Kapitel 24-Online
Ich saß an meinem Schreibtisch, das Junk Journal neben mir, während mein Laptop vor mir summte. Das Licht meiner Schreibtischlampe tauchte den Raum in ein warmes, gedämpftes Leuchten, und draußen war es längst dunkel geworden. Es war einer dieser Abende, an denen ich nicht wirklich wusste, wie ich anfangen sollte. Der Gedanke an Elias und daran, wie ich ihm sagen sollte, was wirklich in mir vorging, ließ mich nicht los.
Ich öffnete meinen Browser und tippte die ersten Worte ein: „Wie sich als trans outen". Die Suchmaschine spuckte unzählige Ergebnisse aus. Ich klickte auf einen der ersten Links und landete auf einem Blog, in dem eine Person über ihre eigenen Erfahrungen mit ihrem Coming-out schrieb.
„Mach es in deinem Tempo", stand dort. „Wähle den Moment, der sich für dich richtig anfühlt."
Ich las weiter. Die Person beschrieb, wie sie sich zuerst einem engen Freund anvertraut hatte, bevor sie den Schritt gemacht hatte, es ihrer Familie und ihrem weiteren Umfeld zu sagen. Ich nickte unbewusst, während ich die Worte aufnahm. Irgendwie fühlte es sich beruhigend an, zu wissen, dass ich nicht der Einzige war, der sich damit herumquälte.
Der nächste Artikel war eine Liste mit praktischen Tipps:
~ Finde einen ruhigen Moment, in dem ihr ungestört seid.
~ Bereite dich darauf vor, Fragen zu beantworten, aber fühle dich nicht verpflichtet, alles sofort erklären zu müssen.
~ Sei geduldig mit der anderen Person, aber sei auch ehrlich über deine eigenen Bedürfnisse.
~ Denke daran, dass du die Kontrolle darüber hast, wann, wo und wie du dich outest.
Ich klickte weiter, speicherte ein paar Artikel in meinen Lesezeichen und stolperte schließlich über ein Forum für trans Personen. Es war ein bunter Ort voller Threads mit Titeln wie „Mein Coming-out bei meiner besten Freundin" oder „Wie ich meiner Familie gesagt habe, dass ich trans bin".
Ein Thread sprang mir besonders ins Auge: „Tipps fürs Outing bei Freunden". Ich öffnete ihn und begann zu lesen.
Die Beiträge waren ermutigend:
„Ich hab's meinem besten Freund gesagt, als wir allein bei mir zuhause waren. Ich hab angefangen mit ‚Ich muss dir was Wichtiges sagen', und es war super emotional, aber er hat total gut reagiert."
„Ich hab's in einem Brief gemacht, weil ich zu nervös war, es auszusprechen. Danach haben wir drüber geredet, und es war echt hilfreich, dass ich meine Gedanken vorher sortieren konnte."
„Das Wichtigste ist, dass du dir klar machst: Wenn jemand dich wirklich mag, dann wird das nichts daran ändern. Und wenn doch, dann war diese Freundschaft sowieso nicht echt."
Ich spürte, wie mein Herz schwer wurde, als ich das las. Elias... ich hoffte so sehr, dass er mich noch mögen würde, wenn ich ihm alles sagte. Aber was, wenn nicht?
Ich scrollte weiter und stieß auf eine Chatgruppe, die speziell für Jugendliche war, die sich mit ihrer Geschlechtsidentität auseinandersetzten. Nach kurzem Zögern klickte ich auf den Link, meldete mich an und wurde direkt in die Gruppe aufgenommen.
Die Namen der anderen User ploppten auf: Sky, Jay, Niko, Fox. Es fühlte sich an, als würde ich in ein fremdes Wohnzimmer eintreten, wo bereits eine lebhafte Unterhaltung stattfand.
Sky: Also, ich hab's gestern meinem Cousin gesagt. Er hat super reagiert! Ich bin so erleichtert.
Jay: Mega! Wie hast du's gemacht?
Sky: Einfach geradeheraus. Ich hab gesagt: ‚Ich bin nicht das Mädchen, das du kennst, sondern dein Cousin.' Er hat mich nur umarmt und gesagt, dass er stolz auf mich ist.
Fox: Das klingt so schön. Ich wünschte, meine Eltern hätten so reagiert...
Ich zögerte, bevor ich meinen ersten Beitrag schrieb. Schließlich tippte ich:
Leo: Hi, ich bin neu hier. Ich bin... noch nicht sicher, ob ich trans bin, aber ich denke, dass ich es bin. Ich überlege gerade, wie ich es meinem besten Freund sagen kann. Irgendwelche Tipps?
Die Antwort kam schneller, als ich erwartet hatte.
Niko: Hi Leo, willkommen! Du bist hier genau richtig. Es ist okay, noch unsicher zu sein. Und zu deinem Freund: Sei ehrlich und vertraue darauf, dass er dich versteht. Wie ist er so drauf?
Leo: Er ist eigentlich total verständnisvoll. Aber ich hab Angst, dass es sich zwischen uns verändert, wenn ich es ihm sage.
Sky: Das ist verständlich. Ich hatte auch Angst, aber glaub mir, wenn er wirklich dein Freund ist, wird er dich unterstützen. Und wenn nicht, dann war er es nicht wert.
Jay: Manchmal hilft es, mit kleinen Schritten anzufangen. Vielleicht sagst du ihm erst mal, dass du dich mit dem Thema Geschlechtsidentität beschäftigst, bevor du direkt alles raushaust.
Ich nickte vor dem Bildschirm. Das klang nach einem guten Ansatz.
Die Unterhaltung ging weiter, und ich fühlte mich mit jeder Nachricht ein bisschen wohler. Ich erzählte ihnen von der Ausstellung in der Schule und von den Gedanken, die ich mir seitdem gemacht hatte. Sie reagierten mit viel Verständnis und ermutigten mich, mir Zeit zu lassen.
Fox: Ich kann verstehen, dass du nervös bist. Aber denk daran: Du hast das Recht, du selbst zu sein. Und niemand hat das Recht, dich dafür zu verurteilen.
Ich lehnte mich zurück und atmete tief durch. Diese Menschen, obwohl sie Fremde waren, gaben mir das Gefühl, verstanden zu werden. Es war das erste Mal, dass ich offen über meine Gefühle sprechen konnte, ohne Angst zu haben, beurteilt zu werden.
Nach einer Weile verabschiedeten sich die ersten, und ich blieb noch ein bisschen im Chat. Sky und Niko waren noch da, und wir redeten über alltägliche Dinge – Lieblingsfilme, Musik, Hobbys. Es war erstaunlich, wie leicht es war, mit ihnen zu reden.
Bevor ich offline ging, schrieb ich noch eine letzte Nachricht:
Leo: Danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt, mit mir zu reden. Ich fühle mich jetzt ein bisschen sicherer.
Sky: Immer gerne. Schreib uns, wenn du mehr Fragen hast oder einfach reden willst.
Niko: Du schaffst das, Leo. Wir glauben an dich.
Ich schloss den Laptop und sah auf das Junk Journal, das noch auf meinem Schreibtisch lag. Ich öffnete es, nahm meinen Stift und schrieb:
„Heute habe ich mich getraut, mit anderen zu reden, die mich verstehen. Es hat mir Mut gemacht. Vielleicht kann ich es auch Elias sagen. Vielleicht wird es okay."
Ich setzte den Punkt und klappte das Journal zu. Zum ersten Mal seit Tagen fühlte ich eine kleine Spur von Hoffnung.
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