Kapitel 17-Die Ausstellung

Der Geruch von frischer Farbe und Karton lag in der Luft, als ich an diesem Dienstagmorgen die Aula der Schule betrat. Eine große Ausstellung war aufgebaut, organisiert von der Schülervertretung und einigen engagierten Lehrern. Überall hingen bunte Plakate, kleine Stellwände waren aufgebaut, und Tische standen bereit mit Flyern, Broschüren und Büchern. Die Überschrift der Veranstaltung prangte in großen Buchstaben über allem:

„Queer-Sein verstehen – Vielfalt erleben"

Ich blieb wie angewurzelt stehen und ließ den Blick über das Chaos aus Farben, Worten und Bildern schweifen. Die Wände waren dekoriert mit Fotos und Grafiken von berühmten queeren Persönlichkeiten, von Aktivisten bis zu Künstlern, begleitet von kurzen Biographien und Zitaten. Daneben gab es Diagramme, Zeitstrahle und Plakate, die wichtige Begriffe erklärten und die Geschichte der LGBTQIA+ Community zeigten.

Elias tauchte neben mir auf, mit seinem typischen Lächeln. „Ziemlich cool, oder?", fragte er und stieß mich sanft mit dem Ellbogen an.

„Ja...", murmelte ich. Es war mehr, als ich erwartet hatte. Viel mehr.

Ein paar Klassen waren bereits da, drängten sich vor den Stellwänden und Tischen, tuschelten miteinander oder schrieben Notizen für die Aufgabe, die die Lehrer ihnen gegeben hatten. Einige nahmen das Thema ernst, andere wirkten eher gelangweilt oder spöttisch.

Elias und ich schoben uns durch die Menge. Bei der ersten Stellwand ging es um Homosexualität und Bisexualität. Ein großes Herz aus Regenbogenfarben war aufgemalt, darunter ein Zitat:

„Liebe ist Liebe – egal, wen du liebst."

„Da haben wir's", sagte Elias, während er eine Broschüre in die Hand nahm. „Man kann es nicht oft genug sagen."

Daneben waren Beispiele von berühmten schwulen und lesbischen Paaren, von Elton John bis zu Ellen DeGeneres. Bei „Bisexualität" stand in großen Buchstaben:

„Nicht halb, nicht unentschlossen, sondern einfach bisexuell."

Ein paar Jungs aus der Parallelklasse standen daneben. Einer von ihnen kicherte laut. „Ist doch eh alles nur 'ne Phase, oder?"

Mir zog sich der Magen zusammen. Elias drehte sich zu ihnen um und sah die Jungs nur ruhig an. „Vielleicht redet ihr einfach über etwas, von dem ihr Ahnung habt", sagte er trocken und zog mich weiter.

Ein paar Schritte weiter kam der nächste Stand: Transgender. Hier blieb ich stehen. Eine Stellwand erklärte in klaren, einfachen Worten die verschiedenen Begriffe:

-Transgender: Eine Person, die sich nicht mit dem Geschlecht identifiziert, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde.

-Nonbinär: Eine Person, die sich weder ausschließlich als männlich noch als weiblich identifiziert.

-Genderfluid: Eine Identität, bei der sich das Geschlecht im Laufe der Zeit verändert.

-Agender: Eine Person, die keine Geschlechtsidentität empfindet.

-Transmaskulin/Transfeminin: Begriffe für trans Personen, deren Identität stärker in Richtung männlich oder weiblich tendiert, ohne sich vollständig damit zu identifizieren.

Ein Flyer daneben listete noch mehr Begriffe auf: Genderqueer, Demiboy, Demigirl, Neutrois, Enby – viele davon hatte ich noch nie gehört. Ich nahm einen der Flyer und ließ ihn unauffällig in meine Tasche gleiten.

Ein Handbuch lag neben den Flyern, klein und schlicht gehalten. Auf dem Titel stand: „Queer – Ein Leitfaden für alle". Ich nahm eines und blätterte vorsichtig durch die Seiten. Es war unglaublich ausführlich.

Ein Kapitel erklärte Asexualität:

„Asexualität bedeutet, dass eine Person wenig bis kein sexuelles Verlangen empfindet. Das bedeutet nicht, dass sie keine Liebe oder romantische Beziehungen haben kann. Asexualität ist ein Spektrum, auf dem auch graue Asexualität und Demisexualität Platz haben."

Ich las weiter über Aromantik:

„Aromantische Menschen fühlen wenig bis keine romantische Anziehung zu anderen. Manche aromantische Menschen führen trotzdem Beziehungen, die nicht romantisch geprägt sind, sondern auf tiefer Freundschaft basieren."

Ich las die Worte langsam, fast ehrfürchtig. Es fühlte sich an wie eine neue Welt, die sich vor mir öffnete – eine Welt, in der es Namen für Dinge gab, die viele Menschen nicht einmal verstehen wollten.

Am Ende des Handbuchs gab es ein Kapitel über Intergeschlechtlichkeit, darüber, dass manche Menschen mit biologischen Merkmalen geboren werden, die nicht eindeutig männlich oder weiblich sind. Dann kamen Abschnitte zu Polyamorie, Pansexualität und sogar selten gehörte Begriffe wie ~ Quoiromantik und ~ Akoiromantik.

Es war, als hätte jemand endlich all die Dinge, die in meinem Kopf herumgewirbelt waren, in Worte gefasst. Es war zu viel, um alles auf einmal zu verarbeiten, aber ich fühlte mich weniger allein.

Elias stand neben mir und beobachtete mich. „Findest du, was du suchst?", fragte er sanft.

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Aber es ist... hilfreich."

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Das ist gut. Vielleicht sollten mehr Leute das hier lesen."

Er sah zu den Jungs von vorhin, die weiter hinten standen und immer noch blöde Kommentare machten. Einer von ihnen deutete auf das Trans-Plakat und lachte. „Was kommt als Nächstes? Leute, die sich als Alien identifizieren?"

Ich biss die Zähne zusammen und spürte, wie mein Herz schneller schlug. Wie ignorant kann man sein?

Elias bemerkte es und schüttelte den Kopf. „Lass sie reden. Irgendwann werden sie merken, wie dumm das ist."

Ich nickte, auch wenn es nicht leichter wurde. Aber während ich das Handbuch wieder zuklappte und in meine Tasche steckte, spürte ich etwas, das ich schon lange nicht mehr gefühlt hatte: Hoffnung.

Die Worte, die ich gelesen hatte, die Geschichten von Menschen, die ihren Weg gefunden hatten, gaben mir Mut. Vielleicht konnte ich das auch. Vielleicht war ich nicht allein.

Und vielleicht, irgendwann, würde ich es auch schaffen, zu sagen: „Mein Name ist Leo."

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