Kapitel 16: Der dunkelste Tag meines Lebens


Mein Blick fällt auf die Uhr. Sie schlägt fast zwölf. Seufzend lege ich mein Buch weg, räume meine leere Tasse in die Spüle und werfe einen Blick nach draußen. Die Sonne scheint warm auf unseren kleinen Garten, die Strahlen brechen golden durch das Blätterdach der Bäume. Es sieht alles so friedlich aus, so wie früher eben. Und dennoch habe ich das Gefühl, dass sich alles geändert hat.

Die Nachricht, dass Voldemort zurückgekehrt ist, wird vom Ministerium weiterhin strickt ignoriert und rigoros abgestritten. Ich glaube Harry trotzdem. Ich habe den Schmerz in den Augen des Jungen gesehen, seine Angst, Angst vor dem Mann, der seine Eltern umgebracht hat und auch ihn zwangsläufig umbringen will.

Und auch mein Erlebnis, mein Gefühl, habe ich nicht vergessen. Eigentlich wollte ich mich ablenken, wollte diese letzten Sommerferien genießen, aber aus einem unerklärlichen Grund steht der Fuchsbau der Weasleys seit Tagen leer. Keiner ist Zuhause, nicht einmal Arthur. Und das seltsamste daran ist, dass die Zwillinge mir nicht einmal einen Brief hinterlassen haben oder eine Nachricht.

Ich seufze leise und wende mich vom Fenster ab. Teddy ist bei seinem Freund und Mom arbeitet in der Bibliothek. Ich überlege einen Augenblick, bevor ich in mein Zimmer husche, mir meine alten zerfledderten Convers anziehe und hinaus in einen sonnigen Sommertag trete. Es ist windstill und die Hitze flimmert nur so über dem Asphalt der Straße, über die ich in das kleine nahegelegene Dorf laufe. Ich könnte apparieren, schließlich habe ich meine Prüfung erfolgreich bestanden. Aber ehrlich gesagt habe ich nichts zu tun und weiß überhaupt nichts mit mir anzufangen. Normalerweise verbringe ich jeden Tag mit den Zwillingen, höre mir ihre blöden Sticheleien an und lache über ihre Witze.

Es kränkt mich, dass sie einfach gegangen sind, ohne mir Bescheid zu sagen. Ich fühl mich hier echt allein und nutzlos. Alles, was ich tun kann, ist meine Mom davon zu überzeugen, dass es auch für sie gefährlich werden könnte, wenn Voldemort wieder am Leben ist und dass wir alles tun müssen, um Teddy davor zu schützen. Aber sie will nicht wirklich darüber reden, sagt mir immer nur, dass sie alles im Griff hat.

Um ehrlich zu sein hatte ich die Hoffnung, dass dieses Ereignis, diese Gefahr, sie wieder zu ihrem Zauberstab greifen lässt, aber sie hat ihn nicht angerührt. Wenn ich mich nicht irre, hat sie nicht einmal darüber nachgedacht. Ich kann nur einfach nicht glauben, dass sie sich für immer von der Magie abgewandt hat.

Seufzend kaufe ich in der Bäckerei etwas zu essen für Mom und mich, lass es mir einpacken und bezahle mit dem restlichen Geld, dass ich Zuhause gefunden habe. Die Verkäuferin mustert mich ein wenig komisch, so wie alle in diesem Dorf. Wir sind die seltsame Familie die oben auf dem Berg in dem kleinen Hexenhaus wohnt. Wenn sie nur wüssten, wie wahr ihre Vermutunge und wie seltsam wir tatsächlich sind.

Schweigend mache ich mich zum einzigen Bücherladen in diesem Dorf auf, indem meine Mom arbeitet. Ich kann mich ehrlich gesagt nicht daran erinnern, dass sie je etwas anderes getan hat, außer noch tausende Nebenjobs annehmen, damit sie alles bezahlen kann. Ich habe sie immer dafür bewundert, für diese Stärke die in ihr wohnt, diese Stärke, Teddy und mich am Leben zu halten.

Erneut seufzend betrete ich den Laden. Die Klingel gibt einen schrillen Laut von sich. Der Raum ist kühl, die Vorhänge sind zugezogen und die Regale türmen sich hinauf bis an die Wände, alle mit unterschiedlichsten Büchern gefüllt. Es ist ungewohnt still und gespenstisch leer.

„Ich komme gleich," ruft meine Mutter. Ich grinse nur. „Wie kann ich ihnen...", sie taucht aus einem der vielen kleinen Gänge auf, eine alte Schürze um ihre dünne Hüfte gebunden und ein freundliches Lächeln im Gesicht. „Evelyn, was machst du denn hier?", frägt sie ein wenig verwundert.

„Oh, ich habe dir essen mitgebracht. Du hast bestimmt noch nichts gegessen," antworte ich und stelle die Tüte auf den Tresen.

„Sind die Weasleys immer noch nicht zurück?", hackt sie mit hochgezogener Augenbraue nach, einen Blick auf das Essen werfend.

„Nein. Teddy ist auch nicht Zuhause, also dachte ich mir, ich leiste dir ein wenig Gesellschaft, viele Kunden hast du ja nicht," erwidere ich schulterzuckend und sehe mich in dem leeren Laden um.

„Das ist lieb von dir," sagt sie unerwartet ehrlich. „Du kannst dich gerne umschauen. Wir haben ein paar neue gute Romane und ein paar in der Fantasy-Abteilung."

Ich nicke nur und husche durch die Regale. Andächtig fahre ich über die Buchrücken, fühle die Geschichten, die dahinter versteckt sind. Es ist, als hättest du die Möglichkeit in tausend andere Welten einzutauchen und deine eigene für ein paar Stunden zu verlassen. Es ist, als würden hunderte Stimmen dir schwach etwas zuflüstern, als wollten sie dir alle ihre eigene Geschichte erzählen.

Ich bleibe in der Reihe mit den Romanen stehen, lasse meine Augen über die teilweise bekannten Titel huschen. Ich habe Bücher schon immer geliebt, Bücher und ihre ganz besondere Art von Magie. Vielleicht arbeitet Mom deswegen hier, vielleicht ist es ihre Art, ihr altes Leben zu vermissen. Ich konnte mir nie vorstellen, wie man so etwas Wunderbares hinter sich lassen kann, aber an manchen Tagen wünsche ich mir, ich könnte das auch.

Ich lehne seufzend meine Stirn gegen die Geschichten aus anderen Köpfen und schließe meine Augen. Ich fühle mich so eingeengt, so hilflos, so verlassen. Ich wünschte ich könnte mit jemand darüber reden, es jemanden erzählen und endlich die Antwort auf meine unzähligen Fragen finden. Aber ich bin ganz allein damit.

Langsam kann ich ansatzweise verstehen, was Harry schon sein ganzes Leben lang durchmacht. Man quält sich von einem Tag zum anderen, in der Hoffnung etwas zu erfahren und dennoch immer mit der Angst, dass es grauenhaft ist.

Ich schüttle meinen Kopf, vertreibe die Gedanken und ziehe mir Herr der Fliegen aus dem Regal. Ich liebe dieses Buch, seine Geschichte und das, was sich dahinter verbirgt, was man für sein eigenes Leben mitnehmen kann.

Ich fange an zu lesen, versinke in der Welt und bin schon fast so weit, dass ich alles um mich vergessen kann, als mich das heftige und schrille Brüllen der Klingel brutal zurück in die Realität holt. Verwundert blinzle ich durch die Regale, erhasche durch die vielen Buchrücken, einen Blick auf den Eingang. Zwei Männer, dunkel gekleidet mit Kapuzen und von Schatten verdeckten Gesichtern betreten den Laden.

Verwundert runzle ich meine Stirn und presse mich noch dichter an das Regal. Mein Herz schlägt heftig gegen meine Brust und in meinem Kopf beginnen sich die Gedanken zu drehen. Ich kann den Geruch der Angst riechen, kann fühlen, wie sie schleichend und mit scharfen Krallen in mir aufsteigt.

Meine Mutter taucht hinter der Kasse auf, ihre braunen Haare mit den feinen grauen Strähnen ordentlich hochgesteckt und ein ermüdetes schwaches Lächeln auf ihren spröden Lippen. Sie sieht so ausgelaugt, so am Ende aus.

„Wie kann ich ihnen helfen?", frägt sie freundlich, aber ich kann ein leichtes Beben in ihrer Stimme hören. Wer sind diese Männer und was wollen sie hier?

„Wir suchen eine gewisse Grace Moore," erwidert einer der Männer kühl.

„Das bin ich," antwortet meine Mom, ihre Haltung straffend und die Besucher mit funkelnden Augen anblitzend.

Was geschieht hier? Wieso suchen sie nach ihr? Wer sind diese Männer und wieso pocht mein Herz so heftig gegen meine Brust, dass ich das Gefühl habe es springt gleich heraus?

„Das kommt uns gelegen!"

Ich kann kaum einen Laut von mir geben, da zuckt die Hand des größeren Mannes zu seiner Manteltasche, umschließt etwas und holt seinen Zauberstab heraus. Ich hole schneidend Luft.

„Avada Kedavra!"

Die Worte hallen durch die Luft, klingeln in meinen Ohren und lassen mich erstarren. Der Blick meiner Mutter zuckt zu mir, ein letztes Lächeln auf ihren Lippen. Sie schüttelt leicht ihren Kopf. Ich fühle mich wie gelähmt, der schillernde grüne Strahl zuckt durch den Raum. Alles geschieht wie in Zeitlupe. Ich kann hören, wie die Luft durch meine Lunge rasselt, kann spüren, wie sich mein Brustkorb zusammenzieht und dann sehe ich, wie er sie trifft, wie er sie mitten in ihre Brust trifft.

Das Leben in ihr erlischt, ihre Augen werden starr, ihr Körper erschlafft und sie stürzt zu Boden, eine Strähne sich aus ihrem strengen Dutt lösend.

Ich presse mir meine Hand auf den Mund, starre fassungslos und gedankenleer auf ihre Füße. Hastig wende ich meinen Blick ab, presse meinen Rücken gegen das regal und versuche flach zu atmen. Ich fühle mich leer, planlos ziellos.

„Das war's," brummt der eine.

In diesem Moment geschieht es. Mein Buch rutscht mir aus meinen gefühlslosen tauben Fingern und knallt in der Stille wiederhallend auf den Boden. Ich erstarre, mein Blut gefriert in den Adern und ich halte den Atem an.

„Hast du das gehört?", klingt eine Stimme an mein Ohr.

„Das war nichts," brummt der andere. „Komm schon, wir haben den Auftrag erledigt, lass uns gehen!"

Er wirkt nervös fast schon ängstlich. Ich schließe meine Augen, schicke Gebete, weiß nicht, was ich denken soll. Mein Herz rast, mein Körper fühlt sich gelähmt. Ich kann Schritte hören, schwere bedrohliche Schritte.

„Komm schon, da nähern sich Leute," drängelt der eine wieder.

Er steht ganz nah an meiner Reihe. Ich bilde mir fast ein ihn atmen hören zu können. Mein Herz droht aus der Brust zu springen.

„Na gut," brummt er, der Moment ist vorbei. Ich kann die Klingel laut schrillen und die Tür ins Schloss fallen hören.

Ich kann kaum atmen. Mein Kopf beginnt sich zu drehen. Alles wirbelt, alles beginnt zu tosen und zu schreien. Ich weiß nicht, was ich denken soll, was ich tun soll.

Ich höre die Klingel, höre wie die Tür ins Schloss fällt.

Ich sinke nieder, lehne mich gegen das Regal und schließe meine Augen. Und dann passiert es, es erwischt mich in einer heftigen Welle, überschwemmt meinen ganzen Körper und lässt nichts als Verwüstung zurück. Ich kann spüren, wie alles bricht, wie alles in sich zusammenfällt. Ich kann spüren, wie sich tiefe Narben in mein Herz reißen, wie es anfängt zu bluten und die Krallen des erwachten Monsters sich ein neues Opfern suchen.

Ich kann nicht denken, weil sich alles dreht, weil alles wirbelt, ich kann nichts fühlen, weil in mir ein Chaos herrscht, ein tobendes zerstörendes Chaos. Alles wirkt so unecht, so falsch. Der Schmerz in mir scheint zu explodieren. Ich kann nicht atmen. Am liebsten würde ich schreien, schreien, bis die Qualen vergehen, aber es fühlt sich an als würde kein Schrei dieser Welt dem Schmerz, der Zerstörung in mir gerecht werden.

Planlos richte ich mich auf, stehe auf meinen wankenden Bahnen und stolpere auf sie zu, stolpere auf den Körper zu, der all seines Lebens beraubt kalt auf dem Boden liegt. Ihre Augen starren an die Decke, kein Funkeln darin, gar nichts. Ihre Glieder sind schlaff, ihre Brust still.

„Mom!"

Ich fange an zu schreien, rüttle an ihr, brülle ihr ins Ohr, rede mir ein, dass sie noch Leben kann. Ich kann nur spüren, wie alles in mir tobt, wie es kracht und bricht.

Verzweifelt sinke ich neben ihr nieder, meinen Rücken gegen die Kasse gelehnt. Ich schließe meine Augen. Es folgt eine Stille, eine Stille, die noch viel schlimmer als die Welle ist. Alles in mir ist still, leblos und ziellos. Die Wahrheit bricht grausam über mir ein, aber nicht tosend, sondern vollkommen ruhig. Alles, was bleibt ist ein Loch, ein Loch in meinem Herzen und eine so schwere Traurigkeit, dass ich es kaum wage aufzustehen. Ich wünschte ich könnte irgendetwas fühlen, aber alles in mir ist einfach nur leer, leer und so traurig, dass es fast schon wieder gleichgültig ist. Es fühlt sich an, als würde mich jemand unter Wasser drücken, immer und immer wieder. Aber er lässt mich nicht sterben, er lässt mich einfach nicht sterben.

In diesem Moment schrillt wieder Klingel, doch es ist mir egal, es ist mir alles egal.

„Grace?"

Es ist die Ladenbesitzerin, die Frau, die meine Mutter seit Jahren hier anstellt. Ich richte mich auf mit wackligen Beinen und leerem Blick.

„Misses Anderson," wispere ich, „ich habe sie hier gefunden...sie atmet nicht mehr."

Und dann geht alles ganz schnell, zieht an mir vorbei, wie die Wolken am Himmel und der Wind an den Blättern. Ich bin wie in Trance, wie abgelenkt, wie nicht wirklich da. Ich sehe einfach nur zu, als wäre es nicht mein eigenes Leben, in dem ich stecke. Ich sehe, wie Miss Anderson auf meine Mutter zueilt, mich eilig wegschickt und den Krankenwagen ruft. Die Muggel wissen natürlich nicht, woran sie gestorben ist. Ein Sanitäter redet mit mir, doch ich höre ihm nicht zu. Seine Stimme dringt nur unklar an mein Ohr, wie durch Watte hindurch.

Ich fühle mich leer, ausgelaugt, einsam. Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Ich weiß nicht weiter. Ich beharre auf meiner Aussage, dass ich sie gefunden habe. Das Ministerium glaubt mir sowieso nicht, wenn ich ihn von dunklen gekleideten Männern erzähle.

„Kann ich Nachhause gehen?", frage ich irgendwann. Der Sanitäter sieht mich ratlos an. Als er dann aber mit einem seltsam aussehenden Mann redet, der sicher ein Zauberer ist, lässt er mich tatsächlich gehen.

Ich weiß nicht mehr wirklich, wie ich überhaupt nach Hause gekommen bin. Der Weg wirkt verschleiert, undeutlich, seltsam verschwommen, als hätte ich zu viel getrunken. Ich kann nicht atmen. Ich bin vollkommen leer.

Als ich die Tür aufmache treten mir die Tränen in die Augen. Ihr Geruch hängt in der Luft, sie hängt noch in der Luft. Es ist, als würde sie gleich aus einem der Zimmer kommen, als würde sie mich fragen wo ich gewesen bin und mich fragen, ob ich ihr beim Abwasch helfen könnte. Doch es bleibt still, ihre Stimme schallt nicht durch den Raum und ihre hagere dünne Gestalt taucht auch nicht auf.

„Teddy?", meine Stimme klingt schwach und gebrochen.

„Eve," schallt seine unbeschwerte zurück.

Ich höre, wie er die Treppen herunter poltert, wie er vor mir zum Stehen kommt und mich erwartend ansieht.

„Muss Mom heute mal wieder länger arbeiten?" erkundigt er sich.

Ich kann ihn nur anstarren, völlig unfähig irgendetwas zu sagen. Ich will seine Welt nicht kaputt machen, will nicht das Schwert sein, dass sie entzweit. Ich will es ihm nicht sagen müssen.

„Teddy," fange ich an, nach Worten ringend, „Mom kommt nicht wieder."

Er verharrt in seiner Bewegung und sieht mich verwirrt an. Er versteht es nicht, er will es nicht verstehen. Ich muss es aussprechen, muss es unumgänglich machen.

„Was redest du da?"

„Ich war gerade in der Bibliothek und habe sie...gefunden. Sie hatte einen Herzstillstand, sie ist von uns gegangen, Teddy," flüstere ich und merke, wie mir wieder Tränen in die Augen steigen.

Ich dachte, es ist schlimm sie sterben zu sehen, ich dachte, einen qualvolleren Schmerz gibt es nicht, aber in diesem Moment, in diesem Moment, als ich in das Gesicht meines Bruder sehe, als ich zusehen muss, wie er durch meine Worte bricht, wie alles in ihm zugrunde geht, durchfährt mich ein noch viel schlimmerer, einer, der sich tief in mein Inneres gräbt und nicht mehr los lässt.

„Teddy," flüstere ich nur ratlos und ziehe ihn zu mir, versuche ihm den Halt zu geben, den ich in dem Moment nicht hatte. „Es ist okay."

Er fängt an zu weinen, fängt an sich zu winden, doch ich lasse ihn nicht los, halte ihn einfach nur fest, bis er erschlafft und nur noch mit bebendem Körper in meinen Armen liegt. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergeht, wie lange ich mit ihm auf der Couch liege, bis er erschöpft einschläft und ich ihn schweigend zudecke.

Ich weiß nicht wohin mit mir und den Gedanken, weiß nicht, was ich tun oder fühlen kann. Ich fühle mich verlassen. Sie war trotzdem immer da, hatte alles im Griff und jetzt...

Ein leises Pochen an der Tür, reißt mich aus meinem Inneren. Ratlos, wer es sein kann, schnappe ich mir meinen Zauberstab und schleiche zögernd durch den Gang.

„Wer ist da?" frage ich leise. Draußen ist die Sonne schon längst unter gegangen und die Dunkelheit hat sich über die Welt hergemacht.

„Wir sind vom Zauberminsiterium."

Ich atme tief durch und öffne dann, immer noch mit meinem Zauberstab bewaffnet, die Türe. Und tatsächlich, zwei Männer mit langen Mänteln und ernsten Gesichtern stehen vor mir, einen Aktenkoffer in den Händen.

„Misses Moore?"

Ich nicke nur wortlos und trete beiseite. Mich wundert es, dass sie so spät dran sind, dass sie erst jetzt kommen, um mir zu sagen, dass Teddy einen neuen Vormund braucht. Das Leben ist brutal.

„Setzten sie sich in die Küche, mein Bruder schläft im Wohnzimmer," murmle ich mit leiser schwacher Stimme. Ich deute nur auf die zwei Stühle und lehne mich gegen das Fensterbrett.

„Wir bedauern Ihren Verlust und wir wissen, dass Ihre Mutter erst kürzlich gestorben ist, aber Theodore Moore ist leider nicht volljährig und braucht daher umgehend einen Erziehungsberechtigten. Wir haben das Testament von Grace Moore und möchten mit Ihnen gemeinsam die Frage nach dem Vormund klären," beginnt der eine ziemlich kühl.

Ich seufze nur. Alles schmerzt, alles ist wund und aufgerissen. Ich kann kaum atmen, noch denken, noch fühlen. Ich bin seltsam leer, seltsam ratlos und allein, aber ich weiß, dass Teddy mich braucht und dass er es ohne meine Hilfe nicht schafft. Und ich weiß, dass sie es so gewollt hätte.

„Okay, fangen sie an und machen sie es schnell," murre ich leise.

„Nun gut, ihre Mutter vererbt Ihnen alles, weil sie volljährig sind. Ihrem Bruder steht die Hälfte zu, aber sie vertraut Ihnen, dass sie es ihm geben, wenn er ebenfalls das Alter von siebzehn erreicht hat," erklärt der andere und will mir ein Dokument aus seinem Koffer reichen. Ich lehne allerdings ab. Ich könnte es nicht ertragen ihre zittrige Handschrift zu sehen, ihre feine zittrige Handschrift.

„Was den Erziehungsberechtigten betrifft kommen zunächst nur Sie in Frage. Ihr Vater ist ein Muggel und somit unsere zweite Wahl," erklärt der eiskalte Typ. „Ich würde es gerne für meinen Bruder machen," murmle ich leise.

„Dann gibt es einiges zu beachten. Sie haben in einer Woche einen Termin im Ministerium," er schiebt mir eine kleine Karte zu, „bei dem Sie ein paar Mitglieder unseres Rates davon überzeugen müssen, dass Sie dafür geeignet sind. Sie brauchen bis dahin eine nachweisbare Geldquelle und müssen gewisse Fähigkeiten aufweisen."

Ich starre den Mann an. Er sagt es, als würde ich mich für einen Wettkampf bewerben, als würde es hier nicht darum gehen, dass meine Mom vor Stunden gegangen ist und ich mich jetzt um meinen kleinen Bruder kümmern muss. Ich seufze. Wahrscheinlich ist es das Einzige, was ich tun kann, das Einzige, was mich von der Leere befreien kann. Mich um Teddy kümmern und ihm das Leben schenken, dass er verdient. Ich wische mir eine Träne von meinen Wangen und nicke schwach.

„Okay, ist das alles?"

Die Männer nicken und richten sich auf, ihre Koffer synchron zuklappend. Ich würdige sie keines Blickes. Es widert mich an wie sie da stehen im Glauben etwas gutes zu tun.

„Auf Wiedersehen," sage ich noch, als ich sie zur Tür begleite und kaum, dass sie die Schwelle übertreten haben, sie auch schon wieder schließe.

Ich warte bis ihre Schritte verklingen, bevor ich mich seufzend im Gang niederlasse und an die Decke starre. Heiße Tränen kullern mir über die Wange. Ich muss stark sein, ich muss für Teddy stark sein. Ich muss ihn trösten, muss ihm helfen das zu überstehen. Ich schließe meine Augen. Ich schaffe das schon, irgendwie...

Ich weiß nicht, wie lange ich dort sitze, bevor ich in die Küche schleiche, um mir einen Tee zu machen. Ich fühle mich immer noch taub, kraftlos und leer. Seufzend suche ich hinten im Schrank nach meiner Lieblingskräutermischung, als mir eine abgegriffene Packung zwischen die Finger gerät. Verwundert ziehe ich sie hervor und betrachte sie im schwachen Licht der Lampe.

Es ist eine Zigarettenschachtel, eine alte Zigarettenschachtel. Zögernd öffne ich sie. Eine Stange ist noch darin. Ich seufze in mich hinein. Ich wusste doch, dass sie raucht, ich wusste es doch. Für einen Moment stehe ich unschlüssig herum und starre auf meine Hände.

Ach, was soll's, ich rauche die letzte Stange ihr zu Ehren. Wortlos schnappe ich mir meinen Mantel, lehne die Haustüre a und setzte mich im Dunkeln auf die Veranda. Es ist schon längst nach Mitternacht, alles ist still und ein lauer Wind weht über das Dorf.

Wortlos hole ich meinen Zauberstab hervor, nehme die Stange aus der Schachtel und zünde sie mir an. Sie glüht rötlich auf, scheint das einzige Licht in meiner Umgebung zu sein, der letzte Funken Hoffnung. Zögernd stecke ich sie mir in den Mundwinkel und nehme einen tiefen Zug.

Alles krazt, beißt und qualmt in mir. Am liebsten würde ich husten, mich übergeben, doch ich bleibe ganz ruhig auf dem Stuhl sitzen und blase den Rauch hinaus in die kalte Nachtluft. Es betäubt einen, lenkt einem ab von den Schmerzen, von den Krallen, die mich Zerreißen, von der unbarmherzigen Stille in mir.

Ich schließe meine Augen, genieße den Augenblick und lasse den Qualm meinen Hals und Rachen zerfetzten. Es übertrumpft den Schmerz, lässt es mich ertragen, lässt es einfacher werden. Es beruhigt mich, vertreibt meine Gedanken aus dem Kopf und erwürgt sogar meine innere Stimme, die sich schon wieder leise wispernd gemeldet hat.

Als sie zuende ist, bin ich fast enttäuscht und auch ein wenig ängstlich. Es hat so gut funktioniert, es hat so schön geklappt. Gerade, als ich die Packung nehmen will, um wieder rein zu gehen und zu schlafen, passiert etwas wunderliches.

In der Schachtel liegt eine neue einzelne Zigarette, die vorhin noch nicht da gewesen ist. Zuerst bin ich verwirrt, zweifle an meiner Wahrnehmung, bevor ich ganz leise in ein gebrochenes Lachen verfalle. Mein Blick richtet sich hinauf zu den klaren silber funkelnden Sternen.

„Ich habe doch gewusst, dass du die Magie nicht ganz verlassen hast, ich habe doch gewusst, dass ein Teil von dir diese Seite immer noch geliebt hat," flüstere ich leise, gleichzeitig lachend und weinend.

Sie hat die Schachtel verzaubert, hat aus etwas alltäglichem etwas magisches gemacht. Jedes Mal, wenn man sich die vermeidlich letzte Zigarette anzündet, erscheint eine neue.

Und obwohl ich nicht wirklich weiß, was ich fühlen soll, obwohl es mich einerseits unglaublich glücklich macht und andererseits zum Weinen bringt, fühlt es sich ein aller letztes Mal so an, als wäre ich ihr ganz nah, als wäre sie noch hier. Ich greife zu der Zigarette in dem Wissen, dass es eine Sucht werden wird.

Sie glüht wieder auf, betäubt mich mit ihrem Rauch und lässt mich wieder atmen. Sie ist gegangen, sie wird nie wiederkommen und ich muss damit leben. Schmerz brandet auf. Ich kann nichts tun, nichts, um es wirklich ernsthaft leichter zu machen. Ich kann nur warten und hoffen, dass es eines fernen Tages besser wird.

„Ich versuche mein bestes, Mom, okay?", flüstere ich leise mit geschlossenen Augen. „Ich versuche mein bestes." 


Der zweite Teil meiner Geschichte hat hiermit angefangen. Ich werde in den nächsten Wochen wahrscheinlich nicht jede Woche eine Kapitel hochladen können, weil meine vorgeschriebenen sich langsam dem Ende neigen. Ich hoffe euch gefällt die Story und es würde mich echt freuen, wenn ihr den ein oder anderen Kommentar hinterlasst. Die Spannung und Story, die ich mir überlegt habe gehen jetzt erst richtig los, also bleibt dran. Sonst euch allen noch ein schönes Wochenende. 

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