Kapitel 1: Sommerferien

Ich stehe, gehüllt in einen langen Mantel und mit einer riesigen Tasse Tee in der Hand, auf unserer kleinen Veranda und beobachte schweigend, wie die Sonne langsam den Himmel entlang klettert. Es ist angenehm ruhig, am Rande des Dorfes.

Außerdem ist unser Garten wunderschön. Alles ist grün und zugewachsen. Die hohen Bäume, uralte Eichen, werfen lange Schatten auf unser kleines Haus und füllen fast den ganzen Garten. Die Wildblumen und Sträucher wachsen durcheinander und geben nur einen schmalen Weg zu unserem Gartentor und der uralten Hollywood-Schaukel unter der alten Eiche frei.

Auch, wenn es nicht groß ist, liebe ich alles hier. Nicht nur, weil es zu meiner Kindheit gehört und voller Erinnerungen ist, sondern auch, weil es so gemütlich und vertraut ist.

Ich höre meine Mutter klappernd in der Küche abwaschen. Ich seufze leise in mich hinein. Ich kenne keine Hexen oder Zauberer, die sich von ihrer angeborenen Magie abgewandt haben, die einer geliebten Welt den Rücke zugekehrt haben, doch meine Mutter ist eine. Seit langem will sie nichts mehr mit der Magie zu tun haben.

„Was machst du denn noch hier?", frägt sie ein wenig überrascht, als sie mich durch das offene Küchenfenster entdeckt.

„Ich geh gleich rüber, wenn du mich loswerden willst," gebe ich grinsend zurück.

Ein Lächeln huscht über ihr gealtertes Gesicht. Das Leben war nicht immer fair zu ihr.

„Manchmal bereue ich es, dich damals mitgenommen zu haben," scherzt sie, weiter das Geschirr spülend.

Ich lächle sie an. Sie hat schon immer alles für uns getan, alles, was ihr möglich war. Und das tut sie heute noch.

„Guten Morgen!", ertönt die Stimme meines Bruders.

Geschickt huscht er an mir vorbei und setzt sich, wie immer noch im Schlafanzug, an den noch halb gedeckten Frühstückstisch auf der Veranda. Er ist fast so groß wie ich, obwohl er gute drei Jahre jünger ist. Allerdings liegt das wahrscheinlich daran, dass ich unfassbar klein bin.

„Warum heute schon so früh wach?", frägt er mich mit verschlafenen dunklen Augen.

„Ich gehe gleich zu den Weasleys," antworte ich. „Georg und Fred wollen mir was zeigen."

Er nickt nur und beginnt zu essen. Meine Mutter betrachtet ihn mit einem liebevollen Lächeln. Manchmal würde ich ihr gerne helfen über ihren Schmerz hinweg zu kommen, doch es ist eine Art von Schmerz, die einfach nicht heilen will.

„Ich mach mich dann auf den Weg," sage ich dann, meiner Mutter durchs Fenster meine Tasse reichend.

„So?", frägt sie, eine Augenbraue hochziehend und skeptisch auf meinen Morgenmantel weisend.

„Nein, ich zieh mir noch was anderes an und verschwinde dann durch die Hintertür," erkläre ich augenverdrehend, bevor ich durch die Tür ins Wohnzimmer schlüpfe.

Hastig husche ich durch den Raum in den kleinen Gang dahinter und direkt in mein Zimmer. Es ist sicher nicht geräumig, aber groß genug, dass ein Bett, ein Schrank und ein kleiner Schreibtisch hineinpassen. Wahllos ziehe ich eine kurze Hose und ein Oberteil aus meinem Schrank, werfe es mir über und schlüpfe dann noch in meine alten Convers, bevor ich durch die Tür in meinem Zimmer in unseren Garten gehe.

Die Sonne scheint vom Himmel, die Vögel zwitschern vor sich hin und die Luft scheint still zu stehen. Das wird ein heißer Nachmittag. Mit einem Lächeln auf den Lippen, hieve ich mich wie schon immer über den Hüfthohen Zaun, auf das anliegende Feld. Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Weg schon gegangen bin, wie oft ich schon über das unbebaute Land gelaufen bin, die Sonne in meinem Rücken und meine Haare im leichten Wind wehend. Aber es fühlt sich an, als wäre das immer schon so gewesen.

Schweigend laufe ich über das Gelände, das mit der Zeit immer weiter ansteigt. Und irgendwann, wenn man weit genug oben auf dem kleinen Hügel steht, kann man ihn sehen. Den Fuchsbau.

Dieses schräge Haus ist ohne Zweifel mein zweites Zuhause. Ich liebe den Kamin, aus dem sich im Winter immer Rauch kringelt, den unaufgeräumten Garten, den Schuppen mit den Hühnern und das verschnörkelte Haus mit seinen vielen Zimmern und Anbauten. Es ist so individuell, so einzigartig, dass man sich eigentlich sofort zuhause fühlen muss.

Schnaufend bleibe ich auf der Spitze des Hügels stehen und blicke hinunter in das kleine Tal, das zu meinen Füßen liegt. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber ich kann bis hier Molly in der Küche herumwuseln sehen. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Es ist wunderschön. Der Fuchsbau, die endlos grüne Wiese, die sich wie ein Meer bis an den Horizont ergießt, mittendrin der in der Sonne funkelnde See und ganz rechts der Wald mit seinen hohen schattenspendenden Bäumen. All das hier, jeder Ort, den ich hier sehen kann, ist gefüllt mit Erinnerungen.

Mit einem breiten Lächeln stapfe ich den Hügel hinunter und steuere direkt auf den Fuchsbau zu. Es war das größte Glück meines Lebens, dass meine Mom mich damals in Mollys Hände gegeben hat, weil sie arbeiten musste. Sonst hätte ich diese wundervolle und liebenswerte Familie nie kennen gelernt.

Ein wenig aus der Puste klopfe ich energisch an die Tür des Fuchsbaus. Kurz verstummt das Geklapper und die Stimmen, bevor ich Schritte höre und im nächsten Augenblick Molly, eine Schürze um die Hüfte gebunden, die Tür aufreißt.

„Evelyn!", ruft sie erfreut, als wäre es eine Überraschung, dass ich vorbeischau.

„Molly," erwidere ich und lasse eine erdrückende Umarmung über mich ergehen.

„Du bist ja heute früh dran," sagt sie verwundert. „Hast du schon gefrühstückt?" Ich schmunzle in mich hinein. „Ja, Molly, ich habe schon gefrühstückt," antworte ich und folge ihr in die offensichtlich ein wenig überfüllte Küche.

Ron, Ginny und Percy sitzen zusammengequetscht hinten auf der Bank und meine Zwillinge sitzen auf ihren Stühlen.

„Schön, dass du da bist," rufen sie sich gleichzeitig und drehen sich mit funkelnden braunen Augen zu mir um. Das lässt mich nichts Gutes ahnen.

„Wie geht es Grace?", frägt mich Molly, während ich Arthur, der geschäftig seine Zeitung liest, freundlich zunicke.

„Gut," antworte ich knapp, obwohl ich genau weiß, dass das eine Lüge ist. Meiner Mutter geht es schon seit einer langen Zeit nicht mehr gut.

„Und Teddy?"

„Auch gut," antworte ich, in Gedanken daran, wie sehr meinen Bruder unseren Vater bist heute vermisst.

„Mom, löchere Evelyn nicht immer so," murrt Fred in meine Richtung die Augen verdrehend. Ich grinse. „Wir gehen hoch, okay?", sagt dann Georg, während sich die beiden hastig aufrichten.

„Ja, einverstanden."

Mit einem breiten Grinsen packen die beiden mich links und rechts am Handgelenk und schleifen mich eilig rauf in ihr Zimmer. Überfordert sehe ich die beiden an.

„Was um alles in der Welt ist in euch gefahren?", frage ich meine Stirn runzelnd.

Doch die beiden antworten erst gar nicht. Fred schließt hastig die Tür und Georg kriecht ächzend unter sein Bett und zieht einen alten Karton hervor.

„Hallo, was ist los mit euch?", frage ich ein wenig genervt davon, dass die beiden mir wohl keine Antwort auf meine Fragen geben wollen.

„Jetzt entspann dich Eve," gibt Fred zurück.

Ich werfe ihm einen bösen Blick zu. Er weiß ganz genau, dass ich es hasse, wenn er mich so nennt.

„Fred, nerv sie nicht," ermahnt ihn sein Bruder, der mich entschuldigend ansieht.

Mit schief gelegtem Kopf stemme ich meine Hände in die Hüfte und funkle die beiden abwechselnd an.

„Was geht hier vor?"

„Alsoo," beginnt Georg in seinen Augen ein aufgeregtes Funkeln, „wir haben über die letzten Ferien Wochen an etwas gebastelt." Fred stellt sich eifrig an seine Seite. „Du bist die erste Person, der wir es sagen und du musst versprechen, dass du es absolut niemand weitersagst."

„So geheim kann es...", beginne ich, werde aber von den Zwillingen energisch unterbrochen. „Versprich es!"

Ich verdrehe meine Augen und sehe sie wenig überzeugt an. Doch sie scheinen nicht nachlassen zu wollen.

„Na gut, ich verspreche hoch und heilig, dass ich niemand was sagen werde. Wollt ihr mich jetzt endlich einweihen?"

Ihr Grinsen scheint nur noch breiter zu werden, bevor sie gleichzeitig schwungvoll den Deckel vom Karton reißen und ihn mir stolz entgegenstrecken. Doch ein wenig neugierig, was die zwei Mal wieder ausgetüftelt haben, strecke ich meinen Kopf und schaue hinein. Verwundert runzle ich meine Stirn.

„Sind das Süßigkeiten?", frage ich ein wenig verwirrt.

„Ja, es sind Süßigkeiten," beginnt Fred hastig. „Aber es sind nicht irgendwelche!", fügt Georg hinzu. „Es sind Scherzartikel!", enthüllen sie gemeinsam ihre Augen funkelnd vor Stolz, das, was sie mir wohl die ganze Zeit verheimlicht haben.

„Scherzartikel?", murmle ich, verwundert und begeistert zugleich, auch, wenn ich noch nicht ganz weiß, was ich davon halten soll.

„Ja, Scherzartikel," wiederholt Fred breit grinsend. „Wenn du das hier," er zieht ein Toffee aus dem Karton, „isst, dann schwillt deine Zunge an und wird ganz lang."

Ich starre abwechselnd zu Fred und Georg, die mich mit großen Augen erwartend ansehen. Dann wandert mein Blick wieder zu dem Karton, der gefüllt von verschiedenen Erfindungen ist, die ich ehrlich gesagt, nicht wirklich alle zuordnen kann.

„Das ist wunderbar," flüstere ich und sehe die beiden an. „Das ist...perfekt."

Das Strahlen in den Gesichtern der beiden wird noch größer. Ich muss bei dem Anblick lauthals anfangen zu lachen.

„Ihr seht köstlich aus," amüsiere ich mich, sehr zum Missfallen der Zwillinge.

„Also, dir gefällt es, oder?", frägt Georg sicherheitshalber.

„Ja," antworte ich mit Nachdruck. „Das steckt in eurem Blut. Aber was wollt ihr damit machen? Und vor allem, was zum Teufel ist das alles?"

Meine Zwillinge scheinen sehr erfreut über die Frage. Die Antworten sprudeln nur aus ihnen heraus. Man merkt ihnen deutlich an, dass es ihnen zu schaffen gemacht hat über ihre unglaublichen Erfindungen schweigen zu müssen.

„Wir wollen damit einen Scherzartikelladen aufbauen," erklärt Fred. „Also, wir haben bis jetzt noch nicht allzu viel, aber eben schon bisschen etwas. Die Toffees kennst du ja schon. Dann haben wir Juxzauberstäbe kreiert, die sich in etwas verwandeln, wenn man sie in die Hand nimmt." Fred grinst mich an und Georg beginnt weiter zu erzählen: „Dann haben wir noch viele Arten von Schreibfedern entwickelt, die aber noch nicht ganz alle funktionieren. Wir haben da einen Rechtschreibchecker und eine Schlaue-Antworten-Feder, die aber noch nicht ganz funktioniert. Das hier sind Langziehohren. Damit kann man andere Leute belauschen."

Er hält mir ein fleischiges kleines Ohr an einer Schnur vor die Nase. Ich sehe ihn ein wenig skeptisch an.

„Funktioniert das alles auch?", frage ich die beiden.

„Der Großteil funktioniert tatsächlich," antworten sie stolz. „Aber, naja bei manchen Zaubern fehlt uns einfach das Wissen."

Sie kratzen sich am Kopf und sehen mich dabei beide unauffällig an. Mein Blick zuckt zwischen den beiden hin und her.

„Ihr wollt, dass ich euch helfe?", schließe ich.

„Naja, wir brauchen eine begabte Hexe und wir kennen niemanden außer dich," beginnen sie mich mit ihrem Schmollmund anlächelnd.

„Ich habe doch keine Ahnung, wie sowas geht," murre ich, wenig begeistert davon meine Sommerferien damit zu verbringen Scherzartikel zu entwerfen.

„Ach komm schon, du bist so gut in Zaubertränke und das sind meistens die Stellen an denen bei uns," Fred zögert kurz, „alles explodiert."

Ein Grinsen huscht über meine Lippen. Die beiden sind wirklich absolute Nieten in Zaubertränke, was meistens sehr zu meiner Belustigung in Snapes Unterricht führt.

„Na gut, ich helfe euch," gebe ich klein bei.

„Wunderbar!", rufen die beiden, sich abklatschend.

„Dann musst du heute wohl ein wenig länger bleiben und uns bei diesem einen Trank helfen, den wir seit Wochen einfach nicht hinkriegen," erklärt mir Fred eifrig, während Georg hastig den Karton schließt und ihn wieder unter sein Bett schiebt.

„Wieso..."

Die letzten Worte bleiben mir im Hals stecken, als die Tür mit einem lauten Knall aufgerissen wird und Molly die Hände in die Hüfte gestemmt im Zimmer steht.

„Ihr habt die Hühner wieder nicht gefüttert, Jungs," schimpft sie, kaum, dass sie eingetreten ist. Die Zwillinge sehen sich an. „Los, sofort runter mit euch!", befiehlt Molly mit einer ausladenden Bewegung.

Der Blick meiner zwei besten Freunde zeigt eindeutig, dass sie sich einig sind, dass es jetzt nichts bringt zu diskutieren.

„Schon gut, Mom," beschwichtigt Fred sie, „wir gehen ja schon runter," beendet Georg den Satz und zieht mich mit einem unsicheren letzten Blick in Richtung seines Bettes aus dem Zimmer.

Schweigend poltern wir zu dritt die Treppen hinunter, schlüpfen im Gang in unsere Schuhe und stapfen dann raus in die warme vormittags Sonne.

„Scheint heute warm zu werden," stellt Fred fest, seine Augen mit seiner flachen Hand schützend und gen Himmel blickend.

„Vielleicht können wir später, wenn Charlie kommt an den See gehen," murmelt Georg, während sein Bruder lautstark die Tür zum abgedunkelten Hühnerstall öffnet.

„Charlie kommt?", frage ich neugierig.

Die Zwillinge verharren augenblicklich in ihrer Bewegung und drehen sich ein fettes Grinsen auf ihren Lippen zu mir um. Ich verdrehe meine Augen, weil ich schon weiß, was jetzt kommt.

„Bei dem Namen Charlie ist es plötzlich interessant, was wir sagen, nicht?", flötet Fred. Ich schnaube nur verächtlich. „Vorhin bei unserer genialen neuen Erfindung warst du kaum begeistert, aber, wenn natürlich der Name Charlie fällt, bist du voll und ganz interessiert."

„Vielleicht sollten wir eines unserer Produkte Charlie nennen, dann hilfst du uns doch sicher viel lieber," witzelt Georg und bringt damit seinen Bruder zum Lachen.

Ich finde das allerdings gar nicht lustig und werfe den beiden böse Blicke zu. Wortlos schnappe ich mir den Kübel voller Futter und stapfe in den Hühnerstall, der ziemlich stickig angesichts der Sonne ist, die den ganzen Tag auf das alte Holz scheint.

„Solltet ihr nicht die Hühner füttern?", frage ich, ein kläglicher Versuch vom Thema abzulenken.

„Wieso weichst du denn so aus?", provoziert mich Fred. „Willst du denn nicht über Charlie reden?", macht Georg weiter. Die zwei haben sichtlich Spaß an der Sache.

„Jungs," stöhne ich entnervt und wirble zu ihnen herum. „Zum letzten Mal, ich steh nicht auf Charlie, ich will nichts von ihm und ihr sollt einfach damit aufhören."

Die beiden sehen mich erst ein wenig schockiert an. Normalerweise bin ich nicht ausfallend oder genervt. Doch dann schleicht sich wieder das mir wohlbekannte und seltsam identische Lächeln auf die Lippen der beiden.

„Warum denn gleich so wütend?", fragen sie.

Ich schüttle nur meinen Kopf und wende mich von den beiden ab. Schweigend werfe ich ein wenig lustlos die Körner den gackernden Hühnern zu. Ich kann förmlich die Blicke der beiden in meinem Rücken spüren.

„Ach komm schon, Evelyn, wir machen nur Spaß," beginnt dann Georg und stellt sich neben mich.

„Wir wollen wirklich deine Gefühle für Charlie nicht verletzten," sagt Fred, ein verstohlenes Grinsen in seinem Gesicht.

„Du kannst es nicht lassen," murre ich, kann mir aber selbst ein Schmunzeln kaum verkneifen. „Ich hasse euch beide," sage ich dann noch, bevor ich, zwei lachende Zwillinge hinter mir, den Schuppen verlasse, die Tür hinter mir offen lassend, damit die Hühner raus in einen herrlich warmen Sommertag können.

„Morgen kommen übrigens auch Hermine und Harry," teilen mir die beiden, jeder ein Arm über meine Schulter legend, mit.

„Wollt ihr mir sagen, dass ich damit nicht mehr erwünscht bin?", frage ich kühl.

„Neein, du bist unersetzbar für uns," erwidern die beiden.

Zu spät merke ich, dass etwas faul ist an der Situation. Und schon liege ich im Gras, dass unangenehm im Gesicht kratzt und werde von zwei grinsenden Zwillingen durchgekitzelt. Erschrocken japse ich nach Luft und kreische auf. Wenn ich eine Schwäche habe, dann, dass ich zu hundert Prozent gefühlt überall kitzlig bin. Das nutzen meine liebenswerten Freunde natürlich gerne aus.

„Aufhören! Aufhören," kreische ich erfolglos im Gras strampelnd.

In dem Moment ertönt ein Knall, ein Knall der seltsam in dem kleinen Tal wiederhallt und sich verbreitet, wie eine Welle. Die Zwillinge hören für eine Sekunde vor Schreck und Neugier auf. Das nutze ich, um mich hastig aus ihren Armen zu befreien, mich aufzurichten und mich schwungvoll umzudrehen, um zu sehen, wer mein Retter ist.

Direkt vor mir, kaum eine Nasenspitze entfernt, steht ausgerechnet Charlie. Seine langen dunkelroten Haare sind zu einem lockeren Dutt gebunden, sein T-Shirt ist hochgekrempelt und auf sein Gesicht stielt sich ein leichtes Lächeln.

„Schön dich auch mal wieder zu sehen," sagt er grinsend und streichelt mir über den Kopf.

Ich verdrehe nur meine Augen, kann aber nicht anders, als ihm auch zuzulächeln. Er hat wie immer, wenn ich ihn sehe, wieder eine Brandwunde mehr.

„Kann ich zurückgeben."

Er lächelt mich noch einmal an und begrüßt dann seine zwei Brüder, die es natürlich nicht lassen können mir Blicke zuzuwerfen. Ich seufze. Das werde ich wohl nie wieder los. Ehrlich gesagt weiß ich nicht einmal, wie das Gerücht entstanden ist, dass ich auf Charlie stehe. Ganz leugnen kann ich es wahrscheinlich nicht, aber die Zwillinge übertreiben es auf jeden Fall.

„Wo ist der Rest?" frägt Charlie, ein charmantes Grinsen auf den Lippen.

„Noch drinnen," antwortet Georg prompt. „Wie wäre es, wenn wir gleich alle an den See gehen? Ich meine wir alle zusammen."

„Na, klar. Ich begrüße nur noch den Rest der Bande und ihr könnt ja schon mal vorgehen," antwortet er.

Die Zwillinge werfen mir einen vielsagenden Blick zu. Ich verdrehe nur meine Augen und schüttle meinen Kopf.

„Was sprecht ihr für eine Geheimsprache?", frägt Charlie lachend.

„Keine," murre ich, packe die Zwillinge und schleife sie unter Charlies belustigten Blicken in den Fuchsbau. „Hört auf mich zu nerven. Ihr braucht meine Zaubertrankkenntnisse, also reißt euch gefälligst zusammen."

Die beiden sehen mich an. Belustigt und verärgert zu gleich. Ich verdrehe erneut meine Augen, bevor wir zu dritt die Treppe hoch huschen und in das Zimmer der beiden verschwinden. Da ich gefühlt im Fuchsbau wohne, habe ich bei meinen Freunden immer einen Bikini gelagert, falls wir spontan an den See gehen wollen.

„Ich hole Ginny," sage ich, einen letzten mahnenden Blick an die Zwillinge. Lautlos husche ich den Gang entlang und klopfe an der letzten Tür in der Etage.

„Herein!"

Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen trete ich in Ginnys Zimmer, das mit Abstand das schönste im ganzen Haus. Es hat ein riesiges Fenster mit einem breiten Fensterbrett, auf das Ginny lauter Kissen und Decken gelegt hat.

„Wir gehen baden!"

Auf ihr Gesicht schleicht sich nun auch ein Grinsen. Wir haben beide eine Schwäche für den Sommer, heißes Wetter und baden. Obwohl ich eigentlich die ganze Zeit bei Fred und Georg bin, hatte ich mit Ginny schon immer eine Verbindung. Sie ist für mich wie eine Schwester, die ich leider nicht habe. Ich kenne sie gefühlt schon immer, seit sie ein kleines freches Kind ist.

„Charlie ist übrigens gerade angekommen," teile ich ihr bemüht beiläufig mit. „Er geht auch mit."

„Daher also deine Vorfreude," scherzt sie, mich mit funkelnden Augen anblickend.

„Nicht du auch noch," murre ich genervt. „Aber glaub ja nicht, dass du das nicht zurückbekommst!"

„Nein," jammert sie, ganz genau wissend, auf wen ich anspielen will. „Aber jetzt mal im Ernst, ist es wirklich nur ein Gerücht mit dir und Charlie?"

Ich stehe mit dem Rücken zu ihr und werfe mir gerade mein enges T-Shirt über meinen angezogenen Bikini. Ich kann spüren, wie sie mich mustert, wie sie gespannt auf eine Antwort wartet.

„Ja, es ist ein Gerücht. Ich will nichts von Charlie," antworte ich dann. Ich hasse es über das zu sprechen, was ich fühle, über das, was sich ganz tief in meinem Herzen verbirgt.

„Das war eine fette Lüge," stellt sie sich ein Handtuch über die Schulter werfend fest.

„War es nicht," beharre ich kühl auf meiner Antwort, die natürlich nicht ganz richtig ist. Aber was spielt das schon für eine Rolle? Es ist nämlich tatsächlich ein Gerücht, dass jemals zwischen Charlie und mir etwas war. Wenn dann war und ist es immer eine einseitige Sache...

„Lass uns baden gehen," lenke ich hastig vom Thema ab, Ginnys eindringlichen Blick ignorierend.

Schweigend trampeln wir die geschwungene Treppe hinunter und werden unten schon von zwei sehnsüchtig wartenden Zwillingen erwartet.

„Gings noch langsamer," murrt Fred. Ich grinse ihn nur schulterzuckend an.

„Na, dann, los geht's!"

Wir treten hinaus ins Freie. Die Sonne strahlt vom wolkenlosen blauen Himmel. Die Luft scheint vor Hitze zu flimmern. Es ist wirklich unglaublich heiß und der absolut richtige Tag, um an den kleinen See neben dem Wald zu gehen.

Wir ziehen los, allen voran Charlie und Percy, der natürlich ein Buch dabei hat, danach zwei scherzende Zwillinge, dahinter Ginny und ich und als letzter ein vor sich hin motzender Ron. Ich weiß nicht wie oft wir im Sommer schon zum See gelaufen sind, wie viele Erinnerungen ich an heiße Tage und baden mit den Weasleys habe. Manchmal fühlt es sich an, als würde ich einfach dazugehören, als wäre ich ein Teil dieser wundervollen Familie. Und dafür bin ich unglaublich dankbar.

Die Sonne strahlt vom Himmel, Vögel zwitschern in der Ferne und ein ganz leichter warmer Wind weht durch meine hochgesteckten Haare. Ich grinse dem Blau entgegen, dem unendlichen Blau über mir. Ich liebe den Sommer.

Der Wind trägt unser Lachen durch das Tal, verbreitet es in der Welt, als gäbe es nichts außer uns und die endlos wirkenden Felder. Es fühlt sich fast so an, als würde man in einem Meer stehen, in einem Meer, dass im Takt des wispernden Windes weht, im Takt einer für uns unverständlichen Melodie.

„Wer zuerst im Wasser ist hat gewonnen," rufen Fred und Georg, kaum, dass der See in Sicht ist.

Ich lache laut auf und stürme den zweien hinterher. Ich kann den Wind spüren, wie er mich umgibt, kann die warmen Sonnenstrahlen auf meiner nackten Haut fühlen und das Licht, das sich in den roten Haaren der Jungs vor mir verfängt.

Natürlich sind sie vor mir im Wasser. Sie hatten ja auch einiges an Vorsprung.

„Verloren!", ruft Fred.

Sekunden später werde ich untergetaucht. Eisig kaltes Wasser umgibt mich. Verzweifelt strample ich mit den Beinen, um den festen Griff von Fred loszuwerden, doch es scheint uferlos. Plötzlich wie dank Zauberhand, lässt Fred los und ich kann an die Oberfläche schwimmen. Gierig schnappe ich nach Luft und erblicke Sekunden später meinen Retter. Es ist Charlie, seine langen Haare nass und offen über seine Schulter fallend. Ich sehe hastig weg.

„Das war eine Kriegsansage!", brüllt Georg, seine Faust in die Luft streckend.

Von einem Augenblick auf den anderen befinden wir uns in einem Tunkungskrieg zwischen Charlie, Ginny und mir und Fred, Georg und Ron. Percy hält sich wie üblich aus dem Geschehen raus und liest am Ufer lieber ein Buch.

Die Sonne strahlt vom Himmel, spiegelt sich im aufgewühlten Wasser. Die heiße Luft scheint drückend auf unseren Schultern zu liegen. Umso besser sind die plötzlichen Abkühlungen in dem wirklich kalten Wasser.

„Na, warte," rufe ich lachend und stürze mich auf Georg, der sich ein Spaß draus gemacht hat mich immer und immer wieder mit dem Kopf unter Wasser zu tunken.

Er verliert sein Gleichgewicht und fällt mit einem tosenden Platschen. Ich juble lachend.

„Mein geliebter Bruder," erklingt Freds theatralische Stimme.

Ich wirble herum und versuche ihn durch Wasser spritzen abzuhalten. Doch er kommt unaufhaltsam immer näher. Als sich plötzlich von hinten unerwartet angegriffen werde, schreie ich kurz auf, bevor meine Stimme erstickt wird und sich um mich herum wieder nur Wasser befindet. Sekunden später tauche ich prustend wieder auf und muss lachend feststellen, dass Charlie die Zwillinge verjagt hat.

„Wie kannst du mit den zwei Chaoten befreundet sein, wenn sie dich so behandeln?", frägt er lachend, seine nassen Haare nach hinten werfend.

„Frag mich was leichteres," erwidere ich grinsend, die Zwillinge beobachtend wie sie aus dem See steigen und sich mit unübersehbaren Blicken auf ihre Handtücher neben ihre kleine Schwester Ginny legen.

„Sicher, dass du mir eure Geheimsprache nicht erklären willst?", frägt Charlie, während wir langsam aus dem Wasser waten.

„Wenn ich sie dir verraten würde, dann wäre es keine Geheimsprache mehr. Außerdem verstehe ich meistens auch nur die Hälfte. Ich fürchte das ist so ein Zwilling-Ding," antworte ich ihm.

„Ich habe dich immer bewundern, wie du die zwei auseinanderhalten kannst," sagt er lachend, sich nebenbei mit seinem Handtuch abtrocknend.

„Ich weiß gar nicht, warum ich das kann. Wahrscheinlich verbringe ich viel zu viel Zeit mit den beiden Nervensägen," sage ich ein Schmunzeln auf meinen Lippen.

„Hey," kommt es von Fred und Georg gleichzeitig. „Wir sind keine Nervensägen!"

„Doch seid ihr," brummt Percy. „Wie soll man sich bei eurem ständigen Rumgealber und Geschrei konzentrieren?"

Die Zwillinge und ich brechen in schallendes Gelächter aus. Über Charlies Gesicht huscht ein Lächeln und Ginny kichert leise, während Ron uns nur verwirrt ansieht. Ich liebe diese Familie.

Abgekühlt und ein wenig erschöpft lege ich mich auf mein großes Handtuch, schließe meine Augen und lasse die wärmenden Sonnenstrahlen auf mein Gesicht fallen. Und obwohl ich krampfhaft versuche mich zu entspannen, werde ich immer wieder abgelenkt.

Charlie liegt neben mir. Sein Brustkorb hebt und senkt sich und seine Augen sind geschlossen. Ich kann einfach nicht anders, als ihn zu beobachten. Sein Gesicht mit den Brandwunden und seinen durchtrainierten starken Körper.

Ich schüttle meinen Kopf und wende mich ab. Ich sollte damit aufhören. Wenigstens ist Charlie nicht mehr in Hogwarts. Das heißt ich sehe ihn ein Großteil des Jahres nicht und kann vielleicht versuchen in endlich aus meinen Gedanken zu bekommen.

„Evelyn?"

Ginnys Gesicht taucht über mir auf.

„Hmm?"

„Schwimmst du mit mir zur Plattform in der Mitte?", frägt sie ein schelmisches Grinsen auf ihren Lippen. Ich seufze leise und rapple mich auf.

„Wenn du so lieb frägst," antworte ich und folge ihr in das kühle Wasser.

Schweigend schwimmen wir durch den kleinen See, in dessen Mitte eine alte Holzplatte schwimmt, die wir vor ewigen Zeiten mit einer Eisenkette im Boden verankert haben. Ich kann mich noch erinnern, wie lange das gedauert hat und wie genervt Bill von unseren Bitten war uns zu helfen.

Ächzend hieve ich mich auf das von der Sonne aufgewärmte Holz und lege mich neben Ginny hin, unsere Füße im Wasser baumelnd.

„Es sieht sogar ein Blinder," sagt sie dann ins Blaue hinein.

„Was?", frage ich unschuldig, obwohl ich genau weiß, was sie meint.

„Dass du in Charlie verliebt bist."

Ein kurzes Schweigen herrscht zwischen uns. Ich bin mir unschlüssig, was ich dazu sagen soll und Ginny scheint auf meine Antwort zu warten.

„Ich mag Charlie," murre ich wage. „Wir kennen uns schon ewig. Er kennt mich seit ich klein bin."

„Du redest dich raus," stellt Ginny mit einem Seitenblick auf mich fest. „Wieso redest du nie über dich?"

Ich schweige wieder. Was soll ich schon darauf antworten.

„Ist doch egal," versuche ich von dem Thema abzulenken.

„Komm schon," jammert Ginny.

„Nein," gebe ich ein wenig kühl und genervt zurück.

Ginny schweigt. Sie weiß eigentlich ganz genau, dass ich nicht gerne über mich reden und schnell genervt bin, wenn man mit mir über etwas spricht, über das ich nicht reden will.

„Kommst du eigentlich mit auf die Quidditch-Weltmeisterschaft?", frägt sie dann.

„Nein," erwidere ich, ziemlich erleichtert, dass sie wohl verstanden hat, dass ich ihre Fragen nicht beantworten will. „Meine Mutter geht ab nächster Woche wieder arbeiten und dann muss ich auf meinen Bruder aufpassen."

„Schade, Charlie würde auch mitgehen."

„Ginny!", murre ich, doch sie lacht nur.

„Beruhig dich, Evelyn, beruhig dich, das war nur ein Witz."

Während sie lauthals lacht, verdrehe ich nur meine Augen, kann aber nicht vermeiden, dass ein Schmunzeln über meine Lippen huscht. Ich liebe diese Familie...


Und hier wäre auch schon das erste Kapitel meiner neuen FanFiktion. Es ist mal wieder ein längeres, allerdings kann ich nicht versprechen, dass es so bleibt. Alle Rechte liegen natürlich bei der wundervollen Rowling und ihrer unglaublichen Geschichte, außer meine Figuren, die ich selbst dazu erfunden habe. 

Zur kleinen Orientierung: Die Geschichte beginnt in den Sommerferien vor Harrys viertem Jahr. Da Evelyn im gleichen Jahrgang wie Fred und Georg ist, sind es für sie die Ferien vor ihrem sechsten und damit vorletzten Jahr in Hogwarts. 

Ich freu mich immer über konstruktive Kritik und Kommentare :) Sonst euch noch ein schönes restliches Wochenende. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top