Kapitel 22

18.Dezember

Fast eine ganze Woche habe ich nichts von Justin gehört, kein Anruf, keine SMS, keine Mail. Es ist so frustrierend hier in seinem Penthouse zu sitzen und dabei nicht zu wissen was los ist. Krampfhaft versuche ich mich abzulenken indem ich lese, aber meine Gedanken schweifen ständig ab, so dass ich manche Seiten sogar zweimal lesen muss. Doch plötzlich vibriert mein Handy in meiner Hosentasche. Schnell lege ich mein Buch auf die Armlehne und springe auf.

›Hey Leni, ich will nicht aufdringlich sein, Josephine hat mir deine Nummer gegeben. Wir sind ab 19 Uhr in der Sportsbar am Campus. Mein Angebot steht noch. Ryan‹

Ich freue mich zwar, dass Ryan an mich gedacht hat, bin aber zugleich enttäuscht, dass sich Justin noch immer nicht gemeldet hat. Ohne auf die Nachricht zu antworten, lege ich das Handy auf den Couchtisch, wickle mich in meine Decke ein und lese weiter.

Wie jeden Abend wartete Natalie, während sie gedankenverloren eine Zigarette nach der anderen rauchte. Es machte sie schier wahnsinnig nicht zu wissen was los war. Warum kann sie nicht aufhören an Lukas zu denken? Ständig tauchte er in ihren Träumen auf und diese Traumbilder ließen sie den ganzen Tag nicht mehr los. Sie verkroch sich zu Hause...

Ich bin wie Natalie. Ich habe diesen Vertrag unterschrieben um etwas von einem Abenteuer in mein tristes Leben zu bringen, um meinem langweiligen und einsamen Alltag zu entfliehen. Doch jetzt sitze ich alleine in diesem goldenen Käfig. Wütend schlage ich die Seiten zu und werfe das Buch unachtsam in die Ecke der Couch. Ich hab es allmählich ein für alle mal satt mein Leben zu verpassen.

Mit einer eisernen Entschlossenheit richte ich meine Haare, ziehe meine Schuhe an und schnappe meine Jacke. Schnell stopfe ich noch etwas Geld und mein Handy in die Gesäßtasche meiner Jeans und lasse den Fahrstuhl kommen.

Die Sportsbar ist schlecht beleuchtet, wirkt aber mit den dunklen Holzmöbeln und den grünen Wänden recht gemütlich. Auf einer großen Leinwand läuft gerade ein Hockeyspiel, das allerdings die meisten nicht wirklich zu interessieren scheint. An einem großen runden Tisch sitzen Josephine mit ihrem Freund, Ryan und noch ein paar Mitstudenten, die ich nur vom sehen her kenne. An der Tür halte ich für einen Augenblick inne. Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob es eine gute Idee war hier her zu kommen. Genau in diesen Moment hebt eines der Mädchen den Kopf und sieht mich direkt an. Noch bevor ich reagieren kann schubst sie Ryan an und deutet mit dem Kinn in meine Richtung. Mit einem breiten Grinsen durchquert er mit wenigen Schritten die Bar und steht vor mir.

»Hey, toll, dass du doch noch gekommen bist.«

Etwas verlegen lächle ich kurz und zucke mit den Schultern bevor mich Ryan, mit einer Hand in meinem Rücken, zu den anderen an den Tisch führt.

»Leute, das ist Leni«, ruft er rüber in die Runde.

Und ich begrüße sie mit einem leisen: »Hallo zusammen.«

Schnell zieht Ryan einen Stuhl vom Nebentisch heran, so dass ich mich zwischen ihn und Josephine setzen kann.

»Leni, alles Gute nachträglich! Ich habe um ehrlich zu sein nicht mehr damit gerechnet, dass du kommst«, gibt Josephine mit einem schuldbewussten Lächeln zu.

Als die Kellnerin im kurzen schwarzen Rock Salzstangen und Erdnüsse auf den Tisch stellt, bestellt Ryan direkt ein Bier für mich mit.

»Jetzt erzähl schon, wie habt ihr deinen Geburtstag gefeiert?«, fragt Josephine neugierig bei der erstbesten Gelegenheit.

»Es war wirklich schön. Wir waren essen«, untertreibe ich, in der Hoffnung sie würde nicht weiter nachfragen.

Aber es hätte mir bei Josephine schon klar sein müssen, dass sie sich damit noch nicht zufrieden gibt.

»Oh wie toll. Wo wart ihr denn?«, fragt sie dann doch nach.

Ich merke wie meine Wangen rot werden, noch bevor ich antworten kann.

»Im Revolving Restaurant am Harbour Center.«

Ich bereue es schon wieder bevor ich es ausgesprochen habe, dass ich nicht einfach log.

»Moment! Ihr wart in Kanada?«, quiekt Josy begeistert.

»Ähm ja, aber eigentlich nur, weil Justin dort einen Geschäftstermin hatte«, starte ich einen Versuch alles etwas herunterzuspielen.
»Wow, das ist ja der Wahnsinn!«

Die Kellnerin bringt unsere Getränke und ich nutze diese Chance Ryan schnell in ein Gespräch zu verwickeln um weiteren Fragen auszuweichen.

»Seid ihr denn öfter hier?«

»Ja, ab und zu. Es ist ganz nett hier und sie haben super Sandwichs.«

Es ist wirklich nett, alle am Tisch unterhalten sich ausgelassen, wir lachen und albern herum. Ich lerne neue Leute kennen, mit denen ich sofort warm werde und die Zeit vergeht wie im Flug. Ein ganz normaler Abend unter Studenten, wie es wohl jeder schon erlebt hat. Jeder außer mir. Dafür genieße ich die entspannte Atmosphäre und die witzigen Kommentare nun noch mehr.

»Siehst du, es ist wirklich lustig. Vielleicht hast du ja nächstes...«, Ryan stoppt mitten im Satz als Josephine mir etwas zu heftig ihren Ellbogen in die Seite rammt.

Ich folge ihrem Blick hinüber zur kleinen Bar am Eingang. Mir stockt der Atem. Justin steht, wie ein Todesengel, in der Eingangstür. Schon von weitem sehe ich ihm seinen Zorn an. Lässig und quälend langsam kommt er zu uns herüber.

»Babe, da bist zu ja.«

Seine Stimme klingt wie zarter Samt, aber seine Augen glühen vor Wut.

»Hallo... Schatz«, stammle ich während die Gespräche schlagartig erlöschen und alle Blicke auf uns gerichtet sind.

»Können wir gehen?«, fragt er mit einem bedrohlichen Unterton und ich nicke stumm.

Selbstbeherrscht lächelt Justin in die Runde, legt einen hundert Dollar Schein auf den Tisch und nimmt meine Hand, ehe er sich für uns beide verabschiedet.

»Viel Spaß noch.«

Ich hänge meine Jacke über meine Schultern und lasse mich von Justin nach draußen führen wo Sebastian bereits im Wagen wartet.
Kaum fällt die Autotür hinter uns zu hebt Justin die Stimme gegen mich:

»Was hat dich verdammt noch mal geritten in so eine heruntergekommene Kneipe zu gehen? Und dann noch mit Kerlen, die dich schon mit den Augen gefickt haben?«

Fassungslos ziehe ich hörbar die Luft ein.

»Es sind einfach nur ein paar Leute vom College.«

»Pass auf Leni, so läuft das nicht!«, bellt er völlig in Rage.

Doch etwas in mir weigert sich, ihn so selbstgefällig mit mir sprechen zu lassen.

»Es war ein ganz normaler Abend unter Freunden. Nichts Verwerfliches. Woher hast du überhaupt gewusst wo ich bin? Lässt du mich jetzt schon beschatten oder was?«

Justin schnaubt verächtlich.

»Als hätte ich das nötig. Ich kann zu jeder Zeit dein Handy orten lassen ohne einen Finger krumm zu machen.«

Hitze steigt in mir auf.

»Du hast was? Dazu hast du kein Recht!«, platzt es aus mir heraus.

»Ich denke als dein Verlobter habe ich zu Einigem das Recht. Und du solltest dich nicht in so verwanzten Läden herumtreiben.«

Mir ist klar, dass er auf den Vertrag anspielt.

»Nein Justin, ich...«

Mit seiner gewohnt dominanten Art und Weise unterbricht er meinen Satz.

»Wir werden uns gleich noch darüber unterhalten!«

Wütend drehe ich mich von ihm weg und starre aus dem Fenster in den Regen, bis mir auffällt, dass Sebastian den Wagen nicht zum Penthouse fährt, sondern Justins Villa am Stadtrand ansteuert.

»Ich würde aber jetzt gerne nach Hause«, protestiere ich während mir natürlich auffällt wie lächerlich das klingt.

Schließlich ist mein zu Hause eigentlich Justins Stadtwohnung.

»Das kannst du. Nachdem wir einiges geklärt haben«, erwidert er hart.
Sebastian parkt direkt vorm Haus.

Justin steigt aus und ich folge ihm mit schweren Schritten ins Haus.

»In mein Büro! Wir haben einiges zu klären«, kommandiert er mich giftig, während er selbst bereits die Treppen nach oben stürmt.

Der Raum, der diese wundervollen, historischen Meisterwerke beinhaltet, wirkt seit unserem ersten Treffen nur noch beklemmend, fast schon erdrückend, auf mich. Justin lehnt gegen seinen Schreibtisch, seine Augen fest auf mich gerichtet.

»Eine Woche, eine ganze Woche habe ich überlegt, ob ich es dir Alles sagen soll, aber wie soll ich dir vertrauen, wenn du nicht einmal im der Lage bist, dich an die kleinsten Vereinbarungen zu halten?«

»Justin, wirklich, wir waren nur in der Gruppe etwas Trinken und haben uns unterhalten«, rechtfertige ich mich schon wieder.

Justin fährt sich durchs Haar und beginnt meine Fehler aufzuzählen: »Kein Alkohol, wenn ich nicht dabei bin. Keine Clubs und erst recht keine fucking Sportsbar mit spätpubertierenden Typen.«

Obwohl ich natürlich weiß, was wir vertraglich festgehalten haben, bringt mich seine Aussage zur Weißglut.

»Was ist eigentlich dein Problem?«

Er verengt die Augen, lehnt sich weiter zu mir nach vorne.

»Was mein verdammtes Problem ist? Ich habe dich tausendmal angerufen!«

Er stößt sich von der Kante des Schreibtischs ab und läuft langsam um ihn herum.

»Ich dachte du schmeißt hin«, sagt er überraschend leise.

»Wie könnte ich? Ich habe deinen Vertrag unterschrieben.«

Auch ich bin plötzlich um einiges ruhiger. Mit den Händen auf der Tischplatte abgestützt steht er da und schaut mich mit einem Blick an, den ich nicht deuten kann. Es ist so leise im Zimmer, dass ich das Gefühl habe meinen eigenen Herzschlag hören zu können.
Da schließt er die oberste Schreibtischschublade auf und zieht etwas heraus. Den Vertrag. Fragend und auch ängstlich was er nun vorhat, blicke ich ihn an. Nervös verhake ich meine Finger ineinander und warte auf seine nächste Reaktion. Da lässt er den Stapel Papiere durch den Aktenvernichter schreddern. Atemlos beobachte ich wie die Maschine alles in kleinste Schnipsel verarbeitet. Erst als von den Seiten nichts mehr übrig ist, hebe ich den Blick. Justin steht mit angespannten Schultern und ausdrucksloser Mine vor mir.

»Aber warum?«, hauche ich kaum hörbar.

Seine Muskulatur scheint sich noch mehr zu verkrampfen. In seinen Augen steht Entschlossenheit und Qual zugleich.

»Weil du sonst davonlaufen wirst«, antwortet er, »Das kann ich nicht zulassen. Aber wenn du alles weißt, wirst du auch gehen.«

Ich weiß nicht worüber er spricht, aber mit jedem Wort schwingt eine Verzweiflung mit, die mich von meinem Stuhl holt. Stockend trete ich näher an ihn heran.

»Ich hatte nie vor es hinzuschmeißen.«

»Das hätte ich auch nie zugelassen. Leni, ich will dich. Ich will mit dir zusammen sein. Richtig. Aber wenn du alles über mich erfährst, wird es dir nicht gefallen. Du wirst mit meinem Lebensstil nicht zurecht kommen. Aber ich kann nicht anders. Ich muss es riskieren.«

Mit diesen Worten packt er meine Arme und zieht mich eng an sich.

»Das werde ich nicht«, hauche ich bevor er meine Lippen mit seinen versiegelt.

Sein Kuss ist voller Sehnsucht und Begierde. Ein Feuerwerk explodiert in mir, meine Lippen beginnen zu kribbeln. Doch dann löst sich Justin von mir und zum ersten Mal seit unserer ersten Begegnung ist er spürbar unsicher.

»Wollen wir uns etwas zu essen kommen lassen? Abigail hat ihr freies Wochenende. Ich kenne einen wirklich guten Italiener.«

»Ja gerne«, stimme ich zu.

Justin nimmt sein Handy und drückt eine Kurzwahl.

»Sebastian, können Sie uns bitte zwei Portionen Pasta all Amatriciana mit Mozzarella-Pesto-Bällchen bestellen? Und wenn das Essen geliefert wurde können Sie sich den restlichen Abend frei nehmen.«

Ohne weiteres legt er auf, nimmt meine Hand und führt mich in seinen Privatbereich. Ich setze mich auf die große, dunkelbraune Polstercouch, während Justin noch das Touchscreen-Display bedient. Er drückt eine Zahlenkombination und vor mir fährt eine große weiße Leinwand aus der Decke herunter als der Raum sich abdunkelt.

»Was möchtest du dir gerne ansehen?«, fragt er mich.

»Such du einen Film aus!«, gebe ich total fasziniert von seinem kleinen Heimkino zurück.

Es ist auch wirklich völlig egal für welchen Film er sich entscheidet, da ich sowieso kaum etwas davon mitbekomme. Viel zu sehr genieße ich es, in Justins Arm zu liegen, mich eng an ihn zu kuscheln und seine wohlige Wärme zu spüren. Jetzt und hier bin ich so glücklich wie schon lange nicht mehr in meinem Leben. Es ist wie ein Märchen, ein Traum, aus dem ich nicht mehr aufwachen will. Nichts könnte mich in diesem Augenblick erschüttern.

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