Stanley.
Oktober, 2016.
Wir stürmten das Bordell mit zehn Männern; Panik brach kurz nach unserem Erscheinen unter den Angestellten sowie den zahlreichen Kunden auf; die Musik verstummte.
Ein Kunde, der seine Hand soeben noch zwischen den Beinen einer Pool-Tänzerin hatte, erstarrte zu Stein und schluckte nervös, als er uns erblickte. Ein anderer warf lachend sein Geld die Bühne hinauf, als hätte er nicht einmal bemerkt, dass meine Männer und ich im Raum standen. Meine linke Hand ruhte in der Nähe meiner Waffe.
Das betrunkene Lachen verstummte. Alkohol war etwas seltsames. Es benebelte den Verstand, ließ einen mutiger werden und somit Dinge tun, die man im Normalfall nie tun würde.
Mein Blick wanderte über die perplexen Gesichter hinweg; die Stripperinen suchten das Weite während einige Männer ihnen empört hinterherschauten.
"Wir haben einen richterlichen Beschluss, um das ... Bordell zu durchsuchen", Nase rümpfend sprach ich weiter, "außerdem würde ich gerne mit dem Geschäftsführer reden."
Ich wusste, dass meine Aura eine gewisse Gelassenheit und Dominanz ausstrahlte; ich wirkte kontrolliert. Doch der äußerliche Schein schien manchmal zu trügen, so wie auch jetzt. Ich war darauf besessen, den größten Verbrecher des Landes zu fassen, der sich mit Drogen und Prostitution sein dreckiges Geld verdiente. Seit drei Jahren ging dieses Hin und Her nun schon, immer wieder hatte man eine heiße Spur und im nächsten Moment verlief diese im Sand.
Mit einer Hand an meiner Dienstwaffe und die andere krampfhaft zur Faust geballt, ging ich Schritt für Schritt tiefer in die Menschenmasse; an runden Tischen mit zahlreichen Longsdrinks und Bierflaschen vorbei. Dabei sah ich jedem einzelnen von ihnen in das Gesicht und versuchte die sich abspielenden Emotionen zu lesen.
Im Augenwinkel beobachtete ich die Angestellten des Bordells und wartete auf eine nervöse Regung.
Keiner fühlte sich angesprochen, einige würdigten mich keines Blickes und andere mieden die Blicke meiner Kollegen ebenso vehement.
"Ich möchte mich ungern wiederholen", begann ich erneut mit drohendem Unterton, als sich hinter meinem Rücken bereits zwei Security Männer in schwarzen Anzügen flüsternd Informationen auszutauschen schienen.
Wenige Sekunden später verschwand einer der Männer hinter einem roten Vorhang.
"Sergeant!", rief mein Kollege und bester Freund Ryan hinter mir, was mich sofort dazu veranlasste mich diesem zuzuwenden.
Obwohl es nun schon zwei Jahre her war, dass ich die Beförderung vom Detective zum Sergeant erhalten hatte, fiel es mir immer noch schwer, mich mit diesem Titel anzufreunden. Denn große Verantwortung ging immer einher mit Disziplin und Ausdauer.
Ich wandte mich der Stimme meines Kollegen zu und richtete meinen starren Blick auf den sich noch leicht bewegenden Vorhang, hinter dem soeben ein Wachmann die Flucht ergriffen hatte.
"Verdammt-", presste ich wutentbrannt hervor, während ich der Person hinterher hechtete. Zwei meiner Kollegen folgten mir.
Die Wege des Korridors waren stockdunkel; dennoch konnte man die weinrote Tapete sowie den gleichfarbigen Teppich erkennen. Mehrere schwarze Türen waren links und rechts von mir geschlossen; was sich dahinter verbarg, konnte man sich leicht denken: Männer und Frauen, die sich spärlich angezogen oder gar nackt auf den Betten rekelten. Eigentlich müsste ich sie alle hinter Gitter bringen! Doch dafür blieb mir jetzt keine Zeit. Hätte man nur eine Handvoll dieser Menschen festnehmen und verhören wollen, dann müsste man einen ganzen Tag einplanen.
Meine Lunge brannte und es fühlte sich an, als würde sie jeden Moment kollabieren. Die körperliche Ausdauer war mit meinen fünfunddreißig Jahren wohl doch nicht mehr das, was sie einst mal war. Auch wenn ich regelmäßig nach der Arbeit das Gym besuchte, um meinen Frust lieber an den Geräten als an meinen Kollegen auszulassen. Krafttraining war eben nicht gleich Kardio.
Ich konnte nur hoffen, dass ich meine Männer in keine Falle führen würde, als ich am Ende des Flurs eine Tür entdeckte, aus der ein Spalt Licht schien. Auf dieser stand in großer kursiver Blockschrift BÜRO.
Mit meinem rechten Fuß stieß ich die Tür auf und trat anschließend mit erhobener Waffe in den Raum, doch anstatt einen voll besetzen Pokertisch vorzufinden, war nur noch der Gestank von teuren Zigarren und Whisky wahrzunehmen. Pokerkarten lagen auf dem Tisch sowie auf dem Boden verstreut herum, im Aschenbecher glühte noch der Stummel einer halb aufgerauchten Zigarette.
Der Securitymann hatte sie vorwarnen können, sodass sie rechtzeitig die Flucht ergriffen.
Ich raufte mir frustriert das Haar, während die Enttäuschung in meinem Gesicht geschrieben stand.
"Fuck! Fuck, er war hier, ich wusste es! Scheiße! Verdammte-"
"Boss, beruhige dich." Alec, ein Police Officer - um genau zu sein, war er mein Ex -, legte eine Hand auf meine Schulter und blickte mich aus mitleidigen grünen Augen an. Ich wich sogleich zurück, bevor Ryan oder ein anderer Kollege es mitbekommen konnte. Früher wäre ich bei diesem Blick weich geworden, hätte mich tausend Mal für mein Verhalten bei ihm entschuldigt, doch mittlerweile war es mir unangenehm, wenn er mich berührte - immerhin hatten wir uns schon vor einem Jahr voneinander getrennt.
"Wir werden ihn schon kriegen. Jetzt wissen wir wenigstens, dass wir die ganze Zeit schon auf der richtigen Spur sind", versuchte Alec mich zu beruhigen, unbeeindruckt von meiner abweisenden Reaktion.
"Ach ja? Das sagen wir jetzt schon seit Monaten und Jahren!", brüllte ich zurück und bereute es im selben Moment; denn mein Team tat bloß ihr Bestes. "Tut mir leid, ich-"
Es liegt nicht an euch, sondern an meinem Schlafmangel, dass ich so schnell gereizt bin, wollte ich sagen, doch entschied mich lieber dafür, zu schweigen.
Ich schüttelte den Kopf, riss mich von ihm los und verließ den Raum ohne Alec nochmal anzusehen. Allerdings spürte ich beim Verlassen des Pokersraums, wie sich sein glühender Blick in meinem Rücken bohrte.
"Nehmt den anderen der Security mit. Er soll verhört werden", gab ich schroff von mir, als ich aus dem Flur in das Bordell trat.
"Ja, Sir. Noch etwas?", fragte Officer Ryan.
Ich hob überrascht meine Augenbrauen, beinahe so hoch, dass sie fast in meinem dunkelbraunen Haar verschwanden. Sir? Ernsthaft?
Vermutlich müsste ich nachher nochmal mit ihm sprechen, um etwas klarzustellen.
Räuspernd wandte ich mich von ihm ab und warf einen prüfenden Blick in die Runde.
"Ist euch jemand Gewaltätiges aufgefallen, seitdem wir den Laden betreten haben?"
"Nein, Sir. Nur das übliche Verhalten für ein Bordell ...", murmelte Ryan nun etwas leiser, der anschließend hochrot anlief. Es war ihm schon immer etwas peinlich gewesen solche Einsätze durchzuführen.
"Dann wäre es das. Los, schaffen wir den Kerl auf das Revier."
Alec nickte und ging voraus, er packte den Mann und verschwand mit ihm nach draußen; dicht gefolgt von anderen Police Officern.
Ich war der Letzte, der ihnen folgte. Vor dem Verlassen des Bordells, blieb ich in diesem für einen längeren Moment stehen und blickte in die Gesichter der Angestellten. Ängstliche und nach Hilfe suchende Blicke hefteten sich an mir fest und brannten sich in meine Haut. Ich musste schwer schlucken.
Was für eine bedrückende Stimmung.
Kopfschüttelnd kehrte ich ihnen meinen Rücken zu, als ich den Laden verließ. Ich konnte zunächst nichts für diese Menschen tun, die offensichtlich zu etwas gezwungen wurden. Erst musste ich den Verantwortlichen festnehmen.
Jemand drehte die Musik lauter und meine Gedanken wurden durch das Stimmengewirr verscheucht, welches umso lauter wurde, desto weiter ich mich von ihnen entfernte.
Draußen hieß ich die kalte Nachtluft willkommen und atmete tief ein, ehe ich auf der Fahrerseite des Dienstwagens einstieg. Ryan folgte mir wenige Sekunden später und saß schließlich neben mir.
"Ryan", begann ich sofort, als dieser sich noch nicht einmal angeschnallt hatte. "Was soll dieses "Sir"? Du bist mein bester Freund. Also kannst du mich auch mit meinem Namen ansprechen, verstanden?"
"Klar, Stanley. Aber wie wirkt das auf die Anderen, wenn ich dir gegenüber keinen Respekt erweise?" Er blickte mich aus stahlblauen Augen an, sein Blick war ernst und seine Haltung aufrichtig. Die aschblonden Haare standen ihm in alle Richtungen ab, da der Fall ihn genauso mitnahm wie mich. Sein Jochbein unterhalb des rechten Auges wurde von einer kleinen Narbe geziert, die er sich in einer Kneipenschlägerei zugezogen hatte in die er nach der Trennung seiner langjährigen Beziehung geraten war.
"Mir ist egal, was andere von mir denken. Hör einfach mit diesem Mist auf."
Seufzend drehte sich Ryan von mir weg und richtete den Blick auf die Straße. Ich kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass das Thema für ihn beendet schien; daher startete ich den Wagen und fuhr mit ihm zum Los Angeles Police Department.
* * *
Auf dem Revier ließ ich den Verdächtigen in einen Verhörraum bringen, nachdem ich mir von meinem Vorgesetzten, dem Captain des LAPD eine Standpauke anhören konnte, weshalb wir dem Ganzen heute kein Ende setzen konnten. Während dieser hitzigen Diskussion biss ich mir so fest auf die Zunge, dass ich meinen könnte Blut zu schmecken, nur um ihm keinen frechen Kommentar an die Stirn zu werfen. Ich war genauso aufgebracht wie er, doch das gab ihm noch lange nicht das Recht diese Wut an seinen Kollegen auszulassen.
Im Verhörraum angekommen, setzte ich mich nicht sofort. Stattdessen lehnte ich mich mit verschränkten Armen an die gegenüberliegende Wand, dabei spannte das hellblaue Diensthemd an meinen muskulösen Oberarmen und den breiten Schultern. Mein undurchdringlicher Blick richtete sich auf den Mann, der hinter dem Tisch Platz genommen hatte; seine Hände waren noch immer in Handschellen gelegt. Seine Körperhaltung sprach für sich - bis in die kleinste Faser angespannt, bis auf sein linkes Knie, welches auf und abwippte; sein Kopf war nach unten geneigt und die Augen geschlossen. Dann ergriff er endlich das Wort.
"Was soll das hier? Ich habe nichts getan."
"Lassen wir das Vorgeplänkel lieber. Natürlich haben Sie etwas getan, Rico. Autodiebstahl und Besitz sowie Konsum illegaler Drogen sehen auf keinem Lebenslauf und Führungszeugnis gut aus, nicht wahr?"
Ich schmunzelte selbstsicher und fuhr fort: "Kommen wir lieber gleich zu der Sache, die mich interessiert. Wo ist Ihr Boss?"
Mein Gegenüber schnaubte spöttisch und wollte die Arme verschränken, wurde durch die Handschellen allerdings davon abgehalten, die am Tisch befestigt worden sind.
"Von mir erfahren Sie bestimmt nichts."
"Ach, nein? Ihr Boss weiß vermutlich, dass Sie gerade an diesem Tisch sitzen und wird Sie ganz sicherlich nicht mehr im Team haben wollen. Vermutlich würde er Sie bei ihrem nächsten Kontakt kaltblütig abknallen. Sie haben keinen Grund mehr, ihn zu decken."
Ich legte den Kopf schief und nahm wahr, wie mein Gegenüber bei der Vorstellung, getötet zu werden, zusammenzuckte und seinen Blick gequält abwandte.
Wir schwiegen uns für die nächsten fünf Minuten an; ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es bereits halb zwei war. Zu spät für ein Verhörungsgespräch, welches ich auch später mit einem Kaffee weiterführen konnte.
"Nun gut, wir reden in einigen Stunden wieder miteinander."
Mit einem auffordernden Blick nickte ich einem Police Officer - ich glaube sein Name war Josh - zu, und stieß mich von der Wand ab. Der Mann wurde in eine Zelle abgeführt.
"Gute Nacht, Sir. Bis morgen", sagte Josh beim Hinausgehen.
Ohne ein Wort zu erwidern, suchte ich mein unaufgeräumtes Büro auf. Blätter lagen auf dem Boden herum, in einer Ecke und auch auf meinem Bürotisch stapelten sich Akten von abgeschlossenen, aber auch ungelösten Fällen. Doch abgesehen von der vertrockneten Zimmerpflanze, deren Blätter traurig nach unten hingen, war meine Pinwand das beeindruckenste im ganzen Raum. An ihr klebten alle Informationen zu meinem neusten Fall, welchen ich den Titel Der Zuhälter verliehen hatte.
Mit einem lauten Seufzer schaltete ich den Computer aus und betrachtete das eingerahmte Bild auf meinem Schreibtisch, welches mich Arm in Arm mit meiner älteren Schwester Lively zeigte. Sie zeigte ihr breites Grinsen in die Kamera, ihre braunen Haare waren gelockt und ihre Sommersprossen konnte man ebenfalls gut erkennen. Bei dem Gedanken an sie musste ich leicht lächeln, auch wenn ich dies nicht oft tat.
Im Revier herrschte eine Totenstille. Meist war ich der Letzte, der es verließ, weil ich mich zu sehr in meine Arbeit warf und vergaß, was es bedeutete, richtig zu leben.
Nachdem ich einen letzten Blick auf mein Diensthandy geworfen hatte, welches aber keine neuen Nachrichten anzeigte, schloss ich mein Büro ab und schaltete die Lichter aus. Dann ging ich nach draußen und stieg in meinen privaten Wagen - ein Oldtimer aus dem Jahre 1967 - ein, und machte mich auf den Weg nach Hause.
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