Sei

»Abwarten und Kaffe trinken.«

Am nächsten Morgen machte Ace sich wieder auf den Weg in die Villa. Er hatte sowieso nichts zu tun. Vielleicht hatte er etwas am Tatort übersehen?

So oder so, ihm lief die Zeit davon. Morgen würde Esmeray wahrscheinlich wieder zuschlagen.

Während er düsteren Gemüts durch den Insel-Teil ging und so manch einem Kind einen Schrecken einjagte, bemerkte er, wie viele Leute sich vor einem der Reihenhäuser versammelten.

Schnell wand er sich an einen von ihnen. "Entschuldigung, was ist denn hier passiert?"

"Hier wurde ein Mord begangen! An einer der hier wohnenden Personen!"

Ace' Augen verengten sich zu Schlitzen. "Wie hieß diese Person?" Der Mann zuckte mit den Schultern. "Weiß' ich nicht. Wenn sie das wissen wollen, versuchen sie doch reinzukommen!"

Der Mann schien sich wohl besonders witzig zu finden, aber Ace drängelte sich einfach durch die Menge und sprach den Polizisten an, der versuchte die Leute von dem Haus fortzuhalten.

"Gestatten, Ace Doyle. Privatdetektiv." Hektisch nickte ihm der Polizist zu, sie hatten sich bereits gestern kurz gesehen und Ace war bei der Polizei der Insel nicht unbekannt.

Nach einigen Treppenstufen kam er zum leitenden Officer. "Was ist passiert? Wer wurde ermordet?"

Das Gesicht des Officers war ernst. "Marianne Clark, 27, beruflich Sekretärin des Bürgermeisters."

Wie vom Donner gerührt erstarrte Ace. "Todesumstände? Hinweise auf den Mörder?"

"Eine Visitenkarte... Mit dem Schriftzug 'Esmeray'.  Sie wurde erschossen. Sie können sich gerne umsehen, aber viel mehr rausfinden werden sie nicht."

Ace' Gedanken spielten verrückt. Miss Clark war tot. Erschossen von Esmeray. Aber warum? Miss Clark wäre der perfekte Sündenbock gewesen.

Der Privatdetektiv kramte seine beinahe hautdünnen Lederhandschuhe hervor und ging weiter ins Wohnzimmer der Toten.

Ebendiese lag, mit schreckverzerrtem Gesicht, in einer verdrehten Pose auf dem Sofa, auf das sie wohl nach hinten gefallen war. Die Wunde war mitten im Herz, soweit Ace das laienhaft beurteilen konnte. 

Vorsichtig berührte er die Tote am Handgelenk. Sie war bereits komplett kühl und die Leichenstarre hatte schon eingesetzt.

Es waren keine Spuren des Angriffs zu sehen. Alles stand an seinem Platz, keine Dellen oder andere Einschlagstellen von Kugeln.

Hieß, so schnell konnte man nicht die ballistischen Spuren nachprüfen. Und selbst wenn, die Mordwaffe war nicht gefunden.

Plötzlich bemerkte Ace etwas in der rechten Hand der Toten. Vorsichtig und mit einiger Mühe konnte er den Gegenstand aus der geballten Hand bergen.

Es war ein leeres Stück Papier. Klein und zerknüllt, aber nicht stand darauf.

Ace holte ein Feuerzeug hervor und hielt es unter das Papier. Nach einiger Zeit ließen sich tatsächlich Worte erkennen.

Die Schrift war schief und krakelig, wie als wäre es unter Druck geschrieben worden.

'Winslow Villa. R3 Nr24 E. Akte 14'

Ace begann zu grinsen. Endlich eine Spur. Was auch immer 'R3 Nr24 E' hieß, aber am besten sollte er Mister Winslow einen Besuch abstatten.

Er ließ den Zettel in seine Tasche gleiten und ging zu dem Officer. "Sie hatten Recht, ich konnte wirklich nichts finden. Kontaktieren sie mich, wenn sie etwas neues wissen."

Damit ging Ace wieder aus dem Gebäude und war gerade an der Menge vorbei, als ihn jemand am Handgelenk packte.

Es war Miss Asterton, die mit ernstem Gesicht zu ihm hoch sah. "Was ist hier passiert?"

Ace hatte kein Interesse daran, sich hier noch länger aufzuhalten. Die Zeit rann ihm durch die Finger. "Ein Mord. Mord an Marianne Clark, der Sekretärin des Bürgermeisters."

Miss Astertons Augen weiteten sich. "Clark?" Misstrauisch nickte Ace. "Wo wollen sie jetzt hin?"

"Ich war auf dem Weg zu Mister Winslow. Das Opfer hat eine Nachricht hinterlassen, die zu der Villa führt." Der Griff der Braunhaarigen wurde fester.

"Ich komme mit ihnen." Der Privatdetektiv hob eine Augenbraue. "Wenn sie mir nicht im Weg stehen, sehe ich darin kein Problem. Aber wieso?"

Sie haderte mit sich selbst. "Ich... kannte Marianne Clark. Denke ich, aber ich hätte gerne Gewissheit."

Ohne ein weiteres Wort löste Ace sich von ihrem Griff und ging weiter. Wenn sie mitkommen wollte, bitte, sollte sie doch. Aber er würde nicht den Aufpasser spielen, nur weil er sie gestern erst kennengelernt hatte.

Nach zehn Minuten erreichten sie die Villa und sie wurden herein gelassen - wenn auch unter verwirrten Blicken.

Ace suchte sofort den Weg in die privaten Räume des Bürgermeisters. Dieser lag noch immer im Krankenzimmer und fixierte ernst den Privatdetektiv.

"Ich nehme an, sie haben schon von Miss Clarks Unglück gehört." Ace ignorierte seine Worte. "Sie hatte eine Nachricht in der Hand. Vor ihrem Tod hat sie uns eine letzte Spur hinterlassen. Mister Winslow, was könnte mit 'R3 Nr24 E' gemeint sein?"

Der Bürgermeister überlegte. Erst schien es Ace, als wollte er gar nicht mehr antworten. "In meiner Bibliothek. Oder vielleicht eher Archiv. Es gibt mehrere Regalreihen, von Eins bis Neun. Die einzelnen Spalten sind mit Nummern gekennzeichnet und die 'Zeilen' mit Buchstaben. Also Regal Drei, Nummer Vierundzwanzig, Teil E."

Ace' Augen leuchteten. Das war es. Das musste sie gemeint haben. Überraschenderweise wandte Mister Winslow sich an Miss Asterton. "Kennen wir uns?"

Sie schüttelte überrascht den Kopf. "Nicht, dass ich wüsste. Ich arbeite in einem kleinen Lokal, also sind die Chancen nicht allzu groß."

Ace schaltete sich wieder ein. "Vielen Dank, Mister Winslow. Wir haben doch hoffentlich die Erlaubnis, uns in der Bibliothek umzusehen?"

Er nickte. "Wenn es zur Lösung des Falls beiträgt, möchte ich sie nicht daran hindern."

"Danke." Der Privatdetektiv zog Miss Asterton mit sich und nach kurzem Suchen kamen sie zu der Bibliothek.

"Wir teilen uns auf, so geht es schneller. Sie erinnern sich doch noch, nach welchem Punkt wir suchen?" Miss Asterton legte die Stirn in Falten.

"Regel Drei... Vierundzwanzig E, oder?" Ace nickte und sie begann, die große Bibliothek zu durchsuchen. Ansonsten war niemand in dem riesigen Raum und die Aura hatte etwas mystisches an sich.

Nach einiger Zeit rief Miss Asterton: "Ich hab's!" Ace ließ schnell von der Regalreihe ab, bei der er sich gerade befand und lief zum Ursprung ihrer Stimme.

Miss Asterton trat ein Stück zur Seite und Ace kniete sich zur Zeile 'E' die fast auf Bodenhöhe zu finden war.

"Akte Vierzehn.", murmelte er und überflog die unterschiedlichen Bücher und Akten. Nach einiger Zeit stutzte er.

»Akte Vierzehn... Ist nicht da.«

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