21. Kapitel | Kurzes Gespräch

Ich saß die ganze Zeit im Wartezimmer, wartete darauf, dass mein Onkel endlich Zeit für mich hätte, aber für heute war sein Terminkalender voll und ein Mandant nach dem anderen trat in die Kanzlei.

Wie immer saß ich auf einem der Stühle, wandte mich einer Klatschzeitung zu, während Francesca ihrer Arbeit gewissenhaft nachging und mich komplett ignorierte.

Nach der kleinen Meinungsverschiedenheit von vor ein paar Tagen, redeten wir überhaupt kein Wort mehr miteinander. Als ob das früher nicht anders war, aber damals grüßte man sich ab und an mal.

Zwischendurch blickte sie zu mir rüber, um mir einen giftigen Blick zuzuwerfen, bis ich hier mit einem scheinheiligen Grinsen einen Luftkuss zu warf.

Seitdem warf sie mir immer mal wieder einen unauffälligen Sideeye rüber, den ich aber ignorierte.

Vibrieren. Hosentasche. Anruf. Ich klappte die Zeitschrift zusammen, schmiss diese auf dem Beistelltisch mit den anderen Zeitungen und verschwand unter den Blicken der anderen Klienten die Kanzlei.

Vorne auf dem Parkplatz, zog ich das Handy aus meiner Hosentasche und nahm das Gespräch an, ohne auf den Bildschirm zu blicken.

»Hey, ich hab mich umgehört«, hörte ich Bucky am anderen Ende sagen. Bucky war einer meiner Albuquerque-Kontakte. Man kannte sich schon seit der Highschool. Mein Exfreund war er auch.

»Und was willst du mir sagen?«, fragte ich ungeduldig und wickelte eine Haarsträhne um meinem Finger herum.

»Der Junge, Maxwell, lebt mittlerweile bei einer Pflegefamilie, die ihn auch adoptieren würde. Er hängt sprachlich hinterher und hat noch andere Nachwirkungen des Drogenkonsums seiner Mutter während der Schwangerschaft. Kriegt man alles mit einer Therapie gebacken - bleibt aber, geht nicht weg. Der Typ war sofort tot, was kein Wunder ist, wenn der Schädel von einem Geldautomat zerquetscht wurde. Ob es ein Unfall war, oder Mord, wissen sie nicht. Die Bullen gehen von einem Unfall aus. Die Frau wird nicht mehr sprechen können.«

»Wird nicht mehr sprechen, wie...?«

»Ins Gras gebissen, die Radieschen von unten wachsen sehen, abgekratzt, abgenuckelt. Die haben den Jungen vor der Tür gefunden. Den Vater unter dem Automaten und die Mutter, ebenfalls tot, auf der Couch. Überdosis.«

Ich atmete hörbar aus. »Das ist gut. Gut für das Kind, dass er die Chance auf ein geregeltes Leben bekommt. Gut, dass er sich nie mit seinen Eltern auseinander setzen muss, dass die vermutlich noch lebend in seinem Leben wären. Gut für mich.« Gut für Jesse.

»Nicht auszudenken, wenn sie dich und deine Begleitung verpetzt hätte. Ein Vögelchen hat gezwitschert, dass du bereits Probleme hattest. Wirklich, Kleines. Irgendein Drecksloch von Hotel mit diesem Captain Cook.«

»Captain Cook!? Kennst du ihn?«

»Ich kenne ihn, ja, ist mir schon damals ein bisschen in die Quere gekommen, als ich für Clay und Jax gearbeitet habe. Er kennt mich aber nicht. Kennst mich ja, bin ein Schatten. Außerdem war er in derselben Stufe wie ich.«

»Ah, wow. Der hieß nicht wirklich Captain Cook, oder«, warf ich murmelnd ein.

»Doch, war er. Kaum zu glauben, was Pinkman die Wurst, alles so treibt. Leute reden. Es geht das Gerücht rum, dass er Spooge mit dem Automaten... du weißt schon, um ein Standpunkt für weitere kleine Junkies zu setzen.«

Das Jesse Spooge getötet hat. Ohje.

»Tja, ist nicht mein Bier, Barnes.«

»Meins auch nicht, Kleines. Ich würde ja sagen, dass wir uns treffen können. Ein Bier trinken und so. Haben uns lange nicht gesehen, aber ich bin momentan in Kanada. Urlaub mit meiner Frau und meinen Zwillingen.«

»Hattest du bei unserem vorherigen Telefonat bereits erwähnt. Genieß deinen Urlaub, Großer.«

Er schnaubte komisch. »Ist nicht wirklich entspannend. Zahnende Kleinkinder, eine Frau mit PMS«, lachte Bucky. »Mein Glück, dass die Hotelbar von 20 bis 21 Uhr Happy Hour hat.«

Jetzt lachte ich leise. »Dann versuche es zu genießen. Ich muss auflegen. Man hört sich irgendwann.«

»Irgendwann. Mach's gut, Kleines.«

»Mach's besser, Großer.«

Damit war das Gespräch auch wieder beendet. Ich steckte mein Handy weg und wollte gerade in die Kanzlei zurückkehren, da nahm ich eines der hässlichsten Autos in der weltweiten Autoindustrie wahr.

Es gab hässlichere Autos, als der Fiat Mutipla? Ja, der Pontiac Aztec von Mr White, der neben dem Auto meines Onkels hielt.

Anscheinend war die Kochsession im Wohnwagen schon wieder vorbei, was mich wunderte, da sowas doch eigentlich Zeit brauchte.

Mr White stieg aus, und als er mich sah, nickte er mir zur Begrüßung zu. »Hallo, Miss«, sagte er, als würden wir beide uns gar nicht kennen, sondern nur zufälligerweise über den Weg laufen.

»Meister Propper«, entgegnete ich sarkastisch und verweilte noch eine Weile draußen.

Mir war klar, dass sich das Gespräch mit meinem Onkel noch mehr verzögerte, da nun Mr White die Kanzlei betrat.

Ich war mir sicher, er war nicht wegen der Süßigkeiten hier, oder der Auswahl alter Klatschzeitschriften.

Jesse. Ich musste ihn ja auch noch anrufen und ihm sagen, was ich in Erfahrung bringen konnte.

»Yo, Mona Seda«, meldete er sich zu Wort. »Ich bin gerade in die Wohnung rein. Was gibt's?«

»Wir müssen uns keine Sorgen machen.«

»Wie? Wie muss ich das verstehen, Seda? Es klebt doch kein fremdes B...«

»Nein. Überdosis. Da wird nicht mehr gesungen.«

Ich schaute mich um und sah einige Meter weiter, eine Frau in das Nagelstudio flanieren. Die Absätze ihrer Schuhe waren abgefahren. Das waren doch sicherlich zwanzig Zentimeter und sie lief auf diesen Schuhen, als wären diese Teil ihres Körpers. »Krass.«

»Hä?«

»Nichts. Ähm, ich muss auflegen. Bin noch bei meinem Onkel.«

»Habt ihr geredet?«

»Bisher nicht. Dauert noch. Er hat heute echt viel zu tun. Die Zeit hätte ich auch zuhause rumsitzen können.«

Ich lehnte mich an die Glasscheibe der Kanzlei an und ließ meinen Blick über den Parkplatz schweifen. Nichts auffälliges.

»Wieso fährst du dann nicht nach Hause?«, hörte ich Jesse fragen.

»Kein fahrbarer Untersatz.«

»Ich könnte dich abholen und wir beide hängen rum, oder so? Hab eine neue Karre. Funktioniert einwandfrei das Ding.«

»Ein neues Auto? Ich hoffe, nicht allzu auffällig. Hast du etwa Sehnsucht nach mir?«, fragte ich lachend.

»Volle Bandbreite. Hab heute noch nichts gegessen und wenn dein Onkel keine Zeit für dich hat...«

Jesses verlockendes Angebot erübrigte sich, als mein Onkel nach draußen trat und mich abwartend anblickte. »Seda«, hörte ich ihn sagen. »Komm doch in mein Büro.«

Er drehte sich um und verschwand im inneren. Die Tür fiel langsam zu.

»Können wir das die Tage machen, Jesse?«

»Ich komme darauf zurück.«

Damit war das Gespräch beendet und ich trat ins Innere. Mr White, saß auf meinem Platz, laß in einem Sportmagazin und schaute mich nicht mal mit dem Hinter an, während ich nach hinten ins Büro ging.

Als ich die Tür zudrückte, blickte ich zu Jimmy, der bereits an seinem Schreibtisch saß. Ich setzte zum Reden an.

»Ich kenne Gustavo Fring«, unterbrach er mich und atmete tief durch, als sei es ein Geständnis, welches ihm endlich über die Lippen kam.

»D-du kennst Gus?« Ich hielt krampfhaft den Türknauf fest. »Woher?«

Jimmy nickte. »Ich war ziemlich schockiert, als er gestern in meinem Haus stand und zwar in einer Kammerjägerkluft. Wir redeten und meine Frage, wie ihr beiden euch kennengelernt habt, erübrigte sich, als er mir erzählte, dass euch das gleiche Schicksal ereilt habt. Ihr beiden habt eine geliebte Person durch die Hand eines Salamancas verloren. Ihr seid irgendwie Freunde, oder Geschäftspartner, oder was auch immer.« Kurze Pause, in der Jimmy sich im Stuhl aufgerichtet hat und vor dem Schreibtisch trat, während ich noch immer da stand, als sei ich festgewachsen. »Was ihr für Dinge am laufen habt, interessiert mich nicht. Das ist dein Leben, Kind, du bist dafür selbst verantwortlich. Es sein denn, du fragt mich um Hilfe, dann werde ich dir helfen- egal bei was. Du solltest wissen, dass du mir vertrauen kannst. Selbst was die Nick-Thematik angeht.«

Ich nickte, ließ den Türknauf los, aber blieb noch immer stehen. »Nick und ich waren eine Weile getrennt. Ich zog den Schlussstrich.«

»Warum? Ist dir klar geworden, dass das mit ihm doch nicht hin haut?«

Ich schüttelte meinen Kopf. »Irgendwie schon. Nick machte eine Charakterentwicklung durch, die eher ins negative ging. Ich dachte, ich könnte das alles wieder richtig biegen, aber dem war nicht so«, fing ich an und verblieb weiterhin bei der Wahrheit.

Ich erzählte weiter, mein Onkel hörte mir gespannt zu und ließ mich reden, selbst dann, als ich anfing zu weinen und an den Stellen ankam, die mich zur Weißglut brachten.

Die psychische und physische Gewalt gegenüber mir. Jimmy schluckte, ballte die Hände zu Fäusten, blieb aber ruhig.

»Ich hab dir nichts von der Trennung erzählt, weil du einfach zu viel Gutes in Nick gesehen hast. Du hast ihn echt gemocht- mehr als die anderen Männer an meiner Seite. Ich wusste nicht mal, wie ich dir das sagen sollte, ohne dir in jeglicher Hinsicht das Herz zu brechen. Du konntest nicht wissen, dass Nick und ich nicht mehr sind. Es ist nicht deine Schuld, dass du mir eine Überraschung machen wolltest- das war es wirklich. Eine Überraschung. Nick konnte mich schon immer gut manipulieren und ich hab den Abend im Restaurant einfach kein Wort rausbekommen. Ich stand unter Schock. Ich dachte, ich wäre Nick hier los. Es tut mir leid.«

»Seda«, seufzte Jimmy. »Entschuldige dich deswegen nicht noch mal bei mir. Woher hätte ich das alles wissen sollen? Und es ist dein gutes Recht, mir dann von irgendwelchen Dingen zu erzählen, wenn du dich dafür bereit fühlst.«

»Ja«, murmelte ich leise. »Das zwischen Nick und mir ist gestern wieder eskaliert.«

»Ich weiß. Wieso sollte Gus mit einem Mitarbeiter sonst bei uns im Haus stehen? Ich erahne es schon. Es musste etwas entsorgt werden.« Jimmy kratzte sich das glattrasierte Kinn. »Gus machte eine Andeutung, wieso du so gehandelt hast, wie du letztlich gehandelt hast. Bitte sag mir, ob ich richtig liege, oder nicht. Meinetwegen nur ein Kopfschütteln.« Tiefes durchatmen. »Er hat dich angefasst hab ich recht? Um das harmlos auszudrücken?«

Ich zögerte, nickte aber leicht.

Jimmy starrte mich an, rührte sich aber nicht. »Kam dies öfters vor?«

Ich nickte. »Ich kann das aber an einer Hand abzählen.«

»Das ist nicht relevant. Er hat's getan und du hast richtig gehandelt. Ich verurteile dich deswegen nicht. Sonst hätte ich es getan.«

Dann bewegte er sich auf mich zu und nahm mich einfach in den Arm. So wie er es immer tat, wenn es mir beschissen ging und er mich trösten wollte.

Ich erwiderte die Umarmung und konnte meinen Tränen freien Lauf lassen.

Dieses kurze, knappe, aber vielsagende Gespräch, löste in mir eine Flutwelle an Erleichterung aus. Und das er hinter mir stand und mich nicht verurteilte, wie es sicherlich die meisten machten, erleichterte mich noch mehr.

»Woher kennst du Gus eigentlich?«, fragte ich, als wir uns nach einigen Minuten aus der Umarmung lösten.

»Lange Geschichte. Ich habe noch ein paar Mandanten und Termine. Nimm ruhig mein Auto und fahre doch nach Hause. Wir reden später.«

Er warf mir die Autoschlüssel zu, die ich gekonnt auffing.

»Ja.«

»Gibt noch sicherlich einiges zubereden.«

Er warf mir sein typisches, aufmunterndes Lächeln zu, welches ich ebenfalls mit einem kleinen Schmunzeln und Nicken entgegnete. »Mr White wartet draußen.«

»Schick ihn ruhig rein. Wir sehen uns später.«

Ich nickte und verließ das Büro. »Wer auch immer Mr White ist. Sie dürfen«, sagte ich im vorbeigehen und eilte verschnieft aus der Kanzlei.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top