würde unser Handeln auf viele negative Reaktionen stoßen? Das einzige, was ihn auf seinem Posten hält, ist die Liebe seines Vaters. König Conall hat schon immer seinen ersten Sohn dem zweiten Prinzen Ainslen vorgezogen. Deswegen weiß man über diesen auch wenig. Wie sein Bruder zeigt er sich selten bis nie in der Öffentlichkeit, allerdings steht er ebenfalls nicht im Fokus der Aufmerksamkeit.
Ich fürchte, ich werde die Angelegenheit erst beurteilen können, wenn ich ihn persönlich kennengelernt habe. Für ein Hausmädchen ist das jedoch so gut wie unmöglich – Er hat mich allerdings beim Empfang beachtet. Sein Blick war… Merkwürdig. Als wüsste er etwas. Und sein Grinsen hat mich ebenfalls nicht beruhigt.
Doch darüber kann ich später grübeln. Ich bin an meinem Zimmer angekommen. Durch den unteren Spalt der Tür dringt Licht, so schwach, dass man es übersehen hätte, wäre es nicht das Ziel. Ich setze mein bestes, unbefangenes Lächeln auf. Chrysan werde ich erzählen, dass ich doch nicht schlafen konnte und einen Spaziergang gemacht hätte. Da ich – hauptsächlich wegen Dakota – nachts öfter verschwinde, wird das glaubhaft erscheinen. Und morgen werde ich alles erklären.
Als ich die Tür jedoch öffne, ändern sich meine Pläne. Die Geschwister Winstone erwarten mich bereits mit zusammengekniffenen Augen. Scheiße. Meine Maske fällt. Lorcan hat seiner Schwester sicher schon alles erzählt. Sie betrachtet mich stumpf, die Miene unleserlich.
»Nancy«, spricht sie mich das erste Mal mit meinem richtigen Namen an, »Richtig?«
»Ja.«
Seufzend lasse ich mich auf mein Bett sinken, die beiden sitzen mir gegenüber auf Chrysans.
»Wie viel hat Lorcan dir erzählt?«, beginne ich, versuche meine Unsicherheit hinter einer festen Stimme zu verbergen. Damit nicht auffällt, dass sie zittern, verschränke ich meine Finger.
»Du bist keine Waise, kommst aus dem Hause Bryman und warst die Zofe von Lady Avery. Nachdem Lord Ashton ermordet wurde, wurdest du verhaftet, bist aber entkommen und hast es irgendwie geschafft, dich hier einzuschleusen.«
Ich nicke bestätigend. Das stimmt alles – Doch es macht mich unfassbar nervös, dass Chrysan, die normalerweise ein neckisches Funkeln in den Augen hat, mich ausdruckslos ansieht. Ich kann nicht erkennen, was sie davon hält.
»Hast du Lord Ashton umgebracht?«, fragt sie geradeheraus. Der Moment seines Todes blitzt in meinen Gedanken auf, ich beiße mir auf die Lippe. Wie jedes Mal, wenn ich mich erinnere, ergreift diese schmerzende Kälte mein Herz.
»Nein«, wispere ich, senke den Blick. All die Stärke, die ich mir erarbeitet habe, verblasst. Wie immer, wenn es um diesen Vorfall geht. Ich hasse mich dafür. Irgendwie muss ich das Thema von ihm weg leiten.
»Waverly hat es getan.«
Stille. Ziemlich lange Stille, in der ich mich nicht mehr zurückhalten kann. Stumme Tränen tropfen auf meine Hände, ich wage es nicht, den Kopf zu heben. Ich will ihren Reaktionen nicht begegnen. Jetzt werden sie mich erst recht für eine Heuchlerin halten. Eine Weile dringt nur mein leises Schluchzen durch das Schweigen, ehe ich mit zittriger Stimme beginne, alles zu erzählen.
Es tut gut, alles loszuwerden – Von dem Blinddate über die gemeinsame Zeit bis zum Besuch bei den Chambers. Detail für Detail, Stück für Stück, erzähle ich es ihnen ohne sie einmal anzusehen. Zu groß ist die Angst davor, was mir begegnen würde. Es ist dumm, es ist so unfassbar dumm, ihnen alles zu berichten, aber das Bedürfnis danach überwiegt. Dakota kennt lediglich das Grobe, was alles genau passiert ist, habe ich ihm nicht anvertraut.
Doch merkwürdigerweise verspüre ich bei Chrysan eine seltsame Geborgenheit, ähnlich wie bei Ash. Dass Lorcan auch dabei ist, stört mich gerade nicht. Nachdem ich fertig bin, schweigen die beiden wieder eine Weile, die ich nutzen kann, um mich zu sammeln. Scheiße, was habe ich getan? Ich habe ihnen alles bis ins kleinste Detail erzählt – Chrysan ist stärker als ich, wird mich also gleich hier festhalten, während Lorcan die Wachen alarmiert. Denn sie glauben eher Waverly als mir, so viel ist klar – Ich würde auch eher einer angesehenen Adeligen Vertrauen schenken als einem dahergelaufenen Hausmädchen.
Umso mehr überrascht es mich, dass Chrysan mich plötzlich umarmt. Fest zieht sie mich an ihren Körper, ihre Wärme empfängt mich liebevoll – Ich kann nicht anders als die Geste zu erwidern und mein Gesicht an ihre Schulter zu legen. Schließlich legt auch Lorcan seine Arme um uns, etwas unbeholfen, aber der Gedanke zählt.
»Hey, alles wird wieder gut«, wispert Chrysan, »Waverly ist der letzte Dreck. Es muss… unfassbar schwer für dich gewesen sein.«
Ich kann weitere Tränen nicht zurückhalten. Habe ich diese Reaktionen verdient? Träume ich nicht einfach nur?
»Ich glaube dir, Süße, okay? Das werde ich immer tun. Du würdest niemals einen Menschen umbringen, denn du liebst.«
»Ich glaube dir auch«, fügt Lorcan hinzu, »Waverlys Erzählung war lückenhaft. Warum sollten wir nicht?«
Langsam lösen wir uns wieder, die beiden setzen sich zu meinen Seiten. Ich will meine Tränen trocknen, aber Chrysan kommt mir zuvor. Ihre von der Arbeit rauen Fingerkuppen streichen über meine Wange, eine Berührung voller Zärtlichkeit.
»Danke«, bringe ich heraus, doch ich bin mir nicht sicher, ob die beiden es überhaupt verstehen, so sehr stocke ich. Chrysan lächelt das sanfteste Lächeln, das ich sie je habe lächeln sehen.
»Aber… Aber ihr müsst wissen, dass…«
Ich beiße mir auf die Lippe. Jetzt habe ich schon so viel verraten – Das macht keinen Unterschied mehr. Ich atme tief durch.
»Ich werde sie umbringen.«
»Verstehe«, murmelt Chrysan. Meine ganze Aufmerksamkeit liegt auf ihr. Sie schließt die Augen, stößt Luft aus, öffnet sie wieder. Und lächelt.
»Du hast meine Unterstützung.«
»Wenn Chrysan dabei ist, bin ich das auch«, schließt sich Lorcan nach kurzem Zögern an. Ich weine erneut – Diesmal aus Dank.
Stumm betrachte ich die Zimmerdecke über mir, Chrysan tut es mir in ihrem Bett vermutlich gleich. Ihr Bruder ist nach einer Weile gegangen und nachdem wir uns beruhigt hatten, haben wir uns hingelegt. Das Licht ist gelöscht, dennoch ist an Schlaf nicht zu denken. Da sind zu viele Dinge, die in meinem Kopf umher spuken. Heute wurde wirklich alles verändert.
Einerseits die Sache mit dem Kronprinzen. Je länger ich grübele, desto seltsamer erscheint mir Jaime. Seine Ausstrahlung, sein Blick, ich kann mich genau erinnern. Die Art und Weise, wie er mich angesehen hat, hatte etwas Durchdringendes, Unheimliches – Als würde man diesem Mann niemals allein begegnen wollen. Wie ist es wohl ist, als Konkubine an seiner Seite zu leben? Ich könnte mir das nicht vorstellen.
Wenn Waverly und er sich bereits lange geschrieben haben, sind sie sich wohl vertrauter. Da die Gräfin Branween Charleen an einer Krankheit leidet, die sie ans Bett fesselt, hat ihre Tochter früh die Geschäfte übernommen. Seit wann, weiß ich nicht. Auf jeden Fall soll sie das alles ach so großartig getan haben und eine Menge Intelligenz und Talent gezeigt haben. Sollte das stimmen, kann ich davon ausgehen, dass all ihre Handlungen geplant waren – Inklusive des Mords.
Natürlich, was denn sonst? Welche Adelige trägt denn in ihrem eigenen Anwesen einen Dolch bei sich? Und dann auch noch die Tatsache, dass die Wachen so schnell aufgetaucht sind. Ich muss mir auf die Lippe beißen, damit mir keine Flüche entweichen. Ash war nur ein Schritt auf dem Weg zu ihrem Ziel – Offensichtlich der Rang der Königin. Warum nur lässt sich auch der Kronprinz darauf ein? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er komplett unwissend bezüglich dem Vorhaben seiner jetzt Verlobten ist. So eine Frau will man doch nicht heiraten – Wer garantiert, dass sie ihn nicht auch ersticht?
Auf der anderen Seite hat dieser Tag nicht nur Rätsel, sondern auch Klarheit gebracht. Vorsichtig drehe ich mich zu Chrysan, doch die Bettdecke raschelt lauter als ich es beabsichtigt habe. Ein Rascheln auf der anderen Seite. Durch das Fenster zwischen den beiden Betten fällt schwaches Licht ins Zimmer, ich kann gerade so ihre wunderschönen Gesichtszüge erkennen.
»Nancy«, wispert sie, »Oder Rev. Ich weiß nicht, was dir lieber ist.«
Chrysan zögert. Gebannt betrachte ich sie, mir fällt keine passende Antwort ein. Die zwei Namen stehen für vollkommen unterschiedliche Leben – Und ich weiß nicht, welches besser ist.
»Ich kann nicht sehen, ob du gerade schläfst oder nicht, aber… Du solltest etwas wissen, Süße.«
Moment, sie kann mich nicht sehen? Für den Bruchteil einer Sekunde will ich antworten, doch irgendetwas in mir sträubt sich, will hören, was Chrysan zu sagen hat.
»Seit du hier bist… Hat sich etwas verändert. Bei mir zumindest. Du bist wirklich etwas Besonderes. Ich kann, nun ja, verstehen, was Ash in dir gesehen hat. Und du schaffst es, ihn zu rächen. Weil wir dir helfen werden. Du bist nicht allein, okay?«
»Danke«, erwidere ich nun doch. Wenn ich das Licht richtig deute, erbleicht Chrysan gerade.
»Du bist… wach?«, quiekt sie in einer überraschend liebenswerten Tonlage. Ich muss leise kichern so wie die unzähligen Male, als wir bis tief in die Nacht gequatscht haben.
»Ja. Vielen Dank dir. Ich bin wirklich froh, dich getroffen zu haben.«
»Gleichfalls. Aber…«, Chrysan zögert erneut, gibt sich dann aber einen Ruck, »Kannst du mir eine Sache versprechen? Wenn das alles vorbei ist, dann lass uns mit Lorcan fliehen. Meinetwegen auch mit Dakota. Irgendwohin, weit weg von der Vergangenheit. Und dann lass uns einfach friedlich leben.«
Ich muss lächeln. Irgendwie erinnert mich das an das Versprechen, das ich Ash gegeben habe.
»Versprochen, Chrysan.«
20 455 Wörter - dritter Meilenstein geschafft!
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top