~23~

Seufzend lasse ich mein Handy sinken und werfe es neben mich aufs Bett, wo es ein paar Mal aufspringt, bevor es schließlich still liegen bleibt. Mann, das ist alles echt frustrierend!

Seit meinem Gespräch mit Piet sind nun zwei Tage vergangen – zwei Tage, die sich gleichzeitig wie im Flug und quälend langsam angefühlt haben. Ein Grund dafür ist der Schlafmangel, der mich mittlerweile völlig ausgeknockt hat. Ich verbringe meine Zeit entweder schlafend oder bei der Arbeit. Die wenigen Stunden, in denen ich wach bin und nicht arbeiten muss, sind wie im Nebel. Sogar an unser Frühstück gestern Morgen kann ich mich kaum noch erinnern.

Und dann ist da noch Felix. Er lässt mich ständig das Gefühl haben, als würde ich unablässig warten. Dieser blöde Idiot geht entweder gar nicht ans Telefon oder drückt mich einfach eiskalt weg. Dabei habe ich genauso wenig Lust auf dieses Gespräch! Verdammt, warum habe ich mich nur dazu breitschlagen lassen? Ich will ihm diese Hiobsbotschaft nicht überbringen müssen! Genervt reibe ich mir über das Gesicht. Wenn er schon nicht telefonieren will, könnte er mir wenigstens zurückschreiben. Aber auch das scheint ihm offensichtlich nicht zu passen.

Um meiner schlechten Laune Luft zu machen, greife ich nach einem Kissen, knülle es zusammen und drücke es gegen mein Gesicht. Schreien kann ich nicht, denn das würden David und Sascha sofort hören – auch wenn ich mich für meinen erneuten Anrufversuch in Saschas Schlafzimmer zurückgezogen habe.

Da unser gemeinsames Treffen letzte Woche nicht geklappt hat, hat Sascha es einfach auf diese Woche verschoben. Eigentlich wollte ich wieder absagen, denn mein Kopf ist viel zu voll, um mich seinem Fragenhagel auszusetzen. Auf der anderen Seite hätte ich die Gelegenheit gehabt, ihm all die Fragen zu stellen, die mir im Kopf rumschwirren. Dachte ich zumindest. Dass es mit DJ am Tisch schwierig werden würde, hatte ich irgendwie vergessen – wobei Sascha sich so ebenfalls zurückhalten musste.

Und da ich den kleinen Mann sowieso wiedersehen wollte – schließlich hatte ich ihm beim letzten Telefonat versprochen, ihn zu besuchen, genau wie das Gesellschaftsspiel, das er vermutlich gerade aufbaut – blieb mir nichts anderes übrig, als herzukommen. Es bringt also nichts, weiter darauf zu warten, dass Felix sich irgendwann meldet. Warum sollte er auch? Schließlich geht es nur um seinen Vater, der vielleicht bald nicht mehr da ist.

Ein weiteres Seufzen entweicht mir, während ich nach meinem Handy greife. Wenn ich müde bin, wird mein Sarkasmus wirklich ungesund. Die Vorstellung, Piet irgendwann in einem Sarg liegen zu sehen, finde ich alles andere als witzig.

»Jamie?« Das Klopfen an der Tür lässt mich hochschrecken. Sie öffnet sich und David steckt seinen Kopf herein. »Alles okay bei dir?«

Sofort setze ich ein Lächeln auf. »Klar«, antworte ich und stecke mein Handy in die Gesäßtasche. Warum erzähle ich ihm eigentlich nicht, dass ich versuche, Felix zu erreichen?

»Du siehst immer noch ziemlich fertig aus.«

Ich winke ab. »Nichts, was eine Portion Schlaf und ein bisschen Make-up nicht wieder geradebiegen könnten.«

Er nickt langsam und tritt dann ein, während er die Tür hinter sich schließt. Kurz herrscht eine seltsame Stille, bis er sich räuspert. »Hast du ... immer noch ... ›Albträume‹?«

Diesmal nicke ich. Uns beiden ist klar, was er meint, aber es ist in Ordnung, wenn er es so ausdrückt. Schnell klopfe ich neben mir aufs Bett, damit er sich zu mir setzt. Unsere Beine berühren sich, und ich spüre die Hitze, die von ihm ausgeht – besonders bei gefühlten sechsunddreißig Grad im Schatten draußen.

»Wenn ich wach bin, weiß ich, dass sowas nie wieder passiert«, murmele ich und lege meine Hand auf seine. »Du tust mir nicht mehr weh. Nur mein schlafendes Gehirn braucht anscheinend noch etwas länger, um das zu begreifen.«

David dreht seine Hand und schiebt seine Finger zwischen meine. »Ich wünschte, es wäre nie passiert«, sagt er und fährt sich mit der anderen Hand durch die Haare. »Und ich würde dir so gern helfen, damit du das alles nicht nochmal durchmachen musst – also in deinen Erinnerungen.«

Meine Schultern heben sich unwillkürlich. Irgendwie habe ich mich damit abgefunden. Es klingt makaber, aber wenn das der Preis dafür ist, auch die schönen Momente wieder zurückzubekommen, dann nehme ich das gerne in Kauf – vor allem, weil ich mir so gut wie sicher bin, dass es niemals mehr passieren wird.

Dann kommt mir wieder diese Idee. »Kannst du doch«, sage ich grinsend und er hebt eine Augenbraue. »Übermal sie.« Auch ein Zwinkern kann ich mir nicht verkneifen und sehe, wie er schmunzelnd den Kopf schüttelt.

»Dir ist schon klar, dass wir hier ›bei Sascha‹ und in ›seinem Schlafzimmer‹ sind?« Trotzdem beugt er sich zu mir runter und küsst sanft meine Wange. Dann arbeitet er sich an meinem Kinn entlang bis zu meinem Hals und bedeckt auch diesen mit zärtlichen Küssen.

Ich zucke mit den Schultern. »Selbst schuld, wenn er uns einlädt.«

Als David mich dafür leicht in den Hals zwickt, entweicht mir ein Kichern, das schnell von einem Zittern abgelöst wird, kaum widmet er sich meinem Schlüsselbein. Plötzlich lässt er von mir ab.

Was ist passiert? Mein Blick wandert von seinen Lippen zur Tür, die sich jedoch keinen Millimeter bewegt hat. Doch dann wackelt sie, als DJ durch den Flur rennt. »Papa? Jam? Wo bleibt ihr denn?«

Schnell springe ich auf und gehe die zwei Schritte zur Tür. Dort drehe ich mich um und sehe in Davids Gesicht. Er wirkt ein wenig überfahren, wahrscheinlich weil ich gerade echt gemein war. Blödes, schlaftrunkenes Hirn!

»Entschuldige«, flüstere ich. »Das war wirklich eine dumme Idee. Vor allem hier und jetzt ...«

Während er aufsteht, schüttelt er den Kopf und zieht mich an der Taille zu sich. Ehe ich mich versehe, liegen seine Lippen wieder auf meinen. Der Kuss ist anders als die vorherigen – leidenschaftlicher, aber auch kürzer. Kaum hat er sich gelöst, stupst er meine Nase mit seiner an. »Es war gut so. Ein kleiner Vorgeschmack auf alles, was noch warten kann.« Dann öffnet er die Tür und deutet mir an, vorauszugehen.

Wie auch sonst bin ich ein wenig irritiert, gehe aber schweigend an ihm vorbei. Es ist nicht so, dass David mir nicht nahekommt; ich würde sogar sagen, dass er wirklich verschmust ist, ... aber er macht keine Anstalten, es über Küssen und Kuscheln hinausgehen zu lassen.

Okay, zugegeben: So viele Gelegenheiten gab es dafür noch nicht. Wann auch, zwischen unseren inkompatiblen Arbeitszeiten und der knappen Freizeit am Wochenende? Außerdem sind wir ja noch nicht lange zusammen. Vielleicht denke ich einfach zu viel nach und Sex ist ihm nicht so wichtig? Aber gehört das nicht zu einer richtigen Beziehung? Sind all die Blogs, die ich gelesen habe, bloß Schwachsinn?

Gerade als David die Tür hinter sich schließt, kommt Sascha aus dem Wohnzimmer und hebt eine Augenbraue. »Sagt mir nicht ...«

Mein Freund beginnt sofort zu lachen. »Wäre zwar die Revanche für damals im Studium ... aber nein. Wir waren artig.«

Zunächst wird Sascha ein wenig blass um die Nase, dann hebt er tatsächlich seinen Mittelfinger. »Blöder Sack«, murmelt er und versucht, David in den Schwitzkasten zu nehmen, was bei der unterschiedlichen Körpergröße einfach urkomisch aussieht. Zumal sein Verhalten mich eher an den Schulhof erinnert und trotzdem muss ich lächeln, weil die beiden so vertraut aussehen.

»Jam? Jam!« DJ kommt mir vom Bad entgegengerannt. »Ich hab' schon die Karten gemischt!«

Bevor ich etwas dazu sagen kann, schnappt er sich meine Hand und zieht mich mit ins Wohnzimmer, wo auch Manja sitzt und mich anlächelt. Sie hält bereits die bunten Karten des Uno-Spiels in der Hand, allerdings falsch herum – zumindest dachte ich das. DJ erklärt mir ganz fachmännisch, dass es bei dieser Variante die Möglichkeit gibt, die Karten umzudrehen. Daher wohl auch der höchst kreative Name ›Uno Flip‹. Während der kleine Mann mir also die restlichen neuen Regeln erklärt, kommen David und Sascha ebenfalls ins Wohnzimmer und setzen sich zu uns.

»Okay ...«, murmle ich und nicke. »Dann lass uns mal loslegen.«

~~~~~

Nach der fünften Runde hatte DJ genug und wollte lieber zum Spielplatz. Also haben wir uns, inklusive Manja, auf den Weg zum nächstgelegenen gemacht. Dort habe ich die ersten zehn Minuten mit ihm geschaukelt, und jetzt sind die beiden Männer dran, mit ihm Fangen zu spielen. Drei weitere kleine Kinder und ein Vater gesellen sich ebenfalls dazu.

Lächelnd sitze ich neben Manja auf der Bank und beobachte, wie sie durch den Sand toben. Wer dabei mehr Spaß hat, kann ich gar nicht sagen.

Plötzlich schrecke ich zusammen, als aus meinem Handy lautstark ›Over the Rainbow‹ erklingt. Verwirrt runzele ich die Stirn und höre fast gleichzeitig Sascha lachen, der ganz in meiner Nähe steht. »Idiot«, zische ich ihm zu, woraufhin er mir einen Luftkuss zuwirft. Er weiß genau, dass ich dieses Lied wirklich ätzend finde.

Schließlich ziehe ich mein Smartphone aus der Hosentasche und stocke für einen Moment. Es ist Felix. Verdammt. Die ganze Zeit habe ich auf seinen Rückruf gewartet, aber jetzt, wo es so weit ist, bin ich wie erstarrt. Meine Finger zittern automatisch, während sie über dem Display schweben.

»Wollen nicht rangehen du?«, fragt Manja und löst mich damit wieder. Ich nicke, stehe auf und murmele ihr ein »Bin gleich wieder da« zu, bevor ich schnellen Schrittes den Spielplatz verlasse.

Als ich das Gespräch annehme, habe ich für einen kurzen Moment das Gefühl, Felix könnte bereits aufgelegt haben. Immerhin habe ich echt ewig gebraucht, um mich zu entscheiden.

»Felix?«, hauche ich und ärgere mich über meine fast flehende Stimme.

»Jemand anderen erwartet, Sweetie?«

Seine Worte machen mich irgendwie wütend. »Deine eifersüchtige Freundin vielleicht?«, gebe ich zurück und höre ihn schnauben – ob belustigt oder genervt, kann ich nicht sagen.

Mist. Wenn er jetzt auflegt, wird es nicht einfacher – und das ist es ohnehin schon nicht.

»Sorry«, murmle ich und hole tief Luft. »Hast du kurz Zeit?«

»Hätte ich sonst angerufen?«

Diesmal beiße ich mir auf die Zunge, um mir den bissigen Kommentar zu verkneifen. Bevor ich richtig antworten kann, seufzt er.

»Hör mal ...« Er atmet lange ein, und ich kann mir praktisch vorstellen, wie er an seiner Zigarette zieht. »Ich hab' nicht ewig Zeit, also wär's nett, wenn du mal hinne machst.«

Zwar kann ich mir kaum vorstellen, dass ausgerechnet er an einem Sonntagnachmittag unter Zeitdruck steht, aber ich verbiete mir auch hier jegliche Anmerkung. Stattdessen schließe ich die Augen und schaffe es tatsächlich, mich zu sammeln.

»Können wir uns treffen?«, verlässt da auch schon meine Lippen. Einerseits bin ich stolz darauf, andererseits frage ich mich selbst, wie blöd ich bin.

Er scheint das auch zu denken, denn sein »Wozu das denn?«, während er langsam ausatmet – vermutlich um den Rauch loszuwerden – klingt genau danach.

Mist! Was soll ich jetzt antworten?!

Ihm dauert es anscheinend schon wieder zu lang. »Um mich wieder von dir als Arschloch betiteln zu lassen? Das kannst du auch am Telefon.« Er stockt und ich schweige weiterhin. Seufzend murmelt er: »Nur zu. Einen hast du frei.«

Ich weiß nicht, wieso, aber plötzlich muss ich lachen. Die Inbrunst, mit der er das gesagt hat, lässt ihn für einen kurzen Moment wie früher klingen – wenn er sich eines Fehlers bewusst gewesen ist, ihn aber nicht zugeben konnte und sich trotzdem auf seine eigene Art entschuldigen wollte.

»Lachst du mich gerade aus?!« Die Empörung in seiner Stimme ist kaum zu überhören, und dann ist da noch etwas anderes – etwas Warmes, als würde er sein Lachen unterdrücken wollen.

Ich versuche, mich zu beruhigen, kann aber nicht anders, als weiter zu schmunzeln. »Tu' ich nicht. Und will ich auch nicht – also dich wieder so nennen. Vorausgesetzt, du benimmst dich nicht so.« Kurz beiße ich mir auf die Lippe und nehme dann meinen Mut zusammen. »Also, wie sieht's aus mit dem Treffen?«

Er schweigt. Nur sein regelmäßiges, tiefes Atmen ist zu hören. Denkt er wirklich darüber nach? In mir keimt die Hoffnung, dass wir uns vielleicht endlich mal wieder richtig unterhalten können. Zumindest bevor ich ihm sage, warum ich mich treffen wollte ... Fuck. Das wird ein absolutes Desaster.

»Jamie?«

Erschrocken blicke ich auf und sehe David an der kleinen Umzäunung des Spielplatzes stehen, der sich suchend umschaut. Als er mich entdeckt hat, schaut er fragend zu mir rüber. Schnell hebe ich die Hand und deute auf mein Telefon, damit er nicht näher kommt. Doch der knurrende Ton am anderen Ende der Leitung bestätigt mir, dass es zu spät ist.

»Von wem lässt du dich bitte ›Jamie‹ nennen?«, faucht Felix mir ins Ohr, sodass mein Herz kurz aussetzt – oder vielleicht auch mein Gehirn. Mein »Kennst du nicht« sorgt dafür, dass er auflacht. Allerdings klingt es alles andere als freudig.

»Lass mich raten ... es ist dein Lover. Wie hieß der Typ noch gleich?« Er gibt mir keine Zeit zum Antworten und lacht erneut – diesmal verbittert. »David, richtig? Scheint ja gut zu laufen mit unserer Wette. Hast du ihn schon rangelassen?«

»Wir hatten nie eine Wette, Arschloch!«

Mein Ausruf bringt David dazu, sich jetzt doch in Bewegung zu setzen. Nervös hebe ich erneut die Hand, gehe rückwärts und schüttele den Kopf. Er muss nicht mitbekommen, was hier los ist – zumindest nicht so.

»Okay, ›Jamie‹. Damit hast du deinen Freifahrtschein genutzt. Gibt's sonst noch was, was du mir an den Kopf werfen willst? Ich hab nämlich echt wichtigere Dinge zu tun, ›meine Freundin‹ befriedigen zum Beispiel.«

Während David leider immer näher kommt, brennt bei mir endgültig eine Sicherung durch.

»Anstatt deinen Verstand auszuschalten und deine Freundin zu vögeln, solltest du ihn vielleicht mal benutzen und die restliche Zeit mit deinem Dad verbringen! Oder reicht es dir etwa nicht, schon ein Elternteil an Lungenkrebs verloren zu haben?«

Die darauffolgende Stille ist ohrenbetäubend laut. Scheiße ... Scheiße! Oh nein, scheiße! Das habe ich jetzt nicht wirklich so gesagt?!

Wenige Sekunden später hat Felix aufgelegt.

Mein Blick gleitet zu David, der mich mit großen Augen anstarrt; selbst Sascha steht inzwischen mit gerunzelter Stirn am Zaun und beobachtet die Szene aufmerksam. Frustriert lasse ich den Arm mit meinem Handy sinken und schaue von einem zum anderen. Klasse! Jetzt darf ich mich auch noch erklären ...

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