Kapitel 9

22. November

Nachdem ich montagmorgens mit meinem neuen Audi zum Campus gefahren war, verlief die Woche erstaunlich entspannt. Eigentlich war es fast wie immer. Justin hatte sich nur einmal kurz telefonisch gemeldet, aber heute Abend sind wir zum Essen verabredet. Er wird die kommenden Tage nicht in der Stadt sein und möchte vorher alles für das kommende Wochenende besprechen.
Für das Essen überwinde ich mich zum ersten Mal eines der neuen Kleider zu tragen. Nach dem Duschen, trage ich also etwas Make up auf und entscheide mich für ein dunkelblaues, figurbetontes Etuikleid mit passenden blauen Pumps. Meine Haare flechte ich zu einem Zopf.

Da ich das Restaurant, in dem wir verabredet sind, nicht kenne, schickt mir Justin Sebastian mit dem Wagen um mich abzuholen. Um exakt zwei Minuten vor 19 Uhr hält Sebastian den Wagen vor dem Restaurant. Ich hole tief Luft und betrete das Lokal.
Justin lehnt mit einem Glas Wein in der Hand lässig an der Bar. Er trägt sein gewohntes Outfit, eine schwarze Hose, ein weißes Shirt und dazu seine schwarzes Jacke. Seine Haare sind wie üblich perfekt. Seufzend bleibe ich einen Moment lang im Türrahmen stehen und lasse den Blick bewundernd über ihn gleiten. In diesem Moment dreht er sich um. Es breitet sich dieses lässige, sexy Lächeln auf seinem Gesicht aus, bei dem jede Frau das Gefühl hat, als würde sie gleich dahinschmelzen. Ich gebe mir alle Mühe auf den hohen Absätzen nicht zu stolpern und trete vorsichtig nach vorne. Mit wenigen eleganten Schritten hat er den Raum durchquert und steht vor mir.

»Du siehst absolut atemberaubend aus«, raunt er, beugt sich vor und haucht mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

Daraufhin nimmt er mich am Ellbogen, führt mich an unseren Tisch in einer ruhige Ecke und gibt dem Kellner ein Zeichen.

»Was magst du trinken?«

»Ich nehme das selbe wie du, bitte«, antworte ich, da ich mich schließlich mit Wein überhaupt nicht auskenne.

Amüsiert bestellt er ein Glas Sancerre für mich bevor er sich mir gegenüber setzt.

»Sie haben hier ganz hervorragende Longdrinks«, verkündet er mit zurückhaltender Begeisterung.

»Ist es mir aber nicht untersagt Alkohol zu trinken?«

Ich sehe ein Flackern in seinen Augen, das ich jedoch nicht recht zu ordnen kann. Und schon spüre ich wie sich mein Herzschlag beschleunigt.

»Bist du nervös?«, fragt er sanft.

»Ja.«

Er beugt sich vor.

»Das solltest du auch besser sein«, flüstert er verschwörerisch.

Innerlich zusammenzuckend blinzle ich ihn ungläubig an. Wieder erscheint dieses hinreißende Lächeln auf seinem Gesicht. Der Kellner kommt mit meinem Wein und einem Schälchen Oliven. Justin erhebt sein Glas und ich tue ihm gleich.

»Auf uns!«, lacht er leise, bevor er einen Schluck trinkt.

»Wie sollen wir denn nun auf der Gala unsere Verlobung bekanntgeben? Ich meine, sollten wir uns nicht eine nette Geschichte ausdenken?«, frage ich angespannt.
Doch Justin lacht nur.

Ich frage mich, was daran so komisch ist.

»Ich denke es ist besser dem ganzen etwas Leben einzuhauchen.«

»Du verschwendest wirklich keine Zeit, oder?«, neckt er mich amüsiert, statt mir zu antworten.

»Es werden einige Fotografen vor Ort sein. Da ich noch nie in weiblicher Begleitung zu einem offiziellen Event erschienen bin, werden wir so oder so Aufsehen erregen. Ich stelle dich kurz als die Frau an meiner Seite vor und den Rest erledigen die Klatschzeitschriften für uns. Viel werden wir dazu fürs Erste nicht beitragen müssen.«

Jetzt wird mir erst richtig bewusst, wie PR-erfahren Justin ist und wie geschickt er in der Lage ist die Berichterstattungen zu seinem Vorteil zu nutzen.

»Ich habe mir im Übrigen erlaubt bereits für uns zu bestellen. Ich hoffe es stört dich nicht«, stellt er mich vor vollendete Tatsachen, was mich allerdings nicht stört.

»Nein, ganz und gar nicht.«

Eigentlich ist es mir sehr recht, dass mir die Auswahl erspart bleibt, da ich es absolut nicht gewohnt bin in so einem Lokal zu essen. Der Kellner bringt uns zwei Teller, Lachsfilet auf Fenchelgemüse. Es schmeckt köstlich.

»Was sage ich aber, wenn mich jemand fragt, wie wir uns kennengelernt haben?«, hake ich noch einmal nach.

»Ganz einfach, wir haben uns auf einer Wohltätigkeitsgala kennengelernt, teilen die Leidenschaft für englische Literatur, du hast dich sofort Hals über Kopf in mich verliebt und nur kurze Zeit später um meine Hand angehalten.«

Wieder blitzt in seinen Augen ein amüsiertes Flackern auf. Ich mag das an ihm, denn es lässt ihn jung und locker erscheinen. Trotzdem verziehe ich bei seiner Version unserer Geschichte das Gesicht und halte mir schnell die Hand vor die Lippen um mein Lachen zu verbergen.

»Einigen wir uns auf den ersten Teil mit der Wohltätigkeitsveranstaltung und der Literatur. Der Rest wird wohl noch ausdiskutiert werden müssen«, gebe ich lächelnd zurück.

»Wie du ja schon weißt, werde ich morgen die Stadt verlassen und bis Donnerstagabend in Denver sein. Sollte es in der Zwischenzeit etwas geben, was du brauchst, steht dir Sebastian jederzeit zur Verfügung. Die Gala beginnt um 20 Uhr und selbstverständlich fahren wir gemeinsam dort hin. Genaueres können wir noch per Mail klären.«

»In Ordnung«, stimme ich zu.

»Da mein Flug sehr früh geht und das Penthouse wesentlich zentraler gelegen ist, werde ich heute Nacht hier in der Stadt bleiben. Ich schlafe im Büro, so hast du wie gewohnt deine Privatsphäre.«

Ich muss aufpassen mich nicht zu verschlucken. Darauf war ich nicht gefasst, aber es ist ja nun eben seine Wohnung, also wird er auch selbst bestimmen wo er übernachtet.

»Ich schlafe auf der Couch, schließlich bin ich nur Gast«, werfe ich schnell ein und werde direkt unterbrochen.

»Nein, das ist nicht nötig und es ist derzeit auch dein Zuhause, Leni. In meinem Büro habe ich ein sehr komfortables Schlafsofa. Das genügt für eine Nacht.«

Es ist mir trotzdem sehr unangenehm, dass er in seiner eigenen Wohnung auf einer Schlafcouch übernachten muss. Doch er schmettert meine erneuten Beanstandungen ebenfalls ab. Als wir gegessen haben ist es bereits recht spät.

»Kann ich dich noch zu einem Sherry an der Bar verführen?«

Als ich zustimme, führt mich Justin sanft am Arm hinüber zur Bar und bestellt.

»Einen Gonzalez Byass Cream für die Dame und einen Palo Cortago, bitte.«

Der süße Sherry hat ein Aroma von Feigen und Rosinen, was ich sehr mag. Allerdings spüre ich schon etwas den Alkohol und trinke mein Glas nicht ganz aus bis wir aufbrechen.
Sebastian wartet bereits am Wagen vor der Tür als wir das Restaurant verlassen. Justin und ich steigen hinten ein und Sebastian fährt uns zum Penthouse. Während der gesamten Fahrt ist die Stimmung ausgelassen und unbefangen. Wir reden und scherzen herum. Doch kaum, dass wir angekommen sind schwingt die Atmosphäre schlagartig um. Justin wird distanziert und wortkarg. Recht schnell verschwindet er im Badezimmer, um sich danach ohne weiteres in sein Büro zurückzuziehen.
Dieser Mann ist und bleibt mir ein Rätsel. Wie schafft er es diese Unbekümmertheit so einfach in diese seltsam beklommene Situation zu verwandeln? Er verunsichert mich wieder.

Ich kann nicht atmen, das Brennen in meiner Lunge ist unerträglich. Es wird mich zerreißen. Heiße Tränen rollen mir über das Gesicht. Ich höre meinen schwächer werdenden Herzschlag in meinem Kopf leise pochen. Die Flammen vor mir ziehen sich zusammen, formen sich zu einer Gestalt. Bedrohlich baut sie sich vor mir auf. Ich bin nicht mehr in der Lage mich zu bewegen, ich kann mich nicht retten. Die dämonische Kreatur greift meine Arme. Meine Haut lodert schmerzhaft unter seiner groben Berührung, doch ich bin wehrlos. Eine Stimme klingt in meinem Kopf. Dämonen sind Diener des Teufels. In ihnen steckt nichts Gutes. Sie haben keine Gefühle und töten Menschen ohne jegliches Erbarmen. Mir wird schwarz vor Augen, alles dreht sich. Ich kann diesen Höllenqualen nicht mehr standhalten. Die Feuerkreatur zieht mich zu sich, reißt mich mit sich in die Tiefe...

Ich werde von meinen eigenen Schreien wach. Ich schaffe es kaum zurück in die Realität. Zwei Arme umschlingen mich. Justin sitzt auf der Bettkante, hält mich fest an seine Brust gedrückt, während ich mein Gesicht in seiner Halsbeuge vergrabe und jämmerlich schluchze. Hecktisch löse ich mich von ihm und wische mir die Tränen von den Wangen.

»Es... es tut mir leid... Ich hatte einen Albtraum... Es geht mir gut.«

Besorgt sieht er mich an.

»Wirklich, es geht mir gut.«

Zögernd steht Justin auf, sein Blick ist besorgt.

»Geh bitte wieder schlafen. Dein Flug geht in ein paar Stunden«, flehe ich schon fast, während ich mich so schäme, dass ich am liebsten davonlaufen würde.

Widerstrebend nickt er und lässt mich alleine. Es ist mir so wahnsinnig unangenehm, dass mich Justin in solch einer Verfassung gesehen hat, dass ich wirklich froh bin ihm die nächsten Tage nicht begegnen zu müssen. Bestimmt hält er mich für eine komplett Wahnsinnige oder ein kleines verrücktes Mädchen.
Ich decke mich zu, ziehe die Beine an und starre in die dunkle Leere bis es mir gelingt irgendwann wieder einzuschlafen.

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