Kapitel 26-boyfriends
Die Blätter der Bäume färbten sich bereits in warmen Rot- und Gelbtönen, und ein leichter Wind trug den Duft von Erde und verwelkendem Laub durch die Luft. Es war fast Herbst, und die Welt um mich herum schien sich zu verändern – genauso wie ich mich in den letzten Wochen verändert hatte. Ich saß auf einer Bank im Park und wartete auf Elias.
Mein Herz hämmerte in meiner Brust, und meine Hände waren kalt, obwohl ich sie in die Taschen meiner Jacke gesteckt hatte. In meinem Kopf spielten sich die Sätze ab, die ich sagen wollte, doch immer wieder war ich unsicher, wie ich anfangen sollte. Es war, als ob ich ein Theaterstück aufführte, ohne zu wissen, ob das Publikum mich ausbuhen oder applaudieren würde.
Dann sah ich ihn: Elias kam mit seinem typischen federnden Gang den Weg entlang, die Kapuze seiner grauen Sweatjacke halb über den Kopf gezogen. Als er mich sah, winkte er und beschleunigte seine Schritte.
„Hey Marie!" rief er und setzte sich neben mich. „Alles klar bei dir?"
Ich nickte zögerlich und zwang mich zu einem Lächeln. „Ja... also, irgendwie. Und bei dir?"
„Ach, ganz gut. Schule ist halt langweilig wie immer." Er schob seine Kapuze zurück und musterte mich genauer. „Du siehst ein bisschen blass aus. Alles okay?"
Ich zuckte mit den Schultern und spürte, wie mein Magen sich zusammenzog. Jetzt war der Moment, oder? Das war die Chance, von der ich seit Tagen wusste, dass sie kommen würde.
„Elias", begann ich und schaute auf den Kiesweg vor uns, „kann ich mit dir über was reden? Was... Wichtiges?"
„Klar", sagte er, ohne zu zögern. „Du weißt, du kannst mir alles sagen."
Ich nahm einen tiefen Atemzug und versuchte, die Tipps aus der Chatgruppe in meinem Kopf zu ordnen. Fang langsam an. Bereite dich darauf vor, Fragen zu beantworten. Sei ehrlich.
„Es geht um mich", sagte ich schließlich und rang um Worte. „Ich... ich habe in letzter Zeit viel nachgedacht. Über mich selbst. Über... wer ich bin."
Elias zog die Augenbrauen hoch, aber seine Stimme blieb ruhig. „Okay. Was meinst du damit?"
Ich spürte, wie meine Finger sich in die Taschen meiner Jacke krallten. Die Worte waren schwer, fast so, als wären sie aus Stein. „Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, ohne dass es komisch klingt."
„Marie", sagte er sanft und drehte sich zu mir, sodass er mich direkt ansah. „Es ist okay. Ich höre zu. Du kannst dir Zeit lassen."
Ich nickte und zwang mich, seinen Blick zu erwidern. Seine Augen strahlten Wärme aus, und für einen Moment fühlte ich mich etwas sicherer.
„Okay", begann ich erneut. „Also... ich weiß nicht, ob ich wirklich das bin, was alle immer von mir gedacht haben. Ich meine... ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich ein Mädchen bin."
Elias blinzelte, aber er sagte nichts. Stattdessen nickte er langsam, als wolle er mir Zeit geben, weiterzureden.
„Ich habe mich in letzter Zeit viel mit dem Thema beschäftigt", fuhr ich fort, und die Worte kamen jetzt ein wenig leichter. „Mit Geschlechtsidentität und so. Und ich... ich glaube, ich bin vielleicht... trans."
Die Stille, die folgte, war überwältigend. Ich hatte das Gefühl, als ob die Welt um uns herum plötzlich stiller geworden wäre, als ob sogar der Wind den Atem anhielt. Elias schaute mich an, seine Stirn leicht in Falten gelegt, doch in seinem Gesicht war keine Spur von Ablehnung.
„Vielleicht?" fragte er schließlich, leise und nachdenklich.
„Ja", sagte ich schnell und schaute wieder auf den Kiesweg. „Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher. Manchmal frage ich mich, ob ich es nur erfinde oder mir einbilde. Aber ich habe mich schon so lange so... falsch gefühlt, weißt du? Und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr fühle ich mich, als ob das... passen könnte."
Elias nickte langsam. „Okay. Ich verstehe."
Ich sah ihn skeptisch an. „Tust du das wirklich? Verstehst du es?"
Er grinste schief. „Naja, vielleicht nicht alles. Aber ich verstehe, dass es dir wichtig ist und dass es dich beschäftigt. Und das ist genug, oder?"
Ein kleines Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, und ich spürte, wie die Anspannung ein wenig nachließ. „Ja... ja, das ist genug."
„Hast du mit jemand anderem darüber geredet?" fragte er dann.
„Nicht direkt", antwortete ich. „Aber ich bin in so einer Online-Gruppe, wo ich mit anderen reden kann, die dasselbe durchmachen. Das hilft ein bisschen."
„Das klingt gut", sagte er und lehnte sich zurück. „Und was willst du jetzt machen? Also... wie geht's für dich weiter?"
Ich zögerte. „Ich weiß es nicht genau. Ich wollte zuerst mit dir reden, weil... naja, weil du mein Freund bist. Und ich hatte Angst, dass... dass du mich anders sehen könntest."
Elias legte den Kopf schief, und ein kleines Lächeln spielte um seine Lippen. „Marie... ähm... oder... wie möchtest du jetzt genannt werden?"
Mein Herz machte einen kleinen Sprung. „Leo", flüsterte ich. „Ich glaube, ich möchte Leo heißen."
Elias wiederholte es leise. „Leo... das passt. Es fühlt sich richtig an, finde ich."
Die Wärme in seiner Stimme ließ meine Augen brennen, und ich musste blinzeln, um die Tränen zurückzuhalten. „Danke", murmelte ich.
„Immer", sagte er und legte eine Hand auf meine. „Ich meine, das erklärt einiges. Du warst in letzter Zeit echt still. Aber ich bin froh, dass du mir das gesagt hast."
Ich nickte und fühlte, wie ein schwerer Stein von meiner Brust fiel. „Es war nicht leicht. Ich hab mir so viele Gedanken gemacht. Was, wenn du es nicht... keine Ahnung, wenn du es komisch gefunden hättest oder so?"
„Leo", sagte Elias ernst, „du bist immer noch du. Egal, wie du dich definierst. Und ja, das ist vielleicht eine Veränderung, aber ich liebe dich. Das wird sich nicht ändern. Bitte sei mir nicht böse falls ich dich mal falsch anspreche aber ich werde mein bestes geben dich zu unterstützen. Du bist mein fester Freund. Boyfriends."
Meine Kehle wurde eng, und diesmal ließ ich die Tränen fließen. „Danke", flüsterte ich erneut, und er zog mich in eine Umarmung. Plötzlich entfernte er sich ein bisschen von mir und ich dachte er wollte die Umarmung schon beenden doch er hielt mich weiter fest und küsste sanft meine Schläfe.
„Also", sagte er nach einer Weile und lehnte sich zurück, „was machen wir jetzt? Eis essen? Kino? Oder einfach noch ein bisschen hier abhängen?"
Ich lachte, und es fühlte sich gut an, so als wäre ein Teil der Last, die ich mit mir herumgetragen hatte, endlich von mir abgefallen. „Lass uns noch ein bisschen hier bleiben. Es ist schön heute."
Elias nickte. „Alles klar. Aber wenn du mich zu lange hier sitzen lässt, fange ich an, Fragen zu stellen. Zum Beispiel: Wer hat eigentlich entschieden, dass der Herbst die schönste Jahreszeit ist?"
Ich schüttelte lachend den Kopf. „Du bist unmöglich."
„Und du bist mein Leo", sagte er mit einem breiten Grinsen.
Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte ich mich wieder leicht. Wir blieben noch eine ganze Weile im Park sitzen, während die Blätter um uns herum fielen und die Welt sich weiterdrehte.
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