Kapitel 17

8.Dezember

Überall ist Rauch. Der tödliche Qualm dringt schmerzend in meine Lungen. Er droht mir die letzte Luft zu nehmen. Ich bilde mir ein die Schreie meiner Mutter zu hören. Fest drücke ich mein Oberteil vor meine Nase und Tränen laufen mein Gesicht runter, während ich versuche einen Weg nach draußen zu finden. Um mich herum knistert es. Ich kann hinter dem Nebel aggressiv orangerote Flammen züngeln sehen. Ich will nach meiner Mutter schreien, bekomme aber keinen Ton heraus. Schwindel überrollt mich. Verzweifelt versuche ich weiter zu kriechen, aber ich bin hilflos. Der dicke, graue Qualm flutet meine Lunge. In diesem Moment tauchen leuchtende, bernsteinfarbene Augen aus den Flammen auf. Die Wellen der Hitze brechen über mir zusammen. Ich kann es nicht mehr aushalten. Plötzlich breiten sich schwarze Flügel über mir aus. Sie schützen mich vor den tödlichen Flammen. Dämonen sind egoistisch. Er würde niemals für dich sterben. Da greifen zwei Arme um mich und reißen mich ins Dunkle...

Ich schreie. Orientierungslos sehe ich mich in meinem Zimmer um. Meine Alpträume holen mich nun kraftvoller ein als die Monate zuvor. Sie sind beängstigend, skurril und nebelhaft. Die Bedrohung, die in den Träumen auf mich zukommt, entspringt nicht mehr nur den dramatischen Ereignissen. Sie ist surreal und doch erschreckender als je zuvor. Kaum schaffe ich es wieder klar zu werden. Nur sehr schwer schaffe ich es mich zur Uni zu schleifen. Meine Augen sind verquollen, mein Körper gerädert.

In Englisch sitze ich wieder neben dem blonden Lockenkopf mit den breiten Schultern. Er stellt sich als Ryan Collins vor. Er ist freundlich, wie das Mal zuvor auch und hat sogar Humor. Mit seinen witzigen Kommentaren hält er so früh am Morgen alle bei Laune, sogar den Dozenten. Später treffe ich ihn in meinem letzten Kurs, kreatives Schreiben, wieder. Während ich meine Gedanken zu Papier bringe, vergesse ich dann alles um mich herum. Die Zeit vergeht wie im Flug und auch Ryan, der wieder mein Banknachbar ist, ist komplett in seine Arbeit vertieft.
Erst als der Dozent uns entlässt, spricht er mich erneut an:

»Hast du vielleicht noch Lust auf einen Kaffee?«

Freundlich lächelt er mich an und ich möchte gerne zusagen, doch in letzter Minute erinnere ich mich an meine vertragliche Vereinbarung. Kurz wäge ich die Situation ab. Es wäre nichts Verwerfliches dabei mit einem Klassenkameraden einen Kaffee trinken zu gehen, trotzdem lehne ich mit einer faden Ausrede ab. Etwas niedergeschlagen begleitet er mich noch zu meinem Auto als ich plötzlich von hinten jemanden meinen Namen rufe höre.

»Leni, wie schön dich zu sehen, Süße«, überschwänglich umarmt mich Josephine und begrüßt mich mit einem angehauchten Kuss auf die Wange.

»Wie geht es dir denn? Wo wohnst du denn jetzt eigentlich.«

»Upper Northwest«, antworte ich kurz und sehe den Anflug von Abgunst in ihrem Gesicht.

»Wow, das ist ganz schön nobel dort. Wie kannst du dir das leisten?«, höre ich Ryans Überraschung.

»Ich, ähm...«

Bevor ich eine Erklärung herausbringe, übernimmt Josephine die Antwort für mich.

»Leni wohnt dort mit ihrem Freund.«

»Aber Upper Northwest? Der muss ja ganz schön Kohle haben, wenn er dort eine Wohnung hat.«

Die leichte Aversion in seinem Tonfall ist nicht zu überhören.

»Ja, soweit ich weiß hat Justin Cold dort ein Penthouse, oder?«, plaudert sie weiter, was mir irgendwie unangenehm ist.

»J... Ja.«

Josephine bringt mich in Verlegenheit.

»Ich hoffe du bist jetzt nicht zu fein um dich mal mit mir zu treffen«, lacht sie, »Wir können ja mal was trinken gehen.«

»Klar, bei Gelegenheit gerne«, lüge ich.

»Ich muss dann mal los«, verkünde ich kurz, bevor ich mich in meinen Wagen flüchte.

Diese kurze Unterhaltung war mir wirklich unangenehm. Ich möchte nicht auf das Vermögen meines Scheinverlobten reduziert werden. Das bin schließlich alles nicht ich und an diese Art Konfrontation mit meinem neuen, vorgetäuschten Leben muss ich mich erst noch gewöhnen.

Im Penthouse angekommen, werfe ich meine Bücher auf den Küchentresen und schalte direkt die Kaffeemaschine ein. Nach dem langen Tag in der Uni fühle ich mich ziemlich schlapp und hatte mir eigentlich vorgenommen noch etwas zu lernen. Vorsichtig gieße ich mir gerade den heißen Kaffee in die Tasse als mein Handy klingelt. Es ist Justin. Sofort werde ich innerlich unruhig.

»Leni, ich muss in zwei Tagen nach Vancouver. Ich habe dort zwei wichtige Meetings wegen des neuen Albums und bin zur Einweihung der Walthouse-Stiftung geladen. Ich möchte, dass du mich dorthin begleitest!«, er klingt dominant.

Es war keine Bitte, viel mehr eine Forderung. Eine Forderung, der ich unmöglich nachkommen kann.

»Das kann ich nicht. Ich habe Seminare. Außerdem habe ich am...«

Doch Justin lässt sich auf keinerlei Diskussion ein.

»Deine Leistungen sind durchweg super, da werden zwei Tage wohl kaum ein Problem darstellen. Packe alles was nötig ist, unser Flug geht morgens um 6 Uhr.«

Sein Verhalten ist bodenlos, aber bevor ich etwas erwidern kann hat Justin bereits aufgelegt. Wut steigt in mir auf, die mir Tränen in die Augen treibt. Ich bin wütend auf Justin und wütend auf mich selbst. Jetzt gerade fühle ich mich von mir selbst verkauft und von Justin ausgenutzt. Dass ich eingewilligt habe den Vertrag zu unterschreiben und somit seine Verlobte spiele, bedeutet nicht, dass ich ihm gehöre und er einfach mit mir machen kann was er will. Die seitenlangen Paragraphen haben mir wenig Spielraum gelassen, aber das alles schien mir nicht wirklich schwer zu fallen. Nun fühle ich mich als würde ich ihm alleine gehören. Jetzt lerne ich die Schattenseite dieses Bündnisses erst wirklich kennen.

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