Kapitel 18: Wenn sich alles ändert


Schweigend sitze ich wieder im Dunklen auf unserer Veranda, eine glühende Zigarette in meiner Hand, die Augen geschlossen und dem leise wispernden Wind lauschend. Meine Haare sind unordentlich hochgebunden und meine Beine fühlen sich schwer an, weshalb ich sie einfach auf den Tisch lege.

Morgen fange ich an zu arbeiten. Ich weiß nicht genau, wie es sich anfühlen wird dort zu stehen, wo sie gestorben ist, dort zu sein, wo sie mir eine letzten Blick aus ihren besorgten Augen zugeworfen hat. Ich seufze leise und greife nach dem Brief, der vor unserer Tür lag, als wir zurückkamen. Ich weiß, dass er von George und Fred ist und ich weiß auch, dass Charlie ihn dort hinterlassen hat. Ich wollte ihn eigentlich aus Protest nicht aufmachen, aber was soll es schon. Es gibt eh keine Erklärung dafür mir nicht zu antworten, wenn meine Mutter umgebracht wird.

Seufzend schneide ich ihn auf, meine Zigarette im Mundwinkel, und ziehe das dünne Pergament hervor. Es ist vermutlich Freds Schrift, die mir mit dunkler Tinte entgegen springt.

Hey, Evelyn,

wir wissen beide, dass es keine Entschuldigung dafür gibt, dass wir nicht geantwortet haben. Wir schwören dir wir wollten es, aber die Umstände haben uns daran gehindert. Wir können es dir in diesem Brief nicht erklären, aber wir werden es, wenn wir uns in Hogwarts wiedersehen.

Es tut uns alles so leid, wirklich alles. Wir wären gerne für dich da gewesen, aber es ist unglaublich schwierig. Wir wissen, dass es dumm klingt und du es sicher nicht verstehst, aber wir lieben dich und du kannst uns glauben, dass es uns das Herz gebrochen hat, als wir erfahren haben, was mit deiner Mom geschehen ist. Eve, du bist unsere beste Freundin, du bist fast schon der dritte Drilling geworden mit der Zeit und wir hoffen, dass du es uns verzeihen kannst, dass wir nicht da waren. Es war wirklich nicht unsere Absicht, aber das Timing ist unfassbar schlecht.

Mom meinte wir dürfen auf die Beerdigung, aber wir wissen, dass du sie lieber mit deinem Bruder alleine verbringst. Also bitte, verzeih uns und wir versprechen dir, dass wir dir alles ganz ausführlichen erklären, wenn wir uns im Hogwarts-Express sehen.

Deine Zwillinge

PS: Wir haben extra Charlie geschickt, ein kleines Friedensangebot

Ich lasse den Brief sinken, ein leises Lachen in meiner Kehle und eine Träne, die mir die Wangen herunter rinnt. Ich habe mir fest vorgenommen sie zu hassen und ganz kann ich ihnen sicher jetzt auch noch nicht verzeihen, aber ich liebe diese Menschen und ich kann mir nicht vorstellen, wie es wäre sich von ihnen abzuwenden.

Es gibt einen Knall, der mich hochfahren lässt. Meine Hand schnellt zu meinem Zauberstab und ich halte ihn zittrig auf den Schemen, der in unserem Garten steht, offensichtlich ein Zauberer. Meine Finger zittern leicht und mein Herz klopft heftig gegen meine Brust.

„Einen Schritt weiter und ich schwöre ich bringe Sie um," zische ich bedrohlich.

„Hey, ich bin es nur," ertönt eine Stimme, die ich sofort erkenne.

„Charlie?", frage ich verwundert, als die Person in das gedimmte Licht der Tischlampe tritt.

„Ja, ich bins. Sag mal rauchst du?"

Ich lasse meinen Zauberstab sinken, lasse mich in den Stuhl fallen und lege meine Füße auf die alte Holzplatte, die Kippe noch im Mundwinkel.

„Nein, wie kommst du da drauf?", frage ich ihn provokant den Rauch in die Nachtluft schickend.

Er schüttelt nur seinen Kopf, kann aber sein Grinsen nicht verbergen, bevor er sich wie selbstverständlich in den Stuhl neben mir fallen lässt.

„Was ist mit der stillen Evelyn passiert, die meine zwei Brüder erträgt und nie wirklich auffällt?", frägt er leise, mich aus seinen dunklen Augen ansehend.

„Die hat ihre Mom verloren," erwidere ich ein wenig trocken, „und hat jetzt das Sorgerecht für ihren kleinen Bruder. Tja, so schnell wird man erwachsen."

Charlie sieht mich an. Es fühlt sich wirklich an, als hätte der Tod meiner Mutter tief in mir etwas verändert. Es ist eine gewisse Gleichgültigkeit, frühere Ziele wirken kindisch und ich fühle mich abgebrühter, ein wenig mutiger und vielleicht auch stärker. Das klingt alles sehr positiv, aber so ist es dann auch nicht. Die tiefen Wunden in mir und die endlose Leere machen mir zu schaffen, stärken meine innere Stimme und reizen mich. Ich werde anfällig für Suchtmittel wie diese blöden Zigaretten und bin viel leichter zu besiegen. Es fühlt sich an, als würde ich Achterbahn fahren, im einem Moment geht es mir gut in dem anderen könnte ich heulen.

„Tut mir leid, was passiert ist," sagt er ehrlich.

Ich mustere ihn mit hochgezogener Augenbraue, seufze leise und nehme einen tiefen Zug. Es schmerzt nicht mehr so sehr, bringt mich aber immer noch auf andere Gedanken.

„Du kannst ja nichts dafür," murmele ich leise. „Wieso bist du hier, Charlie?" Ich will nicht unhöflich werden, aber ich frage mich das ernsthaft. Klar, wir kennen uns seit ich klein bin, aber er ist sicher nicht die Person, von der ich erwartet habe, dass sie neben mir auf der Veranda sitzt und mich nach den schlimmsten Tagen meines Lebens tröstet. Da habe ich eher an George oder Fred gedacht.

„Deine Freunde haben mich angefleht, dass ich wenigstens versuche dir zu helfen. Ich habe mir den Tag freigenommen und wollte eigentlich zurück nach Rumänien, aber irgendwie dachte ich, dass ich noch mal bei dir vorbeischauen könnte," antwortet er schulterzuckend. „Ich kann auch gehen. Wenn du willst."

„Nein, heute bin ich gastfreundschaftlich," erwidere ich halbherzig lächelnd, die Zigarette in meinen Fingern drehend. „Es ehrt mich, dass du noch einmal zurückgekommen bist."

„Ich bewundere dich dafür, dass du ohne zu zögern das Sorgerecht für deinen Bruder übernommen hast," flüstert er leise und klingt dabei so ehrlich, wie nie zuvor. „Das würden nicht viele Menschen machen. Ich meine, du musst dafür viel aufgeben, oder?"

„Er ist das einzige, was ich noch habe, Charlie," wispere ich mit zitternder Stimme, „Er ist das einzige, was mir in diesem verdammten Leben noch bleibt. Es ist mir absolut egal, was ich dafür aufgeben muss, weil es das wert ist."

Er sieht mich an, das Licht der Lampe in seinen dunklen Augen einfangend und sich nachdenklich durch seine offenen Haare streichend. Ich glaube das ist der Grund, warum mich der Hut damals nach Gryffindor schickte und nicht nach Ravenclaw.

„Eigentlich wollte ich dir sagen, dass ich mir bissen Sorgen um dich mache," sagte er leise lachend. „Naja, das tue ich immer noch," fügte er mit einem bösen Blick auf die Zigarette in meiner Hand, „aber, wenn es jemand schafft, dann du."

Ich lasse es nicht zu, dass er die Leere füllt, dass ich ihn in mein zerstörtes und verwüstetes Inneres lasse. Ich könnte es nicht ertragen, könnte eine weitere Enttäuschung, eine weitere Welle nicht überleben. Und dennoch kann ich ein kleines feines Lächeln auf meinen Lippen nicht verhindern.

„Danke, ist lieb von dir," erwidere ich leise.

„Wow, es kommt mir so vor, als würde ich mit einer anderen Evelyn reden," murmelt er.

„Du redest mit jemanden, der vor einer Woche seine Mutter verloren hat. Was hast du erwartet," brumme ich augenverdrehend. „Es verändert einen. Es zerreißt alles in einem und dann musst du es neu aufbauen, anders aufbauen, weil du einfach nicht mehr du selbst bist."

Er schweigt einen Augenblick. Früher wäre dieser Moment alles für mich gewesen, absolut alles. Aber jetzt fühlt sich das so naiv, so kindlich an. Es wäre wahrscheinlich schöner, wenn ich diesen Augenblick an mich heranlassen würde, aber ich traue mich nicht. Meine Sicht auf das Leben hat sich geändert, weil ich erlebt habe, wie schnell es vorbei sein kann und wie schwierig es ist, es zu verteidigen.

„Du musst für mich nicht stark sein und Teddy ist nicht hier," flüstert er dann leise, mich aus seinen dunklen Augen anblickend.

Ich starre ihn an, ziehe gierig an der Zigarette, bevor ich meinen Blick senke und scharf die Luft einziehe.

„Wenn ich es zulasse, dann," fange ich an, werde aber von einem ernsten Charlie unterbrochen: „...dann kann dich endlich jemand trösten. Du schaffst es nicht ganz allein."

Ich sehe hinauf in den Himmel und raufe mir meine unordentlichen Haare, die Zigarette im Aschenbecher ausdrückend. Ich ringe hilflos mit meinen Händen, versuche Worte für diese beschissene Situation zu finden, bevor ich einfach in Tränen ausbreche und beschämt meinen Blick abwende.

„Ist schon okay," murmelt er und nimmt mich in den Arm, ohne, dass ich etwas sage, ohne, dass ich mich wehren kann. „Du schaffst das Evelyn, wenn es jemand schafft dann du."

Er drückt mich an sich. In dem Moment fühle ich mich wie ein kleines Kind, wie ein schwaches kleines Kind. Ich kann nicht aufhören zu weinen, bekomme mich nicht unter Kontrolle. Und Charlie hält mich nur, streicht mir über den Kopf und hält mich an seiner starken Brust. Ich ringe nach Atem, versuche den Schmerz zu verdrängen, versuche mich zu fangen.

„Es ist okay, lass es raus," murmelt er nur.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergeht, wie lange er mich tröstet, aber als ich mich von ihm löse schüttle ich nur meinen Kopf und beginne mit der Schachtel zu spielen.

„Was für ein Scheiß," brumme ich leise. „Jetzt sitze ich hier mit dir, ausgerechnet mit dir."

„Was ist so schlimm an mir?", frägt Charlie leise lachend.

„Deine Brüder ziehen mich immer wieder mit dir auf," grummle ich. Ich hätte mich niemals getraut das zu sagen, aber jetzt wirkt eh alles so gleichgültig, so egal.

„Wieso das denn?", hackt er ein wenig neugierig nach.

„Sie behaupten ich würde auf dich stehen," antworte ich, ihn scharf von der Seite musternd. Auch er sieht mich an mit einem undefinierbaren Blick.

„Ist es denn so?"

Ich grinse nur und strecke mich, die Reflektion der Sterne in meinen Augen. Ich muss an Ginny denken, wie sie mich angesehen hat, als ich ihr erzählt habe, was ich für Charlie empfinde, muss an George denken, wie er mir erzählt hat, was für ein wundervoller Mensch sein großer Bruder ist. Aber in diesem Moment kann ich nur an Mom denken, an das Licht, das in ihren Augen erloschen ist und an die Aufgabe, die sie mir hinterlassen hat, an die Verantwortung, die im Wohnzimmer liegt und schläft.

„Wer weiß," erwidere ich nur leise. „Ich denke wir sehen uns, irgendwann, nicht?"

Ich richte mich auf, leere den Aschenbecher, lasse die Schachtel in meiner Tasche verschwinden und sehe den jungen Mann unverwandt an.

„Ja, wir sehen uns," sagt er nachdenklich und erhebt sich aus seinem Stuhl.

Ein paar Sekunden stehen wir unschlüssig voreinander, bevor er mich zögernd in den Arm nimmt. Es fühlt sich nicht mehr so an wie damals, es fühlt sich viel schlimmer an, als würde er mich in den Abgrund reißen, als würde er alles in mir heilen und gleichzeitig zerstören, als würden wir gemeinsam ins Nichts fallen. Als ich mich von ihm löse lächle ich ihm unsicher zu.

„Viel Spaß mit deinen Drachen," sage ich ehrlich, langsam Richtung Tür gehend. „Du schuldest mir noch ein Besuch in deinem Reservat."

Er lacht leise in die Dunkelheit hinein, streicht sich lässig durch seine langen Haare und grinst mich an. An meinen Gefühlen hat sich nichts geändert, nur an den Umständen.

„Okay, ich nehme dich mal mit," erwidert er. „Mach's gut und verzeih den Idioten, die können wirklich nichts dafür."

Mit diesen Worten dreht er sich einmal im Kreis und verschwindet, hinterlässt nichts als aufgewirbelten Staub und ein leichtes Flattern in meinem Herzen. Vielleicht können wir es eines Tages versuchen, vielleicht klappt es ja eines Tages zwischen uns.

Allerdings bin ich jetzt zu schwach, zu instabil für ein Vielleicht, auch, wenn ich es gerne hätte, wenn ich es gerne versuchen würde. Es könnte mich vollkommen zerstören, wenn es nicht funktioniert. Wenn es bricht, breche auch ich und das kann ich nicht zulasse, nicht mehr. Ich muss mich nämlich nicht mehr nur noch um mich selbst kümmern, sondern auch um Teddy, um den Menschen, der meine Hilfe jetzt am meisten braucht.

Ich wende mich von der Stelle ab, an der Charlie verschwunden ist. Vielleicht bin ich eines Tages bereit für unser kleines Vielleicht. 

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