Kapitel 38-Jugendamt

Die Fahrt zum Jugendamt war stiller, als ich erwartet hatte. Elias saß neben mir auf der Rückbank und hielt meine Hand fest. Ich starrte aus dem Fenster, obwohl draußen kaum etwas zu sehen war. Der Himmel war grau, und die Straße war nass vom Regen der Nacht. Ich fühlte mich, als ob ich im Autopilot-Modus wäre, jeder Atemzug automatisch, jeder Gedanke dumpf. Elias' Eltern saßen vorne, seine Mutter am Steuer, sein Vater auf dem Beifahrersitz. Sie sprachen leise miteinander, wahrscheinlich über das, was gleich passieren würde, aber ich konnte ihren Worten nicht folgen. Die Geräusche waren zu weit weg, wie ein Radio, das jemand in einem anderen Zimmer eingeschaltet hatte.

„Geht's dir einigermaßen gut?" Elias' Stimme riss mich aus meinen Gedanken.

Ich drehte den Kopf zu ihm und sah, wie besorgt er mich ansah. Sein Blick war so sanft, so voller Mitgefühl, dass es fast wehtat. Ich wollte ihm sagen, dass alles in Ordnung war, dass ich stark genug war, das hier durchzustehen. Aber das wäre gelogen gewesen. Also nickte ich nur schwach.

„Ich bin bei dir", flüsterte er und drückte meine Hand noch fester.

Ich wollte ihm danken, doch mein Hals war wie zugeschnürt. Also lehnte ich meinen Kopf an seine Schulter und ließ mich von der gleichmäßigen Bewegung des Autos beruhigen. Es fühlte sich sicher an, ihn so nah bei mir zu haben. Trotzdem konnte ich das Zittern in meinen Fingern nicht unterdrücken.

„Wir sind da", sagte Elias' Mutter schließlich, als sie das Auto vor einem großen, grauen Gebäude parkte.

Das Jugendamt sah genau so aus, wie ich es mir vorgestellt hatte: funktional, aber kalt. Ein Ort, der für schwierige Situationen gemacht war. Mein Magen zog sich zusammen, als ich ausstieg und die großen Buchstaben auf dem Schild über der Tür las. Jugendamt. Es fühlte sich seltsam an, dass ich hier sein musste. Vor ein paar Wochen hätte ich mir nicht einmal vorstellen können, dass mein Leben so schnell so anders werden würde.

Elias legte einen Arm um meine Schultern, als wir zur Tür gingen. „Es wird gut gehen", sagte er, aber ich konnte hören, dass er sich selbst genauso sehr zu beruhigen versuchte wie mich. Seine Eltern gingen voraus und hielten uns die Tür auf. Drinnen war es warm, fast stickig, und es roch nach altem Teppichboden und Desinfektionsmittel. Menschen saßen auf Plastikstühlen und warteten. Ein kleines Mädchen spielte mit einem Plastikpony, während eine Frau neben ihr hektisch auf ihrem Handy tippte.

Eine Mitarbeiterin mit einem freundlichen Lächeln führte uns in ein kleines Büro. „Leo, ich bin Frau Wagner", stellte sie sich vor. Sie war vielleicht Mitte vierzig, mit kurzen braunen Haaren und einer Brille, die sie ständig hochschieben musste. Ihre Stimme war ruhig, aber bestimmt, und ihre Augen wirkten aufmerksam. Ich fühlte mich sofort ein bisschen sicherer.

Das Gespräch begann langsam. Frau Wagner erklärte, dass sie schon einige Informationen von Elias' Eltern erhalten hatte, aber sie wollte auch meine Sicht der Dinge hören. Das brachte meinen Herzschlag ins Stolpern. Ich hatte Angst, die Worte laut auszusprechen, die ich schon so lange in mir trug. Doch Elias' Hand lag weiterhin beruhigend auf meinem Arm, und ich atmete tief durch.

„Meine Eltern... sie haben mich rausgeworfen", begann ich schließlich. Meine Stimme klang fremd in meinen Ohren, dünn und unsicher. „Weil ich... weil ich trans bin."

Frau Wagner nickte langsam. „Das tut mir sehr leid, Leo", sagte sie. „Das, was Sie erlebt haben, ist nicht in Ordnung, und wir werden alles tun, um Ihnen zu helfen." Ihre Worte waren warm, aber ich konnte das Mitleid in ihrem Blick sehen. Ich hasste dieses Gefühl, als sei ich jemand, um den man sich sorgen musste, jemand, der zerbrochen war.

Ich erzählte ihr, was passiert war, so gut ich konnte, aber die Worte kamen nur stockend. Es war schwer, die Wut und den Schmerz zu beschreiben, den ich verspürt hatte, als meine Eltern mich hinausgeworfen hatten. Wie kalt es gewesen war, wie verloren ich mich gefühlt hatte. Ich sprach nicht viel über die Schläge, nur genug, dass Frau Wagner verstand, dass es ernst war.

„Ich verstehe", sagte sie schließlich und machte sich Notizen. „Leo, ich bin froh, dass Sie jetzt bei Elias und seiner Familie sind. Aber wir müssen eine langfristige Lösung finden."

Nach dem Gespräch verließ Frau Wagner kurz das Zimmer, um mit einem Kollegen zu sprechen. In der Zwischenzeit herrschte Stille. Elias hielt meine Hand und sah mich an. „Du warst unglaublich mutig", sagte er leise. Seine Augen glänzten, und ich wusste, dass er es ernst meinte.

Frau Wagner kehrte zurück und erklärte, dass es zunächst darum gehe, mich offiziell in Obhut zu nehmen. „Das bedeutet, dass wir Sie rechtlich aus der Obhut Ihrer Eltern nehmen und vorerst eine sichere Unterkunft für Sie finden müssen."

„Kann er bei uns bleiben?" fragte Elias' Mutter sofort.

Frau Wagner lächelte dankbar. „Das ist eine Möglichkeit, zumindest für eine Übergangszeit. Ich werde das prüfen. Aber Leo, wir müssen auch über eine langfristige Lösung sprechen. Vielleicht eine Wohngruppe oder eine Pflegefamilie."

Das Wort „Wohngruppe" ließ mein Magen sich wieder zusammenziehen. Ich hatte keine Ahnung, wie das sein würde, mit Fremden zusammenzuleben. Aber ich wusste auch, dass ich niemals zu meinen Eltern zurückgehen wollte.

Als wir das Jugendamt verließen, fühlte ich mich erschöpft, aber auch irgendwie erleichtert. Es war gut zu wissen, dass etwas getan wurde, dass ich nicht allein war. Elias' Eltern wirkten ebenfalls erleichtert, auch wenn ich die Sorge in ihren Gesichtern sah.

Im Auto auf dem Weg zurück lehnte ich meinen Kopf wieder an Elias' Schulter. „Danke", murmelte ich.

Er legte seinen Kopf leicht gegen meinen. „Du musst dich nicht bedanken. Ich tue das gern für dich."

Als wir wieder bei Elias zu Hause ankamen, wollte ich nur noch schlafen. Aber in meinem Kopf klangen die Worte von Frau Wagner immer wieder nach. Es war schwer, die Vorstellung von einer Wohngruppe zu akzeptieren, aber ich wusste, dass dies der Anfang von etwas Neuem war – und vielleicht sogar der Anfang eines besseren Lebens.

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