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Wütend und enttäuscht springe ich auf und mache mich auf den Weg zur Toilette. Mit einer schnellen Bewegung ziehe ich mein Handy hervor und starre auf das schwarze Display. Zum Glück ist es immer noch ausgeschaltet. Andernfalls würde ich David sofort anrufen und ihm am Telefon ordentlich die Meinung sagen – auch wenn ich weiß, dass das wahrscheinlich nichts bringen würde. Ich würde nur Dampf ablassen. Verdammt, ich erwarte auf jeden Fall eine vernünftige Erklärung. Oder sogar eine Entschuldigung. Ich verstehe einfach nicht, warum er sowas tun sollte!
Schnell stecke ich mein Handy wieder weg und atme tief durch. Kurzschlussreaktionen sind nie gut, das habe ich mittlerweile gelernt, auch wenn sie sich nicht immer vermeiden lassen. Also versuche ich, mich zu beruhigen, und gehe zurück zu unserem Tisch. Goldlöckchen ist wie vom Erdboden verschluckt – was mir ganz recht ist, denn auf seine überhebliche Art habe ich gerade keinen Nerv.
»Und?«, fragt Mandy mit unschuldiger Miene, während ein breites Grinsen ihr Gesicht ziert. »Wie ist es, einen Freund zu haben, von dem man nichts weiß?«
»Super ...«, knurre ich und schließe die Augen, nachdem ich mich gesetzt habe.
»Ich sag's ja, er hat dich absolut angehimmelt.«
»Leck mich ...«
Statt der gewünschten Wirkung bringt meine Antwort die Mädels zum Lachen. Klasse, das kann ja noch heiter werden!
~~~~~
Stunden später kann Mandy immer noch von diesem Thema schwärmen. Kaum betritt Sascha die Bar, erzählt sie ihm sofort davon. Doch sein Gesichtsausdruck zeigt keine Überraschung, sondern eher Genervtheit.
Als ich ihn frage, ob alles in Ordnung ist, weicht er aus und wechselt abrupt das Thema. Ich bin zwar neugierig, wie es Manja geht, aber sein Verhalten irritiert mich. Um der unangenehmen Situation zu entkommen, verlasse ich die Küche und tauche in das Getümmel der Gäste ein. Es ist zwar ärgerlich, dass Vero meinen Platz einnehmen muss, doch nach den Sticheleien der letzten Tage habe ich wenig Mitleid mit Sascha – er wird schon klarkommen, besonders in seiner aktuellen Stimmung.
Bevor wir gehen können, ruft Piet uns zu sich. »Der Termin für das Teamgrillen steht noch aus«, brummt er und sieht jeden von uns an. »Ich dachte an nächsten Mittwoch.« Sein Blick wandert zu Anna und bleibt auf ihr haften. »Vorausgesetzt, das passt für dich.«
Plötzlich schnaubt Vero ungehalten. »Soll lieber einer der Stammmitarbeiter seinen freien Tag opfern?«
Während Mandy und Kim seufzen, verschränkt Sascha kopfschüttelnd die Arme vor der Brust. Irgendwie scheint die allgemeine Stimmung im Keller zu sein. Wann ist das nur passiert und warum?
»Wenn ich deine Meinung hören will, werde ich danach fragen, Vero«, sagt Piet ruhig und lässt Anna nicht aus den Augen.
Eine unangenehme Stille breitet sich im Raum aus und die kleine Blondine wirkt sichtlich nervös. Ob es an Veros Aussage liegt oder daran, dass unser Chef sie so ins Visier nimmt, weiß ich nicht. Schließlich quiekt sie in die Geräuschlosigkeit ein »Passt schon ...«, was mich zum Schmunzeln bringt – wahrscheinlich hätte ich genauso reagiert.
»Sicher?«
»Ja ... klar. Ich kann mir Donnerstag freinehmen.«
»Super ...«, nörgelt Vero und bekommt prompt einen Ellenbogen von Kim in die Seite gerammt. »Sag mal, spinnst du?!« faucht sie direkt, woraufhin Kim »Sei endlich still! Du hast Donnelstag doch eh flei!« entgegnet.
Piet fasst sich an die Nasenwurzel, hustet leise und rollt mit den Augen. »Seid ihr dann fertig?« Beide nicken, auch wenn man Vero deutlich ansieht, dass sie eigentlich noch etwas sagen wollte.
»Gut ...«, murmelt unser Chef letztlich. »Dann haut ab.« Mit seinem Daumenzeig auf die Tür setzen wir uns in Bewegung.
Als wir oben angekommen sind, fällt die Verabschiedung recht kurz aus. Die Mädels umarmen mich zwar noch einmal, doch dann sind sie auch schon schnell verschwunden. Wie zu Beginn der Woche bleiben nur Sascha und ich zurück. Ich werfe einen kurzen Blick auf meinen Kollegen und überwinde mich schließlich.
»Alles okay, Sascha?«, frage ich ihn erneut. Er nickt, ohne mir in die Augen zu schauen. »Wirklich?«
»Ja ...«, murmelt er und weicht weiterhin meinem Blick aus.
Irgendetwas scheint ihn zu beschäftigen, aber wie kann ich ihn dazu bringen, mit mir zu reden? »Habe ich dich verärgert?«
Mit einer hochgezogenen Augenbraue sieht er mich jetzt doch an. »Wie kommst du eigentlich jedes Mal darauf, dass ›du‹ schuld an etwas bist?«
Unbeholfen zucke ich mit den Schultern. »Es muss ja einen Grund geben, warum du plötzlich anders zu mir bist ...« Okay, das war vielleicht etwas zu direkt. Sascha schaut mich entsetzt an und im nächsten Moment überbrückt er den Abstand zwischen uns und zieht mich in seine Arme. Verwirrt lasse ich es geschehen.
»Ich muss dir etwas beichten ...« Bevor ich antworten kann, lässt er mich wieder los und legt mir die Hände auf die Schultern. »Das mit dem Bild habe ich verbockt.«
»Was?!«, stoße ich überrascht aus und brauche einen Moment, um zu begreifen, was er meint.
»Es tut mir wirklich leid. Ich weiß, dass man keine Bilder weitergibt ...«
»Warum hast du überhaupt Bilder von mir?«
»Erinnerst du dich noch an den Blödsinn mit der Alufolie?«
»Du meinst die Krone, die du für mich gebastelt hast?«
»Genau! Davon haben wir doch ein paar Schnappschüsse gemacht ...«
»Die du sofort wieder löschen wolltest!«, unterbreche ich ihn und presse die Lippen zusammen.
»Ja ... das ist irgendwie untergegangen ...«
Enttäuscht schüttele ich seine Hände ab und verschränke meine Arme vor der Brust. Wir schweigen uns an; in Saschas Blick liegt Reue, doch die Enttäuschung brennt dennoch in mir. Nach ein paar tiefen Atemzügen schließe ich die Augen.
»Okay ...«, flüstere ich und öffne sie langsam wieder. »Wie ist das Bild zu David gelangt?«
Seufzend reibt der Russe seine Hände aneinander, als wäre ihm kalt. »Ich wollte ihm etwas von meinem Auto zeigen. Es macht doch so komische Geräusche ... und beim Durchscrollen hat er das Bild gesehen und gefragt, ob er es haben darf.«
»Und dir ist nicht in den Sinn gekommen, mich zu fragen, ob das für mich in Ordnung ist?!«
»Doch ... aber ich sollte sie ja eigentlich löschen ...«
»Das macht es nicht besser, Sascha!«
»Ich weiß ...«, sagt er und streicht sich über seine kurzen Haare, während er das Gesicht verzieht. »Keine Ahnung, was mit mir los war. Aber D ist kein schlechter Kerl und ich habe irgendwie ...«
»Nicht richtig nachgedacht?«, helfe ich ihm auf die Sprünge. »Das ändert nichts daran, dass man so etwas nicht macht!« Hitze und Kälte durchströmen mich gleichzeitig. Wozu braucht David Bilder von mir?
»Es tut mir wirklich leid, Pchela.«
»Das hoffe ich ...«, brumme ich und seufze leise. Auch er seufzt und reibt über seine Arme. Sein Blick ist inzwischen wieder zum Boden gerichtet, doch man kann deutlich sehen, wie sehr ihn die Situation belastet. Es quält ihn regelrecht — und wer bin ich, ihm dafür lange böse zu sein? Immerhin unterlaufen mir ständig Fehler.
»Als Entschädigung fährst du mich nach Hause ...«
Saschas Miene hellt sich auf. »Das heißt, du verzeihst mir?«
»Ja ...«, flüstere ich. »Natürlich ...«
Blitzschnell schließt er mich erneut in seine Arme. Er drückt mich so fest an seinen Körper, dass ich kaum Luft bekomme. »Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn du mir nicht verzeihen würdest ...«
Verlegen erwidere ich die Umarmung und klopfe zaghaft auf seinen Rücken. Durch seine Worte wird mir klar, dass auch er mich ebenso wenig enttäuschen will wie ich ihn. In mir breitet sich ein seltsames Gefühl aus, das mich vollkommen überrumpelt — es fühlt sich warm und angenehm an. Verwirrt löse ich mich schnell wieder von ihm.
»Aber wehe, so etwas passiert dir noch mal!«
Augenblicklich breitet sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Wird es nicht. Versprochen, Pchela.«
~~~~~
Nachdem ich mich von Sascha verabschiedet habe, stehe ich im Hausflur und öffne meinen Briefkasten. Neben einer Rechnung und einem Haufen Werbung fällt mir ein dicker Umschlag ohne Absender ins Auge. Doch die Handschrift verrät mir sofort, von wem er ist. Seufzend gehe ich die Treppen hoch und schüttele den Kopf. Felix scheint einfach nicht zu kapieren, dass Ruhe wirklich Ruhe bedeutet.
In meiner Wohnung angekommen, ziehe ich Jacke und Schuhe aus und gehe ins Wohnzimmer. Zuerst lege ich den Umschlag zusammen mit der anderen Post auf den Tisch, aber dann juckt es mich in den Fingern, ihn zu öffnen. Also nehme ich ihn wieder in die Hand, wiege ihn nachdenklich und setze mich auf die Couch. Will ich wirklich wissen, was drin ist? Es überrascht mich, dass er den Postweg wählt – Briefe sind normalerweise nicht sein Ding.
Seufzend reiße ich den Klebestreifen auf und kippe den Umschlag um. Sofort fallen mehrere Fotos auf meinen Couchtisch. Langsam verteile ich sie und entdecke ein gefaltetes Blatt Papier. ›All diese Momente bezeichnest du als bedeutungslosen Sex!‹, steht drauf.
Fotos. Diese blöden Dinger sind heute wie ein Schlag ins Gesicht für mich. Meine Hände fangen an zu zittern.
Ich habe keine Ahnung, wann er all diese Aufnahmen gemacht hat, aber er hat recht: Sie zeigen die Jahre unserer Freundschaft und wecken Erinnerungen, die sich mit ihren dazugehörigen Emotionen an die Oberfläche drängen.
Keuchend springe ich auf, nehme den Umschlag und stopfe alles hastig zurück. Doch es ist bereits zu spät. Eine Welle der Erinnerungen überrollt mich und zwingt mich fast in die Knie. Wie in einem Film sehe ich unzählige Rückblicke vor meinem inneren Auge. Die Stunden, die wir damit verbracht haben, faulenzend auf dem Campus in der Sonne zu liegen. Wie Felix ständig in den Vorlesungen eingeschlafen ist und unsere Finger ineinander verschränkt hat, damit ich nicht ohne ihn verschwinde. Unser Tagestrip nach Paris, weil er mir unbedingt den Eiffelturm zeigen wollte. Der gemeinsame Urlaub in Österreich, der anders verlief als geplant, weil wir eingeschneit wurden – und so viele weitere Momente.
Mein Herz rast und mir wird übel. Nicht etwa wegen der schönen Erinnerungen an sich, sondern weil sie alle einen bitteren Beigeschmack hinterlassen. Wann immer es gepasst hat, hatten wir Sex – das wurde irgendwie zur Routine zwischen uns. Auch wenn es sich damals nicht so angefühlt hat. Jetzt jedoch frage ich mich, wie naiv ich eigentlich gewesen bin.
Mit jeder Sekunde werde ich wütender. Felix ist mein bester Freund! Er kennt mich besser als jeder andere. Warum kann er meine Bitte nicht respektieren? Stattdessen quält er mich und macht mir Schuldgefühle? Was will er damit erreichen?
Inzwischen ist es mir egal, ob Ivy ihn zu irgendetwas drängt – er ist es schließlich, der mir immer wieder wehtut. Für ihn scheine ich nichts weiter als ein Spielzeug zu sein; zumindest gibt er mir dieses Gefühl.
Ich wollte Sascha nicht glauben; wollte einfach nicht wahrhaben, dass wir nicht mehr sind als ... Fuckbuddys. Enttäuscht von dieser Erkenntnis nehme ich den Umschlag und werfe ihn mit aller Kraft in den Papierabfall. Ich will das alles nicht mehr fühlen. Es tut einfach zu sehr weh.
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