Kapitel 2
Die Nacht steckte mir in den Knochen, als ich mit schweren Schritten in die Küche schlurfte. Mein Kopf dröhnte und ich konnte es kaum abwarten, bis Lydia mit dem Katerfrühstück auftauchte. Es war unsere kleine Tradition nach einer durchzechten Nacht gemeinsam, den Nachwirkungen zu trotzen. Meistens lagen wir in Pyjamas auf dem Sofa und schauten einen schnulzigen Liebesfilm, während wir Croissants aßen und versuchten, mit Koffein unsere Kopfschmerzen zu bekämpfen. Doch heute würde Kaffee allein nicht reichen, denn mein Kopf war nicht das einzige Problem. Dank meines Abenteuers auf dem Parkplatz schmerzte mein gesamter Körper.
Ich griff nach einem Glas im Regal und angelte nach dem Körbchen mit den Medikamenten unter der Spüle. Die Tablette lag bereit und das Glas war schnell gefüllt. Ich wollte es in diesem Moment ansetzen, als das kreischende Klingeln durch meinen Kopf schallte. Ich zuckte erschrocken zusammen und verteilte zu allem Übel, den Inhalt meines Glases über meinem Trägershirt.
»Verdammt, Lydia!«, schimpfte ich meine Freundin, obwohl diese mich nicht hören konnte. Eilig drehte ich mich um. Ich würde nur schnell meine beste Freundin hereinlassen und mir dann etwas Neues anziehen. Barfuß lief ich durch den kleinen Flur und hinterließ dabei eine Spur aus Tropfen, die sich aus meinem nassen Shirt befreiten.
Vor der Tür lag Simon und schnarchte vor sich hin. Dieser Hund lag grundsätzlich immer im Weg und so verscheuchte ihn, während ich meine Hand bereits auf die Klinke legte. Ich öffnete die Tür und blickte Simon nach, der sich mitten im Flur wieder auf den Boden warf.
»Du hast mich zu Tode erschreckt, Lydia!«, meckerte ich darauf los, doch als ich aufblickte, sah ich nicht in das Gesicht meiner besten Freundin. Ich blickte geradewegs in die Augen, in denen ich mich gestern Nacht verloren hatte. Ebendiese weiteten sich nun vor Überraschung und glitten dann an mir herunter. Eine Stimme riss mich aus meiner Trance:
»Hallo! Schön, dass Sie aufgemacht haben!«
Mein Kopf schnellte zur Seite und ich erfasste eine Frau, die mich fröhlich anlächelte. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich nur in Unterwäsche und durchnässtem Top vor ihnen stand. Und ich spürte genau, wie sich Ryans Augen in mein Fleisch brannten. Schnell huschte ich mit meinem Körper hinter die Tür und streckte nur meinen Kopf raus.
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
Meine Augen huschten zwischen Ryan und der Frau hin und her. Sie war eine zierliche Brünette mit riesigen Rehaugen und trug ein hübsches geblümtes Sommerkleid. Sie wirkte beinahe wie aus einer anderen Zeit.
»Ach, wir wollten uns nur kurz vorstellen. Mein Mann ...« Ich starrte Ryan an, welcher schwer schlucken musste: »... und ich sind gerade erst gegenüber eingezogen. Wir würden sie gerne zu unserer Einweihungsparty heute Abend einladen. So lernt man sich vielleicht etwas besser kennen.«
Meine Gedanken schrie mich an, dass ich ihren Mann schon mehr als gut kannte, doch während ich Ryan böse anfunkelte, antwortete mein Mund nur: »Ich werde es mir überlegen!«
»Super, das freut uns! Und dann hätte ich noch einen kleinen Willkommensgruß. Ich backe leidenschaftlich gerne.«
Sie hob den kleinen Korb an, den ich erst jetzt bemerkte, da meine Aufmerksamkeit die meiste Zeit auf Ryan lag, und streckte ihn mir entgegen. Doch um in entgegenzunehmen, musste ich aus meinem Versteck hervorkommen. Als ich hinter der Tür hervortrat, spürte ich sofort wieder seine Augen auf meiner Haut.
»Danke, das ist wirklich nett!«, antwortete ich und versuchte, mir ein Lächeln abzugewinnen.
»Dann vielleicht bis später!«, lächelte sie und drehte sich um. Nur Ryan blieb stehen, wie angewurzelt stand er noch einige Sekunden da und blickte mich an. Erst das Bellen von Simon, welcher neben mir auftauchte, schreckte ihn auf und er räusperte sich kurz. Ich sah, wie er seine Hose zurechtrückte, eher er sich umdrehte und seiner Frau folgte. Noch während ich die Tür zuschob, hörte ich, wie sie zu ihm sagte.
»Du hättest ruhig mal was sagen können. Sie hält dich bestimmt für unfreundlich!«
Kopfschüttelnd schloss ich die Tür und brachte den Korb in die Küche, wo ich mich auf den Stuhl fallen ließ und seufzte.
›Tolle Scheiße!‹, verfluchte ich mich und meine Situation selber. Ich kniff mir in den Nasenrücken und schloss die Augen. Sofort blitzen Bilder vor meinem inneren Auge auf, wie er mich gegen das Auto presste. Seine Lippen mein Feuer entfachten und wie er mich rau und wild nahm, trotz der Gefahr entdeckt zu werden. Und jetzt stand dieser Mistkerl vor meiner Tür, zusammen mit seiner bezaubernden Frau, welche auch noch für mich backte. Der Geruch, der aus dem Korb strömte, war herrlich und ich hob das Tuch, welches darüber lag leicht an. Im Inneren lagen verschiedenste Leckereien, die einem sofort das Wasser im Mund zusammen laufen ließen. Genervt ließ ich den Stoff wieder fallen. Fuck, sie ist die perfekte Hausfrau!
Ich blickte mich selbst in meiner Küche um. Es stapelte sich immer noch das Geschirr vom letzten Essen mit Lydia in der Spüle und meinen Backofen nutze ich höchstens, um eine Tiefkühlpizza zu erwärmen.
Ich hatte keine Ahnung, wie lang ich auf dem Stuhl saß und meine chaotische Küche beobachtete, als mich ein erneutes Klingeln hochfahren ließ. Schnell schnappte ich mir ein Trockentuch von der Anrichte. Nur zur Sicherheit! Ich hielt es vor mein immer noch durchsichtiges Shirt und flitzte zur Tür. Zu meinem eigenen Glück stand diesmal wirklich Lydia vor der Tür.
Mit einer riesigen Sonnenbrille auf der Nase streckte sie mir eine Tüte und einen Becherhalter mit zwei Kaffee entgegen. Ich nahm ihr die Tüte ab und sie kam rein. Sofort schnupperte sie in der Luft und fragte:
»Seit wann kannst du backen?«
Ein gequältes Lachen kam aus meiner Kehle und ich schüttelte den Kopf.
»Kommt von den neuen Nachbarn. Begrüßungsgeschenk! Aber das erkläre ich dir gleich, zuerst brauche ich Koffein und ein neues Shirt.«
Erst jetzt schien meine beste Freundin meinen Aufzug zu bemerken.
»Hast du deine neuen Nachbarn auch so begrüßt?«, witzelte sie und ihr entgleiste das Gesicht, als ich nickte.
»Ich dachte, du wärst an der Tür!«
Ihr helles Lachen dröhnte in meinem Kopf, trotzdem musste ich mitlachen. Sie begab sich mit unserem Proviant ins Wohnzimmer, nachdem sie Simon begrüßt hatte, und ich schlüpfte schnell in einen richtigen Pyjama. Zusammen kuschelten wir uns auf mein gemütliches Sofa und stellten einen Film unserer »Kater-Playlist« an. Ich nippte gerade an der warmen braunen Flüssigkeit, als ich mich wegen einer Frage von Lydia beinahe wieder überschüttete:
»Hat Ryan schon was von sich hören lassen?«
Fragend sah sie mich an und wartete auf eine Antwort und als ich anfing, hysterisch zu kichern, wich der fragende Blick der Sorge.
»Was hat er getan? Ich meine, außer dich auf einem Parkplatz um den Verstand zu vögeln!«, war ihre nächste Frage und ich hielt mir mittlerweile den Bauch.
»Das glaubst du mir nicht. Das ist schlechter als in jeder Seifenoper!«
Immer noch blickte sie mich an, als wäre ich vollkommen übergeschnappt.
»Den leckeren Muffin, den du da gerade verschlingst, hat seine Frau gebacken!« Lydia verschluckte sich beinahe und hustete heftig.
»Ich dachte, den hat deine neue Nachbarin gebacken?«
»Ja, hat sie auch!« Das Fragezeichen über Lydias Kopf verwandelte sich langsam in eine Glühbirne, die aufleuchtete, als ihr die Situation klar wurde. Mit angewidertem Gesichtsausdruck schleuderte sie den Muffin zurück in den Korb und betrachtete ihn, als wäre er pures Gift.
»Aber wie? Was? Fuck!«, stieß sie aus und sah mich geschockt an.
»Genau dasselbe habe ich vorhin auch gedacht, als ich die Tür aufgemacht habe und plötzlich Ryan und diese perfekte Frau vor mir standen.«
Ich schluckte schwer und blickte auf meine Finger, die an den Knötchen auf der Wolldecke knibbelten.
»Verdammtes Arschloch!« Sie rückte näher an mich heran und legte ihren Arm um meine Schulter.
»Und sie war wirklich seine Frau und nicht seine Schwester?«
»Wenn sich jemand mit ›mein Mann und ich‹ vorstellt, ist die Lage wohl ziemlich eindeutig, oder?«
Lydia brummte nur als Antwort und zog mich noch näher an sich.
»Männer sind doch alles Schweine! Darauf brauch' ich jetzt erst mal 'ne Zigarette. Kommst du mit?«
Ich nickte nur und folgte meiner besten Freundin durch die Haustür. Wir setzten uns auf die Stufen meiner Veranda und Lydia kramte in ihrer Handtasche nach dem Päckchen Zigaretten. Wir schwiegen einen Moment und ich ließ meinen Blick über die Straße schweifen. Ich starrte auf das Haus, vor dem ein großer Lastwagen parkte.
»Sie haben mich zu ihrer Einweihungsparty eingeladen«, stieß ich aus und unterdrückte ein weiteres heiseres Lachen.
»Er hat was?«
»Na ja, eigentlich seine Frau. Ryan hat gar nichts gesagt, ich glaube, er war genauso perplex mich zu sehen wie ich!«
»Das glaub' ich dir gerne. Aber gehst du hin?«
Gerade als ich antworten wollte, schallte seine tiefe, warme Stimme über die Straße: »Es sind nur noch ein paar Kisten!«
Mein Blick schnellte zur Haustür, aus der er gerade trat. Und bei dem Anblick, der sich mir bot, entwich die komplette Luft auf meiner Lunge. Ryan trug kein Shirt und die Sonne spiegelte sich auf seiner schweißbedeckten Haut. Seine Hose saß tief auf den Hüften und er strich sich das schwarze Haar aus der Stirn.
»Verdammt!«, fluchte meine beste Freundin. Doch ich erwiderte nichts, stattdessen beobachtete ich ihn weiter. Wie er zum Lkw ging und hineinkletterte. Als er dann wieder heraussprang, trafen sich unsere Blicke. Er blieb auf der Einfahrt stehen und starrte zu uns herüber. Einer römischen Statue gleich stand er dort im Sonnenlicht und ich spürte, wie sich allein durch seinen Anblick mein Puls beschleunigte. Wie von der Tarantel gestochen sprang ich auf und huschte zurück ins Haus. Auch Lydia drückte ihre Kippe aus und folgte mir.
Ich schmiss mich zurück aufs Sofa und vergrub mein Gesicht in einem der Zierkissen. Der kratzige Stoff juckte auf der Haut, doch das interessierte mich nicht. Ich schrie einfach aus voller Lunge hinein, in der Hoffnung so etwas die Anspannung loszuwerden, die sich bereits wieder in meinem Unterleib breitmachte. Dieser Kerl hatte mich mit einem verdammten Quickie auf dem Parkplatz eines schäbigen Clubs um den Verstand gebracht.
»Vielleicht solltest du zu dieser Party gehen und ihn zur Rede stellen?«, schlug Lydia vor, die sich neben mir fallen ließ. Ich drehte meinen Kopf auf dem Kissen zur Seite und sah sie an.
»Ganz allein oder was?«
»Ich kann leider nicht mitkommen, ich muss heute Abend arbeiten!« Damit machte sie meine Hoffnung, sie würde mich vielleicht begleiten, zunichte. Ich drehte meinen Kopf zurück ins Kissen und brüllte ein weiteres Mal hinein.
»Ich hab eine Idee!« Mein Blick schnellte wieder zu ihr: »Ruf Bryce an! Der kommt sicher mit, wenn du ihm Aussichten auf mehr machst!«
»Lydia, ich werde nicht erst meinen One-Night-Stand von letzter Nacht zur Rede stellen und dann mit Bryce schlafen!«
»Ja, ist klar, aber das muss Bryce ja nicht wissen!« Sie zwinkerte mir zu und langsam aber sicher formte sich ein Plan in meinem Kopf.
»Nur wenn du mir hilfst mich vorzubereiten?«
»Glaub mir, dem werden die Augen rausfallen und dann kannst du ihm ordentlich die Meinung geigen!«
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