~44~
So viel zu meinem guten Vorsatz ...
Nachdem ich mich von Sascha verabschiedet hatte, wollte ich David schreiben. Ich fühle mich wirklich schlecht, weil ich ihn so angefahren habe. Doch eine einfache Textnachricht erschien mir zu unpersönlich – er verdient mehr als das. Ein Anruf kam für mich jedoch auch nicht infrage, da ich seine Arbeitszeiten nicht kenne und nicht stören wollte. Letztendlich habe ich einfach nichts unternommen und ärgere mich jetzt darüber. Diese Wut treibt mich dazu, hier zu stehen und dennoch nicht den Mut aufzubringen, das zu tun, wofür ich eigentlich hergekommen bin. So ein Mist! Ich fühle mich echt erbärmlich!
Genervt schaue ich auf meine Uhr, die kurz nach halb fünf an diesem frühen Mittwochmorgen zeigt. Wenn ich David noch abpassen will, sollte ich endlich eine Entscheidung treffen. Aber was ist, wenn er nicht mit mir reden möchte? Bei unserem letzten Treffen hatte ich den Eindruck, dass er mich so schnell wie möglich loswerden wollte. Der Groll in seinen Augen ist deutlich sichtbar gewesen. Verdammt, das ist zum Haareraufen!
»Jam? Was machst du da?« Jamie hält die Glastür auf und grinst mich an, während ich gedankenverloren vor dem Fenster auf- und ablaufe. »Wenn du einen Kaffee willst, musst du schon reinkommen.« Er tritt zur Seite und macht eine einladende Geste – ein Wink des Schicksals! Ich sollte meinen Plan durchziehen.
»Kann ich den auch mitnehmen?«
Sofort nickt er und winkt mir zu, endlich einzutreten. Das leise Gebimmel der Tür macht mich nervös. Selbst wenn David nicht wütend ist, was soll ich ihm sagen? Nur ›Entschuldigung‹ und dann wieder gehen?
»Also einen Macchiato zum Mitnehmen?«
Stumm nicke ich und sehe auf. Ich muss es einfach versuchen und über meinen Schatten springen. »Weißt du zufällig, wie David seinen Kaffee trinkt?« Einen Moment lang überlege ich, ob Jamie überhaupt weiß, wen ich meine, doch er antwortet prompt mit einem »Klar«. Wie schafft er es nur, sich all diese Details zu merken?
»Kannst du mir so einen machen?«
Zunächst hebt er eine Augenbraue, nickt dann aber und ein Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus. Während er mit der Zubereitung beschäftigt ist, checke ich mein Handy – es vibriert erneut – und seufze leise. Schon wieder eine Nachricht von Felix! Gestern Abend kam die Erste und seitdem sind fünf weitere gefolgt. Diesmal fordert er mich auf, endlich zu antworten. Mit einem Augenrollen stecke ich das Smartphone zurück in meine Hosentasche.
In dem Moment schaut Jamie auf und stellt mir zwei Pappbecher auf den Tresen. Er zeigt auf den rechten Becher. »Das ist der von David. Wenn du willst, kann ich dir eine Markierung machen?«
»Nee, das passt schon.« Ich halte ihm einen Zehner entgegen und murmele: »Stimmt so.«
»Danke.« Zwinkernd deutet er erneut auf die Becher. »Euch beiden einen schönen Tag.« Auch ich bedanke mich artig und hoffe inständig, dass Jamie recht behält.
~~~~~
Knapp fünfzehn Minuten später stehe ich im Park und überlege, ob ich nicht besser wieder gehen sollte. Mein Kopf sagt mir immer wieder, dass es die falsche Entscheidung ist, hier zu sein. Gerade als ich mich umdrehen will, um tatsächlich zu gehen, sehe ich ihn. Es wäre wirklich ungeschickt, jetzt einfach abzuhauen. Sekunden später höre ich den Kies knirschen, als er vor mir zum Stehen kommt.
»Hey ...« Mehr sagt David nicht und seine Stimme klingt alles andere als begeistert.
Vorsichtig hebe ich den Blick und schaue ihn an. »Hi ...«, quieke ich viel zu hoch, was ihn dazu bringt, eine Augenbraue zu heben und zu schmunzeln. Nervosität durchströmt mich. »Ähm ... ich hab' dir Kaffee mitgebracht.« Überschwänglich halte ich ihm den mittlerweile lauwarmen Pappbecher entgegen. Am liebsten würde ich im Boden versinken.
Seine Augenbraue hebt sich noch weiter und sein Schmunzeln wird breiter. »Alles okay, Jam?« Er klingt belustigt, was mich ärgert. Toll, dass er merkt, wie überfordert ich bin – und sich auch noch darüber amüsiert.
»Willst du ihn oder nicht?«, brumme ich und bemühe mich, nicht allzu beleidigt zu klingen – was mir leider gründlich misslingt.
David lacht laut auf, nickt aber schließlich und nimmt mir den Becher ab. Er nippt daran und verzieht das Gesicht angewidert. »Der ist aber süß ...«
Irritiert blinzele ich und zucke mit den Schultern. Ich habe keine Ahnung, wie Jamie seinen Kaffee zubereitet hat, aber anscheinend ist das gründlich schiefgegangen. Noch nervöser als zuvor nippe ich an meinem und verschlucke mich beinahe bei dem bitteren Geschmack. »Uah ...«, entfleucht es mir, dann geht mir ein Licht auf. »Mist ... Ich hab' sie echt vertauscht.«
David lacht erneut und schüttelt den Kopf. Ich hingegen werde so rot, dass mir richtig heiß wird. Nach einer kurzen Stille fragt er: »Also? Bekomme ich meinen?«
»Ähm ... klar ...«
Wir tauschen die Becher aus; David nimmt einen weiteren Schluck und nickt zufrieden. »Viel besser.«
»Wie kannst du das trinken? Der ist so schwarz wie ...«
»... Meine Seele?« Ein amüsiertes Funkeln blitzt in seinen Augen auf. Kurz überrumpelt sage ich nichts weiter und kaue nervös auf meiner Lippe rum.
»Das wollte ich nicht sagen ...« Langsam lasse ich mich auf die Bank sinken, stelle meinen Kaffee zur Seite und beginne nervös, meine Hände zu kneten. David setzt sich neben mich. Sofort bemerke ich, wie unsere Beine sich berühren und ein Kribbeln sich an den betroffenen Stellen ausbreitet.
Wir sehen uns an. Einen Moment lang herrscht Schweigen, bis er sich räuspert. »Was machst du hier, Jam?«
Das ist mein Stichwort! Jetzt muss ich es nur noch aussprechen. Danach können wir getrennte Wege gehen, aber wenigstens habe ich mich ordentlich und aufrichtig ... »Ich will mich entschuldigen.«
»Wofür?«
Zum Teufel! Ich kann es nicht fassen, dass David alles erklärt haben will! Warum kann er eine Entschuldigung nicht einfach akzeptieren?! »Für ... alles?«, flüstere ich und könnte mich selbst dafür ohrfeigen. Dieses Wort war natürlich alles andere als einfallsreich, was auch ihm nicht entgangen ist. Ein breites Grinsen schleicht sich auf sein Gesicht.
»Alles?«, fragt er unverblümt und beugt sich ein Stück zu mir runter. Seine Stimme klingt plötzlich rauer und jagt mir ungewollt eine Gänsehaut über die Arme. Reflexartig senke ich meine Lider und schnaube frustriert. Verdammt! Ich muss mich zusammenreißen, öffne sie abrupt wieder und sehe ihm herausfordernd entgegen. Leider mustert er mich nur interessiert und scheint auf eine weitere Antwort zu warten. Blöder Idiot!
»Du weißt genau, wofür ...« Kurz sammele ich meine Gedanken und schüttele den Kopf. Kaum zu fassen, dass ich das wirklich tun will – vor allem angesichts unserer Vorgeschichte ... Aber wenn er wirklich immer noch nicht weiß, wer ich bin, wird er auch mein Verhalten nicht nachvollziehen können. In diesem Fall sollte ich mich tatsächlich entschuldigen ...
»Ich war dir gegenüber nicht fair. Du hast mir geholfen, und ich habe dich dafür angeschnauzt. Das war ...« ... wirklich abscheulich. Scheiße ...
»Das klingt fast so, als wären wir ein altes Ehepaar.«
»Wie bitte?!« Seine Worte bringen mich so aus dem Konzept, dass ich ihn einfach nur verblüfft anstarre. David zwinkert mir zu und hebt seine Hand. Langsam schiebt er mir eine Haarsträhne hinter das Ohr. Diesmal lasse ich es geschehen, auch wenn mein Herz dabei schneller schlägt.
»Ich bin dir nicht böse, Jam.« Er räuspert sich und zuckt mit den Schultern. »Zumindest nicht mehr. Ich weiß, dass du deine Wut an mir auslässt, aber eigentlich gar nicht mich damit meinst ...«
»Und dafür möchte ich mich entschuldigen!«, unterbreche ich ihn und sehe, wie er langsam nickt.
»Was mich jedoch wirklich wütend gemacht hat, ist die Tatsache, dass Felix anscheinend eine Freundin hat und dich trotzdem ›Schatzi‹ nennt. Oder besser gesagt, dass du damit kein Problem zu haben scheinst. Ja, vielleicht habe ich eine altmodische Sichtweise, aber für mich gibt es nur ... die eine wahre Liebe.«
Wow ... Er hat das also wirklich missverstanden. Das ist irgendwie Glück im Unglück, und dennoch verwirrt mich seine Aussage. »Willst du mir also sagen, dass man enthaltsam leben sollte, bis man sein ›Gegenstück‹ gefunden hat?«
»Quatsch.« David schnaubt und reibt sich über das Gesicht. »Es geht darum, dass ich Wert auf Monogamie lege, wenn ich einen Partner habe.«
»Auch wenn es dich nichts angeht: Felix' Beziehung ist offen ...« Er öffnet den Mund, schließt ihn aber gleich wieder. Anscheinend weiß er nicht, was er darauf antworten soll, und ich kann ebenso wenig nachvollziehen, warum ich ihm das überhaupt erzählt habe. Was ist nur los mit mir? Leise räuspere ich mich und reibe über meine Arme. »Monogamie ist schön und gut, aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass es die eine wahre L... die Person gibt, die angeblich der perfekte Deckel zum Topf sein soll.«
Sein leises Schnauben bringt mich dazu, ihn anzusehen. »Und wie soll man herausfinden, ob es die richtige Person ist, wenn man sich gedanklich nicht richtig darauf einlässt? Ist es wirklich einfacher, sich frei durch die Welt zu vögeln?«
»Weil man es einfach weiß, wenn es die richtige Person ist!« Okay, das klang jetzt wirklich klischeehaft und fast kindisch. Es fehlt nur noch, dass ich mit dem Fuß aufstampfe. Zumal ich von all dem eigentlich keine Ahnung habe ...
»Ich dachte, du bist kein Fan von unlogischen Romanzen ...«
»Bin ich auch nicht ... Ich weiß schon, dass wir nicht ›glücklich bis ans Lebensende‹ wären, selbst wenn du mich jetzt küssen würdest.« Ein paar Sekunden herrscht Stille. Dann kneife ich die Augen zusammen, presse die Lippen aufeinander und senke den Kopf. Was war das denn gerade?! Warum ...?
»Oder vielleicht doch. Willst du's ausprobieren?«
Ein hysterischer Lacher entweicht mir. »Nee, lass mal ...«, wispere ich und fixiere den kleinen Stein zwischen meinen Schuhen. »Wie gesagt: Romanzen sind was für Träumer.«
»Zwei Küsse an einem Tag sind auch wahrlich zu viel.«
»Zwei?!« Jetzt schaue ich ihn doch wieder an und sehe, wie er seinen Becher leicht schwenkt.
»Indirekt natürlich.«
Meint er das ernst? Spricht er wirklich von einem Kuss, weil ich vorher an seinem Becher genippt habe? »Kann es sein, dass an dir ein kleiner Romantiker verloren gegangen ist ...?«
Wieder grinst er und nickt zustimmend. »Ist dir das jetzt erst aufgefallen? Du brauchst echt lange, um jemanden zu analysieren.«
Irgendwie läuft unser Gespräch in die falsche Richtung. Eigentlich wollte ich mich einfach entschuldigen und dann verschwinden. Warum sitze ich noch hier?
David dreht sich ganz zu mir und hebt seine freie Hand. Ich beobachte, wie er sie langsam auf meine legt, mit der ich fest die Parkbank umklammere. Ich kann gar nicht sagen, wann das passiert ist. Sofort spüre ich seine Wärme auf meiner Haut und fange an zu zittern.
»Es ist völlig okay, neue Erfahrungen zu sammeln. Aber alt werden möchte ich nur mit einer Person.« Sein Daumen streichelt sanft über meinen Handrücken und lässt meine Haut förmlich brennen.
Bevor einer von uns etwas Dummes tun kann, springe ich auf und ziehe mich ein paar Schritte zurück. Mit etwas Abstand drehe ich mich wieder zu ihm um und atme tief durch. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig oder falsch verstehe, aber ich muss ihm klarmachen, was Sache ist. »Ich brauche weder das eine noch das andere. Was ich wirklich will, ist Ruhe.«
»Das klingt ziemlich langweilig und einsam«, sagt er und steht ebenfalls auf, um näherzukommen. »Aber jetzt verstehe ich wenigstens, warum ihr nur eine Freundschaft plus habt.«
Ein erstickter Laut entweicht mir. »Wie kommst du denn darauf?!«
David zuckt mit den Schultern und bleibt vor mir stehen. »Es hat die gleichen Vorteile wie eine Beziehung, ohne dass man sich fest bindet. So hast du deine Ruhe und Felix bekommt die Sicherheit seiner Beziehung.«
»So einfach ist das nicht ...«
»Nicht? Kannst du mir erklären, warum?«
Frustriert gehe ich rückwärts. »Nein! Das geht dich nichts an!« Doch er folgt mir und schließt den Abstand zwischen uns immer weiter.
»Wusstest du ...«, beginnt er ernst, »dass es manchmal gerade die Unverbindlichkeit ist, die uns am meisten verletzt?«
Ich kann nicht anders, als ihn anzustarren. Seine Worte treffen einen Nerv. Dann besinne ich mich wieder auf das Wesentliche. »Das hat nichts mit Verletzlichkeit zu tun«, erwidere ich scharf. »Es ist eine bewusste Entscheidung. Ich will kein Drama. Mir anzugucken, wie das bei anderen läuft, reicht vollkommen.«
David lächelt sanft, aber in seinen Augen blitzt etwas auf, das ich nicht ganz deuten kann. »Und was ist mit der Nähe zwischen zwei Personen, die sich vollkommen vertrauen? Mit all den kleinen Momenten, die das Leben lebenswert machen?«
Ich schüttele den Kopf und versuche, meine Gedanken zu ordnen. »Das geht auch alles ohne Bindung.«
Er tritt einen Schritt näher und ich spüre Hitze zwischen uns auflodern. »Aber was ist, wenn du eines Tages zurückblickst und feststellst, dass dir genau das gefehlt hat?«
Seine Frage hängt in der Luft wie ein schwerer Nebel. Ich will ihm antworten, will ihm sagen, dass ich genau weiß, was ich tue – doch stattdessen bleibe ich stumm. Angestrengt schlucke ich und schaue zu Boden. Jetzt habe ich mich doch ernsthaft in eine Situation manövriert, die ich so ganz bestimmt nicht wollte!
»Jam?« Ich höre Erheiterung in seinem Unterton. Frustriert balle ich die Hände zu Fäusten. Es fühlt sich echt beschissen an, von ihm ausgelacht zu werden. Anders als früher, aber trotzdem ätzend.
»Ja?«, antworte ich dennoch. Schon allein, weil ich das Gefühl habe, es ihm schuldig zu sein ...
»Darf ich dich küssen?«
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top