Kapitel 5
05. November
Selbst in den Kursen lenkt mich die Überlegung, was auf mich zukommen wird, viel zu sehr ab. Kurz vor 17 Uhr sitze ich frisch geduscht, mit geföhnten Haaren, in engen Jeans und einer schwarzen Bluse auf meinem Bett und fühle mich wie ein naives, kleines Mädchen.
Ich beginne zu zweifeln, ob es überhaupt zu einem weiteren Treffen kommt. Wie soll ich denn schließlich abgeholt werden, wenn er keinerlei Informationen hat? Höchstwahrscheinlich werde ich hier nun zwei Stunden sitzen und warten, natürlich vergeblich. Warum sollte sich jemand wie Justin Cold dafür interessieren mich zu treffen?
Ich zucke zusammen, als es fünf Minuten vor 18 Uhr plötzlich an der Tür klopft. Mit wenigen Schritten durchquere ich das Zimmer und öffne.
»Miss Jones?« Vor mir steht ein kleiner, sehr gepflegter Mann mittleren Alters, in einem schwarzen Anzug. Ich nicke nervös.
»Mister Cold schickt mich. Wenn Sie bereit sind...«
»Ja, das bin ich.«, antworte ich etwas zu schnell und greife meine Jacke und meine Handtasche.
Schweigend läuft er vor und ich folge ihm eilig vor die Tür des Wohnheims, wo er mich zu einem großen, silbernen Mercedes führt. Höflich öffnet er mir die hintere Tür. Kaum dass ich sitze ist auch er um den Wagen gehuscht und startet den Motor.
»Mister Cold erwartet Sie in seinem Anwesen«, verkündet er knapp, bevor er auf die Straße biegt.
Die Fahrt verläuft schweigend. Um meine innere Unruhe wenigstens etwas zu bezwingen, spiele ich am Saum meiner Bluse herum, schaue aus dem Fenster in den nebligen Himmel und betrachte die fast kahlen Bäume, die an uns vorüberziehen.
Nach etwa zwanzig Minuten verlässt der Wagen die Schnellstraße und fährt einen verlassenen Landweg entlang als ich vor uns ein gigantisches, altes Backsteinhaus erblicke. Das Tor zu diesem prachtvollen Anwesen steht offen und der Fahrer hält direkt vor der Treppe zur massiven Eingangstür. Als er mir die Autotür öffnet überkommt mich wieder meine Nervosität. Schnell schlucke ich den Kloß in meinem Hals herunter und trete mit meinem Fahrer in die Eingangshalle. Sie ist mindestens fünfmal so groß wie mein Zimmer im Wohnheim. Der Boden erstrahlt im weißen Hochglanz des teuren Marmors und auch die Wände sind schlicht weiß gehalten, so dass die Galerie absolut zur Geltung kommt. Hier reihen sich gerahmte, goldene Platten aneinander aber noch bevor ich sie genauer begutachten kann, werden wir von der Hausdame empfangen.
»Miss Jones, bitte reichen Sie mir ihren Mantel.«
Sie hängt meine Jacke schnell an den Garderobenständer und bittet mich durch eine große Türe.
»Mister Cold hat natürlich alles schon für Ihr Dinner veranlasst und wird in wenigen Minuten bei Ihnen sein. Bitte machen Sie es sich gemütlich. «
Der Raum ist im Gegensatz zur Eingangshalle recht modern eingerichtet. Dunkler Holzboden, graue Wände und schwarze Vitrinen mit Chrom. Daneben stehen ein großer, bereits eingedeckter Tisch und schwarze Lederstühle. Diese Atmosphäre spiegelt die erhabene Ausstrahlung ihres Besitzers regelrecht wider. Sie ist elegant, geschmackvoll und irgendwie einschüchternd.
»Leni, es freut mich dich zu sehen. «
Justin betritt das Zimmer.
Er trägt einen grauen Hose und ein schwarzes Hemd, dessen obere zwei Knöpfe lasziv offenstehen, wodurch seine Kettenanhänger gut sichtbar sind
»Danke für die Einladung. «
»Bitte setz' dich doch. Abigail wird jeden Augenblick servieren.«
Er weist mir einen Stuhl zu, bevor er sich selbst auch an den Tisch setzt. Sein Hemd sitzt perfekt und lässt erahnen, dass er einen sehr durchtrainierten Oberkörper haben muss. Ihm gegenüber bin ich in meiner Jeans und der schlichten Bluse mal wieder absolut underdressed.
»Bist du mit Ihrer Hausarbeit noch vorangekommen?«, beginnt er ein Gespräch.
»Ja, es war lediglich ein kurzer Aufsatz von einigen Seiten.«
Die Hausdame bringt zwei Teller zu uns an den Tisch und verschwindet direkt wieder wortlos.
»Ich hoffe du magst Wild.«
»Ja, sehr gerne«, lüge ich, denn in Wahrheit habe ich noch nie in meinem Leben Wild gegessen.
Justin erhebt sich um aus der Vitrine eine Flasche Wein zu holen.
»Darf ich dir ein Glas Chateau Figeac anbieten?«
»Gerne«, lächle ich etwas beklommen.
Er öffnet die Flasche und gießt den Rotwein erst in einer Karaffe, bevor er die Gläser fühlt.
»Abigail ist eine ganz fantastische Köchin. Probiere es«, fordert er mich zum Essen auf.
Zaghaft versuche ich eine kleine Gabel. Das Fleisch ist so zart, dass es auf der Zunge zergeht. Justin greift sein Glas und schwärmt.
Lächelnd prostet er mir zu. Der Wein schmeckt schwer und irgendwie pflaumig.
»Für gewöhnlich trinke ich keinen Alkohol«, erkläre ich ihm schüchtern.
»Ich hoffe, ich habe deinen Geschmack getroffen?«, erkundigt er sich schnell.
»Ja, er ist wirklich gut.«
Während des Essens unterhalten wir uns über mein Studium und er gibt etwas von seinem Tagesablauf und seinem beruflichen Werdegang preis. Langsam fällt die Anspannung von mir ab, da sich Justin nicht nur als perfekter Gastgeber, sondern auch als wirklich offener und lockerer Gesprächspartner entpuppt.
»Ich würde den Nachtisch gerne in Wintergarten verlegen«, schlägt er vor, nachdem ich meinen Teller fast komplett leer gegessen habe.
Er steht auf und öffnet die große Glasschiebetür, während er mich mit seiner Hand in meinem Rücken hinausführt. Es ist wunderschön, ein komplett in Glas gefasster Raum mit zahlreichen Pflanzen und hochwertigen Rattanmöbeln. Wir setzen uns auf eine der gepolsterten Rattancouchen und sofort kommt Abigail mit zwei großen Gläsern, gefüllt mit einer Champagnercreme auf Waldfrüchten. Während wir essen, genieße ich den Blick in den weiten Sternenhimmel. Der Nebel hat sich komplett aufgelöst.
»Es ist wirklich traumhaft hier. So still und friedlich«, muss ich meiner Begeisterung kundtun.
Da greift Justin plötzlich nach meinem Glas, nimmt es mir aus der Hand und stellt es zusammen mit seinem auf den Tisch.
»Komm, ich möchte dir etwas zeigen.«
Fragend schaue ich zu ihm auf. Sein Gesicht ist halb in das sanfte Mondlicht getaucht, was seine bernsteinfarbenen Augen noch mehr zum Strahlen bringt. Er greift meine Hand und führt mich zurück ins Haus, durch die Eingangshalle die Treppe nach oben.
Oben angekommen, führt mich Justin den Korridor entlang und öffnet eine der Holztüren. Meine Aufmerksamkeit wird erst auf den großen, dunklen Schreibtisch inmitten des Zimmers gezogen, bevor ich die Regale betrachte. Sie sind gefüllt mit alten Büchern. Ich gehe etwas auf sie zu, lasse den Blick schweifen und lese die Titel auf dem Buchrücken. Eine erstaunliche Sammlung sehr alter literarischer Werke. Ehrfürchtig lasse ich meinen Finger über die Bücher gleiten, bis ich bei Jane Austens ‚Emma' stoppe. Vorsichtig ziehe ich es aus dem Regal. Mir gefriert das Blut in meinen Adern, als mir bewusst wird was ich in den Händen halte.
»Das ist eine Erstausgabe«, keuche ich kaum hörbar.
»Ja, das sind die Meisten. Eine gute Anlagemöglichkeit.«, höre ich Justin nahe hinter mir sagen.
Wieder wandert mein Blick durch die Regale.
»Das, das ist...«, mir fehlen die Worte.
Justin tritt noch etwas näher hinter mich. Ich kann seine Wärme spüren, obwohl wir uns nicht berühren. Da spüre ich plötzlich seine Hände sanft meine Arme entlang fahren.
»Ich dachte mir, dass es dir gefallen wird.«
»Ja, das tut es«, hauche ich.
Unter seiner zarten Berührung brennt meine Haut. Ich fühle mich seltsam berauscht. Berauscht vom Rotwein, von diesen historischen Meisterwerken und von Justin Cold.
»Ich habe dich heute allerdings nicht nur hierher gebeten um dir das hier zu zeigen. Ich möchte etwas mit dir besprechen, Leni.«
Obwohl sein Tonfall immer noch samtig klingt, ist seine Ernsthaftigkeit deutlich herauszuhören.
»Was möchtest du denn mit mir besprechen?«, flüstere ich schon fast.
»Bitte setzt dich.«
Er deutet auf den Stuhl am Schreibtisch und setzt sich selbst auf den großen Bürostuhl. Die vertraute, lockere Atmosphäre ist schlagartig verflogen. Ich fühle mich augenblicklich aus der gelassenen Situation gerissen und in ein Businessgespräch verwickelt, was mich mehr wie nur straucheln lässt. Während ich mir erst über diesen extremen Stimmungswechsel bewusst werde, beginnt Justin zu reden.
»Du weißt, stehe ich in der Öffentlichkeit und selbstverständlich von geschäftlichen Beziehungen enorm abhängig. Zudem bin ich irgendwie ein Aushängeschild. Nun droht mein gute Ruf in Gefahr zu geraten und das muss ich unter allen Umständen vermeiden. Gerade jetzt, nachdem ich meine Tour unterbrechen musste.«
»Was kann aber ich dafür tun?«, frage ich verständnislos.
»Nun ja, diese Bedrohung liegt in der Indiskretion einiger meiner weiblichen Bekanntschaften, wenn du verstehst, und nun wäre es gut dem entgegenzuwirken. Durch die Bekanntgabe einer Verlobung.«
»Oh.« Langsam beginne ich zu verstehen.
»Du scheinst mir dafür ziemlich gut geeignet. Natürlich wäre das Engagement für dich äußerst profitabel. Ich erkläre mich bereit deine kompletten Studiengebühren zu übernehmen, auch über den vereinbarten Zeitraum hinaus. Du wirst alle Annehmlichkeiten, die sich auch meiner Partnerin bieten würden, genießen können. Natürlich wäre es so, dass du auf öffentlichen Veranstaltungen an meiner Seite wärst. Dein Zimmer im Wohnheim wirst du dann gegen meine Stadtwohnung eintauschen, um den Anschein zu wahren, dass wir zusammenleben. Keine Sorge, ich werde die meiste Zeit hier verbringen.«
Ich spüre meinen eigenen Herzschlag und in meinen Ohren rauscht mein Blut und ich hake nach: »Wie kommst du auf die Schlussfolgerung, dass ausgerechnet ich für dein seltsames Schauspiel geeignet wäre?«
»Du bist attraktiv und klug. Das ist mir bei einer Frau sehr wichtig. Und du bist es gewohnt Menschen etwas zu verschweigen. Zudem entfällt bei dir das Problem nahestehende Menschen belügen zu müssen.«
Es trifft mich tief und ich spüre zügellose Wut in mir aufsteigen.
»Wie kannst du es wagen...«
»Es tut mir leid was mit deinen Eltern passiert ist Leni, und es ist natürlich nicht meine Absicht dein Privatleben zu durchforschen. Aber du musst verstehen, dass ich im Vorfeld einige Informationen eingeholt habe, nach unserer ersten Begegnung.«
Zornig springe ich auf und keife:
»Es tut mir auch leid, Mister Cold, aber ich habe keinerlei Interesse an deiner verlogenen, kleinen Scharade mitzuwirken. Und nun möchte ich nach Hause.«
Meine Knie zittern und es fällt mir schwer die Beherrschung nicht zu verlieren. Justin Cold blickt mich mit emotionsloser Mine an während er zum Hörer seines Telefons greift.
»Sebastian? Miss Jones möchte zurück gefahren werden. Sie erwartet Sie in der Eingangshalle.«
Wutentbrannt drehe ich mich um und schlage die Tür hinter mir zu.
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