Beautiful

„Mama, was ist das?"

Jimin blickte seine Mutti mit ganz großen Augen an. Seine Mutti war eine schöne Frau, deren mittellanges Haar sie zu einer schwarzen Blume hochgesteckt hat und deren schlanken Beine von einem endlosen, grauen Rock verdeckt waren. Nun saß sie auf dem Ehebett, vor ihr war ein schwarzer Kulturbeutel geleert worden und Kajal, Rouge und Wimpernzange verteilten sich auf der Bettwäsche. Zu ihren Füßen saß ihr achtjähriger Sohn, der mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den roten Lippenstift in der Hand seiner Mama deutete. Etwas verdutzt wanderte ihr Blick von ihrem Sohn über zu dem Lippenstift und wieder zurück zu dem kleinen Jimin. Mit freundlicher Stimme antwortete sie: „Das ist ein Lippenstift, mein Schatz." „Und was machst du damit?" „Ich bemale mir damit die Lippen, siehst du?" Mit ruhiger Hand legte sie den Lippenstift an ihre vollen Lippen an und färbte sorgsam diese in einem satten Rotton ein. Danach ließ sie den Lippenstift sinken, verschloss ihn wieder und wendete sich erneut ihrem Sohn zu. Sie lächelte den Jungen mit einem warmen Grinsen an. Jimin war völlig begeistert von den roten Lippen seiner Mama. Den Grundschüler überkam das Gefühl, als wäre seine hübsche Mutti in dem Moment, indem sie den Balsam auf ihren Lippen aufgetragen hat, noch tausend Mal schöner geworden. Ihm gefiel der Lippenstift und so fragte er ganz unvoreingenommen und mit vor Freude glitzernden Augen: „Kannst du mir auch Lippenstift drauf malen?" Von der plötzlichen Frage ihres Sohnes etwas verblüfft hielt seine Mutti kurz inne. Erneut wanderte ihr Blick zwischen der kleinen, schwarz-goldenen Hülle und ihrem Sohn hin und her. Ihr Lächeln hatte sich bereits in ein deutliches Grübeln verzogen: Sie war sich unsicher, was sie tun sollte, doch als sie der Achtjährige weiterhin mit großen Kulleraugen anblickte, wusste sie, welche Entscheidung nur die richtige sein konnte. Freudig nickte sie und deutete ihrem Jungen an, sich auf ihren Schoß zu setzen. Sie strich mit dem roten Lippenstift über Jimins dicke Lippen und als sie mit ihrem kleinen Meisterwerk fertig war, wuschelte seine Mutter ihm noch einmal durch sein dickes, schwarzes Haar.
Nun kam auch sein Vater in das Schlafzimmer. Der ungewöhnliche Anblick von seinen zwei Lieblingsmenschen irritierte den Familienvater im ersten Moment merklich. Doch es dauerte keinen Augenblick, da blickten ihn die vor Freude strahlenden Augen seines Sohnes an und mit einmal wich alle Verwirrung. Mit einem breiten Grinsen hob er seinen Sohn auf seine Arme und strich ihm liebevoll über die vollen Wangen: „Da hat sich jemand ja besonders schön gemacht! Gefällt dir Mamas Lippenstift?" Jimin nickte euphorisch und trällerte: „Ja, ich finde den ganz ganz toll. Kann ich das immer machen?" Nach einem kurzen, vergewisserten Blick zu seiner Frau, welche bestimmend nickte, erlaubte auch er seinem Sohn: „Natürlich, wenn es dir niemanden weh tut, darfst du alles machen, was du willst."

~~~

Seit diesem Abend waren mehrere Jahre vergangen, in denen aus dem kleinen Jungen ein großer junger Mann geworden war. Jimin besuchte nun das letzte Jahr einer bekannten Schule für darstellende Künste, auf die ihn seine großartigen Tanzkünste und sein Gesangstalent gebracht hatten. Trotz des großen Pools an kreativen Förderangeboten, die er täglich in den Unterrichtsräumen erlebte, waren die Schulflure nicht gerade von Diversität gekennzeichnet. Die Schüler unterlagen strengem Uniformzwang und hielten sich brav an alle ihnen gegebenen Regeln. Jede noch so kleine Auffälligkeit wurde verabscheut und das Mantra der beständigen Anonymität wurde in die Köpfe der Schüler eingebrannt. Jimin hatte bereits in seinem ersten Jahr beobachtet, wie auf Mitschüler reagiert wurde, die sich für den Auftritt als Background-Tänzer und Statisten die Haare färben und Make up tragen mussten: Deren Freunde zogen ohne Rücksicht auf Verluste mit den fiesesten Worten, die Jimin bis dahin kannte oder auch bislang nicht gehört hatte, über seine Mitschüler her, spuckten ihnen ins Gesicht und warfen ihnen schlimme Beleidigungen an den Kopf. Die Brutalität, mit welcher die Mobber ihr Ziel verfolgten, den Opfern das Leben zur Hölle zu machen, verängstigte den unschuldigen Teenager zutiefst. Von einem Tag auf den anderen war seine kleine Sammlung von Lipglossen, Lippenstiften und Nagellacken in den Mülleimer verschwunden. Schmerzlich hatte er seinen allerliebsten Lippenstift, ein teurer MAC-Lippenstift in knalligen feuerrot, den ihm seine Mama zum 16. Geburtstag geschenkt hatte, weggeworfen, welcher von seiner Mutter später am Abend aus dem Hausmüll gerettet wurde. Noch am selben Abend hatte sie ihren Sohn mit leichten Tränen in den Augen zu Rede gestellt. Sie hatte das Gefühl, die Welt nicht mehr zu verstehen. Warum würde ihr kleiner Sonnenschein seinen liebsten aller Lippenstifte wegwerfen, über welchen er sich wenige Monate zuvor noch so sehr gefreut hatte, dass ihm die Tränen gekommen waren? Doch ihre Fragen konnte Jimin damals wie heute nicht beantworten. Mit einem eiskalten Blick hatte er sich von seiner Mutter abgewandt und war in sein Zimmer gerannt. Dort hatte sie ihn noch mehrere Stunden weinen hören bis er irgendwann vor Erschöpfung eingeschlafen war. Seit dem Tag an hatten seine Eltern das gute Verhältnis zu ihren einzigen Sohn verloren. Jimin entzog sich ihnen immer weiter, unterdrückte seine Interessen so sehr, dass er sich bald nicht einmal mehr selbst im Spiegel ansehen konnte, ohne über sein erbärmliches Spiegelbild zu weinen, und verschwand schon bald im tiefen Strudel der Traurigkeit.

Seit zwei Jahren lebte Jimin nun schon im Käfig der Einöde gefangen. Seine Welt war trostlos und grau, und schafte es doch ein kleiner Sonnenstrahl durch das tiefe Schwarz hindurch, so zersprang er an Jimins Wut. Wenn er auf den Straßen, in Musikvideos oder in seinen Klassenräumen Jungen und Mädchen sah, die voller Selbstbewusstsein ihr Gesicht mit Lippenstift und Glitzer geschminkt hatten, kam in Jimin der finstere Gedanke der Eifersucht auf. Warum konnten diese Personen all das wunderschöne Makeup benutzen, warum machten ihnen die missbilligen Blicke der Leute nichts aus, wieso lachten und freuten sich diese Menschen, wenn Jimin es selber nicht konnte?, fragte sich der Schüler bitter. Innerhalb weniger Augenblicke schlug Jimins Eifersucht in Missgunst und Wut um: Jedes freundliche Lächeln seiner Mitschüler war für Jimin reine Provokation, jedes höffliche Wort war der Ablenkungsversuch von der eigenen Arroganz und jeder aufmerksame Blick eine eindeutige Grenzüberschreitung. Diese Gedanken breiteten sich in Jimin aus. Er hoffte durch sie Glück zu erfahren, doch das, was er fühlte, war kein Glück – es waren Trübsal, Pein und Leid.
Doch all das änderte sich an einem schicksalshaften Tag.

Die Schulklingeln läuteten und riefen damit das Ende der anstrengenden Schulwoche aus. Freudig griffen die Schüler und Schülerinnen ihre Taschen und Rucksäcke und stürmten mal mehr mal weniger Energie geladen aus dem Schulgebäude, um rechtzeitig zum Abendbrot daheim zu sein. Für Jimin jedoch sollte der Tag erst in einigen Stunden zu Ende gehen. Heute hatte er sich mit einem seiner engsten Freunde zum Tanztraining verabredet. Dieser wollte ihm ein neues Mitglied ihrer Gruppe vorstellen, welcher dieses Jahr an die Schule gewechselt war. Gespannt, wie gut der Neue wohl sein würde, stieg Jimin die Treppenstufen herunter, holte seinen Turnbeutel aus dem Spint und ging in das benachbarte Studio. Am Eingang wartete schon sein Freund Hoseok auf ihn, welche von allen liebevoll Hobi genannt wurde. Sie begrüßten sich, hatten sie heute doch jeweils unterschiedlichen Unterricht gehabt, und machten sich dann auf den Weg zu den Umkleiden. „So Hobi, wo ist nun eigentlich dieser Wunderknabe, von dem du mir letzte Woche so vorgeschwärmt hast? Ich kann ihn hier nirgendwo sehen." „Nur mit der Ruhe, Jimin. Er wartet sicherlich schon im Studio auf uns.", versicherte der Ältere seinem neugierigen Freund lächelnd. Nachdem sie ihre Schuluniformen mit bequeme Jogginghosen und T-Shirts getauscht hatten, öffnete Hobi ihnen die Tür zum Übungsraum. Wie Hobi bereits vorhergesagt hatte, wartete dort bereits der Neuling auf sie, doch mit dem, was Jimin sah, hätte dieser sicherlich nie gerechnet:
Vor Jimin stand ein junger Mann, der scheinbar einige Jahre jünger als er selber war und schlichte schwarze Kleidung trug. So weit so gut, dachte sich Jimin. Erst als der Neuling sich mit dem Gesicht zu Jimin und Hobi wandte, blieben die Schläge von Jimins Herzen aus. Der Neuling hatte seine welligen, dunklen Haare, die ihm bis zu den Ohrläppchen reichten, mit rosa farbenden Haarspangen zurück gesteckt. Seine großen, Mandelförmigen, runden Augen waren mit Eyeliner und Mascara verzierrt und seine Lippen waren in demselben Pinkton eingefärbt wie auch seine Fingernägel. Kurz gesagt, verkörperte der andere Junge all das, was Jimin haben wollte, aber nicht sein konnte, und mit einmal wuchs in dem Oberschüler der pure Hass. In einem Moment der Ohnmacht schritt Jimin auf den Neuling zu, welcher leicht schüchtern seinen neuen Teamkollegen begrüßen wollte. Zu dieser Begrüßung kam es jedoch nicht, denn Jimin holte aus und schlug den Jüngeren mit all seinem Hass auf sich selbst mitten ins Gesicht. Voller Schock fiel dieser zu Boden und fing bitterlich an zu weinen, zitternd hielt er sich seine rote Wange.
Für einen kurzen Augenblick war die Welt um Jimin herum totenstill, als läge sie in Watte wurde jedes Geräusch stumpf und leer. Dann blickte der Oberschüler nach unten auf den kauernden Jungen, dessen Mascara verlief und die Haarsträhnen ins Gesicht fielen. Die schwarzen Tränen rollten ganz vorsichtig herunter, überquerten dabei die vollen Wangen des Jüngeren, deren vor Schmerz brennendes Rot Jimin endlich aus seiner Trance rüttelte. Plötzlich kamen all die Töne und klänge zurück und Jimin begriff, was er in seiner unkontrollierten Wut angerichtet hatte. „Was zum Henker ist dein Problem, Jimin! Jungkook hat dir nichts getan!", schrie Hoseok seinen besten Freund entgegen, doch das einzige, was Jimins Lippen verließ, war ein mickriges: „Ich weiß." Voller Scham und Entsetzen über sein eigenes Vergehen senkte sich der Kopf des Angesprochenen. „Bist du vollkommen irre geworden? Du hast ihn verletzt! Sie dir sein Gesicht doch nur an.", wiederholte sich Hoseok tobend und wieder kam nur ein tonloses „Ich weiß." von Jimin als Antwort. Tränen stockten in seinen Augen, während seine Lippen anfingen zu bibbern. Um dies zu unterbieten, biss sich Jimin so fest auf die Lippen, das dieselben aufsprangen und bluteten. Erneut überkam Jimin die Wut, diesmal jedoch nicht auf den Nagellack und Haarspangen seines Gegenübers, sondern auf sein eigenes Tun, welches nur Unheil brachte. Am liebsten würde er im Erdboden versinken und in der Hölle für sein Handeln büßen, doch das Laminat des Proberaums öffnete sich einfach nicht. Nun trat auch Hoseok an seinen besten Freund heran, doch der Ausdruck in den Augen des Ältesten brannte immer noch vor schierer Wut: „Sag mal, bist du dir eigentlich bewusst, was du gerade angerichtet hast?" „Ja, das bin ich.", presste Jimin zwischen seinen geschlossenen Lippen hervor. Doch das reichte Hoseok nicht. Er packte seinen Freund an den Schultern und zwang ihn, ihm in die Augen zugucken. Voller Abscheu fragte er ein letztes Mal: „Nun rück schon raus mit der Sprache, warum hasst du Jungkook so?" Was Hoseok und auch kein anderer im Raum wissen konnte, nicht einmal Jimin selber, dass diese Frage der entscheidende Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte. „Verfluchte Scheiße! Ich hasse nicht ihn, ich hasse mich!" Kaum kamen die Worte aus Jimins Mund, brach dieser vor den Augen seines besten Freundes und des immer noch wimmernden Neulings zusammen.

Der Probenraum war so still, dass man die Zeiger an der Uhr ticken hören konnte. Der Neuling Jungkook saß wie versteinert auf den Boden, seine linke Hand hielt seine vor Schmerzen taube Wange und mit der rechten stützte er sich vom Boden ab. Sein Blick war starr nach vorn gerichtet, um noch genauer zu sein, lag sein Blick mitfühlend und ängstlich auf Jimin. Dieser hockte mit dem Kopf in den Händen gestützt scheinbar unbeweglich vor ihm. Er gab weder Laut noch irgendwelche andere Regungen von sich. Doch der Schmerzensschrei, mit welchem Jimin zuvor in die Knie gegangen war, hallte immer noch im Raum nach. Hoseok stand zwischen den beiden Jungs und blickte hin und her gerissen abwechselnd zu ihnen. Dabei erhoffte er sich, irgendein Indiz dafür zu entdecken, dass die Szene vor ihm nur seiner Fantasie entspreche, doch die Suche des Tänzers blieb erfolglos. Nach einigen geräuschlosen Atemzügen regte sich doch etwas.
Jungkook hatte sich aufgerafft und war vorsichtig an Jimin heran getreten. Nachdem dieser keine Anstalten machte, den Neuling erneut mit einer Schelle zu begrüßen, hockte sich Jungkook neben seinen neuen Teamkollegen und schlang sachte seine Arme um den Kleineren. In dieser Position hockten sie nun, kein Wort drang über ihre Lippen, nur bitteres Schluchzen war zu hören. Als der Jüngste plötzlich von Jimin ab ließ, wanderte dessen Blick aufmerksam zu ihm. Er sah in die von Mascara und Eyeliner verschmierten Augen seines Gegenübers, die unerwartet zahm und ruhig ausschauten. Müsste Jimin jedoch diesen Augen eine Emotion zuordnen, so wäre es, zu Jimins Überraschen, Mitleid. Das war das letzte, mit dem der Oberschüler gerechnet hätte und die Verwirrung stand nicht nur ihm ins Gesicht geschrieben. Auch Hoseok beobachtete mit Spannung, was als nächstes zwischen den beiden Schülern passierte: Jungkooks große mitleidsvollen Augen zogen Jimin in ihren Bann, er hatte das Gefühl in einer ganz anderen Sphäre zu schweben und sie tauchten in ein Gespräch, welches die nächsten Momente nicht nur den Raum sondern auch Jimins Herz füllen sollte.

„Sag mir Jimin, was hasst du an dir."
„Einfach alles..." Nicht nur Jimins Stimme brach, auch all seine Kraft verließ ihn und er sackte in Jungkooks Armen zusammen. Dieser lies sich davon nicht beirren und fuhr ruhig fort:
„Das glaube ich dir nicht. Warum solltest du dich den hassen?"
„Na, weil ich einfach nicht ich bin. Ich kann nicht ich selber sein. Ich hallte es nicht aus, ich selber zu sein, wenn ich solche Menschen sehe. All die anderen, all die anderen Menschen auf den Straßen, in der Schule oder hier im Studio sind so unbeschwert und frei. Selbst du kannst es, selbst du kannst so unabhängig sein von all dem Hass, doch nur ich kann es nicht." Jimin krallte sich in Jungkooks Oberteil. Ob es aus Wut, Angst oder doch aus Einsamkeit und Traurigkeit war, das konnte er nicht sagen. Dem Neuling jedoch schien das wenig auszumachen.
„Ich habe eine Frage Jimin, warum bist du ‚nicht frei'? Was ist es, was du die ganze Zeit versteckst und unterdrückst, sodass davon ja niemand erfährt?"
„Ich mag Makeup! Ich mag all die bunten Nagellackfarben, die mir meine Mama immer lackiert hat. Ich mag den roten Lippenstift, den ich zum Geburtstag bekommen habe. Ich mag es, wenn ich in den Spiegel schaue und nur so glänze und glitzer von all dem Makeup."
„Und was genau, ist an diesem so hassenswert?" Jimin hatte das Gefühl vom Glauben abzufallen, als er Jungkooks Frage hörte. Wie konnte man denn nur so naiv sein?, fragte er sich und starte seinen Gegenüber fassungslos an.
„Was denn bitteschön nicht!? Männer schminken sich doch nicht oder tragen Nagellack."
„Aber genau das tue ich doch und denkst du etwa, dass es sich nicht gehört, wenn du mich so ansiehst. Wenn du siehst, wie ich glücklich mit lackierten Fingernägeln und einen großen Eyelinerstrich durch den Schulkorriedor laufe?".
„Nein, aber-„ Die Wangen des Älteren färbten sich in Windeseile tiefrot. Natürlich war er nicht dieser Meinung, doch Jungkook ließ ihn einfach nicht ausreden
„Würde sich deine Mama daran stören, so wie ich durch die Flure laufe?"
„Nein, aber-„
„Warum sollte es denn dann bitteschön verwerflich sein?"
„Na weil das einfach nicht normal ist.", platzte es aus Jimin heraus. „Die Leute tuscheln und tratschen. Im schlimmsten Fall beleidigen und schlagen sie dich. Ich will das einfach nicht! Ich will nicht Schuld sein, wenn das alles passiert."
„Aber du bist doch nicht Schuld. Kein Mensch ist daran schuld, wie er ist und was er liebt. Die Leute, die das nicht anerkennen können, die sind ganz allein dafür verantwortlich. Du bist einfach nur du selbst und daran ist nichts falsch oder unnormal. Es tut niemand anderen weh, es macht dich selbst als Mensch jedoch einfach glücklich. Glaub mir, wenn ich sage, dass es so befreiend ist, so wertvoll und wichtig ist, zu sich selbst zu stehen. Du kannst dich dem doch nicht ewig entziehen."
„Aber ich habe Angst, Jungkook."
„Das hatte ich auch und ganz im Ernst, vor jeder neuen Person, die ich kennenlerne, rutscht mir mein Herz fast in die Hose. Doch warum ist das eigentlich so? Immerhin haben all diese fremden Personen doch gar keinen Einfluss auf dich oder mich. Sie entscheiden nicht, wie erfolgreich wir sind, sie bezahlen nicht den Job unserer Eltern und sie bestimmen nicht wie talentiert oder fleißig wir sind. Sie können auf all das keinen Einfluss nehmen, denn es ist unser Leben. Warum solltest du also auf das hören, was dir solche Personen einreden wollen?" In Jungkooks großen Rehaugen glitzerten die Tränen und in jeder einzelnen dieser, spiegelte sich all der Schmerz wieder, den der Jüngste bis jetzt in Kauf genommen hatte. Dennoch wirkte er fröhlich und zufrieden, aber noch viel wichtiger war, dass man Jungkook regelrecht ansehen konnte, dass er sich selber liebte. Diese Liebe war es, die Jimins Herz berührte.
„Weil... Weil es eigentlich alles gar keinen Sinn macht. Du hast Recht, ich liebe es, wenn ich Lippenstift auftrage und mir die Nägel lackiere. Ich vermisse es schon so lange und ich möchte das einfach nicht mehr missen."
„Das wollte ich hören. Hey, wenn du willst können wir uns mal bei mir treffen und ein paar neue Nageldesigns ausprobieren?"
„Ja, das fände ich sehr schön."

Jungkook reichte Jimin die Hand, welche dieser dankend annahm, und zog seinen neuen Freund wieder auf die Beine. Sie gaben sich eine Umarmung und wandten sich dann wieder Hoseok zu, der sich ganz berührt eine Träne aus den Augen strich. „Was denn, haben wir dich wirklich zum Heulen gebracht?", fragte Jimin scherzend, obwohl seine Augen selbst noch von all dem Weinen schmerzten. Die drei Verfielen in ein herzliches Lachen, bevor sie endlich mit dem Training starteten.

~~~

Es waren einige Tage vergangen seitdem Jimins Mutter ihren Sohn am besagten Tag nach Hause kommen sah. Für gewöhnlich verschwand der Teenager ohne ein weiteres Wort zu sagen in sein Zimmer und kam nur noch heraus, um sich zwischendurch noch sein Abendessen aufs Zimmer zu holen. Doch an diesem Abend war alles ganz anders. Sie saß in der Küche am Essenstisch. Zwar hatte sie für Jimin einen zweiten Teller heraus gestellt, doch da ihr Mann noch auf Geschäftsreisen war, stellte sie sich auf das gewöhnlich einsame Abendessen ein. Sie hörte, wie sich die Tür öffnete und wenig später zurück ins Schloss fiel. Sie rief Jimin entgegen, dass es heute sein Lieblingsessen geben würde und staunte nicht schlecht, als ihr Ruf tatsächlich ihren Sohn an den Tisch locken konnte. Ein kleines Lächeln bildete sich auf ihren Lippen und sie deutete ihrem Sohn an, sich neben sie zu setzen. Während sie aßen, fing Jimin an mehr und mehr von den letzten Tagen zu erzählen. Er lachte und witzelte mit seiner Mama, die sich nur schwer tat, ihre Freudentränen zurück zu halten. Seit mehreren Jahren hatte sie nun schon darauf gewartet, dass sie endlich mit ihrem kleinen Jiminie gemeinsam Abendessen konnte, dass sie endlich wieder das lebendige Funkeln in den Augen ihres Sohnes wahrnehmen konnte und nun war es endlich so weit. Das erste Mal seit über drei Jahren hatte sie das Gefühl, ihren Sohn wirklich glücklich zu sehen und sie dankte diesem Jungkook, von dem Jimin ihr erzählt hatte, zu tiefst, dass dieser es möglich machte. Mit einmal verstummte Jimin jedoch, spielte ganz ungeduldig mit seinem Essen. Der Blick der aufmerksamen Mutter wanderte sofort zum Oberschüler, welcher sich nun dazu aufraffte, mit leiser, bittender Stimme zu fragen: „Mama, könntest du mit mir morgen in das Einkaufszentrum fahren? Ich würde mir gern ein paar neue Nagellacke und Lippenstifte kaufen. Außerdem wollte ich mich auch noch mit Jungkook treffen. Wir wollten uns zusammen mal die Nägel machen und neue Designs und so ausprobieren. Hättest du damit ein Problem?" Mit großen Augen wartete Jimin auf die Antwort seiner Mutter, doch die kam einfach nicht. Anstelle dessen war seine Mutter auf einmal vom Tisch aufgesprungen und in das Schlafzimmer seiner Eltern gehuscht. In Jimins Bauch wurde es nun ganz ungemütlich, so wusste er nicht, wie er sich jetzt zu verhalten habe. Er rechnete schon mit dem aller schlimmsten, als seine Mama mit einem kleinen Kästchen zurück in die Küche kam. Gewiss, dass all die Aufmerksamkeit ihr galt, holte sie den kleinen schwarzen Lippenstift hervor und überreichte ihn ihrem Sohn mit einem tränenreichen Lächeln. Freudig schluchzte sie: „Ich konnte damals einfach nicht zulassen, dass du deinen Lieblingslippenstift so mir nichts dir nichts in den Müll schmeißt. Ich hoffe du freust dich, immerhin kannst du ihn ja morgen tragen, wenn du willst." Nun brachen auch bei ihrem Sohn die letzten Dämme und die beiden fielen in eine liebevolle Umarmung.

„Danke Mama." 

3 404 Wörter
17.05.2021

~ Ich wünsche euch allen die Kraft und Stärke, um zu euch selbst stehen und euch selbst lieben zu können. So etwas ist schwer, das weiß ich sehr gut. Doch bitte denkt immer daran, so wie ihr seid, so seid ihr schön!

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