15. Kapitel | Kurzwahl Nummer 5

Onkel Jimmy war vor einer Stunde zur Arbeit aufgebrochen und auch Nick packte gerade seine wenigen Sachen zusammen. Ich stand an der offenen Zimmertür, lehnte mich am Türrahmen und achtete haargenau darauf, dass Nick nicht irgendwas von mir einsteckte, aber er beließ es tatsächlich dabei, nur seine Sachen einzupacken.

Den Verlobungsring steckte er zurück in die Packung und schmiss diesen ebenfalls in den Koffer hinein. Aber anstatt den Koffer zuzumachen, wandte er sich zu mir und seufzte. »Du siehst wirklich keine Chance mehr für uns

Ich antwortete nicht. Was sollte ich darauf noch sagen, wenn ich mich jedes mal wiederholen musste. Ich war müde, mich andauernd wiederholen zu müssen. Nick war dies anscheinend Antwort genug und nickte. »Was wirst du Jimmy erzählen? Wirst du ihm den genauen Grund nennen?«

War diese Frage ernst gemeint? Ich könnte Onkel Jimmy die Wahrheit erzählen. Ich könnte Jimmy über die guten und die schlechten Geschehnisse mit Nick aufklären.

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Glaubst du wirklich, ich erzähle ihm, was für ein manipulativer Wichser du bist? Das du mich mit deiner Eifersucht in den Wahnsinn getrieben hast. Das dir das ein oder andere mal, die Hand ausgerutscht ist?«

Nick dunkelbraune Augen musterten mein Gesicht und ich sah es dahinter schon wieder brodeln. »Ist das alles aber ein Grund mit einem Junkie ins Bett zu springen?«

»Nick, fang nicht damit an. Wir sind getrennt. Jetzt ist aber auch mal gut. Bei Gott. Und es ist meine Sache, was ich meinen Onkel über unsere Trennung erzählen werde, oder nicht. Mit wem ich ins Bett springe, oder nicht. Du bist schon lange nicht mehr Teil meines Lebens!«

»Nein«, fuhr er mich an. »Es ist nicht nur deine Sache, sondern auch meine, Seda, wenn du Lügen über mich verbreiten willst.«

Ich schnaubte fassungslos auf. »Lügen? Lügen!? Die Narbe an meiner Hüfte, weil du mit einem Messer auf mich losgegangen bist, die kleine an meiner Augenbraue, weil du mir in deinem Eifersuchtsanfall dein Handy ins Gesicht geschmissen hast, die Prellungen, blauen Flecken und so weiter? Bist du noch ganz bei Trost?«

Ich wurde zum Ende hin immer lauter, sodass ich Nick letztlich anschrie und aus der Vergangenheit wusste ich, aus meinen Fehlern, die ich immer wieder begann, dass Anschreien bei ihm einen Kurzschluss auslöste. Nick hatte dies seinen cholerischen und aggressiven Vater zu verdanken. Er bekam es nicht anders vorgelebt. Leute, die er liebte und ihn anbrüllten, lösten einen Trigger bei ihm aus.

Und ich konnte nicht fassen, dass ich mich in diesem Idioten eins verliebt hatte und mir eine Zukunft mit ihm vorstellte.

Und in dem Moment, wurde es mir wieder klar, dass wir am besten auf Ewigkeiten getrennte Wege gehen mussten. Er stürzte wieder einmal auf mich zu, umfasste mich grob und mit aller Kraft an den Schultern, die Fingernägel in Haut und Fleisch gebohrt. Gleichzeitig schubste er mich so zurück, dass ich im Flur an die Wand knallte.

Immerhin spürte ich nicht schon wieder die widerlichen Schmerzen von einem Türknauf, oder einer Ecke eines Möbelstücks in meinem Rücken. Ich starrte Nick direkt in die dunklen Augen, die vor Hass loderten. In die dunkelbraunen Augen, in denen ich mich einst immer verloren hatte.

»Mach es. Ist mir egal. Nur sei darauf gefasst, dass mein Onkel die Wahrheit erfahren wird!«

Für einen Augenblick verharrten wir in dieser Position, der Griff wurde sogar noch schmerzhafter, aber ich hielt stand, verzog nicht das Gesicht, um nicht schwach zu sein und Nick damit zubefriedigen.

Und tatsächlich, drückte er nur noch mehr zu. Seine Fingernägel bohrten sich nur noch weiter hinein. Es brannte. Es schmerzte. Ich zuckte noch nicht mal mit dem Auge. Nicht einmal Tränen bildeten sich in meinen Augen.

Ich starrte Nick einfach nur in die Augen, versuchte ihn damit zu verunsichern, ihm zu zeigen, dass ich nicht mehr schwach war.

Letztlich holte ich aus, trat Nick volle Kanne mit dem Fuß in die Weichteile. Schreiend ging er zu Boden und ich löste damit eine weitere kurze Höllenfahrt aus.

🧪🧪🧪

Kauernd hockte ich in der Ecke, verfluchte mich selbst, dass ich meine Stärke überschätzte. Nick lag vor mir auf dem Boden, weggetreten, aber noch am atmen, während ich  mehrmals kräftigt durchatmen musste.

Ich war völlig aus der Puste, vom ganzen Abwehren, vom zuschlagen. Wenn Nick in diesem Rausch absackte, konnte ihn nichts aufhalten. Mir tat die Schulter weh, dort wo sich zuvor seine Fingernägel reinbohrten, meine Arme, weil er diese von sich wegdrückte, sie festhielt, während ich mich versuchte zu wehren.

Meine Oberschenkel schmerzten ebenso, weil Nick sich dort mit dem spitzen Kniekochen immer wieder drauf abstützte, während er über mir kauerte und seinen Hass den ich verursachte, an mir ausließ.

Irgendwann sah ich schwarz, nicht, weil er mich versuchte zu würgen, damit ich mich nicht mehr wehren konnte, sondern, weil ich das alles einfach nicht wollte. Ich sah schwarz. Tiefschwarz.

Trat ihm von mir runter, vom Bett und als er auf dem Boden lag, trat ich zu, trat ihm mit meinem nackten Fuß ins Gesicht. Er war benebelt. Zu benebelt, sodass ich meine Chance nutzte, meine zerbrochene Nachttischlampe nahm, den Kabel um seinen Hals zog und festzog, bis er sich nicht mehr rührte.

Der Rest der Lampe mit dem angeschlagenen Glühbirne lag noch immer auf Kopfhöhe, der Stromkabel noch immer um seinen geröteten Hals gelegt.

Das alles war noch keine Genugtuung. Trotzdem atmete er noch. Trotzdem würde er das hier überleben, mir, weiß Gott was, antun, vielleicht auch in Zukunft einer anderen Frau das Gleiche, was ich mit ihm durchmachen musste.

Ich zitterte noch immer am ganzen Körper. Eigentlich war ich das gewohnt. Das als Siegerin hervorgehen, die Oberhand haben, das Licht bei jemand anderem ausschalten. Aber das hier war was ganz anderes. Es war Nick.

Den Typen in den ich mich vor zwei Jahren Hals-über-Kopf verliebt hatte. Der Nick, der innerlich so kaputt war, und alle um sich herum damit blendete, dass es ihm gut ging. Der Nick, der nach nicht mal einem Jahr Beziehung mir gegenüber sein wahres Gesicht zeigte.

Durch seine Exfreundinnen wusste ich, dass es schon immer so gewesen war und er sich wahrscheinlich nie ändern wird. Er hatte seine Chance. Ich bin nicht an den Falschen geraten. Nick war es. Er ist an der Falschen geraten. An mich.
Ich hoffte inständig, dass er das wusste, was er mich und was er sich damit angetan hatte. Das würde diesem Widerling in der Hölle klar werden. Dort gehörte er hin. Und ja, auch ich, aber ich hoffte, dass es mit dieser Aktion, nicht all zu schlimm für mich dort werden sollte. Ich rettete damit schließlich, wer weiß, wie viele unschuldige Frauen das Leben.
Darunter auch mein Leben.

🧪🧪🧪

Mein Zeige-und-Mittelfinger lagen auf dem Handgelenk und ich versuchte vergeblich ein Pulsieren unter diesen zu finden. Aber nichts. Auch Nicks Brustkorb hob sich nicht mehr auf und ab und ich verspürte wieder einmal die völlige Genugtuung, als ich einen prüfenden Blick in seine Blutunterlaufenden Augen, die an die Decke starrten, warf.

Ich stand auf, nahm auf dem Rand des Bettes Platz, während ich noch weiter auf den dahingeschiedenen Nick hinabblickte.

Eine Weile saß ich da, ließ meinem Blick nicht von Nick ab. Ich fühlte absolute Genugtuung, aber auch leichte Panik. »Du hast es nicht anders verdient«, sagte ich leise und stand vom Bett auf, um nach meinem Handy zu suchen. Dabei fiel mein Blick auf die blutverschmierte Matratze. Dort wo ich eben noch saß, prangte ein hellroter Fleck und als ich an mir hinabschaute, sah ich zwei Blutlinien meinen inneren Oberschenkel hinablaufen.

Die Schmerzen, die ich ignoriert hatte, machten sich bemerkbar und ich spürte, wie der Adrenalinschub solangsam aufhörte. »Na super«, brummte ich und eilte ins Badezimmer, bevor ich noch mehr mit meinem Blut verschmutzte.

Sofort stieg ich in Dusche, schließlich war ich nackt, da Nick mir die Klamotten regelrecht vom Körper gerissen hatte, als er wieder einmal nicht er selbst war. Die Bauchschmerzen und die Schmerzen am äußeren Intimbereich wurden durch das warme, fast heiße, Wasser nicht besser, weshalb ich mich in der Dusche hinhocken musste.

Trotzdem schaffte ich es, die ganze Situation von mir abzuspülen, aus der Dusche zu treten und mich dann zu übergeben. Danach zog ich mir etwas an, griff nach meinem Handy und wählte die Kurzwahl Nummer 5, während ich überlegte, das Chaos und die Leiche loszuwerden, falls die Kurzwahl Nummer 5 nicht zu erreichen war.

🧪🧪🧪

Angezogen, und zwar so, dass man meine Verletzungen nicht sehen konnte (immerhin blieb mir das Gesicht erspart), lief ich im Wohnzimmer auf und ab. Ich hatte bereits meine kaputte Kleidung in eine Tüte gestopft, ich noch mal vergewissert, dass die Leiche wirklich eine Leiche blieb und in der Küche das Geschirr aus der Spülmaschine ausgeräumt und das dreckige Geschirr eingeräumt.

Immer wieder warf ich einen Blick aus dem Garderobenfenster auf die Nachbarschaft hinaus, um doch nicht Jimmys BMW überraschenderweise in der Auffahrt zu sehen. Aber das einzige Auto was rückwärts die Auffahrt hinauffuhr, war ein Van, mit einer Bugster Aufschrift. Ein Kammerjäger!? Was zum Teufel.

Ich bekam schon Panik, hoffte, dass der Wagen drehen würde, aber er hielt, die Bremslichter erloschen und kurze Zeit später sich sich die Fahrertür öffnete. Ein Mann in einem dunkelroten Arbeiteranzug stieg aus, richtete die Kappe auf seinem Kopf, hielt sich aber bedeckt. Den Blick auf den Boden gerichtet.

Ich konnte ihm nicht ins Gesicht blicken. Eine weitere Person, etwas größer und schmaler und vom Gang her eher hochnäsig und selbstbewusst, richtete die dunkelrote Kappe auf seinem Kopf. Ihm konnte ich ins Gesicht blicken. Das war die Kurzwahl Nummer 5, meine allzeit bereite Hilfe und meine Deckung, mein Lichtblick. Immer für mich da, wenn ich in wirklich schlimmen Problemen steckte. Anderes herum wars genauso.

Diese Arbeitsbeziehung entstand bereits an meinem ersten Tag in Chicago.

Eigentlich war ich es gewohnt, dass Kurzwahl Nummer 5, seine Arbeit alleine verrichtete, oder Leute schickte, die er in meine Nähe lassen konnte. Aber heute war er nicht allein, schnappte sich das nötigste Zeug, was ein Kammerjäger immer bei sich trug und kam zur Tür.

Seine Begleitung stets hinter sich. Den konnte ich noch immer nicht zu ordnen. Ich eilte zur Tür und riss diese auf. »Gott sei Dank. Sie sind da!«, rief ich, obwohl ich eigentlich was anderes sagen wollte, wenn nicht sogar meine Kurzwahl Nummer 5 in den Arm springen wollte, aber Mrs. Pitt, ihr Schäferhund und ihr Ehemann gingen an der Auffahrt vorbei und glotzten neugierig rüber. »Bettwanzen!«, rief ich rüber.

Ich trat schnell zur Seite, gewährte den beiden Kammerjägern Zutritt ins Haus und drückte die Haustür zu. Entnervt nahm Kurzwahl Nummer 5 die Kappe vom Kopf und blickte zu mir. »Was ist passiert, Kleines?«, fragte er mich auf unserer Muttersprache.

Seine hellbraunen Augen musterten mich mit väterlicher Sorge, als er sich seine silberne Brille mit dem dünnen und zerbrechlich wirkenden Gestell auf die Nase setzte.

»Lange Geschichte. Du kennst noch Nick?« Natürlich kannte er Nick, Nick wusste davon nichts. Nick kannte meine wichtigen Kontakte überhaupt nicht. Bis auf meinem Onkel.

Kurzwahl Nummer 5, presste die vollen und dunklen Lippen aufeinander und in seinem Blick las ich ab, dass er haargenau wusste, was ich getan hatte. »Das war schon längst überfällig, findest du nicht?«, fragte er mich.

»Soy consciente«, antwortete ich.

Er musterte mich, versuchte unter der langen Bekleidung die ich trug, irgendwelche Verletzungen ausfindig zu machen, aber konnte nichts sehen. »Es ist viel zu warm für diese Art der Kleidung. Lange Hose, langärmeliges T-Shirt. Ich hätte gerne einen Espresso und währenddessen erzählst du mir was passiert ist, okay?«

Ich nickte und wandte mich zu seiner Begleitung. Der Mann drehte sich gerade die Kappe nach hinten und zeigte ein gebräuntes und echt schönes Gesicht. Hellbraune Augen, dunkle Wimpern, markantes Gesicht, dunkles Haar, dunkle und dichte Augenbrauen. Als sei der Typ nebenberuflich Model für die verdammt großen Marken. Seine Wangenknochen und vollen Lippen ließ ich mal außer acht.

Ich roch gegen den Wind, das ich mit ihm ebenfalls Spanisch sprechen konnte, also fragte ich ihn, ob er auch was trinken möchte. Er antwortete mir, dass er darauf zurückkommen würde, aber er erstmal seine Arbeit verrichten möchte. »Wo muss ich hin, Señora?« Er sprach anscheinend kein Wort Englisch.

»Señorita«, verbesserte ich sofort und ging voran. Je näher ich meinem Zimmer mit der Leiche kam, desto niedergeschlagener fühlte ich mich und all meine Verletzungen ob äußerlich oder innerlich, machten sich brennend bemerkbar.

Ich blieb an der offenen Zimmertür stehen und deutete hinein. Hinter dem Bett, blickten die nackten Beine von Nick hervor. Der Mann nickte, trat ins Zimmer. »Perdóneme.« Dann drückte er mir die Tür vor der Nase zu und ich atmete tief durch.

Aus den Augenwinkel sah ich noch immer Kurzwahl Nummer 5 im Flur stehen. Er hatte sich nicht von der Stelle gerührt und blickte direkt in meine Richtung. »Dein Espresso, kommt sofort«, sagte ich und eilte in Richtung Küche.

Als ich an ihm vorbei ging, packte er mich sachte, aber grob am Handgelenk, sodass ich stehen bleiben musste. »Lass mich nur wissen, ob er dich schon wieder gegen deinen Willen berührt hat?«, zischte er mir auf Spanisch entgegen. Er klang wütend, aber ich war zu schockiert, um ihn sofort zu antworten.

Woher wusste er davon? Woher wusste er, dass Nick dies schon öfters mit mir gemacht hatte? Es kann eh nichts mehr passieren. Nick war bereits tot. Ich hatte endlich den Mut überwunden, und mich zur Wehr gesetzt. Erst nachdem ich mir zu hundert Prozent sicher sein konnte, dass ich gegenüber Nick nie wieder so fühlen konnte, wie damals.

Ich schluckte und rang mich zu einem kleinen, aber deutlichen Nicken durch. Er ließ mein Handgelenk los und tat das, was ich gerade wirklich brauchte.

Gustavo nahm mich in den Arm, gab mir eine Schulter zum ausheulen. Er war wieder für mich und meine dunkle Seite da, so wie ich für ihn und seine dunkle Seite da war, wenn er mich brauchte.

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