05. Gescheiterte Vernehmung

Stanley.

Der Weg zum Revier war nervenzerreißend, denn Stanley grübelte seitdem er aufgestanden war. Wenn das den ganzen Tag so weitergehen sollte, würde er definitiv mehr als nur ein paar Aspirin brauchen.

Seine Arbeitskollegen begrüßten ihn und zollten dabei entsprechend Respekt. Für ihn war es bereits zur Routine geworden, doch auch wenn einer vergessen würde, ihn zu grüßen, dann würde es ihm nicht einmal auffallen.

"Morgen, Detective. Konnten Sie schlafen?", drang eine angenehme Stimme an seine rechte Seite, nachdem er an seinem Schreibtisch Platz genommen hatte.
Er musste nicht aufsehen, um zu wissen, wer mit ihm sprach.

"Oh, wie ein Murmeltier, Alec."

"Da schwingt aber ziemlich viel Ironie in Ihrer Stimme mit."

"Hm", gab Stanley bloß von sich.

"Naja", sprach Alec weiter und stellte Stanley anschließend eine heiße Tasse Kaffee neben die Tastatur. "Sobald das Verhörungsgespräch stattfindet, sage ich Ihnen Bescheid. Bis später."

Er schloss die Tür leise hinter sich und ließ Stanley zurück. Dieser nahm den frischen Kaffee und führte ihn zu seinen Lippen. Bevor er einen kleinen Schluck trank, pustete er und schaltete den Computer an.

Stanley sammelte sich genügend Informationen zusammen und bereitete sich für die Vernehmung vor, bis es schließlich an seiner Tür klopfte.

"Herein."

Alec trat ein und ließ den schweigenden Blick über den chaotischen Schreibtisch seines Vorgesetzten wandern.

"Geht es los?", wollte Stanley ungeduldig wissen.

"Nein, es wäre mal Zeit für eine Pause. Sie sitzen nun schon vier Stunden vor diesem Gerät. Irgendwann werden Ihre Augen noch viereckig. Und bevor Sie diese jetzt verdrehen- ich weiß, dass das bloß ein Sprichwort ist."

Alec hielt Stanley die Tür auf und machte ihm damit deutlich, dass er kein Nein akzeptieren würde.
"Kommen Sie. Nachher haben Sie vielleicht keine Chance mehr."

"Na gut", stöhnte Stanley ergeben, nachdem er den PC in den Stand-By Modus versetzte hatte und sich von seinem Platz erhob.

Die Mittagspause war ruhig. Im Pausenraum hatten sich kleine Gruppen gesammelt, die über verschiedenste aktuelle Fälle redeten.
Doch Stanley war nicht nach Reden zumute. Das wussten die anderen auch, also ließen sie ihn meist alleine, wenn es kein dringendes Anliegen gab.

Bis zur Vernehmung vergingen noch zwei Stunden, als Alec Stanley endlich aus dem Büro holte. Samt seiner Unterlagen und seiner Dienstwaffe betrat er den Raum, in dem der Mann von gestern an einem Tisch saß. An diesem waren dessen Hände per Handschellen befestigt.

Langsam nahm er gegenüber von ihm Platz.

"Alle Angaben werden protokolliert. Sie haben das Recht, einen Anwalt hinzuzuziehen. Und Sie haben das Recht zu schweigen. Unkooperatives Verhalten würde die Vernehmung aber nur in die Länge ziehen", begann Stanley mit den Formalitäten, "es liegen bereits einige Straftaten vor und Sie sind auf Bewährung. Sie würden sich bloß selbst Steine in den Weg legen, dessen sind Sie sich doch bewusst, oder?"

Der Mann von mittlerer Statur mit düsteren Augen und einem grauen Bart, lehnte sich leicht zurück und fixierte Stanley mit einem stechenden Blick.

"Sie sind Teil einer wichtigen Ermittlung. Dementsprechend sind Sie Zeuge, vermutlich sogar Mittäter. Also sind Sie dazu verpflichtet, auszusagen", redete Stanley weiter.

Es schien, als würde er stundenlang gegen eine Mauer reden. Auch wenn es in Wirklichkeit bloß zwanzig Minuten waren, bis der Mann endlich seinen Mund öffnete. Doch die Antwort, die aus diesem herauskam, gefiel Stanley gar nicht.

"Von mir erfahren Sie rein gar nichts!"

Er hatte damit gerechnet. Dennoch war ihm die Wut deutlich in sein Gesicht geschrieben.

"Viel Spaß im Gefängnis", knurrte Stanley, nachdem er die Arme gehoben und seine Fäuste mit voller Wucht auf die eiserne Tischplatte geschlagen hatte. Dann verließ er den Raum und ließ den Protokollanten und einen anderen Polizisten erschrocken zurück.

Sie hatten heute nichts erreicht. Er hatte nichts erreicht.

Kopfschüttelnd rannte er den Flur entlang, in Richtung seines Büros, in dem er sich seine Tasche schnappte. Er hatte ohnehin schon längst Feierabend.

Auf dem Weg zu seinem Wagen wurde ihm eine Sache klar: er würde das Ganze selbst in die Hand nehmen.
Auch wenn dies bedeutete, dass er dafür undercover gehen müsste. Und wo würde er sonst sofort an Informationen herankommen, wenn nicht im Rotlichtviertel?

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