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Genervt schließe ich die Augen und bleibe einen Moment lang stehen.
»Echt jetzt? Das ist voll der Umweg ...«, brumme ich in mein Telefon und höre Saschas leises Lachen.
»Stell dich nicht so an, Pchela. Ein bisschen Bewegung hat noch niemandem geschadet.« Während seine amüsierte Stimme in meinem Ohr nachhallt, grummele ich leise. Es geht mir nicht um die Bewegung, sondern viel mehr um den Ort, den ich durchqueren muss, wenn ich seiner Bitte nachkomme.
Nervös blicke ich auf die große Mauer, die den Park von der Straße abgrenzt, und erzittere. Gleichzeitig ärgere ich mich über mich selbst. Es ist absolut dämlich, dass ich diesen komplett meide, seitdem ... Schnell schüttele ich meinen Kopf, um den Gedanken zu vertreiben und beiße mir auf die Lippe.
»Also ich brauche keinen Nachtisch ...« Mein schwacher Versuch, Sascha umzustimmen, endet in seinem schallenden Gelächter.
»Du brauchst jede Kalorie, die ich dir zuführen kann.«
»Das klingt echt abartig ...«, murmele ich, muss aber dennoch schmunzeln.
Seit Sascha mich vor knapp 'ner Woche eingesammelt hat, zwingt er mich täglich vor der Schicht bei ihm aufzutauchen, um etwas ›Vernünftiges‹ zu essen. Der blöde Sack.
Außerdem ist es auch nicht das erste Mal, dass er mich irgendwo hinschickt, wo ich auf jemand Bestimmten treffen könnte. Vor ein paar Tagen wollte er unbedingt einen Kaffee von Jamie haben, weil die Mädels ihm das angeblich empfohlen haben. Wer's glaubt!
»Hör auf, dich zu beschweren, ›Darling‹. Die Erdbeeren an dem Stand sind nun mal die besten und du wohnst direkt nebenan.« Das ist ganz bestimmt der einzige Grund ...
»Jaha«, gebe ich leise knurrend von mir und rolle mit den Augen. Zum Glück kann Sascha mich nicht sehen, andernfalls würde ich mir wieder einen dummen Kommentar einfangen. Es reicht schon, dass er mich inzwischen ständig ›Darling‹ nennt, um mich zu ärgern. Kosenamen scheinen echt seins zu sein.
»Also?«, fragt er so scheinheilig, als würde er nicht wissen, welche Überwindung mich dieser Weg kostet. »Holst du welche? Babulik würde sich wirklich freuen ...«
Arschloch. Mich mit seiner Oma zu ködern, ist gemein. Diese kleine Frau hat mich in den letzten Tagen umsorgt, als wäre ich ihre eigene Enkelin. Das hat sich mindestens genauso ungewohnt angefühlt wie Saschas ständige Bemutterung. Trotzdem war es aber auch irgendwie schön und ich möchte ihr ein wenig davon zurückgeben können. Wenn auch nur mit so kleinen Dingen wie Erdbeeren zu besorgen.
»Ist ja gut ...« Etwas anders ist einfach nicht drin. Trotzdem verfluche ich Sascha dafür, dass dieser beschissene Erdbeerstand ausgerechnet neben dem Spielplatz steht.
Wieso ist das eigentlich so? Als ob sich der Inhaber gedacht hat, dass die Eltern verderbliche Früchte für ihre Knirpse kaufen wollen. Die wären anschließend nicht nur voller Sand, sondern auch voller rotem Matsch. Viel Spaß mit den Wespen ...
»Perfekt. Bis gleich und so«, sagt Sascha, holt mich damit aus meinen Gedanken und legt auf. Mir bleibt keine Zeit, etwas zu erwidern. Stattdessen stehe ich weiterhin vor der Mauer, die wie ein großes Mahnmal über mir aufragt und mich zu verhöhnen scheint.
Nach einer Weile gebe ich mir jedoch einen Ruck und setze einen Fuß vor den anderen. Kaum befinde ich mich auf der anderen Seite der Steine, kämpfen Nervosität und Ruhe gleichzeitig um die Vorherrschaft. Mein Körper wird von einer Gänsehaut überzogen und mein Herz klopft unruhig gegen meinen Brustkorb. Der vertraute Geruch hingegen gibt mir Sicherheit. Ich bin gerne hier. War ich schon immer. Das sollte ich mir nicht von einem Kerl vermiesen lassen.
Mit diesem Gedanken steure ich entschlossen den Weg zur Mitte des Parks an. Die Devise lautet: Schnell rein, schnell wieder raus. Trotzdem wird mir unbehaglich, als ich den großen Spielturm schon von Weitem erblicke. Auch Kinderlachen dringt in meine Ohren, weshalb ich den Kopf senke. Wenn ich niemanden sehe, kann mich auch keiner erkennen, oder nicht?
Als ich endlich am Parkplatz ankomme, ist der Verkäufer gerade dabei, eine Gruppe Teenies zu bedienen.
Unruhig trete ich von einem Bein aufs andere und erwische mich dabei, wie ich doch einen Blick Richtung Spielplatz riskiere. Vor nicht allzu langer Zeit war ich mit Felix hier und bin zum ersten Mal auf DJ getroffen. Beim nächsten Treffen bin ich schon mit ihm rutschen gegangen. Sofort schelte ich mich selbst für diese Gedanken und die, die direkt folgen wollen. Ich bin überaus froh, weder den kleinen Mann noch seinen Vater auszumachen.
»Was darf's für Sie sein, junge Dame?« Überrascht hebe ich den Kopf. Der Herr lächelt mich freundlich an und zwinkert mir zu.
»Ähm ... Fünfhundert Gramm ... bitte.« Super, jetzt stammele ich schon genauso wie die Kids vor mir, doch das scheint den Verkäufer nicht zu stören. In aller Seelenruhe nimmt er sich eine große Pappschale, liest jede Frucht einzeln auf und pfeift dabei fröhlich vor sich hin.
Ganz ehrlich, wenn ich es nicht dermaßen eilig hätte, von hier zu verschwinden, würde es mich auch nicht so stören, dass sich die Zahl der Waage nur im Schneckentempo erhöht. Gerade jedoch weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll.
»Darf es sonst noch was sein?«
Meine Augenbraue hebt sich vor Verwirrung von alleine und mein Blick schweift über die Auslage. Mehr als Erdbeeren sind nicht zu sehen. »Nein?«, murmele ich deshalb zögerlich und höre ihn lachen. Dann nennt er mir den Preis, übergibt mir die Tüte und ich nicke ihm freundlich zu, nachdem ich bezahlt habe.
Jetzt nichts wie weg. Von meiner eben noch vorhandenen Selbstbeherrschung und dem guten Vorsatz ist nicht mehr viel übrig. Als würde ich verfolgt werden, steuere ich den anderen Ausgang des Parks an und erschaudere dabei. Durch dieses Tor bin ich bisher nur einmal gegangen und das war ...
»Jam!«
Vor Schreck lasse ich fast die Erdbeeren fallen. Das ist jetzt nicht wahr, oder? So viel Pech kann man doch gar nicht haben!
Viel zu spät realisiere ich, dass DJ sich an mich klammert und mich bis über beide Ohren hinweg angrinst. Schlimmer ist jedoch die Person, die augenscheinlich wenige Schritte hinter ihm steht. Alles in mir schreit nach Flucht, während mein Blick krampfhaft auf dem Gesicht des kleinen Jungen liegen bleibt.
›Bloß nicht aufsehen‹, mahne ich mich selbst und verziehe meine Lippen zu einem Lächeln. Es muss unheimlich gequält aussehen, DJ fällt das jedoch zum Glück nicht auf.
»Du, Jam?«, fragt er und zupft leicht an meinem T-Shirt. »Gehst du mit mir rutschen?«
»Äh ...«
»Ich glaube, dafür hat sie gerade keine Zeit.« Die Stimme von David zu hören, lässt mich zittern und sorgt für so viele Emotionen, dass ich sie gar nicht ordnen kann. Gefangen zwischen Wut, Schmerz und irgendwas anderem stehe ich einfach nur stumm da, unfähig zu sprechen. Doch DJ schaut mich so unschuldig an, dass meine Worte zur Flucht sowieso im Hals stecken bleiben würden.
Überfordert schüttele ich meinen Kopf, woraufhin das Leuchten in seinen Augen nachlässt. Sofort überkommt mich ein schlechtes Gewissen. Er kann nichts dafür, dass sein Vater und ich uns ... ja was? Gestritten haben wir uns nicht.
Plötzlich spüre ich Angriffslust in mir aufsteigen. Vielleicht kann ich diese Schmerzen endlich überwinden, wenn ich so tue, als würde mich seine Anwesenheit nicht stören.
»Doch die hab' ich.« Fast schon knurrend hebe ich den Arm mit der Tüte und strecke sie David entgegen. »Halt mal«, weise ich ihn an und achte darauf, ihn keinesfalls zu berühren oder anzusehen. Dann schnappe mir DJs kleine Hand und drehe mich mit ihm zusammen um.
Kaum zwei Schritte weiter frage ich mich, was mich da bitte geritten hat. Wieso zum Teufel habe ich zugestimmt? Schlimmer noch, es irgendwie selbst initiiert? Hallo?! Das macht die Situation ganz bestimmt nicht besser!
Das einzig Gute an der Sache ist, dass DJ sich wirklich zu freuen scheint. Außerdem bin ich ihm dieses eine Mal ja auch noch schuldig.
»Wieder die ganz oben?«, frage ich ihn, nachdem wir das Gerüst erreichen und er nickt eifrig. Klar. Wieso frage ich auch so blöd? Natürlich muss es die sein. Kaum lasse ich ihn los, stürmt er los und damit ich nicht mit seinem Vater allein zurückbleibe, klettere ich direkt hinterher.
Der Anstieg ist wie immer eine Herausforderung und ich bin erleichtert, als ich endlich oben ankomme. Besonders an heißen Sommertagen sind diese Gerüste unerträglich. Wie schafft es DJ nur, trotz seiner kurzen Hose so hitzeresistent zu sein?
»Papa! Papa!«, ruft er, während ich noch die letzte Ebene erklimmen muss und versehentlich nach unten blicke – ein Fehler. Genau wie vor ein paar Wochen steht David dort und beobachtet uns. Die Erinnerungen kommen sofort hoch und obwohl es nicht lange her ist, fühlt es sich wie eine Ewigkeit an.
Für einen Moment treffen sich unsere Blicke, was mir erneut eine Gänsehaut bereitet.
»Dann lass uns mal rutschen«, sage ich zu dem winkenden Jungen und reiße mich von Davids Augen los. In mir steigt eine Übelkeit auf, die ich kaum unterdrücken kann.
»Ist gut.«
Auch diesmal nimmt er auf meinem Schoß Platz, die Fahrt dauert kaum fünf Sekunden und wir sind unten angekommen.
»Noch mal!«, ruft er begeistert, greift nach meiner Hand und sieht mir ins Gesicht. Ich nicke stumm und wir wiederholen die Prozedur noch dreimal. Dann hat er genug und will eine Runde schaukeln.
Eine Welle der Erleichterung durchströmt mich – ich habe mein Versprechen gehalten. Lächelnd beobachte ich DJ, wie er zur Schaukel rennt. Er ist ein wirklich toller Junge, was bei solchen Eltern ein echtes Wunder ist. Obwohl ich David nicht vorwerfen kann, dass er mit seinem Sohn schlecht umgeht.
Apropos, David. Irgendwie habe ich mal wieder nicht bedacht, dass ich zu ihm gehen muss, um die Erdbeeren zu holen. Aber vielleicht könnte ich sie ihm auch einfach überlassen und mir neue besorgen. Das wäre allerdings echt kindisch. Außerdem würde ich ihm damit sehr wohl zeigen, dass er mich verletzt hat. Mann!
Schnaubend gehe ich auf ihn zu, bleibe mit etwas Abstand stehen und strecke wortlos meine Hand aus. Nebenbei zähle ich die Kieselsteine, um mich abzulenken.
»Hast du kurz Zeit?«
Seine Stimme löst wieder diesen ungewollten Gefühlscocktail aus, sodass ich mir fest auf die Lippe beiße und prompt meinen Kopf schüttele.
»Komm schon, Jamie ...«
»Nenn mich nicht so!«, zische ich und verschränke die Arme vor der Brust. Er müsste doch wissen, was er mir damit antut. Auch wenn er natürlich keine Ahnung hat, wie sehr ich gekämpft habe, um ›Jamie‹ abzulegen. Dennoch ist er schuld daran, dass sie wieder in den Vordergrund getreten ist.
»Du gehst mir wirklich aus dem Weg?«
»Das ist der Plan«, antworte ich knapp.
»Du willst also keine Erklärung für die Wette?«
Ein Impuls führt dazu, dass ich den Kopf hebe und ihn anschaue. Seine grün-blauen Augen fesseln mich sofort und lassen mein Gehirn kurzzeitig aussetzen.
Als er einen Schritt auf mich zukommt, schaltet sich mein Verstand glücklicherweise wieder ein und ich weiche zurück. Ein Lächeln auf seinen Lippen entdeckend, kehrt die Wut zurück, die mir Klarheit bringt. Egal, wie sehr ich Saschas Worten Glauben schenken wollte, ich weiß einfach, was ich gehört habe. Was ich gesehen habe. Immerhin steht er auch jetzt vor mir und zeigt keinerlei Reue.
»Erdbeeren!«, presse ich zwischen meinen zusammengebissenen Zähnen hervor und strecke die Hand erneut aus. Er hebt seine und lässt die Tüte in meine Finger gleiten. Seine Miene verzieht sich kein bisschen und versetzt mir einen erneuten Stich.
Was für eine blöde Idee, ihm die Stirn bieten zu wollen. Das konnte ich früher schon nicht und habe offensichtlich nichts draus gelernt.
Ohne ein weiteres Wort drehe ich mich um und gehe.
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