Achtundzwanzig

Dort, auf der kleinen Lichtung vor mir, erblicke ich zwei Mädchen, die so markant aussehen, dass ich sie sofort erkenne.
"Hexen!", flüstere ich erschrocken, leider aber nicht leise genug.
Lyan schnappt nach Luft, während Fiet mit zusammengekniffenen Augen die beiden Eindringlinge beobachtet.

"Warum bist du so sicher, dass das Hexen sind?", fragt er flüsternd.
Ich runzele die Stirn.
"Die eine mit den bunten Haaren heißt Jolie. Die braunhaarige Tiffany. Ich habe mit beiden schon mal Bekanntschaft gemacht", erkläre ich, während ich weiter auf die Lichtung starre.
Die beiden Schwestern haben sich seit dem letzen Mal, als ich sie gesehen habe, kaum verändert. Beide sitzen in der Mitte der Lichtung und sind wohl gerade dabei, Blumenkränze zu binden. Besonders Jolie sticht mit ihrem roten Kleid und ihren bunten Haaren heraus. Tiffany hingegen ist mit Jeans und einem schwarzen Shirt wesentlich dezenter gekleidet. Ich schaue ihr zu, wie sie ihre braunen Haare nach hinten streicht und ihrer Schwester etwas erzählt.
"Die sind so jung", murmelt Fiet und greift zu seiner Tasche, in der seine Waffe verstaut ist.
Jeder voll ausgebildete Myth spezialisiert sich zum Ende der Schule auf eine bestimmte Waffe. Lyan und ich haben uns noch nicht festgelegt, zum aktuellen Zeitpunkt unserer Ausbildung ist es noch zu früh und wir lernen den Umgang mit allen Waffen. Was Fiet für eine Waffe hat, weiß ich allerdings nicht. Ich hatte ihn nur in Fächern, die zum Ziel hatten, sich zu verstecken.
Anscheinend scheint es eine kleinere Waffe zu sein.

"Was machen wir jetzt?", spricht Lyan das aus, was auch ich mich frage.
Fiet macht vorsichtig, die beiden Hexen nicht aus den Augen machend, einen Schritt nach hinten. "Der Auftrag dieser Expedition ist die Hexenjagd. Allerdings sind wir zu wenige, um gleich zwei Hexen zu überwältigen", sagt er niedergeschlagen.
Ich vernehme am Waldrand von der anderen Seite der Lichtung eine Bewegung. "Wissen das auch die anderen Myth?", frage ich besorgt. Fiet streicht sich die Haare aus dem Gesicht, ehe er einen weiteren Schritt nach hinten macht. "Ja, ich denke schon", sagt er.

In diesem Moment beweisen ihm die Myth das Gegenteil.  Aus allen Richtungen stürmen sie gleichzeitig aus dem Gebüsch. Fiet kann nur noch einen Fluch ausstoßen, ehe Tiffany die auf sie zustürmenden Myth bemerkt und damit deren Todesurteil bestimmt.
Mit einer schnellen Bewegung lässt sie den halb fertigen Blumenkranz fallen und streckt ihre Hand aus. Aus dieser brechen plötzlich Flammen, deren Hitze ich trotz des großen Abstands auf meiner Haut spüre. Die Myth, die schon recht nah an den Schwestern sind, bekommen die volle Kraft ab. Ich weiß nicht, was das für eine Flamme ist, sie hat jedenfalls einen unnatürlichen blauen Schimmer, aber sie ist so heiß, dass die zwei in der Flammenbahn stehenden Menschen direkt verbrennen.
Doch sie stehen nicht in Flammen, sondern ihre Körper werden zu schwarzer Asche, die im Wind verweht wird.
Sofort stinkt alles nach verbrannten Haaren und Fleisch. Dieser Geruch lässt mich erzittern.

Die Reaktion seitens ihrer Schwester lässt Jolie aufschrecken. Aber auch sie bemerkt die Situation schnell. Im Gegensatz zu Tiffany geht sie aber nicht in den Angriff, sondern schaut mit großen, erschrockenen Augen den Myth zu, die auf dem Weg zu ihr sind, zwar etwas eingeschüchtert, aber immer noch todesentschlossen.
Als sich die Flammen aus Tiffanys Hand zurückgezogen haben, kommt ein Feuerrotes Schwert zum Vorschein. Diese Waffe braucht eine Sekunde, bis sie sich komplett gebildet  hat und einen gespenstischen Schimmer auf ihrem Gesicht abbildet. Währenddessen springt sie auf und zieht ihre Schwester mit hoch.

In diesem Moment hört man einen lauten Knall. Ein nur etwas älterer Myth als ich hat eine Pistole auf die Schwestern gezielt und abgedrückt.
Jolie scheint sich von ihrem Schock erholt zu haben. Sie streckt so schnell ihre Hand aus, dass ich die Bewegung gar nicht richtig sehen kann.
Der junge Myth reißt seine Augen auf, und auch ich kann nicht glauben, was dann passiert. Um die Kugel, die er abgeschossen hat, bildet sich eine Wasserblase. Die Kugel wird abgebremst. Sie fällt wenige Meter von meinem Versteck zu Boden. Ich beobachte atemlos, wie das Wasser im Gras versickert, als wäre nichts gewesen.

Alles in wenigen Sekunden. Fiet, Lyan und ich können nur untätig zusehen, wie es weitergeht.

Auf dem feuchten Waldboden schwelt an den Stellen noch ein kleines Feuer, an dem bis vor wenigen Augenblicken noch Menschen standen. Die Asche von ihnen ist schon weit verstreut und das einzige, was von den Myth noch übrig ist, sind auf dem Boden zurückbleibende Utensilien, die sie eigentlich in ihren Rucksäcken hatten. Fiet flüstert atemlos: "Meine Männer". Seine Stimme klingt schmerzverzerrt.

Doch die beiden Schwestern sind noch nicht fertig. Mittlerweile haben auch andere Myth ihre Pistolen und Gewehre herausgeholt und zielen auf die Schwestern. Doch genau wie beim ersten Schuss, entstehen die Wasserblasen um jede einzelne Kugel und bremsen sie ab.
Jolies Augen sind geweitet und ihre ausgestreckte Hand zittert. Ihre Schwester hingegen fängt an zu lachen. Es ist ein trockenes, ein irres Lachen, was mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen lässt. Dann schwingt sie ihr blutrotes Schwert in Richtung der Myth und flüstert: "Ja kommt doch".
Man kann sie über die ganze Lichtung hören.

Diesen Worten gehorcht Fiet.

Er zieht aus seiner Tasche einen schwarzen, verschnörkelten Dolch hervor und springt katzengleich aus dem Gebüsch.

Auch ein anderer Myth stürmt auf Tiffany zu. Sie schwingt ihr Schwert und schlägt dem Myth mit einer schnellen Bewegung den Kopf ab. Der Mann hatte nicht mal die Chance, sich zu verteidigen, ehe sein Kopf fast lautlos auf das Gras fällt und es rot färbt. Ich keuche auf, doch es geht vor mir weiter mit den Grausamkeiten.
Eine Myth, die auf Tiffany losstürmt, ist etwas vorsichtiger. Doch auch sie hat keine Chance. Mit wenigen Schwerthieben hat die Hexe sie überlistet und stößt das Schwert in ihr Herz. Sofort bricht die Myth tot zusammen. 

Trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit haben die Myth keine Chance. Tiffany alleine kann so gut mit ihrem Schwert umgehen, dass sie auch mehrere Myth gleichzeitig überwältigt.
Sie muss unheimlich stark sein, anders kann ich es mir nicht erklären, wie sie das schwerfällige Schwert so leichthändig schwingen kann.

Im Gegensatz zu den anderen Myth, die einer nach dem anderen sterben, scheint sich Fiet auf Jolie zu konzentrieren. Er weicht Tiffanys Scherthieben aus und versucht, Jolie von hinten zu erdolchen. Diese weiß sich aber zu verteidigen.
Die Pistolenkugeln der Myth sind alle schon abgeschossen, also lässt sie die Wasserkugeln fallen. Mit einem Platschen landen sie auf dem Waldboden und versickern schnell.
Stattdessen steckt sie ihre Hand aus und lässt aus ihren Fingerspitzen Wasser herunterfließen. Das verhält sich allerdings nicht wie normales Wasser, sondern fließt um die Schwestern herum und bildet eine Art Kuppel um sie.

Ich wende meinen Blick von dem Kampf vor mir ab und schaue Lyan neben mir an. Ihm stehen die Schweißperlen auf der Stirn, während er mit verzerrrtem Blick nach vorne starrt.
"Was sollen wir machen?", flüstere ich. Meine Stimme hört sich seltsam kratzig an, ich erkenne sie selbst kaum wieder.
Lyan zuckt schwach mit den Schultern. "Keine Ahnung. Wir sind unbewaffnet." Seine Augen sind aufgerissen.
Ich  schaue wieder nach vorne.

Fiet ist ein verdammt guter Kämpfer. Innerhalb kurzer Zeit hat er sich an Tiffany vorbei gekämpft, und ist mit Jolie in einen Zweikampf gegangen. Diese hat sich mit der anderen Hand, die nicht die Schutzblase kontrolliert, einen Stab beschworen, mit dem sie aber kaum Chancen hat. Fiet duckt sich über viele Schläge hinweg oder wehrt sie mit seiner schwarzen Klinge ab. Tiffany hingegen schätzt ihre Kraft falsch ein und hat schon nach kurzer Zeit einige Schnittwunden, die sie noch langsamer werden lassen.
Leider macht Fiet jedoch einen schweren Fehler.
Er konzentriert sich ausschließlich auf Jolie und vergisst die wahre Gefahr. So kommt es, dass er mit dem Rücken zu Tiffany steht, zwar nur einen kurzen Moment, doch sie nutzt diesen.
Denkt sie.
Denn Fiet macht nie Fehler.

Mit einem Ausfallschritt springt er zur Seite und Tiffanys Kehle ist ungeschützt.
Fiet umgreift seinen Dolch fester.
In dieser einen Sekunde scheint für mich die Welt stehen zu bleiben. Ich sehe die Leichen, die auf dem Boden liegen. Ich rieche das Blut, was sich überall festgesetzt zu haben scheint. Es ist schon ziemlich dunkel geworden, die Sonne scheint wohl unterzugehen.

Dann geht ein Ruck durch mich.
Fiet darf Tiffany nicht umbringen.

Ich weiß nicht, warum ich das tue. Vielleicht liegt es daran, dass das Gefühl, nichts machen zu können, während andere um ihr Leben kämpfen, mich mürbe gemacht hat. Vielleicht ist es auch, weil ich es unfair finde, wenn den Schwestern etwas geschieht. Es ist nun mal so, dass sie eigentlich nichts gemacht haben, außer sich zu verteidigen.

Ich spanne meine Muskeln an, ehe ich aufspringe und aus meinem Versteck stolpere. Gleichzeitig schreie ich aus voller Kehle:
"NEIN!", und strecke meine Hände aus, während ich auf Fiet zurenne.

Nun geht alles ganz schnell. Lyan springt hinter mir ebenfalls aus dem Busch und schlingt die Arme um mich.
Fiet ist nur einen winzigen Moment abgelenkt, doch der reicht Tiffany schon. Sie tritt ihn weg und streift ihn dabei mit ihrem Schwert.
Mein Mentor sinkt zu Boden.

Ich habe zu nichts mehr die Gelegenheit, als die Augen aufzureißen, ehe die Hölle losbricht.

Jolie springt über Fiet hinweg, wobei sie ihn mit dem Fuß im Gesicht erwischt. Dann greift sie nach Tiffanys Hand und lässt so den Schutzfilm aus Wasser fallen. Zeitgleich fängt sie an, sich bläulich zu verfärben. Tiffany fängt an zu glühen.

Dann werde ich zurückgeworfen von einer Wasserwand, die brennt. Es sind schwarze Flammen, die jegliches Licht aus der Luft zu filtern scheinen.

Ich spüre brennende Hitze, während ich nach hinten fliege.
Kurz ist mir schwarz vor Augen, jedoch bin ich nicht sicher ob es einfach daran liegt, dass ich wegen der Flammen nichts sehen kann.

Beißender Rauch setzt sich in meiner Nase fest.

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