Kapitel 35-Besuch

Der vierte Tag im Krankenhaus begann genauso eintönig wie die drei davor. Es war ein grauer Morgen, und der Regen prasselte gegen das Fenster meines Zimmers. Ich saß im Bett, eine der unzähligen Decken fest um mich geschlungen, und starrte aus dem Fenster. Trotz all der Unterstützung, die ich hatte, fühlte ich mich manchmal noch immer einsam.

Die Tür ging plötzlich auf, und ich erwartete, dass es wieder nur eine Schwester war, die nach meinem Zustand sah. Stattdessen kam Elias herein – und er war nicht allein.

„Leo! Wir dachten, du könntest ein bisschen Gesellschaft gebrauchen!" rief eine bekannte Stimme.

Es war Louis. Und hinter ihm drängten sich noch drei weitere Gesichter in den Türrahmen: Hannah, Finn und Amara, die ich von der Party kannte. Sie alle trugen riesige, überquellende Taschen, und auf Louis' Gesicht lag sein typisches Grinsen, das er einfach nie abzulegen schien.

Ich blinzelte sie an, völlig überrascht. „Was... was macht ihr denn hier?"

„Besuch, natürlich!" sagte Amara, während sie einen kleinen Tisch an die Seite des Bettes schob. „Elias hat uns erzählt, was passiert ist. Wir wollten nicht einfach nichts tun, nachdem wir das gehört haben."

Innerhalb weniger Minuten verwandelte sich mein kleines, steriles Krankenzimmer in etwas, das an ein Festival erinnerte. Die Gruppe breitete eine bunte Decke auf dem Boden aus, packte Snacks und Getränke aus und begann, alles zu arrangieren, als wäre es ein richtiges Picknick.

„Wir haben Chips, Schokolade, Gummibärchen – sogar diese fancy Käse-Cracker, die du so magst!" sagte Louis stolz und hielt eine Packung hoch.

„Woher wusstest du, dass ich die mag?" fragte ich und konnte ein kleines Lächeln nicht unterdrücken.

„Weil du sie bei der Party fünfmal erwähnt hast, Leo", antwortete Louis trocken und zwinkerte mir zu.

Hannah öffnete eine Flasche Orangensaft und goss ihn in kleine Plastikbecher. „Ich weiß, dass wir eigentlich nicht hier drinnen essen dürfen, aber wir haben die Schwester bestochen."

„Bestochen?" fragte ich alarmiert.

„Naja, wir haben ihr Gummibärchen gegeben, und sie hat nichts dagegen gesagt. Das zählt doch, oder?" sagte Finn mit einem schiefen Grinsen.

Trotz ihrer fröhlichen Stimmung konnte ich spüren, dass sie sich alle Sorgen machten. Die Blicke, die sie sich zuwarfen, wenn sie dachten, ich würde es nicht bemerken, sprachen Bände.

„Du hättest uns wirklich vorher Bescheid sagen können, dass es dir nicht gut geht", sagte Amara schließlich und sah mich mitfühlend an. „Wir hätten geholfen."

„Es... war alles ein bisschen viel", gab ich leise zu. „Ich wusste nicht, wie ich darüber reden soll."

„Das verstehen wir", sagte Louis sanft. „Aber weißt du was? Du bist nicht allein, Leo. Wir sind hier. Und wir werden bleiben."

Ich nickte, obwohl mein Hals plötzlich wie zugeschnürt war. Es war schwer, diese Art von Unterstützung anzunehmen, vor allem nach allem, was passiert war. Aber es fühlte sich auch... gut an.

Während die Gruppe um mich herum quatschte und lachte, spürte ich, wie sich etwas in mir lockerte. Ich fühlte mich fast normal – als ob ich kein seltsamer Junge in einem Krankenhausbett war, sondern einfach ein Teil von etwas Größerem.

„Weißt du noch, wie du bei der Party gesagt hast, dass du Breakdance lernen willst?" fragte Finn plötzlich und sah mich schelmisch an.

Ich stöhnte. „Oh Gott, das habe ich wirklich gesagt, oder?"

„Ja, hast du", sagte Hannah und brach in Lachen aus. „Und dann hast du behauptet, du könntest einen Handstand machen!"

„Kann ich vielleicht auch!" verteidigte ich mich halbherzig, obwohl ich wusste, dass das nicht stimmte.

„Klar, Leo", sagte Louis mit einem Augenzwinkern. „Das sehen wir dann, wenn du wieder fit bist."

Nach einer Weile zog Amara eine kleine Tüte aus ihrem Rucksack. „Wir haben noch etwas für dich."

Ich sah sie überrascht an, als sie die Tüte vor mir auf das Bett legte. „Für mich?"

„Ja", sagte sie und grinste. „Öffne es."

Drinnen war ein kleines Notizbuch mit einem Regenbogen auf dem Cover und der Aufschrift We are here, we are proud. Es war schlicht, aber irgendwie wunderschön.

„Damit du deine Gedanken aufschreiben kannst", erklärte Amara. „Manchmal hilft es, wenn man alles rauslässt."

„Danke", flüsterte ich, und dieses Mal konnte ich die Tränen nicht zurückhalten.

Die Stunden vergingen wie im Flug. Es war das erste Mal seit Tagen, dass ich nicht nur über meine Situation nachdachte, sondern einfach im Moment war. Die Gruppe brachte so viel Leben in das sterile Krankenhauszimmer, dass ich fast vergaß, wo ich war.

Als sie schließlich gingen, hinterließen sie eine Wärme, die noch lange nachhallte. Sie hatten mich daran erinnert, dass ich nicht allein war – dass es Menschen gab, die mich so akzeptierten, wie ich war, und die bereit waren, für mich da zu sein.

Ich sah das kleine Notizbuch auf meinem Nachttisch an und lächelte schwach. Vielleicht würde ich heute Abend ein paar Gedanken aufschreiben. Vielleicht würde ich einen Anfang finden.

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