Kapitel 1
28. Oktober
Endlich trete ich hinaus in die kühle Nacht. Mit geschlossenen Augen atme ich einmal tief durch, bevor ich durch den Nebel auf den schlecht beleuchteten Parkplatz zulaufe. Die kalte Luft wirkt nach den Stunden in dem stickigen Hotel richtig belebend.
Mal wieder klemmt die Tür meines alten Ford und von der Feuchtigkeit löst sich allmählich das Klebeband am Seitenspiegel. Genervt rüttle ich am Griff, bis die Tür sich schließlich öffnen lässt und ich nach Hause fahren kann. Eigentlich wäre es höchste Zeit für einen neuen Wagen, aber an so eine Investition ist gerade nicht zu denken. Ich arbeite schon in jeder freien Minute um mir das Zimmer im Wohnheim leisten zu können. Die Ersparnisse meiner Eltern decken zwar die Kosten für das College, aber ohne meinen Job im Cateringservice müsste ich weiter bei meiner Tante wohnen. Und da wir nicht unbedingt ein liebevolles Verhältnis haben, ist das Wohnheim die beste Lösung für alle.
Müde kicke ich meine Pumps in die Ecke und lasse mich aufs Bett fallen. Von draußen schlägt der Wind heftig gegen das Fenster und dicke Regentropfen prasseln an die Scheibe.
Das Zimmer hier ist wirklich winzig. Viel zu klein für zwei Personen. Es ist gerade genug Platz für die beiden schmalen Betten, zwei Schränke und ein Regal. Da ich aber nicht all zu viele Dinge besitze und Josephine, meine Mitbewohnerin, meist nicht hier sondern bei ihrem Freund ist, hat mich die Raumgröße nie gestört.
Etwas gerädert setze ich mich auf, um das Buch, das wir momentan im Literaturkurs lesen, zur Hand zu nehmen. Obwohl ich "Tess of the D'Urbervilles" bereits mehr wie einmal gelesen habe gehe ich meine Notizen noch einmal durch. Für mich ist es das wohl beste Werk, welches Thomas Hardy je geschrieben hat und daher habe ich mich auch wirklich gefreut, dass wir es dieses Semester schon behandeln. Auch wenn ich nur schnell die markierten Stellen überfliegen wollte, zieht mich dieses Buch sofort wieder so in seinen Bann, dass ich stundenlang darin versinke. Es gibt mich erst wieder frei, als ein Blitz das ganze Zimmer erhellt und der laute Donner mich aufschrecken lässt.
Ich lege das Buch gedankenverloren auf meine Brust und schaue an die Decke. Mich überkommt die Einsamkeit wieder, hier alleine in diesem kleinen Raum. Ich sollte schon an dieses Gefühl gewöhnt sein, doch es übermannt mich immer wieder. Wut, Enttäuschung, Trauer, Liebe und Schmerz. All das hatte ich schon in meinem Leben gespürt, aber dieses eine Gefühl ist für mich das Schlimmste. An manchen Tagen zerfrisst mich diese Einsamkeit regelrecht von innen. Sie nagt an meinem Herz, hält mir stets vor Augen, dass ich alleine bin. Sie hält mir immer wieder vor Augen, was Schreckliches passiert war. Schnell greife ich nach meiner Kosmetiktasche und husche mit meinem Handtuch zu den Gemeinschaftsduschen. Es wird wohl für heute besser sein einfach schlafen zu gehen. Die Tage waren wieder sehr anstrengend, da ich die ganze Zeit nach den Kursen direkt zur Arbeit musste und nachts lange auf war um zu lernen. Ich nehme das College sehr ernst und arbeite hart um mein Leben zu finanzieren. Da bleibt nicht wirklich Zeit für etwas anderes.
So spät ist außer mir niemand mehr an den Duschen und ich beeile mich, um nicht zu viel Lärm zu machen. Dann putze ich mir die Zähne und kämme mir die langen, blonden Haare, die ich dann noch nass zu einem Zopf flechte. Nachdem ich alles wieder in den Kosmetikbeutel verstaut habe, schleiche ich den kalten Flur entlang, zurück in mein Zimmer.
Es riecht seltsam. Stickig, nach schrecklich stinkendem Rauch. Der widerliche Qualm dringt quälend in meine Lungen und droht mir den Atem zu rauben. Dicke Nebelschwaden nehmen mir die Sicht. Ich höre nur noch meinen eigenen Herzschlag und spüre wie das Blut vom Adrenalin durch meine Adern gepeitscht wird. Fest drücke ich den Ärmel meines Pullovers gegen Mund und Nase, während ich versuche einen Weg nach draußen zu finden. Um mich herum knistert es, es kokelt und schmort und ich kann hinter dem Nebel aggressiv orangerote Flammen züngeln sehen. Ich will nach meiner Mutter schreien, bekomme aber keinen Ton raus. Schwindel überrollt mich, verklärt alle meine Sinne und ich sinke zu Boden. Verzweifelt versuche ich weiter zu kriechen, bin orientierungslos, hilflos. Der dicke, graue Qualm flutet meine Lunge, in dem Moment, als zwei leuchtend dämonische Augen aus den Flammen auf mich herabsehen. Das Bild wird klarer und ich erkenne diese Augen mit dem orangenen Strahlen, wie sie auf mich zukommen. Die Wellen der Hitze brechen über mir zusammen, lassen mich untergehen. Ersticken mich. Hektisch versuche ich mich wieder zurechtzufinden. Wo ist oben? Wo ist unten? Ich habe jegliche Orientierung verloren und weiß nicht, wie lange ich noch kämpfen kann. Ich kann es nicht mehr aushalten...
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