Kapitel 3: ZAGs und ein erschreckender Tagesprophet
Verschlafen öffne ich meine Augen. Die Sonne blinzelt durch die zugezogenen Vorhänge herein. Ein heller goldener Strahl fällt in das abgedunkelte Zimmer. Erschöpft setze ich mich auf, weiterhin die Decke um mich schlingend. Das Haus ist ganz still. Das heißt Teddy ist im Garten und Mom arbeiten.
Noch nicht ganz wach werfe ich einen Blick auf die Uhr. Es ist schon zehn. Normalerweise stehe ich um einiges früher auf, aber in Anbetracht meiner gestrigen Nachtstunden hat mein Körper wohl Erholung gebraucht.
Schweigend stehe ich auf und ziehe mir eine kurze Shorts und ein Top an, während ich meine Haare hastig und unordentlich hochstecke. Die Vorhänge lasse ich zugezogen, damit es nicht all zu heiß wird in meinem Zimmer.
Leise schlüpfe ich durch die Tür in den Gang und stapfe Barfuß in die Küche. Auch hier sind die Rolläden unten. Immer noch verschlafen mache ich mir einen Kaffee und Frühstück.
„Evelyn?", ruft Teddy durch die Haustür hereintrampelnd.
„Hmm," erwidere ich nur.
„Es ist ein Brief für dich eingetroffen."
Von einer Sekunde auf die andere bin ich hell wach und drehe mich mit weit aufgerissenen Augen um, wobei ich fast den frisch gemachten Kaffee verschütte. Und tatsächlich, auf unserem kleinen Esstisch liegt ein Brief, ein Brief mit dem Siegel von Hogwarts.
„Was ist da drin?", frägt Teddy, wie immer neugierig, doch ich bin nicht in der Lage ihm zu antworten.
Mein Herz pocht schnell und heftig gegen meine Brust. Nervös streiche ich mir eine herausgefallene Strähne aus meiner Frisur hinter mein Ohr. Ich kann spüren, wie die Aufregung durch meinen Körper fließt, kann spüren, wie sich alles in meinem Kopf überschlägt und sich ein unwohles Gefühl in mir breit macht.
Mit zittrigen Fingern stelle ich meinen Kaffee beiseite und nehme den Brieföffner, den mir Mom schon bereitgelegt hat. Wieder ein Moment, den sie verpasst, weil sie absolut nichts mit der Schule zu tun haben will, auf die Teddy und ich gehen.
Unsicher schlitze ich das Papier auf und ziehe mit bebenden Händen das Pergament darin heraus.
ERGEBNIS DER ZAUBERGRAD-PRÜFUNG
Bestanden mit den Noten: Nicht bestanden:
Ohnegleichen (O) Mies (M)
Erwartungen übertroffen (E) Schrecklich (S)
Annehmbar (A) Troll (T)
Evelyn Moore hat folgende Noten erlangt:
Astronomie: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M
Mugglekunde: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .O
Zauberkunst: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . O
Verteidigung gegen die dunklen Künste: . . . . . . . E
Wahrsagen: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M
Kräuterkunde: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . O
Geschichte der Zauberei: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M
Zaubertränke: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . O
Verwandlung: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E
Erleichtert atme ich auf. In allen Fächern, die ich weiterführen will habe ich ein Erwartungen übertroffen oder ein Ohnegleichen. Was mich sehr wundert ist das Ohnegleichen in Zaubertränke. Sicherlich habe ich es verdient, aber Snape hat eigentlich immer dafür gesorgt, dass ich es nicht bekomme.
„Das sind meine ZAG-Ergebnisse," antworte ich auf Teddys Frage mit einem breiten Grinsen.
„Und hast du in allen Fächern bestanden, die du für eine Heilerausbildung brauchst?", frägt er mit funkelnden Augen. Er ist tatsächlich der einzige, dem ich erzählt habe, dass ich eines Tages unbedingt Heilerin werden möchte.
„Ja," hauche ich glücklich. Sekunden später fällt er mir um den Arm.
„Noch zwei Jahre und du wirst eine wunderbare Heilerin," sagt er überzeugt, was mich noch um einiges glücklicher macht.
Es ist einfach unglaublich erleichtern zu wissen, dass man nach all dem lernen, nach dem Stress, etwas erreicht hat, etwas geschafft hat und zwar genau das, was man sich vorgenommen hat oder sogar noch mehr.
„Ich bin stolz auf dich," sagt Teddy und bringt mich damit zum Lachen.
„Ich bin mir sicher, dass ich eines Tages genauso stolz auf dich sein werde," erwidere ich.
Und dennoch, all diese Erinnerungen, all dieser Erfolge, sind immer nur halb so schön, wenn man sie nicht teilen kann, wenn ich sie nicht der Person erzählen kann, die ich am meisten liebe. Meiner Mom.
Den restlichen Tag verbringe ich damit in unserer Hollywoodschaukel zu liegen, in den blauen Himmel zu starren, Teddy in seiner Verträumtheit zuzusehen und zu lesen. Ein bisschen neidisch bin ich schon bei dem Gedanken, dass Fred und Georg jetzt wahrscheinlich auf einem Camping-Platz voller magischer Zelte ihren Spaß haben und später auf das größte und feierlichste Quidditchspiel des Jahres gehen werden. Aber so ist das Leben, es ist nicht fair, zu niemanden.
Als die Dämmerung spät abends einbricht und Teddy sich längst auf sein Zimmer verzogen hat, sitze ich gerade an unserem kleinen Esstisch, als meine ziemlich erschöpft wirkende Mutter nach Hause kommt.
„Hey, Mom," begrüße ich sie in der Hoffnung, dass es heute anders sein wird, dass es dieses eine Mal anderes sein wird. „Ich habe meine ZAG-Ergebnisse bekommen."
Ihr Blick fällt auf das Pergament in meiner zittrigen Hand. Ich kann sehen, wie ein dunkler Schatten über ihr Gesicht huscht, wie auch das letzte Funkeln in ihren Augen verschwindet. Ich schlucke schwer. Was habe ich auch erwartet.
„Ich habe bestanden und war ziemlich gut," versuche ich es, als sie mich weiter anschweigt.
„Das freut mich, Schatz," antwortet sie, sich wirklich Mühe gebend. „Du bist eine begabte Hexe, das habe ich immer gewusst."
Sie lächelt mir zu, küsst mich auf den Scheitel und schleppt sich dann in ihr Schlafzimmer.
Und so bleibe ich allein mit der Dunkelheit und den ZAG-Ergebnissen in meiner bleichen Hand. Eine einzige Träne kullert über meine Wange. Seit ich klein bin wünsche ich mir so sehr, dass sie ein einziges Mal wirklich stolz auf mich ist, stolz darauf, dass ich tatsächlich eine begabte und mutige Hexe geworden bin. Aber sie kann es nicht und sie wird es auch nie können.
Ich seufze leise und lehne mich zurück. Die Kerze auf dem Tisch wirft flackernde Schatten an die Wand, malt Geschichten an die grauen Mauern, die niemand von uns lesen kann. Ich sitze noch eine Weile in der Dunkelheit, schweigend das Schattenspiel beobachtend, bevor ich mich aufrichte und in mein Zimmer schleiche.
Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen lege ich das Pergament auf meinen Schreibtisch. Es bedeutet mir etwas, denn es zeigt, dass ich vielleicht eines Tages wirklich eine Heilerin im St.-Mungo werden kann...
Die Sonne strahlt mir ins Gesicht, verfängt sich in meinen Haaren und malt mir ein Lächeln auf die Lippen. Ich genieße die Ruhe, das langsame Erwachen der Natur und der Menschen um uns herum. Ich liebe solche Momente, Momente voller Schweigen und Erfülltheit. Ich kann einfach hier sitzen, der Sonne beim Aufgehen zusehen und meine Gedanken schweifen lassen.
„Evelyn?"
Ich drehe mich verwundert zu Teddy, der in der Tür steht. Er nennt mich nie, wirklich nie Evelyn, genauso wie ich ihn nie Theodore nenne.
„Hast du ein Geist gesehen?", frage ich grinsend angesichts seines blassen Gesichtes. Er drückt mir wortlos den heutigen Tagespropheten in die Hand.
„Zwischenfall bei der Quidditchweltmeisterschaft," wispere ich leise. Ein mulmiges Gefühl macht sich in mir breit.
Hastig und mit leicht bebenden Fingern überfliege ich den Artikel und sehe dann Teddy ein wenig entsetzt an.
„Darin steht, dass Todesser angegriffen haben und dass es Todesser gab," sage ich entgeistert.
„Ich weiß, ich habe ihn gelesen," antwortet er mich besorgt musternd.
„Wir müssen los," sage ich ein wenig zerstreut.
Meine Gedanken drehen sich um die Weasleys, die genau dort waren, auf dem Zeltplatz in mitten dieser grauenhaften Nachricht. Mein Herz pocht heftig, mein Kopf rotiert.
„Du kannst allein zu den Weasleys gehen, ich kann sicher auf mich selbst aufpassen," schlägt er vor. Ich mustere ihn kurz, bevor ich entschieden den Kopf schüttle: „Du kommst mit. Wenn das, was da steht stimmt, dann lasse ich dich nicht allein."
Ich sehe im Augenwinkel, wie er die Augen verdreht, was mich allerdings nicht von meiner Meinung abbringt. Als ich in mein Zimmer schlüpfe, um mir etwas Gescheites anzuziehen, stecke ich vorsichthalber meinen Zauberstab ein.
„Komm schon," rufe ich meinem trödelnden Bruder zu, als ich über den Zaun flanke.
„Jaja," murrt er zurück und trottet mir wenig begeistert hinterher.
Mein Herz pocht immer noch heftig. Allein der Fakt, dass sie dort waren, dass sie der Gefahr ausgesetzt waren, allein das beunruhigt mich, macht mich nervös. Ich könnte es weder verkraften noch ertragen, wenn auch nur einem von ihnen jemals etwas zustoßen würde. Sie gehören auf eine seltsame Weise zu meiner Familie und seine Familie will man nicht verlieren.
Hastig stolpere ich den Berg hinunter, im Schlepptau Teddy, der nicht annähernd so beunruhigt scheint wie ich. Mit zittrigen Fingern klopfe ich laut an die Tür des Fuchsbaus, der ungewohnt still ist. Mein Herz schlägt noch schneller.
Molly reißt mit einem funkelnden Blick die Tür auf und stutzt ein wenig, als sie mich entdeckt.
„Evelyn und...Teddy," sagt sie überrascht. „Ich dachte..."
„Ich habe den Artikel im Tagespropheten gelesen und wollte wissen, ob es allen gut geht," unterbreche ich sie hastig.
„Achso," murmelt sie und lässt mich mit einem freundlichen Lächeln herein.
Und in der Küche sitzen sie, alle schweigend und mit bedrückten Blicken. Nur Arthur und Percy fehlen, die wie ich erahnen kann nach dem Vorfall wahrscheinlich schnell ins Ministerium mussten.
„Hat sich da jemand um uns Sorgen gemacht," scherzt Fred, als er mich erblickt.
„Das ist überhaupt nicht lustig," fauche ich, halb erleichtert, halb verärgert.
Teddy taucht hinter mir auf und nickt der versammelten Mannschaft zu.
„Wir sind alle unverletzt," sagt Ginny dann schließlich, was auch den letzten Zweifel von mir abfallen lässt.
„Das ist gut, das ist gut," flüstere ich.
„Habe ich dir doch gesagt," brummt Teddy hinter mir, den ich aber gekonnt ignoriere. „Was ist passiert?", frage ich stattdessen.
Es herrscht ein kurzes Schweigen, bevor ausgerechnet Charlie sich räuspert.
„Es war ziemlich chaotisch. Sie waren plötzlich da, dunkle Mäntel und Masken und haben die Muggelfamilie, der der Camping Platz gehört, erniedrigt. Sie haben Zelte in Brand gesteckt und verwüstet. Und dann hat jemand," er stockt kurz in seiner Erzählung, „das Dunkle Mal beschwört."
Ein schweigen, drückend und verängstigt legt sich über den Raum. Keiner scheint es zu wagen, diese Stille zu durchbrechen.
„Harry, Hermine, Ron, Fred, Georg und ich haben uns im Wald versteckt," sagt Ginny schließlich. „Dad meinte wir sollen uns da raushalten, aber Harry...Harry hat denjenigen gehört, der es heraufbeschworen hat."
Ich schlucke schwer. Ein kalter Schauer, ein längst vergessener kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Jeder weiß, zu wem das Dunkle Mal gehört und was es bedeutet...
„So genug davon," sagt Molly, die die ganze Zeit geschwiegen hat, entschieden und wuselt in die Küche. „Es ist das beste, wenn ihr es dabei beruhen lasst, Kinder. Das Ministerium kümmert sich um so etwas." Sie scheint es wirklich ernst zu meinen. „Evelyn, wollt ihr hier essen? Ich kann für alle etwas kochen."
„Nein, danke," sage ich freundlich lächelnd. „Ich wollte nur schauen, ob es euch allen gut geht. Unsere Mom erwartet uns Zuhause."
Ich werfe Fred einen viel sagenden Blick zu, den er auch sofort versteht.
„Ich bringe euch raus," ruft er freudig, was mich zum Schmunzeln bringt.
Ich winke allen noch mal zum Abschied, bevor ich hinter Teddy hinaus in die warme Sonne trete. Unauffällig drücke ich Fred eine kleine verkorkte Flasche in die Hand, die er sofort in seiner Hose verstaut.
„Du bist die beste," flüstert er, aus Angst, seine Mutter könnte ihn hören.
„Keine Ursache," erwidere ich grinsend. „Wir sehen uns im Express," rufe ich noch im Gehen, bevor Teddy und ich wieder den Hügel zurück nach Hause hinauf stapfen.
„Was hast du Fred da gegeben?", frägt mein kleiner Bruder neugierig.
„Das wirst du noch früh genug erfahren," antworte ich geheimnisvoll und mit einem Lachen angesichts seines beleidigten Gesichts.
Der Tag verläuft ruhig, die Sonne scheint vom blauen Himmel und ein kühler Wind weht über die Felder. Es wird langsam aber sicher Herbst, der Sommer vergeht und der Anbruch eines neuen Schuljahres rückt immer näher. Als meine Mutter wie immer spät abends nachhause kommt erwarte ich sie ein wenig unruhig in unserem kleinen Wohnzimmer. Sie sieht mich ein wenig überrascht und sichtlich müde von ihrem anstrengenden Tag.
„Wieso bist du nicht im Bett?", frägt sie.
„Im Tagespropheten," prompt verdunkelt sich ihr Blick, „stand heute etwas, dass mich beunruhigt hat," antworte ich leise.
„Eve..."
„Ich weiß, dass du nicht darüber sprechen willst," unterbreche ich sie gnadenlos, „aber es ist wichtig, Mom! Es gab einen Zwischenfall bei der Quidditch-Weltmeisterschaft. Es sind Gestalten aufgetaucht, dunkle Gestalten mit schwarzen Masken. Einer von ihnen hat das...Dunkle Mal beschwört."
Sie starrt mich an, entgeistert und mit tiefen dunklen Schatten der Vergangenheit im Gesicht. Das letzte Mal, als ich sie so gesehen habe, habe ich ihr vorgelesen, dass Sirius Black aus Askaban ausgebrochen ist.
„Ich weiß, dass du nichts mehr mit dieser Welt zu tun haben willst, aber du wirst egal, was du tust immer ein Teil davon sein," wispere ich, da sie wie versteinert in der Tür steht. Zögernd stehe ich auf und sehe sie ernst an. „Mom, du musst aufpassen, versprich mir, dass du aufpasst. Ich will dich nicht mit reinziehen, wenn du das nicht willst, aber du solltest trotzdem auf dich aufpassen."
Ich sehe sie ernst an. Es ist mir wichtig, dass sie das tut. Ich will nicht, dass ihr jemals etwas geschieht.
„Du solltest auch auf dich aufpassen," wispert sie, augenscheinlich in alten Erinnerungen schwelgend. „Versprich mir, dass du das tust."
Ich starre sie an, überfordert mit ihrem ungewöhnlich starken Interesse an der magischen Welt. Ich weiß, dass sie den ersten Zaubererkrieg miterlebt hat. Aber was sie getan hat, ob sie gekämpft hat, das weiß ich bis heute nicht.
„Ich verspreche es," antworte ich.
Sie sieht mich noch einen Augenblick an, fast als wollte sie mir noch etwas sagen, als wollte sie mir etwas erzählen, doch dann nickt sie nur, drückt sich an mir vorbei und verschwindet in ihrem Schlafzimmer. Ich sehe ihr hinterher, stehe ratlos im abgedunkelten Wohnzimmer und seufze dann leise.
Das was auf diesem Zeltplatz passiert, das macht mir keine Angst. Es fühlt sich eher an wie ein bedrohlicher Bote, ein bedrohlicher Vorgeschmack auf das, was vielleicht kommen wird, auf das, was uns im schlimmsten Fall tatsächlich erwartet...
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