8. Kapitel | Eine unerwartete Suche

Ich dachte wirklich, sie haben uns... die Cousins von Tuco, vermutlich ebenso unberechenbare Salamancas die auch über Kinderleichen gehen würden, und das nur weil Mr. White wie ein überblinder Maulwurf einen auffälligen Blick erhaschen musste.

Wieso hat sich diese krebskranke Hobelschlunze nicht gleich auf den Haufen Schrott und Müll gestellt und freudig mit der Händen gewunken? Ich warf ihn einen verbitterten Blick zu, zog die Waffe aus dem Hosenbund und legte mich auf den Rücken. »Wurden Sie gesehen?«, fragte ich leise, aber knurrend, während ich das Magazin ausbaute.

Jesse blickte mich an, als sei ich nicht mehr ganz reisefertig- vermutlich, weil ich mich mit dem Aufbau einer Pistole auskannte.

»Hank«, keuchte Mr. White nur und unterdrückte sich ein kehliges Husten.

»Brennt dir der Helm?«, fragte ich und schnitt eine Grimasse. »Was ist ein Hank? Ein Codewort zwischen euch, oder was?« Vier Schüsse in einem 12er Magazin. Shit.

»Mein Schwager.«

Ich starre entsetzt zu Mr. White. »Was macht er hier?«

Mr. White konnte mir nicht antworten, da dieser ominöse Hank nach jemanden rief.

Ich glaubte, ich verhörte mich, aber Hank wiederholte sich. Wieder rief er diesen einen Namen. »Jesse Pinkman.«

Jesse neben mir starb gefühlt tausend Tode. Bei jedem Ruf zuckte er neben mir zusammen. »Er kann mich nicht gesehen haben!«, wimmerte er.

Konnte er nicht. Jesse schaute kein einziges mal aus seiner Verdeckung raus, bis mir etwas einfiel. Der rote Monte Carlo. Jesses Auto. Das erklärte aber trotzdem nicht, wie Hank Jesse hier finden konnte. Moment. Es sei denn, er hatte aus Verdachtsgründen heimlich ein Peilsender an das Auto gebracht. Und es sei denn, dieser Hank war ein Bulle, oder so was. Mr. White droppte auch noch die Idee des Tages. »Wir sollten laufen.«

»Labern Sie kein' Scheiß, Mr. White«, kommentierte Jesse sarkastisch und kniete sich in Kauerstellung. Auch er war bereit, abzuhauen. Ich ebenso. Denn das war unsere Chance. Außerdem wollte ich Mr. Whites Schwager Hank keine Kugel verpassen.

Erst recht nicht, als Mr. White nebenbei erwähnte, dass sein Schwager ein gottverdammter Bulle war. Hank war ein Agent bei der DEA. Der Drug Enforcement Administration, besser gesagt die Drogenvollzugsbehörde.

Würde sein Blut an meinen Händen kleben, hätte ich über 5.000 DEA-Agenten an meinem Arsch hängen und ich war nicht gerade der Feind von Bullen jeglicher Art. Ich hielt sie mir liebe als Freunde.

Unser Weg führte uns in gedeckter Haltung querfeldein, auf der Hoffnung nicht doch irgendwie gefunden zu werden. Außerdem musste ich die Waffe und mein helles blutverschmiertes T-Shirt los werden.

Weit entfernt vom Haus, wir sahen es nicht einmal mehr, blieben wir stehen. Dort buddelte mit bloßen Händen ein Loch in dem ich Tucos Knarre verschwinden ließ. In einem weiteren Loch, gebuddelt von Jesse, landete mein blutgetränktes T-Shirt.

Jesse gab mir sein übergroßes T-Shirt, welches er unter der großen Jacke trug und blickte mich an, während Mr. White sich netterweise umdrehte, als ich nur im BH und Hose vor den beiden stand.

Normalerweise hätte ich jetzt einen lockeren, sarkastischen Spruch diesbezüglich des gaffenden Jesse parat, der seinen Blick überhaupt nicht von meinen Brüsten abwenden konnte, aber ich war absolut nicht in Stimmung, irgendeinen Scherz zu machen.

Das einzige was zählte war, lebend nach Hause zu kommen, auf eine Straße und einem Anhalter zu treffen. Irgendwas. Eben nur nicht bei der Hitze mitten in der Wüste draufzugehen.

Mr. White wollte, dass ich ihm endlich die Wahrheit über Hector Salamanca erzählte, wir hätten Zeit und außerdem sterbe er vor Neugier, aber ich winkte mit den Worten: »Wir sind noch nicht in Sicherheit«, ab. Es könnte noch so Vieles passieren, außerdem ratterte mein Hirn gerade ein Alibi für Pinkman ab. Für uns alle.

Offensichtlich wurde Jesse von einem DEA-Agenten gesucht und sein Auto an einem Schauplatz eines Mordes und Brandstiftung entdeckt. Das würde alles ins Chaos stürzen.

Vielleicht wurde auch schon nach mir und Mr. White gesucht. Ich kannte meinen Onkel, und dieser brach schnell mal in Panik aus, wenn es um mich ging.

Mr. White, krebskrank, wiederum hatte eine Familie, die ihn ebenfalls suchte. Kurzum, wir alle wurden vermutlich schon gesucht.

»Okay, habt ihr schon eine Idee für euer Alibi? Damit wir nicht alle auf eine Idee kommen«, unterbrach ich die Stille. Mr. White blickte zu mir, während Jesse vor sich hintrottete und die Hitze verfluchte.

»Wie meinste das?«, fragte Jesse mich.

»Ein DEA-Agent, hat nach dir gesucht, dein Auto, steht vor den zukünftig abgebrannten Haus eines sichtlich geisteskranken ermordeten Drogendealers. Die werden dich suchen und festnehmen. Das Ende vom Lied, sie werden dich für den Mord verklagen. Nichts mit Totschlag, weil du, in deren Augen, nach dem Mord an Tuco, das Haus angezündet hast, um Beweise zu vernichten.«

»Aber du hast ihn getötet!«

»Erstens, woher sollen die wissen, dass ich bei dir gewesen bin?« Fragend blickte ich Jesse an, dieser zuckte nur mit den Schultern. »Zweitens, habe ich das nur getan, um uns hier rauszubekommen und hätten wir uns danach beeilt, wären wir früher weggekonnt. Was auch immer, vermutlich werden Sie auch schon gesucht, Mr. White. Sie haben doch Familie und einen Schwager bei der DEA, die werden das nicht so einfach auf sich beruhen lassen.«

Mr. White nickte und dachte scharf nach. »Sie saßen in Jesses Wagen, beziehungsweise lagen im Kofferraum seines Autos. Man wird, wenn das Auto von der Kriminaltechnik untersuchen lässt, Ihre Haare finden.«

Ich atmete tief ein und aus. »Nun, ich müsste erstmal im System verzeichnet sein, bin ich aber nicht.«

»Gute Kontakte, was?«, fragte Jesse mich.

»Nö, blütenreine Weste, ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen. Nicht mal ein Ticket fürs Falschparken«, sagte ich stolz und fluchte innerlich auf.

Was ist, wenn die DEA irgendwie auf meinen Namen stoßen wird? Sie würden in meiner tragischen Vergangenheit herum stochern und vielleicht herausfinden, was mir als Kind in Mexiko, meinem Geburtsland widerfahren war. Vielleicht würden sie nach ausreichend Ermittlungen auf den Trichter kommen, ich hätte mich nach all den Jahren an Hector Salamanca rächen wollen, dafür, dass er meine Schwester bestialisch ermordete?

Weder die mexikanische Polizei, noch die Mordkommission konnte etwas Bahnbrechendes finden, keine Hinweise, keine Zeugenaussagen. Nichts. Der Mord war ein gescheiteter Raubmord, Täter unbekannt und noch immer auf der Flucht, aber das wunderte mich nicht.

Es war weltweit bekannt, dass die Polizei in Mexiko mehr als korrupte Arbeit leistete. Kein Wunder, bei dem lächerlichen Gehalt, der schlechten Ausbildung und der chaotischen Organisation.

Ich wusste von meinem Onkel, den älteren Bruder meiner Mutter und ehemaliger Polizist, dass man dort, wenns hinkommt, 200 Dollar im Monat verdiente. Als Polizist, der tagtäglich sein Leben für andere riskierte. Deshalb hing Tio Peña den Polizeihut nach einigen Jahren an den Nagel und wanderte erfolgreich nach Australien zu seiner Frau aus.

Wir schwiegen, dachten vermutlich über Pläne nach, Ideen für ein Alibi, am besten drei, oder zwei, weil mit Sicherheit ein bescheuertes Haar von mir gefunden wurde und ich mit Sicherheit behaupten kann, dass die alteingesessenen Überwachungskameras Mrs Mahoney und ihre beste Freundin Mrs Gilbert den gesuchten roten Monte Carlo vor dem Haus meines Onkels sahen. Dann sahen diese auch wie ich dort eingestiegen war und hörten später, soweit mein Onkel sich nicht bedeckt hielt, von meinem Verschwinden.

Man wusste bekanntlich nie was einem erwartet und ich wusste aus Erfahrung, dass ich immer eine Geschichte parat haben musste. Eine Geschichte, die ich glaubwürdig rüberbringen musste.

Ich machte drei Kreuze, wenn diese anstrengende und lächerliche Wüstenwanderung und Farce vorbei war, wenn ich in Onkel Jimmys Badewanne einen Joint rauchen und den restlichen Urlaub irgendwie genießen konnte.

»Einfach wandern, wandern, einfach wandern«, sang ich vor mir hin, als wir gefühlt eine Ewigkeit unterwegs waren. Mr. White blickte mich genervt an und schüttelte seinen Kopf, ehe er wieder komplett in Gedanken versank. Jesse lief neben mir her und murmelte: »Findet Nemo, yo. Wir sterben vermutlich und du denkst an einem Disneyfilm.«

»An was soll ich sonst denken? Wüste? Sand? Kakteen?«, fragte ich und setzte meinen Weg weiter fort. Die pralle Sonne hat nach etlichen Stunden ihren Tribut an meinem Körper gezollt: ich merkte durch meine spannende und brennende Haut, das sich ein Sonnenbrand ankündigte und hoffte, dass ich nicht noch einen Hitzschlag erlitt, mein Hals brannte vor Trockenheit und bestialischen Durst. Auch, wenn ich die bequemsten Sneakers trug, brannten mir die Füße und ich müsste nach diesem Marsch vermutlich Desinfektionsmittel rüberkippen, damit der Gestank verschwand.

Als wir endlich einen festen Untergrund unter den Füßen hatten, und neben der asphaltierten Landstraße herliefen, meldete sich ein sichtlich erschöpfter Mr. White unter einem strengen Husten zu Wort. »Ich glaube, ich hätte da eine Idee, was Jesses Alibi angeht.«

Es war bereits dunkel, der Sternenhimmel war klar und deutlich zu sehen, aber trotzdem ist es noch immer bestialisch warm.

Ich warf gerade einen Blick über die Schulter und suchte nach irgendein Auto. Drei Autos waren an uns vorbeigefahren, aber hielten es nicht für nötig uns mitzunehmen. Ungeduldig hakte ich nach und wartete auf die Erklärung von Mr. White. »Das wird ziemlichen Ärger geben«, entgegnete ich und ließ Mr. Whites Plan auf mich wirken. »Das kann ich mir nicht leisten, Mr. White. Ich will meine Arbeit nicht riskieren, weil ich angeblich Meth genommen habe... das ist... riskant.«

»Wir könnten alle im Gefängnis landen und dann? Dann sind Sie Ihre so wichtige Arbeit los.« Er dachte nach. »Als was arbeiten Sie überhaupt?«

»Ich bin Ärztin. Assistenzärztin und auf den Weg Pathologin zu werden, habe mir noch nie etwas zu Schulden kommen lassen und das sollte auch so bleiben«, erklärte ich und Mr. White warf mir einen beeindruckten Blick zu.

»Ich hab Sie als Anfang siebzehn eingeschätzt, aber sie müssen ja, laut abgeschlossenen Medizinstudium etwas älter sein.«

»Ich bin zweiundzwanzig«, antwortete ich, bedankte mich aber nicht für das Kompliment. »Habe das erste Jahr als Assistenzärztin beendet und starte nach meinem Urlaub ins zweite.«

»Haben Sie sich denn etwas zu Schulden kommen lassen, was sich auf Ihre Arbeit auswirken wird, wenn wir diesen Plan durchführen werden?«, fragte Mr. White weiter.

»Weiße Weste«, wiederholte ich wahrheitsgemäß.

»Es gibt viele Ärzte die mal zur Entspannung an einem Joint rauchen. Ab sofort gehören Sie auch dazu.«

Ich runzelte nur die Stirn, als Jesse aufmerksam aufhorcht. »Ist doch völlig normal, yo. Sie raucht doch auch Gras.«

Mr. White blickte mich entsetzt an. »Haben Sie nicht gerade gesagt, dass sie eine weiße Weste haben?«

»Hab ich«, rechtfertigte ich mich. »Ich bin bisher nur nicht zu blöd gewesen mich erwischen zu lassen, oder völlig zugedröhnt auf der Arbeit aufzutauchen.« Ich hielt inne und wandte mich zu Jesse. »Also ziehen wir das durch? Geben uns gegenseitig ein Alibi, lungerten seit meiner Ankunft in einem ranzigen Motelzimmer herum, völlig stoned und betrunken?«

Jesse nickt. »So ist es«, nickte er zustimmend. »Ziehen wir das durch, sobald wir lebendig ankommen.«

Mr. White blieb stehen, wollte separat von einem Auto als Tramper mitgenommen werden, um sein Alibi zu fungieren, während Jesse am Straßenrand hinter mir blieb und mir folgte. Irgendwann musste doch ein Auto vorbeikommen und uns in Richtung Albuquerque mitnehmen. 

Nur ein netter Autofahrer der uns mitnahm und diese bescheuerte Wandertour durch die Wüste endlich beendete.
Letztlich nahm uns ein Typ um die vierzig in seinem älteren Pick-Up-Truck mit- nur eine Sitzbank, Jesse saß zwischen mir und den Fahrer. Der Fahrer war auf Anhieb ein netter Kerl, freundlich und aufgeschlossen.

»Das ihr beiden einfach so in ein fremdes Auto steigt«, posaunte der Typ, der sich uns als Theodore vorstellte herum. »Ich könnte ein Serienmörder sein!«

»Unwahrscheinlich, das sich zwei davon im Auto befinden«, antwortete ich trocken und blickte auf die dunkle Landschaft hinaus.

»Macht ihr so ein Bonnie und Clyde-Ding, oder so?«, fragte er plötzlich nervös.

»Nein, meine Freundin und ich sind nur aus dem Taxi geflogen, unsittliches Verhalten«, entgegnete Jesse sarkastisch, was mir ein kleines Schmunzeln auf die Lippen zauberte. Die Antwort wollte ich fast genauso wiedergeben.

Jesse rückte daraufhin ein weiteres Stückchen zu mir und legte eine Hand auf meinem Oberschenkel, meiner völlig verdreckten und staubigen Jeans. Die musste dringend in die Wäsche, vielleicht auch, weil ich den ein oder anderen nicht sichtbaren Blutfleck auf meiner schwarzen Jeans hatte. »Genau, wirklich unsittliches Verhalten«, fügte ich hinzu und legte meine Hand auf die warme und dreckige Hand von Jesse.

Er spannte sich an und nickte. »Aber richtig.«

»Oh man, dass er erinnert mich an meine Exfreundin«, jaulte Theodore. »Die wollte es zu Anfangszeiten überall mit mir treiben, aber das ließ dann plötzlich nach.«

»Ist doch normal, wenn man länger zusammen ist. Wenn man der Meinung ist, man hat den richtigen gegenüber gefunden, dann macht der Sex immer Spaß, ob kurz zusammen, oder eine Ewigkeit.«

»Sprichst wohl aus Erfahrung, man, was?«

»Nee, hab ich aus dem Blog eines Kumpels«, wich Jesse aus und wechselte das Thema. »Wie lange fahren wir noch ungefähr nach Albuquerque?«

»Stündchen.« Theodore kratzt sich nervös den Nacken. »...wenn ihr es miteinander treiben wollt, nur zu, ich schaue gerne zu.«

»Verzichte«, brummte Jesse.

»Hatte heute schon genügend aufregende Höhepunkte und will einfach nur nach Hause«, fügte ich hinzu und lehnte mich im Sitz nach hinten. Meine Hand lag plötzlich unter der Hand von Jesse- ganz vorsichtig strich er mir mit den Daumen über die Handoberfläche und blickte müde aus dem Fenster.

Vermutlich muss sich der arme Kerl nur beruhigen. Es war auch ein Scheißlanger Tag für uns gewesen.

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