Kapitel 6: miles' secret
We keep behind closed doors
Every time I see you I die a little more
Stolen moments that we steal as the curtain falls
- Secret Love Song, Little Mix
I S A B E L L E
Seufzend betrachtete ich die noch vollen Einkaufstüten, die auf dem zugemüllten Küchentisch lagen. Es war offensichtlich, dass meine beste Freundin niemals lernen würde, das manche Lebensmittel eben nicht bei Zimmertemperatur auf Dauer haltbar waren.
Ich stellte das Radio an und fing an, die kleine Tüte aus- und die Sachen einzuräumen. Dann sortierte ich die Zeitungen auf dem Küchentisch und räumte eine leere Müslischale in den winzigen Geschirrspüler. Den Rest des Tischchaos' schob ich einfach beiseite, sodass eine leere Kaugummiverpackung und gefühlt tausend Haarklammern auf dem Boden landeten. Innerlich verfluchte ich sowohl meinen als auch Miles' Hang zur Unordnung, während ich meinen Collegeblock und einen giftgrünen Schnellhefter aus meinem Rucksack zog. Als ich noch mit Jordan zusammengewohnt hatte, wäre so etwas nie passiert, schließlich...
STOP! Schnell verbot ich mir jeden weiteren Gedanken an meinen Ex, was zugegebenermaßen ziemlich schwer war, denn seit er wieder hier in London aufgetaucht war, bekam ich ihn nicht mehr aus dem Kopf. Ein ganzes Jahr hatte ich nicht mehr an ihn gedacht und war überzeugt gewesen, der Schmerz wäre endlich vorbei. Ja, Pustekuchen!
Die Nächte wurden nur noch länger und in der letzten Woche hatte ich fast gar nicht geschlafen. Die Augenringe ließen sich nur noch schwer mit Make-up verdecken und die meiste Zeit machte ich mir überhaupt nicht mehr die Mühe. Das schlimmste war jedoch, dass ich nicht mehr auf die Straße gehen konnte, ohne mich alle fünf Meter umzudrehen und vorher um jede Ecke spähen zu müssen, und mir der Schweiß ausbrach, wenn ich jemanden mit goldblonden Locken sah. Jordan verfolgte mich. Nicht auf die James-Bond-Art, sondern mehr so wie Jason Bourne - immer wieder tauchten einzelne Gedanken von ihm vor meinem inneren Auge auf und ich musste mich beherrschen nicht nach ihnen zu greifen.
Seufzend ließ ich den Gedanken an Jordan fallen und fand in dem Gewühl auf dem Tisch einen Kulli, der ausnahmsweise mal funktionierte. Dann konzentrierte ich mich erfolgreich auf meinen Aufsatz über Schwarz-Weiß-Fotografie und als Miles eine halbe Stunde später mit Sirius vom Joggen wiederkam, räumte ich eineinhalb neubeschriebene Seiten weg und machte zwei Schalen Müsli, bevor ich aus der Tiefkühltruhe eine Beinscheibe für meinen Hund zog. Sowohl Sirius als auch ich ignorierten Miles angeekeltes Gesicht und zufrieden knackte die graue Dogge wenige Minuten später auf dem Knochen herum, während Miles und ich in einträchtiger Stille unser Müsli löffelten, während wir in eine Decke gekuschelt eine alte Folge The Big Bang Theory ansahen.
»Weißt du noch, wie wir das in der neunten Klasse immer gemacht haben?«, brach meine beste Freundin schließlich während einer Werbung das Schweigen. Ich grinste, als ich mich an diese Zeit erinnerte.
»Stimmt! Dad hatte oft Spätschicht im Krankenhaus und weil weder du noch ich kochen konnten, haben wir ständig Kelloggs in uns reingeschaufelt«, erwiderte ich und beobachtete, wie Heidi Klum sich im Fernsehen die Haare schüttelte und sich darüber ausließ, wie schrecklich Schuppen waren. Als ob die sich die Haare selber waschen würde.
»Gill und Tom sind fast verrückt geworden, weil wir diese dummen Boxämpfe immer kommentiert haben«, lachte Miles jetzt und ich fiel mit ein, weil die angesäuerten Gesichter meiner älteren Brüder noch immer lebhaft in meinem Gedächtnis verankert waren. Plötzlich hörte Miles auf zu lachen und als ich neugierig den Kopf wandte, presste sie fest die Lippen zusammen und schluckte, bevor sie starr nach vorne sah.
»Ich wollte es dir schon damals sagen, weißt du«, sprach sie schließlich. »Ich wusste es schon seit einer ganzen Weile, aber ich hab mich nie getraut.«
Vorsichtig stellte ich die Müslischale weg und machte den Ton des Fernsehers leiser. »Was wusstest du?« Gott, hoffentlich hatte mich Jordan nicht schon in der neunten Klasse betrogen. Da waren wir nicht mal zwei Monate zusammen gewesen.
»Ich ... ich stand nie auf Felix aus der elften«, erklärte meine beste Freundin. »Sondern auf Quinn, seine Zwillingsschwester.«
Ich beobachtete aufmerksam Miles Gesicht, als sie sich schließlich doch zu mir umdrehte und direkt in meine Augen sah. »Ich bin lesbisch und außerdem eine beschissene Freundin noch dazu.«
Ich kniff die Augen zusammen. »Eine beschissene beste Freundin oder eine beschissene feste Freundin?«, fragte ich und ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als ich den überraschten Ausdruck in Miles' Augen sah. »Was, dachtest du, ich würde nicht merken, wie du ständig heimlich telefonierst und immer rot wirst, wenn ich dich dabei erwische? Und seien wir mal ehrlich, Felix Edwards war so ziemlich der größte Arsch auf unserer Schule und ich kann mich glücklich schätzen, dass du ihn doch nicht toll fandest und Geschmack hast. Quinn war ziemlich heiß.«
»Stimmt!«, erklärte Miles. »Außerdem hat sie geturnt und ich schwöre, damals hätte ich dafür getötet, zu sehen, was unter diesem lila Turnanzug war. Auch wenn da wahrhaftig nicht viel der Fantasie überlassen worden ist. Hundert Prozent, dass sie einen Sixpack hatte und...« Meine beste Freundin erstarrte mitten in ihrem Monolog und blickte mich mit aufgerissenen Augen an. »Du bist nicht wütend? Oder angeekelt oder...«
Ich ließ sie nicht weiterreden, sondern umarmte sie stürmisch. Es war mir egal, dass Milch auf die Decke tropfte. »Natürlich nicht!«, brummte ich in ihre Schulter. »Du bist meine beste Freundin, ganz egal was passiert.«
Da schlang Miles ihre Arme um mich und wir saßen einfach nur still da. Hunderte Gedanken schossen mir durch den Kopf und ich konnte nicht verhindern, dass Angst in mir hochkroch. Würde sich jetzt wieder alles verändern? Es schien, als ob ich mich gerade erst damit abgefunden hatte, dass es nun meine beste Freundin war, auf die ich mich als Einzigste noch richtig stützen und ihr vertrauen konnte. Und jetzt würde ich sie mir mit ihrer Freundin teilen müssen.
Naja, nicht müssen, es war schließlich selbstverständlich, dass ich Miles unterstützte, aber sie würde nun nicht mehr vierundzwanzig Stunden am Tag als meine persönliche Therapeutin da sein. Sie würde Zeit mit dieser anderen Frau verbringen und ich - blöd ausgedrückt konnte man sagen, ich musste nun schauen, wo ich blieb.
Für einen kleinen Moment verspürte ich Ärger in mir hochsteigen, dann bewegte sich Miles in meinen Armen.
»Ich kam mir so schrecklich vor. Ich weiß doch, wie sehr du mich brauchst und ich dich ja auch, aber... Wirklich, ich wollte mich nicht in Liv verlieben, ich mein, wir wissen ja alle, wo Liebe hinführt.« Sarkastisch lachte ich auf und verdrehte dann die Augen. »Scheiß drauf, Miles, nicht jeder hat so viel Pech wie ich in Sachen Liebe. Oder was auch immer das war.«
Meine beste Freundin löste sich aus meinem Armen. »Aber es war Liebe zwischen euch, Izzy! Jeder hat das gesehen und Stella und ich waren manchmal sogar neidisch auf die Weise, wie Jordan dich angesehen hat und du ihn«, brach es regelrecht aus ihr heraus. Überrascht sah ich sie an. Weder Stella noch Miles hatten das je mir gegenüber erwähnt, die beiden hatten Jordan schließlich nie richtig leiden können.
»Aber...«, setzte ich an, doch Miles redete einfach weiter. »Jordan war ein Arschloch, das habe ich immer gesagt und werde es auch noch, bis ich als runzelige alte Frau im Bett liege und weder essen oder sprechen kann, weil mein Gebiss rausgefallen ist, aber er hat dich wirklich geliebt.«
Mit einem gequälten Lächeln drehte ich mich zu ihr um. »Vielleicht hat er es einmal. Aber letztendlich hat er mich trotz allem -«, ich atmete zweimal tief durch, bevor ich weitersprechen konnte, ohne dass meine Stimme zitterte, »er hat mich betrogen und das mehrfach, obwohl wir so viel zusammen durchgemacht haben und er mir immer versichert hat, es wäre okay, wenn ... wenn es eben nicht geht. Er hat darauf bestanden, dass es andere Möglichkeiten geben würde.«
Meine Stimme verlor sich im Nirgendwo und leise seufzte Miles. »Ach, Izzy. Du verdienst jemanden, der dich genau so sehr liebt wie du ihn. Und Jordan ist nun mal nicht dieser Jemand.« Ich verdrehte bloß die Augen und versuchte mir den Schmerz nicht anmerken zu lassen: »Dieser Jemand muss aber erst noch geboren werden, schätze ich.«
Ein kleines Grinsen breitete sich auf Miles Gesicht aus und sie stellte ihre Müslischale auf dem Couchtisch ab, bevor sie fragte: »Und was ist mit Harry? Er mag dich ja offensichtlich ziemlich und außerdem ist er echt süß, also wenn ich nicht vom anderen Ufer wäre...«
»Er will Kinder«, unterbrach ich sie. »Eigene Kinder.«
Einen Moment überfuhren Sorge und Trauer über Miles' Gesicht, dann zog sie mit einem gespielt ernsten Ausdruck eine Augenbraue hoch. »Hast du ihn etwa gegoogelt, Izzy?«
Eine sanfte Röte breitete sich auf meinen Wangen aus, als mir nichts anderes übrig blieb, als zu nicken. »Ich wollte eben wissen, mit wem ich es zutun habe. Stell dir vor, er hat der ganzen Welt erzählt, er wolle seine Tochter Darcy nennen. Das arme Kind, dass mit so einem Namen bestraft wird«, blubberte ich, verzweifelt darauf bedacht, das Thema Harry Styles irgendwie zu vermeiden. Er war ein eingebildeter Popstar. Punkt.
Miles nickte, ihre Lippen zuckten. »Also, wie ist diese Liv so?«, fragte ich schnell. Es gelang mir, meine beste Freundin von ihrem Wir-verkuppeln-Izzy-Trip abzulenken und sie begann von ihrer Freundin zu erzählen. Als der Abspann von The Big Bang Theory lief, da wüsste ich alles über Olivia Scott, mitsamt Lieblingscharakter aus Harry Potter und Musikgeschmack - Draco Malfoy (sie war mir sofort sympathisch) und Punk Rock (nicht so meins).
Schließlich stand ich vom Sofa auf und überließ es Miles, Abendessen zu machen, während ich mir Sirius schnappte und mich auf den Weg zum Park machte. Gerade als ich im Dunkeln versuchte zu erkennen, ob meine Dogge jetzt pinkelte oder sein großes Geschäft mitten im Brombeerbusch erledigte, klingelte mein Handy.
Unbekannter Anrufer. Mein Herz schlug automatisch schneller. Bitte lass es nicht Jordan sein, bitte lass es nicht Jordan sein, bitte, bitte, bitte!
Zögerlich drückte ich auf das Display und hielt mir das Handy ans Ohr.
»Hallo?«
»Hi Isabelle!«, sagte Harry und ich hörte ihn förmlich grinsen.
Es ist nicht besonders lang, aber es ist immerhin etwas. Danke an die üblichen Verdächtigen für die unzähligen Arschtritte und an Bianca, die eine Charakterentwicklung gefunden hat, an der ich locker blind vorbei gelaufen wäre.
Danke außerdem für mehr als 2,5k Reads, das bedeutet mir wirklich eine Menge! ♥
All the Love
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