Kapitel 6
06. November
Ich kann es immer noch nicht fassen. Wie kann er mir so ein skurriles Angebot machen? Was gibt diesem Kerl das Recht in meinem Leben herum zu spionieren? Er denkt wohl, er kann sich alles erlauben, nur weil er Geld hat? Justin beurteilt meine Persönlichkeit aufgrund meiner Vergangenheit und ist dabei noch so unverfroren meine tragische Familiengeschichte für seine Zwecke nutzen zu wollen. Wir kennen uns nicht und würde er nur einen Funken Anstand und Empathie besitzen, hätte er meine Eltern niemals ansprechen dürfen. Was interessiert mich sein gute Ruf? So wie es klang, hat er ihn wohl selbst mit seinem Verhalten in den Dreck gezogen. Ja, natürlich könnte ich eine Finanzspritze mehr wie nur gut gebrauchen, aber ich bin nicht käuflich. Da muss er sich eine andere Frau suchen, die sein Spielchen mitspielt. Vor Zorn laufen mir heiße Tränen über die Wangen. Ich war tatsächlich so dumm mir einzubilden, er hätte Interesse an mir. Aber wer sollte sich schon für mich interessieren? Ich bin so geübt darin unsichtbar zu sein, um nicht verletzt zu werden, dass ich ein Niemand bin.
Verzweifelt versuche ich die Ereignisse einfach aus meinem Kopf zu verbannen, die alte Wunden in mir aufgerissen haben.
Der Unterricht verläuft ziemlich zäh, daher freue ich mich auf den Yoga-Kurs am Nachmittag. Hier werde ich es wie immer schaffen, meinen Kopf wieder frei zu bekommen und mich etwas zu entspannen, bevor ich mich an meine Bücher setze um zu lernen. Ich stelle meine Tasche in meinem Zimmer ab und suche meine Sachen zum Duschen zusammen. Nachmittags hat man die Gemeinschaftsduschen im Wohnheim meist für sich alleine. Da ich den Abend im Zimmer bleiben werde, ziehe ich mir eine Leggings und ein weites Longshirt an. Schnell tapse ich mit nackten Füßen den kalten Boden entlang, als ich einen jungen Mann vor unserem Zimmer im Flur bemerke. Er scheint zu warten, also gehe ich davon aus, dass Josephine wohl kurz hier ist.
»Hallo, wartest du auf Josy?«, spreche ich ihn freundlich an.
Er dreht sich zu mir um und in diesem Augenblick habe ich das Gefühl mein Herz würde einen Schlag aussetzen. Der Boden unter meinen Füßen scheint plötzlich zu brennen.
»Nein, das tue ich nicht. Um genau zu sein warte ich auf dich, Leni. Ich möchte mich für mein Auftreten dir gegenüber entschuldigen.«
Justin, in abgewetzten Jeans und Poloshirt, steht vor meiner Tür. Wütend verziehe ich das Gesicht.
»Danke, dass du dir den Weg gemacht hast mir das persönlich mitzuteilen«, zische ich, während ich an ihm vorbeilaufe und die Tür hinter mir zu werfe.
Ich atme tief durch, lasse mich auf das Bett fallen als plötzlich die Tür aufgerissen wird.
»Du besitzt die Dreistigkeit...«, fahre ich ihn an.
Er unterbricht mich jedoch.
»Ich bin hier, weil ich etwas klarstellen will!«
Sein bestimmtes Auftreten überrascht mich. Er schließt für einen Moment die Augen. Als er sie wieder öffnet sind sie sanft und warm.
»Es tut mir wirklich leid, wenn ich dich verletzt habe. Das habe ich nicht gewollt. Du sind interessant, kultiviert und schön. So sollte die Frau an meiner Seite sein. Eine Frau, die die Rolle an meiner Seite glaubwürdig verkörpern kann. Es war ganz bestimmt nicht meine Absicht dich zu beleidigen. Mein Angebot steht nach wie vor. Allerdings will ich nicht das Gefühl vermitteln dich kaufen zu wollen. Also habe ich bereits veranlasst, dass die Gebühren für dein restliches Semester beglichen werden. Egal wie du dich entscheidest.«
Ich bin entsetzt.
»Nein, das möchte ich nicht. Ich würde mich verpflichtet fühlen dein Abkommen einzugehen.«
»Dafür gibt es keinen Grund«, erwidert er als ich wütend aufspringe.
Auch Justin tritt herausfordernd einen Schritt näher, bevor er argumentiert:
»Sehe es als Förderung, nicht als Geschäft.«
Ganz langsam kommt er immer näher, drängt mich allmählich mit dem Rücken zur Wand.
»Leni, ich will ehrlich zu dir sein. Ich möchte das Ansehen meiner Familie bewahren. Du scheinst mir nach wie vor geeignet. Aber ich will dich nicht bedrängen. Du sollst ganz genau wissen auf was du dich einlässt.«
Nun trennen uns nur noch wenige Zentimeter. Ich spüre die Wärme seines Körpers, seinen heißen Atem auf meiner Haut. Plötzlich scheint alles an diesem Mann unwiderstehlich auf mich zu wirken. Seine Attraktivität, seine samtige Stimme und sein atemberaubend guter Geruch versetzen mich in einen schwindelerregenden Rausch.
»Ich habe im Vorfeld einen Vertrag aufsetzen lassen. Lese ihn bitte.«
Ich habe das Gefühl in seinen Augen komplett zu versinken, da reicht er mir einen Umschlag.
»Ich würde mich morgen gerne mit dir zusammensetzen, auf einen Kaffee oder so. Dann kannst du mir mitteilen wie du dich entschieden hast.«
Die Situation überfordert mich.
»Justin, ich kann dir nicht...«, setze ich an, aber er lässt mich den Satz nicht beenden.
»Lass uns morgen in Ruhe über alles sprechen, Leni.«
Mit einem kleinen Lächeln verabschiedet er sich und lässt mich mit dem Umschlag in meinem Zimmer zurück. Meine Wangen glühen, ich weiß nicht was ich von dem Ganzen halten soll. Erst beleidigt er meinen Stolz, um dann zwei Tage später hier aufzutauchen um sich zu entschuldigen. Und letztendlich lässt er mir einen Vertrag hier, den ich allen Ernstes lesen soll.
Ich halte den Umschlag einige Zeit unentschlossen in der Hand bevor ich ihn ans Fußende meines Bettes schleudere und mich nach hinten auf mein Kissen fallen lasse. Eine gefühlte Ewigkeit liege ich so auf dem Rücken und starre die Decke an, bevor mich die Neugier übermannt, ich mich abrupt aufsetze und schließlich den Umschlag aufreiße. Als erstes lese ich eine sehr detaillierte Verschwiegenheitsklausel, was mich bei einem Mann in Justins Position nicht verwundert. In den nächsten Abschnitten wird seitenweise formuliert was ich zu tun habe und auf was ich zukünftig verzichten müsse. Ich werde Justin auf sämtliche Veranstaltungen begleiten, die meine Anwesenheit erfordern, dabei ist es selbstverständlich nötig dem Anlass entsprechend gekleidet zu sein und ein einwandfreies Benehmen an den Tag zu legen. Weiter steht hier, dass ich meinen derzeitigen Wohnsitz aufgeben und das Stadthaus beziehen werde, ich bekomme einen standesgemäßen Kleinwagen gestellt und auch der finanzielle Mehraufwand für die neue Garderobe sowie meine Lebensunterhaltskosten werden übernommen. Im Gegenzug ist es mir natürlich nicht gestattet mich mit anderen Männern zu treffen, zu chatten oder zu telefonieren. Ich werde auf Alkoholkonsum und Zigaretten verzichten müssen, was mir nicht sonderlich schwer fallen würde, da ich keines dieser Laster habe. Weiter ist es verboten, ohne Justin, Clubs oder Bars zu besuchen. Nachdem ich die niemals enden wollenden Paragraphen durch hatte, muss ich mich am Ende damit einverstanden erklären, nach Ablauf dieses Übereinkommen keinerlei Ansprüche an die Familie Cold zu stellen. Ebenso muss ich versichern, dass ich zu keiner Zeit etwas über die Privatangelegenheiten der Familie nach außen tragen werde.
Lange sitze ich über den Papieren, die schließlich verlangen mein derzeitiges Leben fast komplett aufzugeben. Ich werde mit niemandem reden können und jeden Menschen in meinem Umfeld belügen müssen. Etwas in mir sträubt sich mit aller Kraft diese Seiten zu unterzeichnen. Es fühlt sich an als würde ich meine Seele verkaufen, als würde ich mein Leben verkaufen, an jemanden vollkommen Fremdes. Doch was ist das eigentlich für ein Leben? Ich habe seit dem Tod meiner Eltern niemanden. Weder Familie noch wirklich Freunde, da ich eine Mauer um mich herum errichtet habe. Ich will einfach niemanden mehr verlieren müssen, also bleibe ich für mich selbst. Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, sehe ich mich selbst, wie meine Hand nach dem Stift greift und über das Papier gleitet. Ohne ein weiteres Mal nachzudenken ist dieser bizarre Pakt nun geschlossen.
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