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Am Tag der Abreise wache ich mit meinem Lächeln auf - ich bin aber auch schrecklich aufgeregt, denn heute beginnt ein neuer Teil meines Lebens. In der Garage, wo ich auf Kevin im Auto warten soll, fange ich an die letzten Meter bis zum Auto zu laufen, ich kann es einfach nicht erwarten. Da war das Gefühl zu fliegen, so hoch, so glücklich, so nervös. Wie auf Drogen, nur besser, ehrlicher und echter. Ich sah mein Leben schon wie im Paradies, Kevin an meiner Seite, und damit alles, was ich je wollte. Ich fühlte mich so leicht, so bereit, so hungrig auf neue Erfahrungen. Doch dabei übersah ich in meinem Rausch der Gefühle eine kleine rutschige Stelle am Boden - und knallte prompt vornüber auf den harten Asphalt. Ich kam zwar schnell wieder auf die Beine, aber die Schmerzen in meinen aufgeschürften nackten Armen brannten wie Feuer. Kurz war da die Angst, dass ich mir vielleicht etwas gebrochen hatte, was wahrscheinlich ein Grund für mich gewesen wäre jetzt nicht ins Ausland zu reisen, wo die medizinische Versorgung sicher um einiges schlechter war. Doch ich konnte meine Hände ohne Probleme bewegen, wenn auch unter schmerzen. Ich verfluchte mich für meine eigene Dummheit - ich konnte manchmal so kindisch sein. Die Freude über unsere Flucht hatte nun einen gehörigen Dämpfer bekommen, denn einerseits schlich sich die Hitze und das kribbeln auf meinen Armen ständig in meine Gedanken und andererseits war die Vorstellung mein neues Leben mit Kevin gleich in meinen mit großen schwarzen Flecken verdreckten Gewand zu beginnen nicht grade verlockend. Als ich Kevin heran kommen sah, ließ der traurige und enttäuschte Ausdruck in seinem Gesicht mich schon mal innerlich zusammenschrecken - das war nicht normal, das war nicht gut, gar nicht gut. Kevin zog seinen riesigen Koffer hinter sich her, aber völlig ohne elan, als Gänge es hier um nichts. Man musste mir den Schock und die Verwirrung wohl angesehen haben, denn Kevin fiel sofort mit der Tür ins Haus: wir würden nicht fahren, nicht heute, gar nicht. Er konnte seine Familie nicht verlassen, der Gedanke seine Frau und seine Kinder vielleicht nie wieder zu sehen, war unerträglich. Da lag so viel schuld in kevins Blick als er meine Reaktion abwartete - am liebsten würde ich ihn beschimpfen und ausrasten, aber ich riss mich zusammen. Es wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein. So was passiert nur im Traum, nicht in der Wirklichkeit. Stattdessen steige ich aus dem Auto aus und folge Kevin, raus aus der Garage, rein in unser altes Leben. Tränen rinnen mir über die Wangen, heiß und salzig. Ich hätte nichts lieber getan als jetzt mit Kevin abzuhauen, doch jetzt war unser schöner Plan nicht mehr als eine gedankliche spinnerei, vergessen und vorbei. Alles, was ich mir in den letzten Tagen vorgestellt und erträumt hatte, hatte ich sogleich auch wieder verloren - ich hätte nie gedacht, dass es so weh tut etwas zu verlieren, was ich nie hatte. Kevin würde bald im Gefängnis sein und ich allein, allein mit meinen Vorwürfen, allein mit dem, was von uns blieb: auch, wenn es fast nichts war.

Was sagt ihr zu kevins Entscheidung nun wegen seiner Familie doch nicht ins Ausland zu fahren?

Über votes und Kommentare würde ich mich wie immer sehr freuen

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