Zwölf

Als ich mich wieder aufgerappelt und vor Kälte zitternd auf den Heimweg gemacht habe, versuche ich an nichts zu denken. Dies ist jedoch schwerer als ich schon erwartet habe.
Das dunkle Zwielicht schafft es irgendwie, mich von meinen üblichen, bekannten Wegen abzubringen. Ich eile durch dunkle Gassen, an zwielichtigen Pubs vorbei und berreue, dass ich meine Myth-Jacke in meinem Zimmer liegen gelassen habe. Mein warmes, sicheres und vor allen Dingen nicht so sehr stinkendes kleines Dachzimmer. Ich rümpfe die Nase, als  ich an einem der zahlreichen Obdachlosen Maurizios vorbeigehe. Seine Alkoholfahne lässt bei mir sebst aus einiger Entfernung noch Übelkeit aufsteigen. In genau diesem Moment blickt der Zahnlose alte Mann auf. Ich spüre geradezu, wie sein Blick über meinen Körper streift. Jedoch stockt er beim Anblick des M an meinem Hals. Er senkt den Kopf und geht weiter. So ist es, jeder findet Myth unheimlich.  Vielleicht hat er gedacht, ich wäre eine ausgebildete, immerhin habe ich meine Jacke, die mich als Schülerin ausweist, nicht dabei gehabt. Und an den Händen der Myth klebt Hexenblut. Selbst das Gesindel der Stadt meidet diese Geschöpfe. Ich schüttele den Kopf und dieser unheimiche Mann dreht sich um.

Zuhause in der Mytakemie klopfe ich mit meiner zitternden Hand an die Tür.
"Maya. Um Himmels Willen, Gott sei Dank!" Im selben Moment wird die Tür aufgerissen und Lyan drückt sich so fest an sich, dass ich ihn erst sanft wegschieben muss, um wieder Luft zu holen. "Hey, Lyan. Ich muss hier so verängstigt aussehen, nicht du! Wo ist eigentlich Dust? Er müsste doch eigentlich der Förtner sein." Ich genehmige mir ein leichtes Lächeln, was mein Kumpel mit einem Stirnrunzeln quittiert. "Maya, du bist von der Mytakemie weggelaufen, nachdem du eine riesen Szene gemacht hast. Als normale Schülerin wärst du schon längst geflogen." Ich seufze. "Mein Gott, denkst du ernnsthaft, ich wüsste das alles nicht? Natürlich ist mir klar, wie dumm ich mich..." Plözlich kommen seine Worte in meinem Hirn an. Hat er gerade gesagt, ich bin nicht von der Schule verwiesen? Und was meint er damit, ich wäre keine "normale" Schülerin? Doch als ich ihn danach frage, gibt er mir keine eindeutige Antwort. Lyan ist nur kurz angebunden und schickt mich in mein Zimmer. Unter normalen Umständen hätte ich mich nun beschwert, warum er mich denn herumkommandiert. Immerhin ist er in der gleichen Klasse wie ich und auch der Posten des Schülersprechers gibt ihn nicht alle Rechte. Doch nach diesem Tag bin ich nur noch ausgelaugt und froh, endlich ins Bett zu können. Erst unter meiner kuscheligen Decke stelle ich mir die Frage, warum Lyan überhaupt so viel Mitsprache in den wichtigen Sachen hat.

Die Woche vergeht sehr langsam. Zum Glück haben nur wenige meinen Ausbruch mittbekommen, wesswegen ich nicht anders behandelt werde wie sonst. Nur Lyan ist sehr verschlossen. Er isst mit mir zwar immer noch in den Pausen an einem Tisch und wenn im Unterricht Partnerarbeit ansteht, geht er wie selbstverständlich an meine Seite. Doch er kommt nicht wie sonst nach der Schule noch in mein Zimmer, damit wir gemeinsam lernen. Als ich ihn einmal frage, antwortet er mit einer stumpfen Ausrede und dreht sich weg, wie so häufig in letzter Zeit.

Am Freitag überlege ich, ob ich das Treffen mit den anderen Mädels nicht absagen sollte, doch da Lyan so eigenartig ist, beschieße ich, dass mir der Kontakt mit anderen auch nicht schadet. Auch wenn ich mich ein wenig wundere, dass die Gruppe erst so spät shoppen geht. Die Party findet am Sonntagabend an, da am Montag ein Feiertag liegt. Der Tod der ersten Hexe wird dann gefeiert. Ich werde es wohl nicht mehr schaffen, das neue Kleid durchzuwaschen. Oder ich ziehe einfach das vom letzten Jahr an, was ich ja schon vorgehabt hatte.

Während ich grübelnd hinter der Meute herspaziere, plappern meine Schulkameradinnen und zu meinem Verwundern auch einige männliche Kameraden munter über Stoffe und Farben. Ich lasse mich ein wenig mehr zurückfallen und rechne in Gedanken aus, wie viel Geld ich überhaupt ausgeben kann. Es ist nicht viel. Das Geld, was ich jeden Monat von meinem Onkel überwiesen bekomme, reicht kaum für das Allgemeine zum Leben. Hätte ich nicht ein Stipendium, was mir Schulgeld, Verpflegung und Unterschlupf bezahlt, wüsste ich nicht, was ich machen würde.

Als wir am Himmelshop ankommen, verstreuen sich die kichernden Schüler. Ehe ich mich versehe, stehe ich alleine. "Ja toll. Ist ja super, wie man alles zusammen macht", seufze ich. Dann drehe ich mich auf dem Absatz um. ich schaue lieber in den Second-hand-Geschäften nach neuen Schuhen und ziehe einfach das gleiche wie im letzten Jahr an. Vielleicht habe ich wegen dem ganzen Stress und der gleichbleibend niedrigen Qualität der Schulspeisen ein wenig abgenommen, aber es interessiert ja eh niemanden, wie ich aussehe.

Ich öffne die Tür, die mit einem freundlichen Pling der Frau am Tresen Bescheid gibt, dass sie Besuch hat. Ich gehe häufig in dieses Geschäft, und deswegen begrüßt Ralda, so heißt die Verkäuferin, auch mit einem freundlichen "Hallo, Maya, da bist du ja. Ich habe dir ein paar schöne Sachen zurückgehalten!" Ich muss lächeln. Ralda hat sich nie davon beirren lassen, dass ich eine werdende Myth bin. Für sie bin ich ein ganz normaler Teenager, der immer pleite ist und zudem auch keine Sachen von der Stange mag. Wenn auch einer mit einem ziemlich eigentümlichen Geschmack. Als ich Ralda frage, was sie für mich zurückgehalten hat, antwortet sie mit einem grinsen: "Ja, natürlich die Ladenhüter!" Ich versuche beleidigt auszusehen, was mir allerdings nicht so ganz gelingt. Ralda lacht aufgrund meiner Grimasse laut los und zieht hinter dem Tresen eine Box hervor. "Hier, Maya. Ich habe ein paar Sachen aussortiert, die eh keiner haben will und die dir mit ein wenig Umarbeitung auch passen könnten. " Ich muss meine Freude über die Zuneigung der Verkäuferin noch sehr zurückhalten, und dennoch glaube ich, sie merkt wie sehr ich mich um diese Geste freue. Nämlich unsagbar viel. "Ralda, ich habe bald diese Myth-Party. Hättest du vielleicht etwas?", frage ich hoffungsvoll. In mir wächst nämlich das Widerstreben, in meinem braunen Sack hingehen zu müssen. Doch Ralda schüttelt nach kurzem Nachdenken bedrückt den Kopf. "Nein, leider nicht. Solche schicken Sachen werden bei mir ehr seltener abgegeben.... Obwohl..." Auf Raldas runzeligen, vom Leben gezeichneten Gesicht sehe ich ein funkeln. "Eben ist eine Frau reingekommen und hat einen Beutel voller Kleidung abgegeben. Sie war so hochnäsig und lächerlich stolz darauf, mir die Sachen zu geben, dass bestimmt was anständiges dabei sein muss." Ralda streicht eine ihrer rot gefärbten Haarsträhnen zur Seite und verschwindet in das Lager. In der  Zeit, die sie nicht da ist, stöbere ich in den anderen Sachen, die sie mir schenkt. Zu meiner Freude sind sogar ein paar robuster Schnürstiefel dabei, die nicht nur perfekt passen, sondern auch genau meinem Style entsprechen. Das Quitschgrün muss ich zwar noch schwarz färben, aber ansonsten sind sie top.

 "Ja, wie ich's mir gedacht habe!" Ich schaue verwundert auf, als  Ralda mit einem kompletten, wunderschönen Outfit wieder zurück kommt. Stolz funkelt sie mich an: "Na, was habe ich gesagt? Ist doch ganz hübsch." Ich muss laut auflachen. "Hübsch? Es ist perfekt."

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