20. Kapitel | Jane
Ich wurde wach, als das Sonnenlicht durch die Gardine der Türfensterscheibe knallte und mich direkt ins Gesicht traf. »Ugh«, machte ich.
Dann traf mich der nächste Gedanke. Onkel Jimmy- der musste sich ja auch noch Sorgen machen. Ich hätte mich wenigstens melden können.
Ich griff nach meinem stummgeschalteten Handy, welches auf dem Nachttisch lag, sah, etliche unbeantwortete Anrufe meines Onkels und einen knappen Akkustand.
Gerade, als ich meinen Onkel eine Nachricht schreiben wollte, in der stand, dass es mir weitestgehend gut ging und ich bei Jesse gepennt hatte, fixierte ich die letzte Nachricht von ihm.
Onkel Jimmy
Bevor du nach Hause fährst, wo auch immer du dich aufhältst, ich hoffe, dir geht es gut, komm bitte in meine Kanzlei. Onkel Jimmy.
Onkel Jimmy
Wir müssen dringend reden. Wirklich. Onkel Jimmy.
Hört sich nicht gerade gut an. Ich sollte ihm wirklich die Wahrheit erzählen. Wenigstens die Wahrheit über Nick und mich. Da hatte er die Wahrheit verdient. Also schrieb ich Onkel Jimmy zurück.
Ich
Guten Morgen. Ich lebe noch und habe die Nacht bei Jesse verbracht. Ich komme gerne zu dir in die Kanzlei. Ich wollte eh mit dir reden. Nichte Seda.
Ich legte das Handy weg, bemerkte, dass Jesse gar nicht mehr neben mir im Bett lag und setzte mich auf.
Kaffee. Das brauchte ich jetzt. Vielleicht auch eine Kleinigkeit Essbares im Magen. Dann würde ich mich anziehen und sofort auf den Weg in die Kanzlei machen.
Das Gespräch mit meinem Onkel, wollte ich auf keinen Fall vor mich herschieben und schnell hinter mich bringen.
Ich hatte Angst, war nervös und bekam Bauchkrämpfe. Verfluchter Magen.
Als ich aus dem Schlafzimmer trat, fielen mir sofort die vielen aufgeregten Stimmen auf.
Jesse saß auf einem der Campingstühle, glotzte gebannt auf den Fernseher und löffelte sich Müsli rein. Dabei lief ihn etwas Milch am Kinn auf den dunkelblauen Henley-Shirt hinab.
»Du bist doch offensichtlich der Vater. Dein Sohn hat die gleichen Segelohren«, hörte ich Jesse mit vollem Mund sagen, während ich hinter dem Pfeiler stand und zu ihm blickte.
Immerhin trug er mal kein T-Shirt aus der Übergrößenabteilung aus einem Target. Mein Blick schweifte in die Küche und biss sich an der Kaffeemaschine fest.
Eine Kapselmaschine. Richtig gut für die Umwelt. Hoffentlich funktioniere diese auch. Ich setzte mich auf dem Weg in die Küche.
»Guten Morgen«, hörte ich Jesse rufen.
Ich blieb vor der Kaffeemaschine stehen, wandte mich zu Jesse und winkte ihm zu. »Guten Morgen«, sagte ich. »Hast du dafür Kapseln?«
»Klar.«
Er stellte seine Müslischale vor sich auf dem Boden ab und eilte zu mir in die Küche. »Ich mach das schon.«
Vorsichtig schob er mich an der Hüfte zur Seite, damit er an die Schublade rankam.
Feinsäuberlich waren dort verschiedenfarbige Kapseln einsortiert. »Cappuchino, Latte Macchiato, Kaffee schwarz, oder Chai Latte?«
»Ich bin schon mit einem normalen Kaffee zufrieden«, antwortete ich und lehnte mich gegenüber an die Küchenplatte an.
Jesse hantierte an der Maschine herum und wenig später lief der Kaffee in die Tasse.
»Sind meine Sachen schon fertig?«, hakte ich nach einer Weile vorsichtig nach.
»Liegen auf dem Trockner. Soll ich dir für in einer Stunde ein Taxi bestellen? Ich muss in einer Stunde los... zur Arbeit...«
»Ich rufe meinen Onkel an. Der schickt mir sicherlich einen, der mich zu sich in die Kanzlei fährt. Wird wohl ein langes Gespräch zwischen Onkel und Nichte werden.«
Er musterte mich. »Woher hast du eigentlich die blauen Flecken her?«
Die Frage traf mich unvorbereitet, weshalb ich Jesses bohrenden Blick, welcher auf meinem Gesicht lag, auswich, schluckte ich. »Lange Geschichte...«
Jesse wandte sich ab, schaltete die Maschine aus und zog den Schuber mit der Kapsel heraus, um diesen dann in den Spülbecken zu legen.
»Das war aber nicht dein Onkel, oder?«
»Das würde mein Onkel niemals machen. Er bringt noch nicht mal Spinnen um.«
Jesse wandte sich mit der Tasse zu mir herum und reichte mir diese. Ich nahm die dankend an. »Wie gesagt, ist eine lange Geschichte. Kurzum... die Vergangenheit aus Chicago hat an die Tür geklopft. Hat sich aber erübrigt.«
Jesse nickte nur und kratzte sich den Nacken. »Okay. Wollen wir noch über das von gestern reden? Das was da im Haus passiert ist, mit Spooge und seiner Frau... dem Kind?«
Ich stellte die Tasse neben mir auf die Platte. »Über was genau willst du reden? Du hast zwar nicht das Dope zurückbekommen, aber dafür genug Geld. Das was mit Spooge passiert ist, ist nun mal passiert. Dafür sind wir nicht verantwortlich. Das war seine Frau, nicht wir. Was mit der Frau ist? Keine Ahnung. Ich hoffe nur, dass sie nicht auf den Trichter kommt, und uns bei der Polizei anzuschwärzen...«
»Scheiße. Daran hab ich gar nicht gedacht. Was ist, wenn die Alte uns anschwärzt, Seda? Wir... wir müssen uns darum kümmern.«
»Ich werde keinen weiteren Finger rühren. Kann aber rumtelefonieren. Hatte ich eh vor, wegen dem Jungen. Ich ruf dich an, sobald ich was in Erfahrung gebracht habe.«
Er nickte nur.
🧪🧪🧪
Knapp eine Stunde später, Jesse war bereits zur Arbeit aufgebrochen, saß ich vor der Wohnung auf der Treppenstufe und wartete ungeduldig auf meine Mitfahrgelegenheit.
Onkel Jimmy hatte irgendeinen Mitarbeiter von sich geschickt, der mich abholen und zur Kanzlei bringen sollte. Aber der ließ auf sich warten. In der Zwischenzeit hatte ich einen kurzen Anruf getätigt, und ich wartete auf Informationen über Spooges Frau.
Ich horchte auf, als eine Tür sich öffnete und wieder schloss. Die Person die neben Jesse wohnte, trat aus ihrer Wohnung heraus.
Ich warf einen prüfenden Blick über meine Schulter. Dort stand eine blasse Frau, mit schwarzem Haar und elfengleichem Gesicht. Ihre Augen waren nur dezent geschminkt, aber musterten mich skeptisch.
Sie richtete ihren schwarzen Pony in der Stirn und räusperte sich. »Du bist anscheinend leise im Bett. Ich habe absolut keinen Mucks gehört.«
Ich zog eine Augenbraue hoch und schnaubte belustigt. »Liegt daran, dass ich lediglich nur eine Freundin bin.«
Dachte ich. Wäre dieser Nick-Vorfall nicht gewesen, wer weiß, wo Jesse und ich stehen würden.
»Okay, dann muss ich wohl keine Abmahnung wegen Ruhestörung aussprechen«, murrt sie belustigt und setzte sich wenig später neben mich. »Ich bin Jane, mein Vater gehört das Haus, ich darf hier wohnen und alles im Auge behalten.« Sie lächelte mich an und hielt mir tatsächlich die Hand mit den schwarz lackierten Fingernägeln hin.
»Seda, bin eine Freundin deines Mieters.«
Ich erwiderte den Handschlag kurz und lächelte ebenfalls nett. Wäre auch unhöflich ihr nettes Lächeln nicht zu erwidern.
Als ich meine Hand zurückzog, räusperte Jane sich. »Also Seda, hat der Kerl dich vor die Tür gesetzt und wartest du, bis er wiederkommt...?«
»Weder noch. Er musste zur Arbeit und ich warte auf einem Kumpel meines Onkels, der mich nach Hause bringt.«
»Ah, okay. Rauchst du?«, fragte sie mich. Ich wollte erst mit Kommt darauf an antworten, aber als ich lediglich eine ganz normale Zigarettenschachtel und wenig später eine Zigarette in Janes Händen sah, hielt ich für einen kurzen Augenblick inne.
»Nein. Ist nicht meins«, winkte ich ab. Jane, die sich die Zigarette zwischen die ungeschminkten Lippen geschoben hatte, rutschte auf der Treppe ein bisschen von mir weg.
»Ist auch gut so«, sagte sie und zündete sich die Kippe mit einem Sturmfeuerzeug an. »Ist ja ungesund und so.«
Ich nickte und sah, wie Jane einen tiefen Zug nahm. Sie achtete darauf, dass sie mich nicht mit dem Qualm vollrauchte, was ich voll nett fand.
»So ziemlich ungesund. Aber jeder Mensch macht das, was man für sich selbst für richtig hält.«
Sie zog wieder und nickte zustimmend. »Die bisherigen Versuche aufzuhören, scheiterten kläglich. Dafür trinke ich keinen Alkohol, oder nehme sonst irgendwelche Drogen zu mir.«
»Das ist gut.« Ich wandte mich ab und starrte auf die Straße. Noch immer keine Mitfahrgelegenheit. Wie lange sollte ich denn noch warten?
Irgendwie wusste ich auch nicht, über was ich mit Jane noch reden könnte. Als ich einen prüfenden Blick zu ihr rüberwarf, sah ich, dass sie in einem Notizblock vor sich her kritzelte.
Obwohl kritzeln war der falsche Begriff. Sie zeichnete und das gar nicht mal so schlecht.
»Lass mich raten. Du studierst irgendwas mit Kunst?«, fragte ich.
Jane lachte leise. »Nein, es gab einige Gründe, weshalb ich nie aufs College ging. Ich halte mich mit der Miete und der Arbeit im Tattoostudio übers Wasser.«
»Hast du Tattoos?«
Sie schüttelte ihren Kopf. »Kein einziges. Ich bin aber nicht abgeneigt, mir irgendwann eins stechen zu lassen.« Jane musterte mich und verzog die vollen Lippen zu einem Schmunzeln. »Kein einziges Tattoo? Was ist mit dir?«
»Keins. Nur Piercings.«
»Hm. Ohrlöcher zählen aber nicht«, schnaubte sie belustigt.
»Nicht nur die Ohrlöcher. Bauchnabel und so.«
»Cool. Falls du mal ein Tattoo haben willst, ich zeichne dir gern eins.«
»Komm sicherlich darauf zurück«, sagte ich und warf einen Blick auf die Straße. Am Straßenrand hielt ein mir bekanntes Auto.
Badger. Wenn er zu Jesse wollte, dann hatte dieser wohl oder übel Pech. »Mona Seda!«
Fehlanzeige. Er wollte zu mir. Holte er mich ab? Ich kontrollierte noch mal, ob ich all meine Sachen hatte, alles da, und sprang auf.
Bevor ich zu Badger ging, wandte ich mich noch einmal zu Jane. Diese blickte auf und festete neugierig ihren Blick mit meinem.
Ihre Augen waren von einem hellen und klaren Braun, mit ein paar grünen Flecken. »War nett dich kennenzulernen, Jane.«
»Fand ich auch.« Dann lächelte sie, weshalb ich ebenfalls lächeln musste. »Mona Seda.«
Ich wandte mich ab und ging zum Auto.
»Du bist also mein persönlicher Chauffeur angeheuert von meinem Onkel?«, fragte ich Badger, als ich neben ihn auf dem Beifahrersitz fallen ließ.
»Ja, ich war gerade da, als er mir einen Ulysses S. Grant in die Hand drückte und sagte, dass ich dich bei Jesse abholen sollte. Hier bin ich.«
Er fuhr los.
»Wow fünfzig Dollar, dafür, dass du mich fahren darfst.«
»Wird zur Seite getan. Trixibelle verdient einen würdigen Ring. Ich will ihr nämlich bald einen Antrag machen.«
Ich riss die Augen auf und wandte mich zu ihm. »Echt? Hast du ihren schon Vater gefragt?«
»Ihr Vater ist tot. Aber ich werde ihre Mutter fragen. Mit Ally habe ich ein gutes Verhältnis.«
»Wie lange seid ihr zusammen- Trixi und du?«
»Ich werde ihr zum sechsmonatigen Jubiläum einen Antrag machen. Ich bin mir ziemlich sicher, was das angeht.«
»Aber sie ist nicht schwanger, oder so?«, hakte ich vorsichtig nach.
Badger schüttelte den Kopf und schien weiter in Quassellaune zu sein. »Nein, alles mit der Zeit. Wir verhüten. Ich achte darauf.«
Immerhin Vernünftig. »Sie verträgt die Pille zwar nicht und mag Kondome noch weniger, aber das rechtzeitige Rausziehen hat bisher geholfen.«
Ich starrte Badger an. »Das ist eine bescheuerte Verhütungsmethode, Alter.«
»Ist es nicht. Es funktioniert doch«, quietscht er.
»Nur weil es die sechs Monate funktioniert hat, heißt das nicht automatisch, dass es die nächsten Monate, Jahre, ebenfalls funktionieren wird. Man, Badger. Alles schön und gut, wenn sie eine Pillenunverträglichkeit hat, aber sie ist nicht allergisch gegen Latex, oder?«
»Keiner von uns beiden.«
»Na bitte. Was spricht dann gegen Kondome?«
»Fühlt sich anders an.«
»Schon mal was von gefühlsecht gehört?«
»Fühlt sich trotzdem anders an.«
Ich plusterte die Wangen auf und atmete hörbar laut aus. »Okay, und gegen was genau ist Trixibelle in der Pille allergisch?«
»Was meinst du?«, stellte Badger die Gegenfrage.
»Du sagtest doch, dass deine Freundin nicht die Pille nimmt, weil die diese nicht verträgt.«
»Sie verträgt sie nicht, weil sie diese nicht schlucken kann und Angst hat fett zu werden.«
Ruhig bleiben, Seda. »Also keine Unverträglichkeit in diesem Sinne?«
Er nickte vorsichtig. »Es gibt Mikropillen. Kosten genauso viel, wie die normale Pille. Lassen sich einfach schlucken. Die pfeife ich mir rein. Und da muss Trixibelle sich durchwursteln. Es gibt eine fette Auswahl an Pillen. Sie muss nur die Richtige finden.«
»Ihr Körper, ihre Entscheidung.«
»Mag sein, aber was denkst du darüber? Findest du es cool, jedes Mal drauf achten zu müssen, nicht versehentlich 'nen Frühstart hinzulegen, Badger?«
»Schon, ich denke dann einfach an tote Hundewelpen. Dann weine ich und halte länger durch.«
»Okay«, sagte ich. Mehr fiel mir zu diesem Thema nicht mehr ein. Ich schwieg, starrte aus dem Fenster und hoffte, dass diese Fahrt schnell vorbei ging.
Ich konnte das alles nicht fassen. Aber am meisten, konnte ich es nicht fassen, dass ich mit Badger, den ich nur ein paar mal gesehen hatte, über seine sexuelle Verhütung sprach.
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