Kapitel 11-Schattenseite

Am nächsten Morgen in der Schule konnte ich kaum atmen. Mein Herz hämmerte in meiner Brust, während ich durch die Flure ging. Alles fühlte sich seltsam an, anders – als hätte die Welt in der Nacht ihre Farbe verändert.

Was, wenn Elias sich jetzt von mir distanzieren würde? Was, wenn er bereute, was passiert war? Oder schlimmer: Was, wenn er so tun würde, als wäre alles normal, während ich innerlich auseinanderbrach?

Ich hielt den Atem an, als ich ihn vor unserem Klassenzimmer stehen sah. Er lehnte an der Wand, sein Rucksack hing lässig über einer Schulter, und er unterhielt sich mit ein paar Leuten aus seiner Clique. Mein erster Impuls war, umzudrehen und so zu tun, als hätte ich ihn nicht gesehen. Aber bevor ich mich bewegen konnte, trafen sich unsere Blicke.

Elias lächelte. Ein warmes, echtes Lächeln, das meine Angst für einen Moment durchbrach. Dann hob er die Hand und winkte mich heran, als wäre nichts passiert – als wären wir immer noch einfach nur wir.

Mit zitternden Knien ging ich zu ihm. „Hey", sagte er, als ich näher kam. Seine Stimme klang wie immer, ruhig und leicht, aber in seinen Augen lag etwas Weicheres, etwas, das mich für einen Moment die Welt um uns herum vergessen ließ.

„Hey", antwortete ich, unsicher, was ich sonst sagen sollte.

„Willst du reingehen?" Er öffnete die Tür für mich und folgte mir ins Klassenzimmer.

Der Tag verlief erstaunlich... normal. Nein, besser als normal. Wir saßen nebeneinander, wie immer, aber es gab etwas Neues in der Art, wie wir miteinander umgingen. Unsere Arme berührten sich öfter, und wenn ich aufblickte, fing ich manchmal seinen Blick auf mir, warm und aufmerksam.

Einmal, während der Lehrer einen Vortrag hielt, lehnte sich Elias zu mir und flüsterte: „Du bist so still heute. Alles okay?"

Ich nickte und zwang ein Lächeln, obwohl mein Kopf voll war mit Gedanken. Sein Atem streifte mein Ohr, und ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen stieg.

In der Pause saßen wir draußen auf der Mauer hinter der Turnhalle, unserem üblichen Platz. Elias erzählte mir von einem verrückten Video, das er am Abend zuvor gesehen hatte, und ich lachte über seine übertriebenen Nachahmungen. Aber tief in mir nagte etwas.

Das Geheimnis, das ich mit mir herumtrug, schien immer größer zu werden, immer schwerer. Ich fragte mich, wie lange ich es noch verbergen konnte. Und wenn ich es ihm irgendwann sagte – was dann?

Die Vorstellung, dass er mich nicht mehr ansehen könnte, wie er es jetzt tat, war kaum zu ertragen.

Später, als ich allein war, holte mich die Realität ein. Ich saß auf meinem Bett und starrte aus dem Fenster. Das Licht der untergehenden Sonne färbte mein Zimmer in warmen Orangetönen, aber in mir war es kalt und dunkel.

Ich wollte so sehr einfach nur glücklich sein. Ein Happy End, wie in den Geschichten, die ich als Kind gelesen hatte. Aber es fühlte sich an, als wäre das für mich unmöglich.

„Warum kann es nicht einfach leicht sein?" flüsterte ich in die Stille.

Ich dachte an Elias, an die Art, wie er mich ansah, wie er mich zum Lachen brachte, wie er mich berührte. Und dann dachte ich an die Person, die ich wirklich war – die Person, die ich immer noch nicht sein durfte.

Was, wenn er mich nicht mehr mochte, wenn er wüsste?

Der Gedanke war wie ein Messer in meinem Brustkorb, scharf und tief. Aber gleichzeitig gab es diesen winzigen Funken Hoffnung, dass er vielleicht... vielleicht doch bleiben könnte.

Ich wünschte mir so sehr, dass ich ihm vertrauen konnte. Dass ich mir selbst vertrauen konnte. Aber in diesem Moment war die Angst lauter als alles andere.

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