~48~

»Hey, Jam«, begrüßt mich David mit einem leisen Lachen am Telefon. »Mit ›deinem‹ Anruf habe ich ehrlich gesagt nicht gerechnet.«

»Ich auch nicht ...«, antworte ich unsicher, kaue auf meiner Lippe und schüttele den Kopf. Seit ich wach bin, habe ich überlegt, ob ich ihn wirklich anrufen soll. Vor allem, da mein Handy ununterbrochen vibriert. Die Nachrichtenflut – überwiegend von Felix – hat mich fast dazu gebracht, es wieder auszuschalten. Aber ich wollte endlich Klarheit haben. Jetzt, mit Davids Stimme in meinem Ohr, bereue ich es allerdings ein wenig.

»Sag nicht, du willst dich mit mir treffen?« Er lacht erneut und ärgert mich damit.

»Nein ...« Ich atme tief ein, um mich zu beruhigen und die richtigen Worte zu finden. »Wir müssen reden.« Fuck! Das waren die Falschen! Es klingt fast so, als wären wir in einer Beziehung und ich wollte Schluss machen ...

»Da bin ich aber gespannt.«

Verdammt, ich kann sein Grinsen praktisch durch das Telefon spüren! Erbost schnaufe ich und schüttele wieder den Kopf. »Wenn du nicht aufhörst, mich auszulachen, lege ich auf.«

Ein kurzer Moment der Stille entsteht, dann räuspert sich David. »Sorry«, murmelt er, doch die Heiterkeit in seiner Stimme bleibt deutlich. »Ich lache dich nicht aus ... ich freue mich einfach, dass du dich meldest.«

»Bestimmt ...«, murmele ich sarkastisch und schließe die Augen. Was soll der Blödsinn? »Genieß es, solange du kannst. Gleich freust du dich nicht mehr.«

»Es ist immer schön, deine Stimme zu hören, Jam.«

»Kannst du den Quatsch endlich lassen?«

»Was denn? Das ist nur die Wahrheit.«

Überfordert reibe ich mir über das Gesicht und bin froh, ihm nicht gegenüberzusitzen. Er macht es mir so schon schwerer als gedacht – vor allem, weil seine Stimme irgendwie aufrichtig klingt. Aber vielleicht tut er nur so und schauspielert mal wieder.

Während ich leise seufze, gebe ich mir einen Ruck. »Warum hast du Bilder von mir?«

Der erneute Moment der Stille lässt mich zittern. Fühlt er sich ertappt? Überlegt er sich eine passende Ausrede? Warum bin ich so gespannt auf seine Antwort?

»Weil du hübsch bist und ich dich mag?«

Enttäuschung flutet meinen Körper und ich boxe frustriert auf mein Sitzpolster. »Verarschen kann ich mich alleine.«

»Das war ernst gemeint.«

»Jaja, du mich auch.«

»Ist das eine Einladung? Ich erinnere mich daran, dass wir da noch was offen haben ...« Sein kehliges Lachen dringt in mein Ohr und lässt mich augenblicklich erröten.

Wie sehr habe ich gehofft, dass er es vergessen hat. Okay, das wäre vielleicht zu viel verlangt. Aber ein bisschen Nachsicht vom Schicksal hätte ich mir schon gewünscht. Wieso musste er mein Genuschel im Park auch verstehen?

»Auf einmal schweigsam, Jam?«

Wütend rolle ich mit den Augen. »Ich warte immer noch auf eine richtige Erklärung. Glaubst du wirklich, ich finde es witzig, dass du meinen Kollegen nach einem Bild von mir fragst?«

David bleibt still. Anscheinend hat er doch etwas zu verbergen und überlegt sich seine Antwort. Plötzlich seufzt er. »Wieso glaubst du mir nicht?«

»Wieso sollte ich?«, kontere ich, was ihn zum Brummen bringt.

»Weil ich dich bisher nie belogen habe.«

Seine Worte dringen in mein Ohr, aber ich kann nicht antworten – ich glaube ihm einfach nicht. Früher hat er mich ständig belogen. Viel zu oft hat David gesagt, dass er mir nichts tun würde, und dann hat er mich doch geschlagen. Wie soll ich wissen, was wahr ist und was nicht?

»Jam ... Ich weiß, dass ich mich am Anfang dämlich benommen habe ...«

»Du warst echt ein arroganter Arsch ...«, schießt es aus mir heraus, während ich an unsere Begegnung in der Bar denke. »Mit deinem Fake-Ehering ...« Ich kann ein Kichern nicht unterdrücken und ein froschartiges Glucksen entkommt mir.

»Definitiv keine Glanzleistung ... und trotzdem stimmt es. Ich trage meinen Ring noch immer, um die meisten Frauen von mir fernzuhalten.«

»Ah ja ... und funktioniert das gut?« Immerhin erinnere ich mich an Saschas Worte, die ihn in vergebenem Zustand als Frauenmagneten bezeichnet haben.

»Bei dir scheinbar zu gut.«

»Mann, David!«

»Was?«, murmelt er leise. »Ich hab' echt noch nie so kämpfen müssen ...«

»Du Armer. Mein Beileid ...« Wieder schwingt Sarkasmus in meiner Stimme mit und obwohl ich es nicht will, muss ich wieder kichern, als ich sein Lachen höre.

Nachdem wir aufgehört haben, atmen wir synchron ein und aus. Eine angenehme Wärme breitet sich in mir aus und während ich immer noch wütend bin, fühle ich mich auch verwirrt. Wenn das stimmt, was er sagt – wenn er mir wirklich die Wahrheit sagt –, dann wird er mir auch eine richtige Antwort geben, oder? Ich brauche einfach Gewissheit. »David?«

»Ja?«

»Warum hast du Sascha gefragt und nicht mich?«

»Hättest du mir denn die Chance gegeben, eins zu machen?«

Ich fühle mich ein bisschen ertappt, denn wir wissen beide, dass ich wahrscheinlich abgelehnt hätte. »Vermutlich nicht ...«, gebe ich leise zu. »Aber darum geht's auch nicht. Du hättest mir trotzdem die Wahl lassen müssen.«

»Ich weiß ... und ich wollte es dir auch sagen. Aber du bist echt schwer zu durchschauen.«

»Was soll das heißen?«

»Na ja, ich weiß nie, welche Version von dir ich gerade erwische. Mal schreckhaft, mal bissig, mal gut gelaunt – alles schon erlebt.«

»Also ist das jetzt meine Schuld?!«

»Das sage ich doch gar nicht, Jam.« Er atmet tief ein. »Ich wollte dich einfach nicht vergraulen, weil ich unbedacht gehandelt habe ...«

»Und warum erzählst du dann bei der Arbeit, ich wäre deine Freundin? Das hat ja wohl nichts mit Unbedachtheit zu tun.«

Aus meinem Telefon kommt ein tiefes Brummen, das sowohl ein Lachen als auch ein Knurren sein könnte. »Dieser Typ ist echt anstrengend.«

»Du meinst Goldlöckchen?«

Jetzt lacht er wirklich. »Ja, genau den.« David atmet wieder tief ein und im Hintergrund raschelt es. »Zu meiner Verteidigung: Das hab' ich nicht gesagt. Der Idiot hat das Bild gesehen und direkt Vermutungen angestellt.«

»Die du nicht dementiert hast?«, frage ich. Warum will ich das so genau wissen? Was erhoffe ich mir davon?

»Ich hab' ihm gesagt, dass es ihn nichts angeht.«

»Und wie konnte er das Bild sehen?«

»Das wüsstest du wohl gerne, was?« Inzwischen ist das Rascheln weg. Stattdessen höre ich Geschirr klirren.

Ich schließe langsam die Augen. »Wenn du mir jetzt sagst, dass ich dein Hintergrundbild bin ...«

»Bist du nicht. Versprochen ... und Achtung: Es wird laut.« Einen Moment höre ich das Getöse einer Kaffeemaschine, dann ist es wieder ruhig. »Es war im Prinzip so wie als ich dein Foto bei Sascha entdeckt habe – einfach durchscrollen und fertig. Du bist halt ein echter Eyecatcher.«

»Und du ein Schleimer. Rutsch nicht aus.«

Sein Lachen füllt mein Wohnzimmer. »Komplimente magst du wirklich nicht, oder?«

»Nicht, wenn sie geheuchelt sind.«

»Haben wir nicht gerade gelernt, dass ich dich nicht belüge?«

Zuerst schnaufe ich nur und beiße mir auf die Lippe. Dann öffne ich wieder die Augen. Nichts zu sehen und nur seine Stimme zu hören ist irgendwie komisch – fast so, als wären wir zusammen auf meiner Couch. Es ist wohl besser, das Gespräch endlich zu beenden; sonst trete ich noch in weitere Fettnäpfchen. »Ähm ... Danke fürs Beantworten meiner ...«

»Hast du Lust, einen Film zu sehen?«, unterbricht er mich, sodass ich mich nicht richtig verabschieden kann.

»Das war mein Plan. Heute ist Sonntag ...«, flüstere ich und brauche einen Moment, um seine Worte zu verarbeiten.

»Super! Wie wäre es mit der Feuerzangenbowle?«

»Der was?!« Ich bin mir nicht sicher, ob er mir einfach nur einen Filmtipp gibt oder ...

»Sag mir nicht, du kennst den Klassiker nicht! Das ist echt eine Bildungslücke!«

Grummelnd nehme ich mein Handy vom Ohr, stelle David auf Lautsprecher und google den Titel. Keine zwei Sekunden später schnaube ich. »Der Film ist von 1944! Für wie alt hältst du mich?«

»Ich dachte, du schaust Comedy und Action?«

»Aber nicht in Schwarz-Weiß. Das ist doch langweilig.«

»Wow ... Mein armes Komödienherz! Da sind die wahren Schätze drin!«

»Wenn du das sagst ...«

»Tu' ich! Und weil du mir mal wieder nicht glaubst, machen wir ein Spiel daraus.«

»Moment, was?«

»Jedes Mal, wenn du lachen musst, darf ich dir eine Frage stellen. Wir müssen aber auf einen Videoanruf wechseln, damit ich sehen kann, ob du schummelst.«

»Wer sagt denn, dass ich den gucken will? Und überhaupt ...«

»Hast du Angst zu verlieren, Jam?«

»Sicher nicht.«

»Klingt aber so.«

»Überleg dir schon mal, was passiert, wenn ich nicht lachen muss, Blödmann.« Verdammt ... jetzt bin ich doch darauf eingestiegen. Wie dumm bin ich eigentlich?

»Das kann ich mir kaum vorstellen ... Ich leg' dann jetzt auf, okay?«

Kurz nicke ich und vergesse dabei, dass er mich nicht sehen kann. Plötzlich wird mir klar, dass er mich gleich sehr wohl sehen wird. Erschrocken schaue ich an mir runter: Jogginghose und T-Shirt. Außerdem bin ich ungeschminkt und meine Haare hängen in einem wirren Dutt. Bevor ich sagen kann, dass ein Videoanruf keine gute Idee ist, hat er schon aufgelegt und ruft mich erneut an.

Hektisch greife ich nach meinem Handy, springe auf und lehne ab.

›Echt jetzt?‹, kommt sofort eine Nachricht von ihm.

›Warte kurz ...‹, antworte ich und überlege gleichzeitig, ob es sich lohnt, mich jetzt schnell zu schminken. Zumindest sehe ich dann nicht mehr aus wie eine Gestalt aus einem Gruselkabinett ...

Die nächste Nachricht lässt mich innehalten. ›Für mich brauchst du dich nicht zu schminken. Ich finde dich immer hübsch.‹ Was für ein Idiot!

›Als ob ich das für dich tun würde!‹

›Na dann, nimm ab.‹ Der kleine Zwinkersmiley grinst mir frech entgegen. Zögernd lasse ich mich auf die Couch sinken und nehme den Anruf an, der keine zwei Sekunden später eingeht. Ich bin so nervös, dass ich mein Handy fast fallen lasse. Was ist nur los mit mir?

»Ja, ich hab' dich definitiv schon in anderen Zuständen gesehen«, sagt er anstelle einer Begrüßung, lächelt mich an und zwinkert mir direkt zu.

Beleidigt ziehe ich eine Schnute. »Und ich dachte, du findest mich ‚immer' hübsch ...«

»Tu' ich auch. Und dein Anblick, als wärst du gerade aus dem Bett gefallen, sieht einfach unglaublich niedlich aus.«

»O Gott. Ich kotz' gleich ...«

Sein schallendes Gelächter lässt mich erneut erröten. Dabei meine ich das wirklich ernst! Wie kann man so viel gequirlte Scheiße von sich geben, ohne dabei brechen zu müssen? Gerade habe ich mich gefragt, was mit mir los ist – vielleicht sollte ich eher überlegen, ob bei ihm alles in Ordnung ist ...

»Musst du noch etwas erledigen, bevor wir anfangen?«, fragt David und reißt mich damit aus meinen Gedanken.

»Du meinst nicht ernsthaft das, was ich denke, oder?« entfährt es mir schockiert.

Er hebt eine Augenbraue und grinst dann. »Also, wenn du noch mal pinkeln willst, nur zu. Du musst mich nicht mitnehmen. Ich dachte allerdings eher an etwas zu trinken oder so? Ist gut für den Hals, wenn man viel lachen muss.«

»Verarschst du eigentlich alle so oder genieße ich eine Sonderbehandlung?«, brumme ich sarkastisch und gehe mit meinem Handy in der Hand in die Küche. Dort angekommen, lege ich es auf den Tresen und öffne den Kühlschrank.

»Bei dir macht es eindeutig mehr Spaß.«

Während ich die Weinflasche rausnehme und mir ein Glas aus dem Schrank hole, verdrehe ich die Augen. »Na zumindest war das die Wahrheit ...«

»Willst du nörgeln oder gucken?«

»Gucken. Aber eigentlich nicht den Film und schon gar nicht in schwarz-weiß.«

»Du wirst mir hinterher zu hundert Prozent dankbar sein.«

»Da bin ich mir nicht so sicher.« Bewaffnet mit der Flasche, dem Glas, meinem Handy und einer Tüte Chips mache ich mich zurück zur Couch. Lustlos nehme ich die Fernbedienung in die Hand und suche nach dem Titel.

»Bin dann so weit ...«, sage ich nach einer Weile und blicke zurück in Davids Gesicht. Er nippt an seinem Kaffee. Bei der Erinnerung an den Geschmack schüttele ich mich und verziehe automatisch mein Gesicht.

»Sehr schön. Die Regeln hast du verstanden?«

»Ja doch, ich bin ja nicht blöd«, antworte ich und fülle mein Glas. Ein wenig Alkohol könnte den Film erträglicher machen.

»Also darf ich dich alles fragen, was mir einfällt? Keine Tabus?«

Gerade als ich meinen Kopf schütteln will, halte ich inne. »Nichts zu ... Felix ...«, bringe ich leise über die Lippen.

»Und sonst?« David sieht mich aufmerksam an; seine Augen wirken fordernd. Ich vermute, dass er mir Zeit geben will, gründlich darüber nachzudenken. Also überlege ich kurz, was mich stören könnte.

Grundsätzlich könnte er mich mit jeder Frage aus der Fassung bringen – so wie er es oft genug mit seinen Worten tut. Bisher hat er jedoch kein Interesse gezeigt, meine Vergangenheit zu durchwühlen; vielmehr wollte er mich einfach kennenlernen. Was wäre also schlimm daran, wenn er fragt, welche Lieblingsfarbe ich habe? Falls er die Chance überhaupt bekommt ...

»Keine weiteren Einschränkungen ...«, flüstere ich und bin trotzdem selbst überrascht von meinen Worten.

»Okay.« Sein Nicken und das Lächeln wirken irgendwie seltsam und lassen mich krampfhaft blinzeln. Sofort bereue ich meine Entscheidung – aber zurücknehmen will ich sie auch nicht.

»Dann lass uns mal starten.«

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