𝗄𝖺𝗉𝗂𝗍𝖾𝗅 𝖾𝗅𝖿.

Obwohl ich meine Beine überschlagen habe, zittern sie. Unruhig drücke ich meine Fersen in den Boden, um meine Nervosität nicht zu offensichtlich zu zeigen. Überrascht, dass ich in einen der Salons gerufen wurde, war ich nicht. Der Kronprinz hat bereits angedeutet, dass er mir erneut begegnen wird, und tatsächlich hat es nur einen Tag gedauert, bis ich in diesen riesigen, reich verzierten Raum gebracht worden bin. Helle Polstermöbel sind um einen niedrigen Tisch angeordnet und ich habe mich für einen Sessel entschieden – Hauptsächlich, weil sich so niemand neben mich setzen kann.

Nach einer Beratung, in die Chrysan und ich auch Lorcan einbezogen haben, sind wir zu dem Schluss gekommen, dass ich mich wohl oder übel Prinz Jaime nähern muss. Allerdings nur, wenn ich es schaffe, dass die Geschwister mit mir reisen. Auch wenn ich mein Bestes gebe, um ruhig zu bleiben, pocht mein Herz in der Aussicht auf ein erneutes Treffen mit dem Kronprinzen bis zum Hals. Ich ordne meine kurzen Haare neu. Der Anblick im Spiegel war anfangs äußerst merkwürdig und ungewohnt, aber nicht schlecht. Ash würde es vermutlich gefallen.

Das Öffnen der Tür holt mich aus meinen Gedanken. Leise wechselt Prinz Jaime ein paar Worte mit seinen begleitenden Wachen, ehe er eintritt – Allein. Ich bin wieder allein mit ihm und diesmal habe ich nicht einmal die Möglichkeit zu fliehen. Ich zwinge mich zu einem Lächeln, überprüfe gedanklich, ob der kleine Dolch in meinem Schuh wirklich vorhanden ist.

»Sei gegrüßt, Reverie«, meint der Kronprinz mit seiner beinahe betörenden Stimme, während er zu mir schreitet und sich langsam gegenüber von mir niederlässt. Ich kann nicht leugnen, dass er verdammt gutaussehend ist – Trotz der gefährlichen Aura, die ihn umgibt. Oder vielleicht gerade deswegen.

»Eure Hoheit«, erwidere ich und deute eine Verbeugung an. Jaime grinst wieder dieses unheimliche Grinsen, das Gänsehaut verursacht. Wie es mir gelingt, ihm in die Augen zu sehen, weiß ich nicht. Eigentlich ist es uns untersagt, Adelige – und besonders Mitglieder der Königsfamilie – auf diese Weise anzublicken, doch mich interessiert, wie er reagiert. Mit einem Anheben seiner Augenbraue, als wolle er damit sagen, dass das überraschend neu ist.
»Weißt du, weshalb ich dich habe rufen lassen?«
Prinz Jaime lehnt sich in seinem Sessel zurück, überschlägt seine Beine und legt die Arme auf den Lehnen ab. Sein dunkler Blick ruht unbeirrbar auf mir.
»Nein«, gebe ich mich unwissend. Dieses gesamte Gespräch wird auf meiner Seite ein Geflecht aus Lügen sein. Er nickt knapp.

»Bist du in einer Beziehung?«
Ich war es, schießt es mir durch den Kopf. Etwas sticht in meinem Herzen.
»Nein«, wiederhole ich mich. Die Antwort scheint ihn zufriedenzustellen.
»Warst du jemals in einer Beziehung?«
»Nein.«

Der Kronprinz erhebt sich und schreitet um den Tisch zu mir. Alles in mir spannt sich an, je näher er kommt. Ich kann meinen Blick nicht von ihm nehmen, so hypnotisch sind seine kontrollierten Bewegungen. Soll ich auch aufstehen? Nach einigem gedanklichen Hin und Her bleibe ich sitzen. Er beugt sich zu mir hinunter.
»Du bist volljährig, richtig?«, fragt er. Zu nah, er ist viel zu nah. Doch ich weiche nicht zurück, zucke nicht einmal. Aus der Nähe betrachtet fallen mir winzige, helle Sprenkel in den fast schwarzen Augen auf. Es wirkt wie ein Sternenhimmel.
»Ja.«
Mittlerweile ist es vollkommen klar, worauf er hinauswill.

»Und du weißt, was es bedeutet, dass ich Interesse an dir zeige?«
Ich schaffe es nur zu nicken. Natürlich weiß ich das. Jede Frau weiß das. Verzweifelt versuche ich die Erinnerungen an Ash auszublenden. Nie hätte ich gedacht, dass ich so weit gehen muss, um ihn zu rächen, aber ich kann jetzt nicht aufhören. Nicht, wenn es so ein wichtiger Schritt ist.

»Fantastisch, dann muss ich nichts erklären…«, murmelt der Kronprinz. Sein Blick wandert von meinen Augen an mir hinunter. Er lässt sich nicht anmerken, was er von mir hält. Schließlich zuckt seine Aufmerksamkeit zu meinen Lippen. Prinz Jaime stützt sich mit einer Hand neben meinem Kopf ab, mit der anderen hebt er mein Kinn an.

Ehe ich irgendwie reagieren kann, küsst er mich. Im ersten Moment zucke ich zusammen – Die einzige Person, die ich je geküsst habe, ist Ash. Ich dachte, ich könnte das halten, aber das war töricht. Ich erwidere die Geste und folge einfach der spontanen Idee, meine Hand in seinen Nacken zu legen und ihn näher zu mir zu ziehen. Kurz weiten sich seine Augen, dann schmunzelt er in den Kuss hinein.

Es fühlt sich auf so vielen Ebenen falsch an – Sowohl physisch als auch innerlich. Ich spüre den Prinzen anders als Ash. Obwohl ich zugeben muss, dass es sich neutral betrachtet nicht unbedingt schlecht anfühlt, ist es für mich doch merkwürdig. Etwas in mir ruft, dass ich fremdgehe, aber kann ich das überhaupt, wenn Ash tot ist? Vermutlich nicht. Doch es wirkt so als ob.

Nach einigen quälend langen Sekunden löst er sich von mir. Nach wie vor ist seine Miene ausdruckslos – Bis auf das leichte Grinsen natürlich. Und ich glaube, ein Blitzen in den Augen zu erkennen.
»Nicht schlecht«, murmelt er. Ich tue so als würde mich sein Lob freuen, vermeide Blickkontakt, beiße mir auf die Lippe. Sanft, aber bestimmt, dreht er meinen Kopf jedoch wieder so, dass ich ihn ansehen muss. Ich fahre mit meiner Hand in seine weichen Haare.

»Pack deine Sachen, Reverie.«
»Eure Hoheit… Was meint ihr?«
»Du kommst mit mir. Widerstand ist zwecklos.«
Geschafft. So weit habe ich ihn schon. Langsam fahre ich mit der Hand an seine Wange, streiche über die gepflegte Haut.

»Aber nur unter einer Bedingung.«
Der Kronprinz grinst.
»Du bist nicht in der Position, etwas zu fordern.«
»Vielleicht…«, ich lehne mich vor, lächele verführerisch, »Ihr werdet mich trotzdem anhören… Nicht wahr, Eure Hoheit «
Sein Schweigen ist Antwort genug.

»Es ist nicht viel, nur… Wenn meine beste Freundin und ihr Bruder mich begleiten könnten, das wäre großartig.«
Einige Sekunden betrachtet Prinz Jaime mich, ehe er schmunzelnd den Kopf schüttelt – Nicht zum Verneinen, sondern weil er mich als unmöglich erachtet. Verständlich, ich bin ein Hausmädchen, das mit dem Kronprinzen flirtet. Passiert.

»Ich werde dir die genauen Informationen zukommen lassen. Wehe, du bist nicht pünktlich«, droht er, lässt von mir ab und schreitet aus dem Zimmer ohne sich ein einziges Mal umzusehen. Als die Tür in das Schloss fällt, versinke ich erleichtert im Sessel. Ich habe gar nicht gemerkt, wie angespannt ich während unserer gesamten Unterhaltung war.

Jetzt gilt es, mich so rasch wie möglich im Palast zu vernetzen. Am liebsten würde ich Waverly direkt erstechen, aber ich will es so qualvoll wie ich kann gestalten. Wie wäre es mit der Nacht vor der Hochzeit? Schmunzelnd erhebe ich mich und verlasse den Raum ebenfalls. Nur zwei Wachen flankieren den Eingang, von dem Kronprinzen keine Spur.

Hm. Ich darf mich auch nicht zu sehr auf ihn verlassen – Immerhin steckt er mit meiner Todfeindin unter einer Decke.

Es ist Ewigkeiten her, seit ich mit einer Kutsche gefahren bin. Um ehrlich zu sein, war das letzte Mal der Tag, an dem Ash in meinen Armen gestorben ist. Eine vage Erinnerung daran, wie Waverly uns empfangen hat, taucht auf. Wie konnte ich nur auf ihr perfektes Aussehen hereinfallen? Seufzend lehne ich mich zurück. Prinz Jaime hat mich in die königliche Kutsche verfrachtet, in der ich seit einigen Minuten sitze. Chrysan und Lorcan konnten mitkommen, mussten aber in einer anderen Platz nehmen.

Aus dem Fenster habe ich eine gute Sicht auf den Ausgang des Anwesens. Ich war pünktlich, ganz im Gegensatz zu den beiden Hauptakteuren. Von den Adeligen ist nichts zu sehen. Lediglich einige Angestellte tragen Gepäck umher – Wie viel will diese versnobte Gräfin bitte mitnehmen? Im Palast wird sie ohnehin neu ausgestattet werden.

Endlich verlässt sie mit ihrem Verlobten das Gebäude. Da haben sich zwei gefunden. Sie gehen Seite an Seite, allerdings ohne sich zu berühren, und sind beide so schön, dass sich dahinter nur ein verdorbener Charakter verbergen kann. Obwohl Waverly ihre Haare in einen Zopf hochgebunden hat, kommen die dunklen Wellen perfekt zur Geltung. Und Prinz Jaimes Anzug sitzt natürlich makellos.

Entgegen meiner Erwartung jedoch verabschieden sie sich voneinander – Die Gräfin verlässt mein Sichtfeld in Richtung einer anderen Kutsche, während der Kronprinz direkt zu mir steuert. Der Gedanke war bereits in meinem Hinterkopf, aber dass er sich wirklich zu mir setzt, lässt mein Herz schneller schlagen. Nicht, weil ich mich nach ihm sehne, sondern weil nervös werde. Drei Stunden Fahrt können schnell extrem lang werden.

Er tritt ein. Mit angehaltenem Atem beobachte ich seine Bewegungen. Warum ist dieser Innenraum so eng? Es fällt mir erst jetzt auf. Dennoch reicht die Bank, damit zwei Passagiere nebeneinander sitzen. Nein, bitte nicht… Zum Glück. Er setzt sich mir gegenüber, überschlägt die Beine. Blickt nach draußen als wäre ich gar nicht da. Solange er nicht mich ansieht, ist es okay. Drei Stunden lang von ihm angeschaut zu werden – Ich weiß nicht, ob ich das überleben werde.
Nein, Nancy, reiß dich zusammen. Es geht um Ash. Ich werde das für ihn ertragen.

»Reverie. Erzähl mir etwas über dich.«
Verblüfft blinzele ich. Dass der Kronprinz ein Gespräch beginnt, war so ziemlich das Letzte, was ich erwartet hätte. Kurz suche ich nach Worten, ehe ich ihm antworte.
»Ich bin eigentlich Waise. Die Leibwache der Gräfin hat mich auf einem Ausflug entdeckt und mich dazu überredet, mitzukommen. Im Anwesen der Chambers fehlte eine Arbeitskraft.«

Ich suche Anzeichen des Desinteresses, doch er dreht seinen Kopf zu mir und mustert mich erwartungsvoll. Die Kutsche setzt sich in Bewegung und ich zucke wegen der plötzlichen Bewegung erschrocken zusammen. Täusche ich mich oder schmunzelt er? Egal, ich sollte besser weitersprechen.
»Also habe ich dort meine Tätigkeit als Hausmädchen aufgenommen. Besonders viel gibt es zu mir nicht zu sagen…«, bemerke ich, dass ich nicht mehr zu berichten habe. Verlegen senke ich den Blick.

»Was magst du denn gerne?«, hakt der Kronprinz nach. Er überrascht mich erneut.
»Oh, ich mag… Hm. Blumen. Ich mag Blumen sehr gerne«, erwidere ich nachdenklich.
Das ist eines der wenigen Dinge, die der Wahrheit entsprechen. Ich mag Blumen wirklich gerne. Immer in Verknüpfung dazu ist natürlich Ash – Und die Erinnerungen daran, wie wir uns die Blumensprache beigebracht haben.

»Ich finde sie einfach schön«, füge ich rasch hinzu.
»Dann werde ich dafür sorgen, dass du Blumen erhältst, sobald wir eintreffen«, beschließt Prinz Jaime amüsiert lächelnd und stützt seinen Kopf auf seine Hand.
»Danke«, bringe ich baff heraus. Ist er tatsächlich netter als die Gerüchte es behaupten oder will er sich nur mit mir gutstellen? Nach dieser Frage folgen weitere und wir kommen ins Gespräch, wobei ich nach wie vor darauf bedacht bin, dass sich meine Lügen nicht überschneiden. Teilweise wirkt er wie ein Mensch meines Standes, ganz einfach und lustig.

Aber dann gibt es diese Momente, die mir mein Ziel verdeutlichen. In denen er abfällige Kommentare über die unteren Gesellschaftsschichten andeutet, seine Arroganz oder Eitelkeit zeigt oder bloß unsympathisch ist. Dakota hatte Recht. Mit diesem Mann ist nicht zu spaßen, ich fühle mich zunehmend unwohl. Und je länger wir uns unterhalten, umso klarer wird mir, dass das seine letzte Kutschenfahrt wird.

Genießt sie, werte Hoheit.

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