22. Kapitel | Unerwartete Dinge

Es war absolut nicht mein Wetter und meine Jahreszeit und außerdem hatte ich keine Ahnung, was ich hier draußen überhaupt machte.

Ich spielte die Aufpasserin für einen todkranken Lehrer und einem Abhängigen, der sich gleichzeitig auch noch als Drogendealer betitelte.

So hatte ich mir meinen restlichen Urlaub absolut nicht vorgestellt. Während die beiden Männer, der alte Knacker, sogar nur in seiner weißen Unterhose, in diesem ekelhaft alten Wohnwagen mitten in der Pampa, das wohl reinste und blauste Meth kochten, dass mir jemals unter die Augen gekommen war, saß ich auf einem alten Campingstuhl, unter einem ranzigen Sonnenschirm und behielt die Gegend im Auge.

  Was sollte hier bitte schon großartig passieren? Wir waren weitab vom Schuss, umgeben von Kakteen und roten, hohen Felsen. Es war schon ein Wunder, wenn hier eine Tarantel vorbei huschte. Selbst auf einem Friedhof war mehr los.

Stunden über Stunden, saß ich hier, versuchte meine blasse Haut nicht all zu lange in der prallen Sonne zu lassen und wartete darauf, dass es endlich zurück in die Stadt ging.

Neben mir, flatterte die feinsäuberlich aufgehangene Hose von Mr. White im warmen Wind umher, während ich mich meine schwitzige Haut abermals mit Sonnencreme einschmierte.

Für Kleidung war es mir einfach zu heiß, trotzdem ließ ich diese an.

Der restliche Urlaub, war nur so an mir vorbeigezogen und wenn ich bereits daran dachte, dass ich morgen Mittag im Flieger und auf den Weg nach Chicago saß, wurde mir ganz heiß.

Mir war jetzt schon heiß. Die Suppe lief nur an meinem Körper herunter und ich war wirklich kurz davor, mich der Shorts und dem schwitzigen Top zuentledigen.

Als die Tür zum Wohnbereich des Wohnwagens plötzlich aufsprang, fahre auch ich schrecklich zusammen und starre Mr. White an, der nur mit Schürze, weißer Unterhose und Stiefeln aus dem Wohnwagen trat und tief durchatmete.

Er warf mir einen kurzen Blick zu. »Alles gut bei dir?«, fragte er mich und es machte wieder den Anschein, als würde es ihm wirklich interessieren. Das glaubte ich kaum.

»Richtig spannend hier«, brummte ich sarkastisch und cremte meine nackten Beine ein.

»Hast du das Buch schon durch?«, fragte er und deutete auf den Campingtisch neben mir. Dort lag eine Ausgabe eines Astronomiebuchs.

Ich nickte. »Sind mehr Bilder drinnen, als Text. Soweit fertig?«

»Jesse wiegt ab. Da könnte er Hilfe gebrauchen. Ich brauche ein bisschen frische Luft.«

»Schwüle Luft passt eher. Frisch ist hier vermutlich die Bremsspur in Ihrer Unterhose«, grummelte ich.

Mr White schnaubte belustigt.

Den zweiten Tag in Folge, war ich fürs Aufpassen geeignet und fürs Verpacken. Na immerhin, verdiente ich mir so ein paar Kröten extra und ohne dafür Steuern zahlen zu müssen.

Hätte man mich gefragt, wie mein Urlaub in meiner Heimat werden würde, hätte ich niemals damit geantwortet, in der Wüste und in einem Wohnwagen beim Meth kochen zu helfen. Niemals.

Mr White starrte mich komisch an und schüttete nur seinen Kopf. »Bleiben Sie ruhig sitzen. Ich mach das schon.«

Anscheinend war ich nicht schnell genug aufgestanden, weshalb Mr White sich wieder die Maske anzog und im Wohnwagen verschwand.

Als die Tür zufiel, schnalzte ich nur mit der Zunge, stellte die Sonnencreme neben mir auf dem Tisch und setzte mir die Sonnenbrille zurück auf die Nase.

Ich lehnte mich zurück und starrte in den strahlend blauen Himmel. Nicht einmal eine kleine, weiße Wolke war am Himmel zu sehen.

Was würde ich jetzt für kühlenden Wind und einem wunderbaren Regenschauer geben? Was würde ich jetzt für das Wetter in Chicago geben? Für einen Pool, wie es diesem in meinem immer gekühlten Apartment-Komplex gab.

Es verstrichen wieder einige Minuten, bis die Tür zum Wohnwagen abermals aufging und jemand lockerflockig neben mir auf dem sandigen Boden landete.

Ich bezweifelte, dass Mr White, derjenige war und mein prüfender Blick, bestätigte dieses.

Jesse stand neben mir und zog sich gerade den Anzug bis zur Hüfte aus. Er trug nur ein weißes Unterhemd. Seine Arme waren zwar durchtrainiert, aber trotzdem dünn. »Du glänzt wie eine Speckschwarte«, kommentierte er, als sein Blick an mir von oben bis unten glitt.

»Ist eine ekelhafte Mischung aus Sonnencreme und Schweiß«, antwortete ich und schob mir die Sonnenbrille auf den Kopf.

Ich musterte ihn ebenfalls. »Glänzt auch ganz schön.«

»Es ist verdammt heiß«, bemerkte er und bückte sich neben mich, um an die Kühlbox, die ich den beiden gesponsert hatte, zu bedienen. »Letzte Flasche Mountain Dew. Willst du auch noch 'nen Schluck?«

»Lass mir einfach etwas übrig.«

Es war noch eine Flasche Fiji-Wasser dort, aber die gehörte Mr White und ich wollte mich da nicht einfach bedienen.

Er war gestern schon grantig auf mich, weil ich mir etwas von seinen Jelly Beans genommen hatte. Dabei hatte er eine riesige Packung dabei.

Ich hatte zwar den Gedanken in die Tüte Fake-Jellybeans mit Windelgeschmack oder Kotzgeschnack unterzumischen, aber bei meinem Glück, würde ich einen davon erwischen, wenn ich mir wieder welche klaute.

Jesse hielt mir die gelbe Flasche hin, die ich entgegennahm. Ich trank zwar nur einen Schluck, weil ich nicht so viel von irgendwelchen Softdrinks trinken konnte, ohne das mir schlecht wurde - vor allen Dingen bei diesem Wetter, und drehte dann den Deckel wieder drauf.

»Zusammenpacken. Wir können«, hörte ich Mr White rufen.

🧪🧪🧪

Onkel Jimmy war noch immer in der Kanzlei. Ich saß frischgeduscht und nur in einem Handtuch gewickelt im Wohnzimmer und lackierte mir die Fußnägel mit rotem Nagellack über, als es an der Tür klingelte.

»Geiles timing«, fluchte ich, stand auf und stets darauf bedacht nirgendwo Nagellack ranzuschmieren, während ich zur Tür ging.

»Dachte bist schon fertig«, bemerkte Jesse, der vor der Tür stand.

»Du bist zu früh.«

»Zehn Minuten«, gab er zurück und trat ins Haus, nachdem ich ihn Platz machte.

Er wollte mich abholen, weil wir ein wenig bei ihm abhängen wollten. Nicht allein, sondern mit Badger, Skinny Pete, Trixibelle, und noch weiteren Leuten von Jesse, die ich bisher noch nicht kannte.

Jimmy befand sich tatsächlich heute Abend auf einem Date. Wie auch immer das zustande gekommen war. Und mit wem.

Ich drückte die Haustür zu. »Ich wäre locker in acht Minuten fertig gewesen«, entgegnete ich und ging direkt in mein Zimmer.

Es war immer noch bedrückend in diesen vier Wänden. Der ganze Scheiß war nicht mal zwei Wochen her, und nagte teilweise immer noch an mir.

Aber die Ablenkung tat wirklich mehr als gut. Ich hielt mich kaum in meinem Zimmer auf, pennte im Gästezimmer, oder auf der Couch, während ich tagsüber die ganze Zeit unterwegs war. Mal mit Jimmy, größtenteils ohne ihn.

Abends hatten wir Zeit füreinander, aßen gemeinsam zu Abend, quatschten über teils belanglose Dinge, wie wir das immer taten.

Ein paar mal, hatte er sich frei genommen und wir haben unseren Tag an einem See oder in einer Einkaufsmall verbracht. Es war wirklich schön und fühlte sich an, wie immer.

Jesse war mir tatsächlich bis ins Zimmer hinterher gedackelt und schmiss sich auf mein Bett. »Meine Vermieterin wird auch da sein. Keine Ruhestörung ohne sie, ihre Worte. Wir sollten, wenn wir kiffen, darauf achten, dass sie nicht in der Nähe ist.«

Eigentlich wollte ich mich anziehen, suchte die Kleidung aus dem Schrank heraus.

»Klar«, entgegnete ich, zog mir den Slip über, darauf bedacht, dass ich das Handtuch nicht verliere oder es verrutschte.

Ich warf Jesse einen Blick zu, der mich in aller Ruhe beobachtete. »Du kannst auch im Wohnzimmer warten. Ich will mich anziehen.«

»Shit, klar, sorry.«

Er sprang auf und verschwand aus dem Zimmer. Dabei zog er die Tür netterweise ganz zu.

Ich seufzte, riss mir mein Handtuch vom Körper und zog mich an. Da es noch immer warm war, zog ich mir, ganz unspektakulär, eine Hotpants und ein Top an. Dazu Sneaker, ein bisschen Mascara und Lipbalsam. Fertig.

Meine Haare ließ ich auf. Mehr brauchte ich nicht. Schnell raffte ich meine Sachen zusammen und ging nach vorne.

Jesse hatte sich auf der Couch ausgebreitet und blickte zu mir. »Fertig?«

»Ja.«

Er raffte sich auf und richtete sich das zerzauste, dunkelblonde Haar, ehe er mir nach draußen folgte.

Ich schloss die Tür von außen ab und ging zum roten Toyota. Jesse saß bereits auf dem Fahrersitz und wartete auf mich.

Als ich mich auf den Beifahrersitz fallen ließ, fragte Jesse mich, warum das eine Haus am anderen Ende der Straße plötzlich zum Verkauf stand.

»Gehört den Zolis. Die Eltern waren im Urlaub, der Sohn hat sich das Leben genommen. Stand ganz groß in der Zeitung. War vor knapp zwei Wochen. Die Eltern sind letzte Woche einfach ausgezogen, seitdem steht das Haus zum Verkauf.«

»Hab da sowas gelesen. Stand in der gleichen Ausgabe der Tageszeitung. Zwei Seiten vor dem Artikel der zwei toten Junkies im Problemviertel.«

»Hm«, machte ich. »Wann auch immer bei einem das MHD abläuft. Da können wir nichts gegen machen.«

»Ja.«

🧪🧪🧪

Die Stimmung bei Jesse war tatsächlich ausgelassen. Über die neue Musikbox lief abwechselnd eine Mischung aus Rap, Grunge, House und Rock-Musik.

Es gab Alkohol, Pizza und Frühlingsrollen, während wir alle auf den Wohnzimmerboden hockten. Anstatt sich eine Couch zu kaufen, investierte Jesse lieber das Geld in eine Highend-Musik-Box.

Musste er wissen. Ich saß neben Jane, die die ganze Zeit nur Softdrinks zu sich nahm und sich größtenteils mit mir unterhielt, falls nicht jemand anderes das Gespräch zu uns suchte.

Als wir beide in der Küche standen, regten wir uns beide über Trixibelle und ihre komische Freundin auf.

Trixibelle unterbrach entweder mich oder Jane, wenn wir redeten und Britney schmiss sich abwechselnd Skinny Pete und Jesse an dem Hals.

Während Skinny, ein richtig netter Kerl, das sichtlich gefiel, sobald Britney sich auf seinem Schoß platzierte, rutschte Jesse unbeeindruckt weg und zu mir.

Noch ein Angriff von Britney gegenüber Jesse und dieser würde sich endgültig auf meinem Schoß breit machen.

Dann waren da noch andere Bekannte von Jesses Freundesgruppe, mit denen ich mich noch nicht wirklich auseinander gesetzt hatte.

Zwei weitere Kerle. Einer groß, dünn und asiatisch, während der andere etwas kleiner, aber muskulöser und kolumbianischer Herkunft war und nur gebrochen unsere Sprache sprach.

Jedes mal, wenn ich ihn auf Spanisch antworten wollte, machten Britney und Trixi irgendwas, was die Aufmerksamkeit auf eben diese beiden Personen lenkte.

Jane unterhielt sich gerade mit Ash, den Asiaten in der engen Lederhose in Schlagenhautoptik, als sie immer wieder mit ihrem Knie gegen meines streifte. 

Er redete, redete, redete und redete über Autos und Tuning, was Jane ganz schön viel Kraft zum Zuhören forderte.

Unauffällig schob sie ihre Hand über den Boden zu mir rüber und zog vorsichtig ihre Fingerspitzen über meine nackte Haut.

Ich erschauderte leicht und musste einen Gänsehautschub unterdrücken, weil sich diese plötzliche Berührung unerlaubt gut anfühlte.

Die Fingerspitzen nahmen mehr Druck auf. Als sie merkte, dass ich die Gänsehaut nicht unterdrücken konnte, nahm sie nur für einen kurzen Augenblick ihre Hand weg, um dann mit den Daumen über meine Haut zu streichen. Zwischendurch pikte sie mich mit ihrem Finger.

Dann wurde mir klar, dass das vielleicht eine Art Hilferuf war und ich sie aus dem Gespräch mit Ash befreien sollte.

»Jane, willst du noch was trinken?«, fragte ich und zog mein Bein zurück, um aufzustehen. Gleichzeitig zog Jane ihre Hand zu sich und schaute zu mir hinauf.

»Ich komme mit«, sagt sie erleichtert.

Ich war bereits über Amadeos, den Kolumbianer, Beine geklettert, durchwühlte leise lachend Jesses Haar, was er mit einem belustigten Kichern und einen leichten Klapps auf meinen Unterschenkel quittierte, da hatte Jane mich eingeholt und ging neben mir ins Badezimmer.

»Die Rettung hat ein bisschen gedauert, aber du hast es irgendwann doch wahrgenommen.«

»Das braucht bei mir manchmal ein wenig länger. Entschuldigung, du Model«, entgegnete ich und lehnte mich über die Wanne.

In der Badewanne, gefüllt mit Eis und Wasser, lagen sämtliche Getränke. Während ich mir eine Zitronenbrause schnappte, öffnete Jane bereits die neue Dose mit Cola und trank einen kräftigten Schluck. Gleichzeitig drückte sie mit ihrem Fuß die Badezimmertür zu.

»Wir sind uns immer noch einig, dass die beiden anderen weiblichen Kreaturen in unserem Sitzkreis der Sonderbaren, sonderbare Kreaturen sind, die nach Aufmerksamkeit dürsten und uns irgendwie als Konkurrenz anssehen?«

Jane lachte. »Deine Wortwahl, Mona Seda, ist mal wieder göttlich. Badger darf noch nicht mal in unsere Richtung sehen, da greift die Alte ihn so grob ins Gesicht. Ist doch nicht normal und die andere kann sich nicht entscheiden, auf welchem Schoß sie sitzen will.«

»Das ist alles andere als normal«, versicherte ich ihr und setzte mich auf dem Rand der kleinen Badewanne.

Ich hatte noch nicht viel Alkoholisches getrunken, weil ich darauf wartete, dass Jesse mit mir einen Joint rauchen wollte.

Bisher hatten er sich und seine Freunde zurückgehalten und sind noch nicht mal großartig verschwunden, um irgendwas einzuwerfen.

Jane kam zu mir und setzte sich neben mich. »Hast du einen Plan, wie wir das durchstehen können, ohne Strafauffällig zu werden? Und wie wir Brit von Jesse fernhalten. Der Arme starrt dich an, als wärst du sein Lichtblick.«

»Vermutlich ist das auch nur ein Hilferuf, den ich nicht wahrnehme.«

Sie seufzte und nahm wieder einen Schluck. »Ja, du bist echt blind.«

Ich öffnete meine Dose Zitronenbrause und nahm einen kräftigten Schluck. Dann schluckte ich den kribbelten Inhalt runter und rümpfte die Nase. »In meinem Kopf dröhnen mir sämtliche Straftaten herum. Also nein, wir werden die beiden nicht normal los. Nicht wirklich.«

»Schade, Schokolade«, seufzte Jane und musterte mich kurz. »Und schade, dass du morgen bereits wieder abhaust.« Jane wollte noch irgendwas sagen, da öffnete sich die Badezimmertür und Trixibelle trat hinein.

»Ich muss mal für kleine Prinzessinnen«, kommentierte sie gereizt. »Raus mit euch beiden. Na los.« Sie klatschte, wie die schlimmste Bienenkönigin einer Highschool in ihre Hände und verwies uns fluchend der Toilette.

Unbeeindruckt standen Jane und ich auf. Sobald die Tür hinter uns zufiel, fluchte ich auf.

»Ich mag sie nicht«, bemerkte Jane und lehnte an der Wand an, während ich einen Blick ins Wohnzimmer wagte.

Ein bisschen verwirrt war ich schon, als ich ein paar neue Gesichter sah, die ich nicht zuordnen konnte.

Vermutlich waren noch mehr Bekannte von Jesse und den Jungs eingetrudelt, während Jane und ich uns etwas zu trinken geholt hatten.

Ich wandte mich wieder zu Jane, die einen Schluck Cola nahm und mich, mal wieder, beobachtete.

»Ich genauso wenig. Sind noch mehr Leute gekommen«, sagte ich und machte eine Kopfbewegung in Richtung Wohnzimmer.

Jane rümpfte die Nase. »Lass uns ein wenig frische Luft schnappen, bevor wir uns wieder den Löwen zum Fraß vorwerfen.«

Wir verzogen uns erstmal durch Jesses aufgeräumtes Schlafzimmer, durch die Hintertür nach draußen, um frische Luft zu schnappen.

Auch wenn's schon dunkel war und es immer noch warm und stickig, war es nicht so stickig wie drinnen mit über zehn Leuten in einem einzigen Raum.

Wir saßen nebeneinander auf der Treppe, quatschten über belangloses Zeug, tranken Brause, lachten und verstanden uns einfach gut.

Aber irgendwas änderte sich zwischen uns und der lockeren Stimmung. Immer wieder war da dieser Augenkontakt zwischen uns, der länger ging, als eigentlich nötig.

Es wurde komisch, aber nicht irgendein negatives komisch, sondern tatsächlich positiv. Es war aber trotzdem komisch und falsch.

Janes Hand erhob sich ganz vorsichtig und strich mir genauso vorsichtig eine nervige Haarsträhne aus dem Gesicht, während sie tatsächlich auf meine Lippen blickte.

Und das verwirrte mich irgendwie, obwohl mir klar war, was ihre plötzliche Intention war.

Gut, es gab schon den ganzen Abend immer Situationen, die man als flirten bezeichnen konnte, merkwürdige Blicke, die wir uns gegenseitig zu warfen.

Sie suchte die Nähe zu mir, wenn sie mich nicht anblickte. Offensichtlich. Ich dachte, das machte sie nur, weil ich die einzige Person dort war, die ihr neben Jesse nicht fremd war. Diese Blicke. So wie sie es jetzt tat. Jetzt tat sie beides. Ihr Blick huschte zwischen meinen Augen und Mund hin und her, während ihre Hand auf meiner Wange liegen blieb und sie mir mit dem Daumen über die Haut strich.

Mein Hirn war mit der Situation überfordert. Irgendwie fand ich es ganz nett, Jane war nicht gerade von schlechten Eltern, sie war wirklich wunderschön und einzigartig, und die Chemie zwischen uns schien zu passen.

Es war auch nicht die Angst mit einer Frau intim zu werden. Ich hatte schon die ein oder andere Frau geküsst und mit zweien sogar geschlafen. Ja, ich fühlte mich auch zu Frauen hingezogen, was ja kein Verbrechen war.

Zu Jane fühlte ich mich zwar hingezogen, aber sie war nun mal nicht Jesse, der mir aus dem Nichts vor das Innere Auge trat.

Jesse, mit den ich die letzten Tage wirklich eine gute Bindung aufgebaut hatte, zu dem ich mich irgendwie hingezogen fühlte und den ich vermissen würde, sobald ich in Chicago war.

Jesse, der einen Teil meiner guten Seite, sowie einen Teil meiner schlechten Seite sah, aber trotzdem mit mir abhängen wollte.

Jesse, denn ich nach der Nacht im Hotel, am liebsten geküsst hätte. So richtig, aber bei dem ich mich dann doch nicht traute, oder mich nicht dazu bereit fühlte, weil es den perfekten Moment noch nicht gab.

Wir waren bei Jesse. Er lud mich ein und ich saß hier nur mit Jane- verbrachte die Zeit mit ihr. Das ist Falsch.

Wie kam ich jetzt am besten aus der Situation raus, ohne großartig auf Janes Gefühle rumzutrampeln?

Sie wollte mich offensichtlich küssen, kam mir mit ihrem leicht geöffneten Mund näher, verdammt, sie war wirklich attraktiv, aber ob es das Richtige war?

Ich wusste es nicht, wollte mein Glück auch nicht herausfordern.

Sachte hob ich meine Hand und legte meinen Zeigefinger auf Janes Lippen. Irritiert wich sie zurück. »Ich bin sofort wieder da«, sagte ich, ganz leise.

»O-okay«, stammelte sie und wich zurück, während ich aufstand und erstmal nach drinnen flüchtete.

Ich musste einmal für mich sein, kurz nachdenken, meinen letzten Abend gut abwegen. Welchen Schritt ging ich, welchen Schritt ging ich nicht.

Jesse, Jane... Jesse... Es war zum kotzen.

Ich schlenderte durchs Jesses Schlafzimmer, wollte die leere Dose in den Müll werfen und mir etwas Neues zum Trinken holen, da hielt ich kurz vor der Küche inne.

Jesse lehnte an der Säule, zog an einem Joint und wurde von Britney in Beschlag genommen. Sie schmiss sich an den grinsenden Jesse ran, küsste seine Wange und seine Lippen.

Ihm schien es auch noch zu gefallen. Musste er wissen. Unbeeindruckt quetschte ich mich an den beiden vorbei, stellte die Dose auf die Arbeitsplatte und wollte wieder das Weite suchen.

Als ich mich umdrehte, wandte sich Britney zu mir. Ich warf ihr einen gleichgültigen Blick zu. »Willst du mit machen?«, fragte sie mich. Sie zog Jesse den Joint aus der Hand und hielt ihn mir hin. Jesses Grinsen war, wieso auch immer, gewichen.

Er wich sogar von Britney zurück, die ihm aber sofort wieder am Rockzipfel hing. »Ich meine nicht den Joint, du siehst ganz passabel aus... wie nennen die Jungs dich immer?«

War das ernst gemeint? Ich lehnte den Joint hab, mir war nicht danach zu Mute, irgendeinen Trip durchzuleben. Nicht bei meinem aktuellen Gefühlschaos, den es eigentlich nicht geben sollte.

Jesse griff danach und schob diesen zwischen seine Lippen. »Mona Seda«, sagte Jesse an meiner Stelle und musterte mich, während er wieder zu Britney auf Abstand ging. Er drückte diese regelrecht von sich- suchte das Weite. Oder er versuchte es. Suchte die Nähe zu mir.

Britney bemerkte dies unverzüglich und schlang ihre dünnen Arme um seinen Hals, ihr Blick noch immer auf mich gerichtet. »Mona Seda, dass ist niedlich. Also, hast du Lust auf einen Dreier, oh zuckersüße Mona Seda?«, trällerte sie fragend. »Ich kann dir einiges beibringen.«

»Mir muss man nichts mehr beibringen«, sagte ich trocken und setzte mich in Bewegung.

Wenn Jesse sich mit Britney vergnügen will, sollte er machen. Ist nicht meine Sache. Das ging mich auch nichts an. Wir waren schließlich nichts, außer Bekannte.
Aber trotzdem tat es irgendwie weh.

Mich zog es zu Jane, die vermutlich noch immer draußen auf mich wartete, falls sie nicht schon das Weite gesucht hatte.

Wie erwartet, hatte Jane das Weite gesucht, als ich einen prüfenden Blick zu den Fenstern der Nebenwohnung warf, erlosch dort gerade das Licht in ihrem Schlafzimmer.

Ich warf auch einen Blick hinter mir. Hatte die Hoffnung, Jesse sei mir gefolgt, aber er war nicht dort. Vermutlich war er noch immer in den Fängen von Britney.

Ich setzte mich auf die Treppenstufe und atmete tief durch. Warum war das alles gerade so dermaßen komisch und verwirrend?

Ich hob die leere Coladose auf, um diese ins Haus zu bringen. Danach würde ich mich wieder nach draußen verkriechen. Hier hatte ich wenigstens meine Ruhe und musste Britney's Anwesenheit nicht ertragen.

Zwei Stufen auf einmal, sprang ich die Treppen hoch, hielt aber inne, als die Tür aufging.

»Hey, Mona Seda.«

Ich starrte in die Richtung, aus der die angenehmen Stimme kam. Unsere Blicke trafen sich.

Jane drückte die Tür weiter auf und blickte mich abwartend an. Sie brauchte nichts sagen. Ich stellte die Dose vor Jesses Hintertür und drehte mich um.

Kaum stand ich vor Jane, die größer, als meine Wenigkeit war, da zog sie mich zu sich, umfasste mit beiden Händen mein Gesicht und drückte, als hätte sie keine Zeit zu verlieren, ihre geöffneten Lippen auf meinen.

Sie schmeckte nach Kirsche und Cola und ein wenig nach Pizza, als ich ebenfalls meine Lippen öffnete und mit meiner Zungenspitze über ihre Unterlippe fuhr. Wir verloren keine Zeit, so falsch und unbedeutend sich dies hier auch anfühlte.

Der Kuss war zwar kurz, aber intensiv und leidenschaftlich. Jane war von mir zurückgewichen und drückte die Hintertür zu, ehe sie mich an die Hand nahm und zum Bett führte. Was machte ich hier?

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