Kapitel 25-Pläne
Ich saß auf dem Stuhl gegenüber von Herrn Seidel, der ruhig in seinem Stuhl zurückgelehnt war. Der Raum war einladend, fast heimelig, und das warme Licht der Schreibtischlampe warf sanfte Schatten auf die Regale voller Bücher und Akten. Es war einer dieser Momente, in denen sich die Zeit dehnte, aber gleichzeitig auch alles so dringlich wirkte. Ich war nervös. Nicht wegen der Tatsache, dass ich mich ihm anvertraute, sondern wegen der bevorstehenden Gespräche – besonders das mit Elias.
„Also, Marie", begann Herr Seidel in seinem ruhigen, sachlichen Ton, „was möchtest du mir heute erzählen?"
„Es geht um mich", sagte ich zögerlich. „Ich... ich habe in letzter Zeit viel über mich nachgedacht, über mein Geschlecht, und... ich denke, ich bin wirklich trans."
Er nickte verständnisvoll, ohne dass sein Gesicht sich veränderte. „Das ist ein wichtiger Schritt, dir das einzugestehen", sagte er mit ruhiger Bestimmtheit. „Das kann eine schwierige Erkenntnis sein. Wie fühlst du dich dabei?"
„Irgendwie... richtig", antwortete ich und ließ meinen Blick auf meine Hände sinken. „Aber gleichzeitig auch unsicher. Was, wenn ich mich doch irre? Was, wenn es nur eine Phase ist?"
„Es ist normal, dass du dich so fühlst. Die Frage nach der eigenen Identität ist komplex, und es gibt keinen „richtigen" oder „falschen" Weg, sich selbst zu erkennen. Du kannst dir Zeit nehmen, das herauszufinden", sagte er mit einem warmen Lächeln.
Ich nickte, spürte aber die Unruhe in meinem Bauch. Herr Seidel hatte recht – ich hatte Zeit, aber gleichzeitig schien alles so dringend, vor allem, wenn ich an Elias dachte.
„Ich denke, ich möchte einen neuen Namen haben", sagte ich schließlich. „Ich möchte nicht mehr Marie genannt werden. Ich möchte Leo genannt werden. Es fühlt sich einfach richtig an."
„Leo", wiederholte er leise und nickte. „Das klingt nach einem Namen, der für dich passt. Was bedeutet dieser Name für dich?"
Ich überlegte einen Moment. „Er fühlt sich einfach... mehr wie ich an. Ich will mich stark fühlen, so wie der Name klingt. Leo hat etwas, das mich richtig anzieht. Er passt zu dem Bild, das ich von mir selbst habe."
Herr Seidel nickte erneut, sein Blick noch immer aufmerksam. „Es ist wichtig, dass du dir diesen Namen gibst, der dir entspricht. Er ist ein Teil von dir. Aber hast du schon darüber nachgedacht, wie du diesen Namen in deinem Umfeld einführen möchtest?"
Ich biss mir auf die Lippe und nickte dann. „Ja. Ich muss es Elias sagen. Aber... ich weiß nicht, wie ich das Gespräch anfangen soll. Ich habe Angst, dass es alles verändert."
„Das ist verständlich", sagte Herr Seidel ruhig. „Es klingt so, als würdest du dir viele Gedanken darüber machen, wie Elias auf diese Neuigkeiten reagieren wird. Es ist wichtig, dass du dir darüber im Klaren bist, was du von ihm brauchst und wie du dich fühlen möchtest."
„Ich will einfach nicht, dass er mich anders behandelt", sagte ich leise. „Ich will immer noch der Mensch sein, den er kennt. Und wenn ich ein Junge bin... können wir dann überhaupt noch zusammen sein? Was wenn er nicht auf Jungs steht? Aber vielleicht ist er ja bisexuell oder sowas. Das wünsche ich mir so sehr!"
„Das ist ein ganz natürlicher Wunsch", sagte Herr Seidel. „Und du hast vollkommen recht – du bleibst immer noch die gleiche Person, die er kennt, auch wenn sich der Name und vielleicht auch andere Dinge verändern. Aber es ist wichtig, dass du offen mit ihm sprichst."
„Aber wie?" Ich blickte auf den Boden und spielte mit meinen Händen. „Ich meine, wie sage ich ihm, dass ich nicht mehr Marie bin? Dass ich jetzt Leo bin?"
Herr Seidel ließ sich Zeit, bevor er antwortete. „Vielleicht ist es hilfreich, das Gespräch in kleinen Schritten zu führen. Du könntest ihm erst sagen, dass du gerade viel über dein Geschlecht nachdenkst und herausfindest, was für dich richtig ist. Es muss nicht gleich der ganze Plan auf einmal sein."
„Und wie sage ich ihm, dass ich es jetzt in Angriff nehme?" fragte ich vorsichtig. „Dass ich mich ändern möchte, dass ich den Namen wechseln möchte?"
„Das kommt darauf an, wie du dich fühlst", antwortete er. „Vielleicht solltest du ihm die Möglichkeit geben, Fragen zu stellen, anstatt alles auf einmal herauszuposaunen. Du könntest ihm auch sagen, dass du diesen neuen Namen für dich selbst gewählt hast, weil er besser zu dem passt, wie du dich fühlst. Und dass du ihm einfach die Möglichkeit gibst, dich in dieser neuen Identität zu sehen."
Ich nickte langsam. „Okay, das klingt sinnvoll. Ich könnte ihm sagen, dass ich nicht mehr „Marie" sein möchte. Ich könnte ihm sagen, dass ich Leo bin."
„Genau", sagte Herr Seidel. „Du solltest dir dabei aber auch keinen Druck machen. Es ist okay, wenn er sich Zeit nimmt, das zu verstehen und zu akzeptieren. Das Wichtigste ist, dass du ehrlich zu ihm bist und ihm die Gelegenheit gibst, darauf zu reagieren."
„Und was, wenn er es nicht versteht? Was, wenn er mich nicht mehr mag?"
„Das sind Ängste, die viele von uns haben, die sich outen", sagte Herr Seidel mitfühlend. „Aber du musst daran denken, dass wahre Freundschaft sich nicht nur auf das äußere Bild stützt. Wenn Elias wirklich dein Freund ist, wird er verstehen, dass du deinen Weg gehst, und er wird dich unterstützen, auch wenn es eine Zeit braucht. Du kannst ihm zeigen, dass es für dich wichtig ist und dass du noch immer der Mensch bist, den er kennt."
„Aber was, wenn er sich anders verhält? Wenn er nicht versteht, dass ich immer noch der gleiche Mensch bin?"
„Das ist eine Möglichkeit, die du in Betracht ziehen musst, aber sie ist nicht der einzige mögliche Ausgang. Deine Ängste sind normal, aber sie müssen nicht unbedingt eintreffen. Wichtig ist, dass du die Kontrolle darüber hast, wie du dieses Gespräch führst und dass du dich nicht drängen lässt, etwas zu tun, wozu du noch nicht bereit bist. Es ist dein Weg."
Ich atmete tief ein. „Und wie mache ich das am besten? Wie kann ich ihm zeigen, dass ich es ernst meine?"
„Indem du authentisch bleibst", sagte Herr Seidel. „Zeig ihm, dass dieser Name für dich mehr ist als nur ein Wort. Du könntest ihm auch sagen, was dieser Name für dich bedeutet und warum du dich für Leo entschieden hast."
„Ich denke, ich verstehe", sagte ich nachdenklich. „Ich könnte ihm einfach sagen, dass ich mich so fühle. Dass es für mich der richtige Name ist und dass ich hoffe, er versteht, was es mir bedeutet."
„Genau", sagte Herr Seidel und lächelte. „Das Gespräch muss nicht perfekt sein. Wichtig ist, dass es ehrlich ist. Du kannst dir die Zeit nehmen, die du brauchst, um alles richtig zu formulieren."
„Ich hoffe, er wird mich verstehen", sagte ich, und ein kleiner Teil von mir fühlte sich plötzlich leichter. Es war, als hätte Herr Seidel mir den letzten Push gegeben, den ich brauchte, um das Gespräch mit Elias tatsächlich zu führen. „Ich werde es ihm sagen."
„Das ist ein mutiger Schritt, Marie", sagte Herr Seidel. „Und egal wie Elias reagiert, du hast das Recht, du selbst zu sein. Du bist schon auf dem richtigen Weg."
Ich nickte, ein wenig erleichtert. Noch immer spürte ich die Nervosität in meinen Eingeweiden, aber ich wusste jetzt, dass ich nicht alleine war. Das Gespräch mit Elias war der nächste Schritt. Aber ich hatte einen Plan. Und das war alles, was ich brauchte, um weiterzugehen.
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