Kapitel 9-Träume
Die Präsentation war ein voller Erfolg. Die Fotos hatten die Klasse beeindruckt, und unser Vortrag über Emotionen – wie sie sich anfühlen und wie wir sie in Bildern eingefangen hatten – schien sogar die kritischsten Stimmen zum Schweigen zu bringen.
Selbst Emma und ihre Clique, die normalerweise immer einen Kommentar übrig hatten, saßen stumm da. „Das war echt cool", murmelte Emma am Ende sogar, fast widerwillig. Es war das erste Mal, dass ich ihre Stimme hörte, ohne dass sie bei mir ein Gefühl des Unbehagens auslöste.
Elias grinste mich an, als wir uns wieder hinsetzten. „Ich hab's dir doch gesagt. Wir sind ein unschlagbares Team."
Ich erwiderte das Lächeln. Es fühlte sich echt an, leicht – als wäre die Last, die ich sonst immer spürte, für einen Moment verschwunden.
Nach der Präsentation wurde es eine Art Routine, dass ich Elias nach der Schule besuchte. Anfangs waren es noch Ausreden wie „Ich muss dir diesen neuen Song zeigen" oder „Wollen wir unsere Hausaufgaben zusammen machen?". Aber irgendwann ließ ich die Ausreden weg, und er lud mich einfach ein, ohne dass ich fragen musste.
Seine Eltern waren immer warm und freundlich. Seine Mutter schien es zu lieben, dass ich so oft da war. „Ich finde es schön, dass Elias endlich jemanden hat, der ihn auf Trab hält", sagte sie einmal scherzhaft, während sie uns Kakao brachte.
„Mama", beschwerte sich Elias, doch er grinste dabei.
Sein Vater war ruhiger, aber genauso herzlich. Er fragte mich immer, wie mein Tag gewesen war, als würde er wirklich zuhören wollen. Es war ungewohnt, aber auch schön. Ihr Haus fühlte sich mehr und mehr wie ein Ort an, an dem ich einfach... sein konnte.
Elias und ich verbrachten Stunden in seinem Zimmer, redeten, lachten, und lernten uns immer besser kennen. Es war erstaunlich, wie leicht es war, mit ihm zu sprechen. Wir erzählten uns von peinlichen Momenten aus unserer Kindheit, von unseren größten Ängsten und Träumen.
Ich erfuhr, dass Elias immer davon geträumt hatte, einmal nach Japan zu reisen, um dort die Kirschblüten zu sehen. „Ich weiß, es klingt kitschig", sagte er lachend, „aber ich will das wirklich mal erleben."
„Das klingt nicht kitschig", antwortete ich. „Das klingt wunderschön."
Er fragte mich, was ich mir wünschte, und ich wollte ihm so viel erzählen – von der Person, die ich wirklich war, und von dem Leben, das ich mir wünschte. Aber ich brachte es nicht über die Lippen. Stattdessen sagte ich nur: „Ich glaube, ich wünsche mir einfach... glücklich zu sein."
Elias sah mich lange an, und ich fragte mich, ob er mehr aus meinen Worten herauslesen konnte, als ich gesagt hatte. „Das wirst du", sagte er schließlich. „Ich weiß es."
Unsere Gespräche wurden immer tiefer, und ich spürte, wie eine Verbindung zwischen uns wuchs, die ich noch nie zuvor mit jemandem erlebt hatte. Doch je näher wir uns kamen, desto schwerer wurde das Geheimnis, das ich mit mir trug.
Manchmal fragte ich mich, ob Elias mich wirklich mochte – ob er die Person mochte, die er zu sehen glaubte. Aber ich wusste, dass er mich nicht wirklich kennen konnte, solange ich ihm nicht die ganze Wahrheit sagte.
Trotzdem wagte ich es nicht, ihm davon zu erzählen. Was, wenn es alles zerstörte? Was, wenn er mich dann nicht mehr ansah wie jetzt – mit diesem warmen, offenen Blick, der mich manchmal glauben ließ, dass alles gut werden könnte?
Eines Nachmittags, als wir wieder bei ihm waren, lag ich auf seinem Bett und blätterte durch ein Buch, während er an seinem Schreibtisch saß und etwas zeichnete.
„Weißt du", begann er plötzlich, ohne von seiner Zeichnung aufzusehen, „ich habe das Gefühl, dass du manchmal etwas vor mir versteckst."
Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. „Was meinst du?" fragte ich so beiläufig wie möglich.
„Ich weiß nicht genau", sagte er und warf mir einen kurzen Blick zu. „Du bist oft... so zurückhaltend. Als würdest du nicht alles sagen wollen. Und das ist okay, wirklich. Ich will dich zu nichts zwingen. Aber... du kannst mir alles erzählen. Das weißt du, oder?"
Ich nickte stumm, unfähig, etwas zu sagen.
Elias lächelte. „Okay. Nur, dass du's weißt."
Seine Worte hallten in meinem Kopf nach, lange nachdem ich an diesem Abend nach Hause gegangen war. Ich wollte es ihm sagen, wollte diese Last mit ihm teilen. Aber ich hatte zu große Angst, ihn zu verlieren.
Und so behielt ich es für mich, während sich die Verbindung zwischen uns immer weiter vertiefte – ein zartes, zerbrechliches Band, das mit jedem Geheimnis schwerer zu halten schien.
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