~1~
Dröhnende Bässe, die den Boden zum Beben bringen. Ich muss meine Augen nicht öffnen, um zu wissen, wo ich mich befinde.
Alkohol fließt durch meine Adern, betäubt meine Sinne und die Musik tut ihr Übriges. Sie zieht mich erbarmungslos in ihren Bann. Kurz blinzele ich. Um mich herum wird genauso ausgelassen getanzt. Es sieht aus wie eine einzige verschmolzene Masse aus Bewegung und Energie.
Wieder schließe ich die Augen. Ich will vergessen. Mich treiben lassen und mit dem Beat eins werden. Die Welt verschwimmt weiter, doch ich höre nicht auf, mich zu bewegen, hebe ich schwungvoll meine Hände über den Kopf und lasse meine Hüften kreisen. Es fühlt sich einfach gut an. Nicht schmerzhaft. Nicht leer. Nur gut.
Doch als kleine Punkte vor meinen Augen tanzen, muss ich dem Willen meines Körpers nachgeben. Seufzend trolle ich mich von der Tanzfläche und erkämpfe mir den Weg zur Bar. Eins, zwei Drinks und es sollte wieder gehen. Kaum lasse ich mich jedoch auf den Barhocker sinken, weiß ich, dass der Abend so gut wie gelaufen ist. Das kühle Metall fühlt sich an meiner erhitzten Haut an wie tausend kleine Nadelstiche.
Ich blicke zum Barkeeper, der mich angrinst und sich bereits zu mir über den Tresen beugt.
»Eine Cola, bitte«, rufe ich schon fast und verstehe meine eigenen Worte trotzdem kaum. Er hingegen nickt und lehnt sich wieder zurück. Irgendwie kann ich mich nicht daran erinnern, dass es bei uns auch so laut ist. Ihm scheint das jedoch nichts auszumachen. Vermutlich, weil er immer bei diesem Getöse arbeiten muss.
»Cola? Wie jungfräulich.« Neben mir steht plötzlich ein Kerl mit braunem Haar. Sein milchbubihaftes Gesicht und seine quietschige Stimme passen überhaupt nicht zu seinem Auftreten. Noch mal betrachte ich ihn und beschließe, dass es mir egal ist. Er könnte meinen Abend retten.
Mit einem charmanten Lächeln drehe ich ihm den Kopf ganz zu. »Kannst mir ja was anderes ausgeben?«, schlage ich vor und zwinkere. Dann wende ich mich wieder dem Barkeeper zu, halte mein Armband zum Abscannen hin und nehme mein Getränk entgegen.
»Was darf’s für die Schönheit denn sein?«
Schulterzuckend blicke ich zurück zu dem Typen, der mich angrinst und mir etwas näher kommt. Vermutlich hat er die gleichen Absichten wie ich, ist sich mit mir aber noch nicht sicher. Ich unterdrücke ein Lachen. »Da bin ich nicht wählerisch.«
Das gibt ihm scheinbar genug Sicherheit, denn er wendet sich mir nun ganz zu. »Ist das ’ne Einladung?«
Das Kichern kann ich nicht mehr zurückhalten. Wie durchschaubar ist er bitte? »Kommt darauf an …« Ich neige meinen Kopf leicht zur Seite und beiße verführerisch auf meine Unterlippe.
Daraufhin beugt er sich zu mir herunter, sodass ich seinen Atem an meiner Wange spüre. »Zu dir oder mir?« Weiterhin schmunzelnd schließe ich die Augen. Einer der schnellen Sorte ist mir lieber. Die sülzen mich zumindest nicht unnötig voll.
»Zu dir«, antworte ich und lasse mich von Hocker gleiten. Schon allein, weil ich niemals jemanden mit zu mir nehmen würde.
Im Stand fällt mir auf, dass er nur wenig größer ist als ich, was mich an jemanden erinnert. Ich blinzele, um den Gedanken zu vertreiben, und schüttele kaum merklich den Kopf. Glücklicherweise deutet er galant an, dass ich vorangehen soll und ich zögere nicht lange. Es ist bereits viel zu spät – fast vier Uhr. Wenn ich rechtzeitig nach Hause kommen will, bevor … egal, es muss schnell gehen.
Zugegeben, es hat mich anfangs einiges an Überwindung gekostet, wirklich mitzugehen. Aber jetzt, beim dritten Mal, ist es ein bisschen wie Routine. Kopf aus und fertig. Zumindest für ein paar Stunden.
Bevor wir den Club verlassen, stelle ich mich an den Tresen und überreiche der Frau dahinter das Armband zur Bezahlung. Der Kerl hinter mir macht es genauso.
»Zusammen, bitte«, sagt er, ehe sie mir den Betrag nennen kann. Dann legt er wie selbstverständlich seinen Arm um meine Schulter. Offenbar ist das sein Verständnis davon, die nächsten Stunden mit mir zu verbringen. Oder er ist tatsächlich ein Gentleman. Wobei ich mir das nur schwer vorstellen kann.
»Wie ist eigentlich dein Name, Schönheit?«
Für einen Moment erstarre ich, dann fange ich mich wieder. »Der ist unwichtig«, antworte ich und sehe, wie er die Stirn runzelt. Deshalb atme ich tief ein und fahre fort: »Außerdem macht es doch viel mehr Spaß, wenn man nichts voneinander weiß.«
»Ach, eine Geheimnisvolle also. Das gefällt mir.« Er reckt den Daumen nach oben, was mich eher an einen kleinen Schuljungen erinnert. Vor allem im Zusammenhang mit den Pausbacken, die sich bei seinem breiten Grinsen zeigen.
Leider löst diese Erkenntnis auch andere Erinnerungen aus. Die zweite Person schießt mir in den Kopf und meine Stimmung sinkt augenblicklich. Ich bin hier, um mich abzulenken, nicht, um an ihn zu denken. Verdammt!
Als wir draußen stehen und auf ein Taxi warten, legt er mir sein Jackett um die Schultern. Der Geruch daran wirkt weder anziehend noch abstoßend auf mich. Dennoch bin ich plötzlich hin- und hergerissen. Irgendwie ist mir dieser Typ zu perfekt und auch seine überhebliche Art ähnelt der von David viel zu sehr.
»Wieso dauert das heute so lange?«, nörgelt er mit einem Mal und wippt ungeduldig mit dem Fuß. Okay, das hat so gar nichts mehr mit David gemein.
Er platziert seine Hand besitzergreifend auf meiner Hüfte und zieht mich mit sich. Vermutlich will er näher zur Hauptstraße.
»Warten ist nicht so dein Ding, was?«, rutscht mir beim Gehen heraus. Schnell presse ich die Lippen zusammen und fluche innerlich. Ich will nichts von ihm wissen und auch keine Unterhaltung führen.
»Nicht, wenn ich Besseres zu tun habe«, raunt er mir zu.
Eine unangenehme Gänsehaut überkommt mich. Mein Gewissen meldet sich lautstark und protestiert. Doch dann hält ein Taxi und die Stimme verstummt. Ich schließe kurz die Augen, um mich zu sammeln. Wenn ich jetzt einsteige, gibts kein Zurück mehr. Dann werde ich meine Zeit mit diesem Kerl verbringen müssen.
Gerade eben, umgeben von Musik und Wärme, war der Gedanke daran noch angenehmer.
Trotzdem setze ich mechanisch einen Fuß vor den anderen. Schritt für Schritt. Wieso fühlt es sich plötzlich falsch an? Fast wie auf dem Weg zu meiner eigenen Hinrichtung? Die letzten Male ist doch auch nichts passiert. Ich weiß, was zu tun ist und mache nichts Verbotenes.
»Nimm die Finger von ihr.«
Erschrocken blicke ich auf und sehe direkt in stahlgraue, wutentbrannte Augen.
Statt der Anweisung zu folgen, zieht der Kerl neben mir mich noch fester an sich ran. »Was willst du denn?«, blafft er und spritzt dabei ein wenig Speichel umher. Angeekelt wische ich mir über die Wange.
»Dass du dich verpisst. Also sieh zu, dass du Land gewinnst!«, grollt mein Gegenüber und ballt die Hände zu Fäusten. Er wird doch nicht … Meine Augen flattern nervös.
»Suchst du Streit oder was? Ich hab’ sie zuerst gesehen!«
Er klingt wie ein Kleinkind, dem man das Spielzeug wegnehmen will, und mir wird klar, was mich die ganze Zeit stört. Er spiegelt mein Verhalten – zeigt mir, wie tief ich in den letzten Wochen gesunken bin.
»Hör mal, Jungchen. Man fasst nichts an, was einem anderen gehört.«
Erstickt schnappe ich nach Luft und blicke zurück in Saschas Gesicht. Hat er mich gerade ernsthaft als sein Eigentum bezeichnet?
»Du hast ’n Freund?«, quäkt der namenlose Typ und lässt mich los, als ob er sich verbrannt hätte. Auch sein Jackett reißt er von meinem Körper.
»Einen Mann«, fügt Sascha absolut trocken hinzu, weshalb mir die Kinnlade herunterklappt. Was zum Teufel nimmt er sich heraus?!
Ärger brodelt in mir hoch. Nur weil ich nicht mit ihm darüber reden will, was passiert ist, bedeutet das nicht, dass er mich so behandeln kann! Ich kann immer noch selbst entscheiden, was ich tue!
Ich beobachte, wie Sascha sich in Bewegung setzt und recke trotzig das Kinn. Weglaufen würde nichts bringen. In meinem Zustand würde ich vermutlich über meine eigenen Füße stolpern. Zudem bin ich erleichtert, dass mein Verstand noch halbwegs arbeitet. Aber ich bin mir auch bewusst, dass ich genug getrunken habe, um bald auszusetzen. Immerhin war das Teil des Plans.
»Komm mit«, sagt er und hält mir seine Hand hin, doch ich schlage sie weg. »Willst du jetzt ernsthaft ’n Aufstand machen?« Er zieht die Augenbraue hoch und reizt mich damit noch mehr.
Frustriert verschränke ich die Arme vor der Brust. »Was willst du hier?!«
»Dich abholen, ›Darling‹. Also sei so nett und komm endlich mit.« An seinem Tonfall merke ich, dass Sascha wenig Geduld mit mir hat.
Vielleicht ist die Schicht anstrengend gewesen und er müde. Aber das ist mir egal. Ich habe ihn nicht gebeten, mich abzuholen. Er ist weder mein Vater noch mein Bruder und schon gar nicht mein Mann! Deshalb werde ich es auch nicht dulden, dass er meint, über meinen Kopf hinweg entscheiden zu können.
»Also darf ich heute Nacht ›endlich‹ bei dir schlafen, ›Schatz‹?«, frage ich mit zuckersüßem Sarkasmus und weiß natürlich, wie sehr ihn das provoziert. Das zeigt sich auch deutlich an der Furche auf seiner Stirn.
Er öffnet seinen Mund, doch es entweicht nur ein knurrender Laut. Im nächsten Moment packt er meinen Oberarm und zieht mich ruppig hinter sich her. Obwohl ich mich mit meinem gesamten Gewicht dagegen stemme, habe ich keine Chance.
Auf die Hilfe von Passanten kann ich auch nicht zählen. Die wenigen Leute gucken nur doof und der Kerl aus dem Club hat sich bereits aus dem Staub gemacht.
Der Weg zu seinem Auto ist kurz, aber er kommt mir ewig vor. Sascha spricht kein Wort mit mir, hält jedoch meinen Arm fest umklammert. Kaum erreichen wir seinen Wagen, schließt er auf und drängt mich unsanft in den Sitz. Dabei drückt er gegen meinen Magen, weshalb ich qualvoll aufstöhne.
»Wehe, du kotzt mir ins Auto!«
Bevor ich antworten kann, schlägt er die Tür zu und verriegelt sie. Dann umrundet er den Wagen und lässt sich neben mir fallen. Routiniert greift Sascha an mir vorbei, um mich anzuschnallen. Als er fertig ist, lehnt er sich zurück und seufzt laut. Auch die Augen schließt er.
Ungelenk ziehe ich meine Beine auf den Sitz und umschlinge sie mit meinen Armen. Mich überkommt eine unerträgliche Kälte, besonders als er mich wieder ansieht. Sein Blick ist nicht wütend, eher ernüchternd. Er ist eindeutig enttäuscht von mir und das macht mich nervös.
Stille breitet sich zwischen uns aus und wird schnell unangenehm. Nicht nur, weil ich weiß, dass er mein Verhalten scheiße findet, sondern auch, weil mich die Gefühle und Erinnerungen überwältigen. Je ruhiger es um mich herum wird, desto lauter schreit mein Inneres. Wie heiße Lava strömen Schmerz und Wut durch mich hindurch und lassen mich wimmern.
Scheiße! Genau das wollte ich doch verhindern! Nur deshalb habe ich mich darauf eingelassen …
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