21San Francisco 1921


„Wach auf, Süßer! Es ist soweit!" flüsterte Derek in Stiles Ohr:

„W- was? Lass' mich schlafen, verdammt!" bellte der Jüngere schlaftrunken und zog sich sein Kissen über den Kopf.

Derek wartete zunächst einmal bloß grinsend ab, ob Stiles wohl irgendwann von selbst darauf käme, was los war.

Und tatsächlich! Das Kissen flog in eine Zimmerecke und mit einem Mal saß der Stiles kerzengerade im Bett:

„Es ist soweit?" wiederholte er und seine Stimme überschlug sich beinahe: „Sie kommen?"

Er sprang aus dem Bett, war teilweise noch in seine Bettecke verstrickt, stolperte auf dem Weg zu Tür über seine eigenen Füße und wäre um ein Haar lang hingeschlagen.

„Hey! Ganz ruhig, Liebling! Nach allem, was ich hören konnte, dauert es mindestens noch ein paar Stunden! Und außerdem... willst du wirklich SO gehen?"

Stiles blickte an sich selbst hinab. Er war immer noch nackt, denn sie hatten sich am Abend zuvor geliebt:

„Na und?" sagte er schließlich achselzuckend: „Die Babys wird es wohl kaum stören! Die werden doch selbst nackt sein!"

Derek lachte und warf Stiles seinen Pyjama zu:

„Die Babys mag es ja nicht stören, aber vielleicht ja ihre Mutter? Es erinnert sie ja möglicherweise daran, dass es ein nackter Mann war, der sie überhaupt erst in die missliche Lage gebracht hat, in der sie gegenwärtig steckt und das könnte Stress bei der Gebärenden auslösen, also zieh' dir gefälligst etwas an!"

Stiles gehorchte, doch er brummte:

„Aber ICH habe Allison doch nicht in diese Lage gebracht!"

„Das will ich dir auch geraten haben! Du bist nämlich Mein!" lachte Derek und zog sich ebenfalls etwas über.

Gemeinsam klopften sie dann an der Tür des Nebenzimmers. Auf ein geknurrtes: 'Herein!' hin trauten sie sich, vorsichtig die Tür zu öffnen:

„Was gibt' s denn so wichtiges mitten in der Nacht!" knurrte Boyd schlecht gelaunt vom Bett her.

Stiles strahlte über beide Backen:

„Es ist soweit! Die Babys kommen!"

Boyd riss überrascht die Augen auf:

„Heute?" fragte er ungläubig: „Aber heute ist doch Weihnachten!"

Da mussten Derek und Stiles lachen und Stiles fragte:

„Na und? Denkst du etwa, zu Weihnachten werden keine Kinder geboren? Allen voran Jesus, weswegen wir diesen Tag überhaupt feiern. Also was ist nun? Kommt ihr Zwei?"

Boyd stieß den Schlafenden an, welcher kaum zu erkennen neben ihm im Bett lag, weil er von Kopf bis Fuß in eine Bettdecke gehüllt war.

Der Vermummte begann sich zu bewegen und da tauchte auch schon der dunkle Lockenschopf von Mason auf:

„Was ist das denn hier für ein Krach?" beschwerte sich der Junge.

Mason war auf einem seltsamen Weg in ihrer aller Leben gekommen. Praktisch seit dem Tag der Eröffnung ihres Gemischtwarengeschäfts war der junge Mann regelmäßig in den Laden gekommen, doch er hatte nur selten etwas gekauft und wenn, dann waren es immer bloß Kleinigkeiten gewesen. Sie waren sich eigentlich alle einig, dass der Bursche ein Ladendieb sein musste, doch sich konnten ihm einfach nichts nachweisen und eigentlich hatten sie es alle auch relativ gelassen gesehen.

Die Zeiten waren schließlich hart, die Wirtschaft weltweit in der Krise und ein Junge musste nun einmal essen.

Insbesondere Scott und Stiles konnten dies gut nachvollziehen.

Einzig Boyd hatte es rasend gemacht, dass diesem geschickten, kleinen Bastard einfach nicht drauf zu kommen war! Er war wie besessen davon gewesen, ihn zu überführen und so hatte er Mason daraufhin eben jedes Mal klammheimlich nachspioniert, wenn dieser in den Laden gekommen war.

Und als er dem cleveren, kleinen Gauner nach einer Ewigkeit dann endlich etwas nachweisen konnte, fürchteten die Anderen schon, Boyd würde den schmächtigen, zarten Mason auseinander pflücken, wie einen Kopfsalat.

Eigenartigerweise war es dann aber ganz anders gekommen. Die Zwei waren im Bett gelandet und waren seit diesem Tag unzertrennlich, denn der finstere, unnahbare, bärbeißige Vernon Boyd hatte es offenbar tatsächlich geschafft, sein Herz zu öffnen und hatte sich Hals über Kopf verliebt.

Es war eine Freude, es mit anzusehen und Stiles klopfte sich innerlich selbst auf die Schulter, weil er sich einbildete, hierfür die Vorarbeit geleistet zu haben.

„Die Babys kommen, Kleiner! Wir müssen Scott jetzt beistehen!" erklärte Boyd und holte sich einen Kuss von dem verschlafenen Jungen an seiner Seite.

„Babys?" murmelte Mason dümmlich. Dann erst erschien ein Ausdruck der Erkenntnis auf seinem Gesicht: „Ach, ja! Babys!"

Er sprang mit einem Satz aus dem Bett.

Zu viert machten sie sich nun auf den Weg zum Schlafzimmer von Allison und Scott. Vor der Tür tigerte ebendieser auf und ab und als er Stiles kommen sah, rannte er auf ihn zu und fiel ihm um den Hals:

„Die Hebamme ist bei ihr! Allison hat wohl große Schmerzen, denn sie hat vorhin so furchtbas geschrien, aber man lässt mich nicht zu ihr! Die Hebamme behauptet, Männer hätten bei einer Geburt nichts zu suchen. Aber ich will doch bei Allison sein!"

„Die spinnt wohl!" rief Stiles aus: „Das wollen wir doch erst mal sehen!"

Er drückte seinem Herzensbruder einen Kuss auf die Wange und ehe ihn irgendwer aufhalten konnte, platzte er ins Geburtszimmer hinein und die Anderen folgten ihm schüchtern.

Allison saß aufrecht im Bett, schmal wie eh und je, doch mit einem riesigen Bauch welchen sie vor sich her trug, gekleidet in ein weißes, hochgeschlossenes Nachthemd und sie wirkte erschöpft, verschwitzt und vom Schmerz gezeichnet. Dennoch lächelte sie, als sie das Überfallkommando bei sich im Allerheiligsten erblickte:

„Hey, Männer! Diese beiden hier machen es mir wirklich nicht leicht." erklärte sie gequält und fuhr sich mit der Hand über den gewölbten Leib.

„Verdammt! Was wollen sie hier?" fluchte die Hebamme, eine matronenhafte Frau Anfang sechzig mit langen, wirren, grauen Locken, als sie die Eindringlinge erblickte: „Wer zum Teufel sind sie denn alle? Ist einer von ihnen der Vater der Kinder?"

„Schauen sie mich nicht so an!" sagte Stiles aufmüpfig: „Ich bin bloß der Onkel! Der Daddy ist er da drüben und er will bei seiner Ehefrau sein, denn da gehört er nun einmal hin. Es haben schon ganz andere versucht, diese beiden zu trennen und sind gescheitert und nun lassen sie Scott gefälligst bleiben, sonst kriegen sie es mit mir zu tun! Und überhaupt: Fluchen sie nicht vor den Ohren meiner ungeborenen Neffen oder Nichten!"

Zwischen Stiles und der Hebamme entspann sich ein heftiges Streitgespräch und das gab Scott die Gelegenheit zu seiner Geliebten ans Bett zu eilen:

„Hey, mein Liebling! Ist alles in Ordnung. Geht es dir und den Kindern gut? Es gibt doch keine Probleme, oder?" murmelte er besorgt.

Allison schüttelte den Kopf:

„Es sind bloß die Wehen. Das ist heftiger, als ich es mir vorgestellt habe, aber ich schaffe das! Ich bin nämlich stark, weißt du?"

Scott lächelte und ein paar Tränchen kullerten über sein Gesicht:

„Ich weiß, mein Liebling. Ich wünschte, ich könnte das hier für dich durchstehen, aber wahrscheinlich hat die Natur das schon ganz richtig eingerichtet, denn du bist so viel stärker als ich!"

Er nahm ihre schmale Hand in seine und küsste sie.

Allison kicherte, doch dann verkrampfte sich ihr Körper unter einem weiteren Wehenschub:

„Ich könnte dir helfen, Allison!" bot der Derek an, der plötzlich hinter Scott aufgetaucht war und reichte der Gebärenden eine Hand, doch diese winkte ab:

„Ich danke dir für das Angebot, aber da muss ich selbst durch. Der Schmerz gehört nun einmal zur Geburt dazu, aber ich schaffe das!" versicherte sie.

Als die Hebamme gewahr wurde, dass Allison wieder Wehen hatte, packte sie Stiles, der immer noch zeterte kurzerhand an einem Ohr, wie ein ungezogenes Kind und beförderte ihn aus dem Schlafzimmer. Dann wandte sie sich den anderen Männern zu und herrschte sie an:

„Und sie verschwinden auch, sonst werde ich sie nämlich allesamt erschießen!"

Allison schüttelte den Kopf protestierte:

„Mein Mann wird bei mir bleiben! Ich brauche ihn hier!"

Die Hebamme rollte unwirsch mit den Augen, doch gewährte Allison ihren Wunsch. Die restlichen Eindringlinge wurden jedoch umgehend von ihr vor die Tür gesetzt und da blieben sie auch, liefen unruhig auf und ab und warteten.

Kurz nach Sonnenaufgang erklang dann noch ein letztes Jammern, Fluchen und Schluchzen der Mutter und etwas später dann endlich das erlösende Weinen aus zwei kleinen Kehlen!

Es war der Morgen des fünfundzwanzigsten Dezembers und die Welt hatte zwei kleine Erdenbürger hinzugewonnen.

Die Tür öffnete sich, die Hebamme erschien und erklärte:

„Es ist geschafft! Sie dürfen jetzt eintreten, sofern sie sich benehmen können meine Herren."

Dabei blickte sie insbesondere Stiles scharf an, doch der ließ sich zu keinen weiteren Ungezogenheiten hinreißen.

Scott saß dicht neben Allison auf dem Bett und jeder von ihnen hatte ein zappelndes winziges Bündel im Arm, welches sie verliebt anschauten. Beide schienen die Eintretenden gar nicht zu bemerken. Stiles kam es so vor, als befände sich das Elternpaar mit ihren beiden neugeborenen Kinder in einem Kokon; in ihrem eigenen kleinen Kosmos, in welchem für nichts weiter Platz war als sie selbst und er bekam Angst; Angst davor Scott; die einzige Konstante in seinem Leben am Ende doch noch zu verlieren.

Doch dann schaute sein Bruder zu ihm auf, strahlte ihn auf seine unvergleichliche, wunderbare Weise an und streckte seine Hand nach ihm aus:

„Komm' schnell! Das musst du dir ansehen! Da sind zehn Finger und zehn Zehen, aber alles ist noch so unglaublich winzig! Es ist das Schönste, was ich je gesehen habe."

Stiles folgte der Aufforderung und hockte sich an Scotts Seite, um das kleine Wunder in dessen Arm zu bewundern. Bislang waren die Augen des Babys geschlossen gewesen, jedoch schien es neugierig auf seinen Onkel zu sein, denn nun blinzelte es ihn neugierig an und irgendetwas an diesem Blick aus den dunkelblauen Augen ergriff Stiles mit unheimlicher Wucht: Keine Schuld, keine Furcht, nur Reinheit und Neugier auf das Leben. Ein Neubeginn und so viele Möglichkeiten!

Genauso musste er selbst seine Mutter seinerzeit doch auch angeschaut haben. Dennoch hatte sie ihn einfach so weggeben können?

Er schaute auf das kleine Wesen und es erschien ihm unvorstellbar.

Er schluckte!

Aber vielleicht war es ja auch ganz anders gewesen? Denn schließlich wusste er gar nichts über den Anfang seines Lebens. Vielleicht war sie ja bei der Geburt gestorben? Oder ihr Baby war seiner Mutter einfach weggenommen worden?

Er stellte sich vor, dass es so gewesen sein musste. Sicher hatte seine Mutter ihn nicht einfach weggeworfen wie Müll. Wenn sie gekonnt hätte, dann hätte sie sich gekümmert! Ganz bestimmt! So musste es einfach sein!

Er wusste es natürlich nicht und würde es auch niemals mit Sicherheit, doch in diesem Moment fasste er einen Beschluss: Diese beiden Kinder würden niemals dasselbe erleben wie er selbst.

Diese beiden würden nicht nur zwei Eltern haben, die sie liebten, sondern auch einen Onkel, der bis zum letzten für sie kämpfen würde!

Sie würden ein Zuhause voller Liebe haben und niemals Hunger und Misshandlung erfahren!

„Es sind Mädchen? Wir werden sie Juliette und Judith nennen! Dies hier ist Juliette. Sie hat ein kleines Muttermal am Hals, siehst du? Daran kann man sie unterscheiden." erklärte Scott versonnen lächelnd in Stiles Gedanken hinein: „Wenn du willst, darfst du sie halten!"

Stiles schenkte ihm einen ängstlichen Blick. In seinem ganzen Leben hatte er noch nie ein Neugeborenes gehalten:

„Was, wenn ich sie fallen lasse?" fragte er nervös.

Scott lachte:

„Das würdest du nicht! Niemals! Du bist ein guter Onkel."

Und mit diesen Worten legte er seinem besten Freund seine Tochter in den Arm:

„Sie ist schön warm und sie riecht gut?" stellte Stiles dümmlich fest.

Er legte einen Zeigefinger in Juliettes Handfläche und die Kleine bildete sofort ein festes Fäustchen darum.

„Ich denke sie mag dich, Onkel Stiles!" stellte Allison grinsend fest und zu Derek, Mason und Vernon, die sich immer noch scheu im Türrahmen herumdrückten sagte sie: „Ihr könnt ruhig näher kommen. Die zwei sind noch zu klein, um euch zu beißen und ich bin dafür zur Zeit zu müde!"

Vernon betrachtete die kleine Judith in Allisons Arm misstrauisch, als handele es sich um eine fremde Lebensform und als ihre Mutter ihm anbot sie einmal zu halten, schüttelte er heftig den Kopf. Er hielt seine Hände hoch und kommentierte:

„Siehst du diese Pranken? Damit mache ich am Ende noch etwas kaputt, oder so!"

Mason schüttelte mit einem gutmütigen Lächeln den Kopf und stellte fest:

„Ich weiß zufällig, dass diese Pranken sehr sanft sein können!"

Er gab seinem Liebhaber einen flüchtigen Kuss und wandte sich dann an Allison:

„Ich würde die kleine Maus gern halten, wenn ich darf?"

„Sicher!" erklärte Allison und legte Judith in Masons Arme, der sich sehr geschickt mit ihr anstellte:

„Ich bin das Älteste von sieben Kindern. Ich habe schon Babys herumgeschleppt und versorgt, als ich selbst noch eins war!" sagte er zur Erklärung, als er die verwunderten Blicke der Anderen sah.

Derek hatte sich zu Allison auf's Bett gesetzt, nahm ihre Hände in seine und begann damit, ihr den Wundschmerz zu nehmen, ohne ein großes Gewese darum zu machen.

Diesmal nahm die junge Frau die angebotene Versorgung dankbar an und war bald so weit, dass sie sich wohl genug fühlte, um ein wenig zu schlafen.

Sie waren alle müde, da der Nachtschlaf für sie weitgehend ausgefallen war, doch heute war ein großer Tag. Sie erwarteten Besuch und dafür musste noch so Vieles vorbereitet werden.

In der Zeit, seit sie hier in San Francisco lebten hatte es sich gezeigt, dass Vernon Boyd ein begnadeter Koch war. Das war etwas womit keiner von ihnen gerechnet hatte, hatte er doch zuvor in einer Baracke gelebt, die nicht einmal so etwas wie eine Küche besessen hatte.

Boyd wollte einfach nicht damit herausrücken, wo er das Kochen gelernt hatte, doch seit sie dieses Haus mit seiner gut ausgestatteten Küche bezogen hatten er ihnen jeden Tag etwas sehr Gutes auf den Tisch gezaubert.

Stiles und Mason gingen bei ihm in die Lehre und waren gleichzeitig seine Küchenhelfer für die niederen Arbeiten, für welche die geschickten Hände des 'Chef du Cuisine' zu schade waren.

So war es auch heute. Da sie viele Gäste erwarteten, waren die Mengen die zubereitet werden mussten entsprechend gigantisch. Da sie ein eigenes Geschäft hatten, waren sie in der glücklichen Lage, dass Lebensmittel in ihrem Haushalt niemals knapp wurden, doch genügend Fleisch für alle auf den Tisch zu bringen war Stiles dennoch eine ganze Weile wie ein schöner Traum vorgekommen.

Da hatte er die Rechnung jedoch ohne Mason gemacht. Dem Schlitzohr war es gelungen, mitten in der Weltwirtschaftskrise drei wundervolle, frische Fasane fürs Fest zu ergattern, auch wenn er nicht verraten wollte, wie er das geschafft hatte. Stiles liebte den Jüngeren dafür. Mason war mindestens so clever, wie er selbst und wahnsinnig raffiniert und überlebensfähig. Es war fast ein bisschen unheimlich, wie sehr sie einander ähnelten.

Und ebenso wie Stiles selbst würde auch Mason beinahe alles tun, um diese merkwürdige Familie, die sie alle miteinander bildeten zu versorgen und zu beschützen.

Stiles dankte den Göttern dafür, dass sein Freund Boyd und dieser Junge einander gefunden hatten, denn sie waren einfach für einander bestimmt.

Gerade waren die Küchenjungen Stiles und Mason damit beschäftigt, die Fasane zu rupfen, während das ganze Haus nach jenem Lebkuchen roch, welchen Vernon indes im Akkord herstellte.

Als es darum ging, die Vögel ins Bratrohr zu befördern übernahm der Küchenchef dann wieder selbst das Kommando, verwies seine beiden helfenden Weihnachtswichtel auf die Zuschauerränge, nahm die Tiere aus, reinigte sie, gab eine duftende Füllung aus Brot, Äpfeln und Kräutern hinein und würzte das ganze mit Pfeffer und Salz. Er briet Hals, Füße und einen Teil der Innereien für einen Soßenfond an, löschte mit ein wenig Wasser ab, und gab das Ganze dann mitsamt den Fasanen in den Ofen.

Die Leber hatte Boyd zurückbehalten, um aus ihr nun eine köstliche Paté zuzubereiten, die es vorweg auf hausgemachtem Brot geben würde.

Im Herbst war Boyd eigens in den Osten der Vereinigten Staaten gereist, um Cranberries zu sammeln und einzumachen. Diese würden heute als süße Soße zu dem Geflügel gereicht werden. Weitere Beilagen waren die Kastanien, welche zu diesem Zweck gerade über dem Feuer geröstet wurden, eine große Auflaufform mit Corn-Pudding und ein wunderbarer buttriger Kartoffelbrei.

Und zum guten Schluss würde es dann einen Applecrumble mit Clotted Cream geben.

Bei der Vorstellung lief Stiles jetzt schon das Wasser im Munde zusammen.

Boyd entließ seine beiden Helferlein erst, als sämtliche Vorbereitungen sowie der Abwasch erledigt waren, doch wie Stiles feststellen konnte als er die Küche verließ, waren auch die übrigen Bewohner des Hauses in der Zwischenzeit nicht untätig gewesen. Scott und Derek hatten Treppengeländer mit einer Girlande aus Tannenzweigen und Schleifen aus breiten, roten Seidenbändern dekoriert. Sie hatten überall Gebinde aus Mistelzweigen aufgehängt und einen riesigen Weihnachtsbaum besorgt, ihn aufgestellt, mit Ornamenten aus Glas und Silberblech behängt und seine Spitze mit einem goldenen Schmuckstern versehen.

Alles war absolut perfekt!

Stiles fand die beiden Männer im Wohnzimmer, schlafend, aneinander gelehnt, auf dem Sofa, die Füße bequem auf dem Tisch hochgelegt und jeder mit einem ebenfalls schlafenden Baby auf der Brust. Im Geiste machte Stiles eine innere Fotografie von diesem Anblick seiner beiden liebsten Menschen auf der Welt, um sich ewig daran zu erinnern.

Dann fiel sein Blick auf Allison. Auch sie schlief und Scott und Derek hatten sie in einen verstellbaren Sessel nahe dem prasselnden Kaminfeuer platziert, wo die junge Mutter thronte, wie eine Göttin der Fruchtbarkeit.

Stiles hockte sich neben Derek auf das Sofa und begann damit, seinen Liebhaber durch kleine Küsse auf die Lider, die Wangen und die Lippen zu wecken:

„Hey!" murmelte der Werwolf mit einem kleinen, verschlafenen Lächeln und Stiles liebte ihn noch ein kleines bisschen mehr:

„Das habt ihr Zwei toll gemacht. Das Haus sieht großartig aus!" lobte er seinen Gefährten.

Dereks Lächeln wurde breiter:

„Es hat wahnsinnig viel Spaß gemacht. So etwas hatte ich zum letzten Mal als Kind; damals als meine Familie noch lebte: Ein richtiges Weihnachtsfest!"

Stiles zuckte mit den Achseln:

„Und ich hatte es noch nie. Im Kinderheim war das einzige, was an Weihnachten anders war, dass wir ein neues Paar Strümpfe geschenkt bekamen, es so etwas ähnliches wie Fleisch zum essen gab und wir an diesem einen Tag im Jahr einmal keine Schläge bekamen. Und später, als Scott und ich erwachsen waren, haben wir an diesem Tag ein paar Kerzen angemacht und haben das Essen verdrückt, für das wir vorher wochenlang gespart hatten, damit wir ein einziges Mal keinen Hunger hätten."

„Denk' nicht mehr daran, Süßer. Das ist alles Vergangenheit! Es wird nie wieder so sein. Dafür sorge ich! Ich passe auf dich auf!" versicherte Derek.

Ein Teil von Stiles wollte protestieren, dass er auf sich selbst aufpassen konnte, doch den brachte er zum Schweigen, schmiegte sich stattdessen ein wenig enger an seinen Geliebten, verschränkte seine Finger mit jenen von Derek, die gerade nicht dafür gebraucht wurde, um ein Baby zu halten und erwiderte leise:

„Ja, ich weiß!"

Nach einer Weile erkundigte sich Stiles:

„Sag' mal, musst du nicht langsam los?"

Derek warf einen Blick auf die Standuhr an der gegenüberliegenden Wand und nickte:

„Ja, das sollte ich wohl, denn der Zug kommt bald. Auch wenn ich noch nicht weiß, wie ich fünf weitere Personen mitsamt Gepäck in das Auto bekommen soll?"

Stiles kicherte:

„Dann wirst du die Menschen eben ein wenig stapeln müssen."

Eine Stunde später kam Derek nicht mit fünf sondern sogar sechs müde aussehenden Personen wieder. Da waren Melissa und John Stilinski, Malia und Kira und Lydia, die irgend so einen gutaussehenden Kerl dabei hatte, der sich als Matt Daehler vorstellte.

Stiles fand ihn spontan unsympathisch!

Alles Hausbewohner einschließlich der beiden jüngsten auf den Armen ihrer Eltern kamen zur Tür, um die Gäste zu begrüßen. Man umarmte und küsste sich, es wurde viel Aufhebens wegen der entzückenden Babys gemacht, man versuchte sich in aller Kürze auf den neuesten Stand zu bringen, was im Leben des Anderen seit dem letzten Zusammentreffen alles geschehen war und Geschenke wurden getauscht, die man später unter dem Christbaum öffnen würde und irgendwann verlangte John Stilinski:

„Jetzt will ich aber endlich euer wunderbares Haus sehen! Gebt ihr uns eine kleine Führung, Jungs?"

Stiles und Scott kamen der Aufforderung nach und begannen mit ihrem Geschäft, welches sich im Nebengebäude befand und welches sie ebenfalls gern präsentieren wollten.

Die Besucher wurden durch die Gänge des Gemischtwarenladen geführt und wurden von den stolzen Geschäftsinhabern quasi genötigt zu erklären, wie wunderbar alles war:

„Alles elektrisch!" erklärte Stiles begeistert und führte die Wunder der modernen Technik mit stolzgeschwellter Brust vor, betätigte Schalter, die das Licht ein und ausschalteten und präsentierte die Kühlung für die Frischwaren wie Fleisch und Milchprodukte:

„Unglaublich!" raunte der Sheriff ernsthaft begeistert: „Und bei uns auf dem Revier haben wir immer noch Gaslicht!"

Nachdem hier alles ausgiebig bewundert worden war kehrten sie alle zurück ins Wohnhaus und gingen dort von Zimmer zu Zimmer und von denen gab es wirklich mehr als genug:

„Euer Zuhause ist wirklich schön! Aber wie konntet ihr euch das denn bloß leisten?" wollte der Sheriff nun wissen.

„Wir zahlen Derek alles zurück mit dem, was der Laden abwirft!" antwortete Stiles wie aus der Pistole geschossen und sah schlagartig geknickt aus.

Der Sheriff verstand den Jungen auch ohne weitere Worte, denn schließlich kannte er ihn beinahe schon sein ganzes Leben lang. Stiles suchte immer noch nach dem Haken bei der Sache, fühlte eine diffuse Schuld und glaubte, nichts von alledem wirklich zu verdienen.

John sagte nichts dazu, denn er wollte keine große Sache daraus machen, aber er legte Stiles väterlich und beruhigend einen Arm um die Schultern.

Den Gästen wurden ihre Gästezimmer gezeigt, damit sie sich erst einmal ein wenig einrichten konnten.

Anschließend trafen sich alle im Wohnzimmer des Hauses wieder. John begab sich zu Stiles hinüber, der neben Derek auf dem Sofa saß und sah mit einem Mal unbehaglich aus. In der Hand hielt der Sheriff ein weiteres kleines Päckchen, welches in schlichtes, braunes Packpapier eingewickelt war:

„Nanu? Noch mehr Geschenke?" fragte Stiles verwundert.

Der Sheriff nickte:

„Wenn du so willst? Das hier ist aber nicht von mir. Es..." er zögerte weiterzusprechen: „... es ist von Peter Hale."

Stiles zog überrascht die Augenbrauen hoch und Derek schimpfte:

„Wieso spielen sie den Boten für meinen Onkel, Sheriff? Wieso haben sie ihm nicht gesagt, er soll zur Hölle fahren und Stiles in Frieden lassen?"

„Hey! Reg' dich nicht auf, Liebling!" forderte Stiles und Stilinski rechtfertigte sich:

„Ich dachte ja auch, ich traue meinen Ohren nicht, aber Teufel, kann dieser Mann überzeugend sein, wenn er will! Ich habe beruflich regelmäßig mit schweren Jungs zu tun und denkt bloß nicht, ich lasse mich so leicht um den Finger wickeln, aber Hale hatte denselben Blick aufgesetzt, wie der Hund den ich als Kind hatte, immer wenn der ein Stück Käse wollte. Spike hat es nie vertragen und Durchfall bekommen." fuhr John verlegen fort: „Aber ich habe doch immer wieder nachgegeben, weil das Tier eben so geschaut hat! Und genau daran musste ich denken, als Peter Hale mit diesem Päckchen ankam. Er hat gemeint, ich soll Stiles sagen, dass er an ihn denkt, ihm alles Gute wünscht und sich bemüht, ein besserer Mensch zu werden!"

„Und woher wissen wir, dass das Päckchen nichts Explosives enthält?" fragte Derek mürrisch.

Der Sheriff schüttelte den Kopf:

„Ich habe mich natürlich versichert, um was es sich handelt, ehe ich meinem Jungen etwas von diesem Mann mitbringe. Es handelt sich um einen Früchtekuchen. Ich denke er ist selbstgebacken?"

Da legte Stiles den Kopf in den Nacken und begann schallend zu lachen:

„Peter hat für mich gebacken?" fragte er ungläubig: „Nun hat er wohl auch noch sein letztes bisschen Verstand verloren!"

„Was gibt es denn da zu lachen, Stiles? Was wenn Peter dich vergiften will?" fragte Derek ärgerlich.

Stiles schüttelte den Kopf:

„Er mag zwar dein Onkel sein, doch du kennst ihn eigentlich gar nicht." stellte er fest: „Das würde er nicht tun!"

Bevor Derek etwas unternehmen konnte, hatte Stiles den Karton aufgerissen, ein Stück von dem Früchtebrot abgebrochen und sich in den Mund gesteckt.

Grinsend trug er dem Sheriff auf:

„Sagen sie Peter bei ihrer Rückkehr bitte, der Kuchen sei ein wenig trocken gewesen!"

Ernst fügte er hinzu:

„Und sagen sie ihm auch, dass ich ihm ebenfalls alles Gute wünsche. Aber lassen sie es nicht wie eine Einladung klingen, mich hier in meinem neuen Leben zu besuchen, denn so weit bin ich noch nicht!"

John nickte.

In diesem Moment kam Boyd hereingeschneit und forderte in seiner bekannt rauen Liebenswürdigkeit:

„Alle Mann setzen, aber ein bisschen plötzlich! Das Essen ist fertig!"

Sie wollten dem Befehl gerade alle nachkommen, als es an der Tür klingelte.

Alle blickten einander fragend an, denn eigentlich erwarteten sie niemanden mehr, nur Stiles erklärte wissend:

„Ich denke, dass ist für dich Allison!"

Gefolgt von Stiles und Scott begab sich die junge Frau also zur Tür, während alle anderen am Esstisch Platz nahmen.

Allison traute ihren Augen kaum, als sie Chris Argent vor der Haustür erblickte. Und offensichtlich war das Mädchen von der Geburt, welche ja bloß wenige Stunden zurücklag immer noch ein ein wenigno emotional. Entweder das, oder der Geist der Weihnacht hatte sie ergriffen, denn anstatt so etwas zu sagen wie: 'Du hast vielleicht Nerven, hier aufzukreuzen, Vater!'sagte sie bloß:

„Daddy!"

Sie klang dabei wie ein Kind und hatte Tränen in ihren Augen:

„Stiles hat mir geschrieben, dass ich kommen dürfte, sofern ich allein und unbewaffnet wäre." murmelte er beinahe schüchtern:"

„Er..." der Jäger schluckte: „... er meinte auch, dass ich Großvater werde. Ist das wahr?"

Argent blickte prüfend auf den flachen Bauch seiner Tochter.

Allison fiel ihrem Vater um den Hals und fragte schluchzend:

„Willst du deine Enkelinnen kennenlernen, Dad?"

„Sehr gern!" erwiderte Chris Argent, mit vor Ergriffenheit belegter Stimme.

Als sie Vater und Tochter in das Esszimmer folgten, stieß Scott Stiles den Ellenbogen in die Rippen und raunte:

„Warum hast du denn nichts gesagt, du kleiner Halunke?"

„Überraschung!" erwiderte Stiles kichernd und legte einen Arm um seinen Herzensbruder.

„Ich liebe dich, weißt du das?" flüstete Scott:

„Und ich dich erst!" versicherte Stiles.

Dann nahm am Esstisch neben Derek Platz.

Es wurden ein weiterer Stuhl und ein Gedeck für Chris herangeschafft und als endlich alle Platz genommen hatten, ließ Stiles seinen Blick über die reich gedeckte Tafel und die Gesichter seiner Freunde, die um ihn versammelt waren schweifen. In ihren Augen spiegelte sich das Kerzenlicht, der üppig geschmückte Christbaum in der Ecke, die gebratenen Vögel auf den Servierplatten und der Kuchen im Ofen für den Nachtisch erfüllten den Raum mit ihren wunderbaren Düften.

Alles war absolut vollkommen!

Stiles beugte sich zu Derek hinüber, küsste ihn und fragte flüsternd:

„Ist das Glück?"

Der Werwolf schenkte ihm sein strahlendstes Lächeln, wischte mit der Kuppe seines Daumens vorsichtig das Glitzern aus Stiles Augenwinkel, ehe daraus eine Träne werden konnte und bestätigte:

„Ja, Baby! Und fortan wird es immer sein!"

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Nachwort:

Diese Geschichte war für mich selbst an manchen Stellen so brutal, traurig und erschütternd und hat mich manchmal echt zur Verzweiflung gebracht, dass ich dieses harmonische, süße, beinahe schon ein wenig kitschige Ende für mein eigenes kleines Herzchen ganz einfach gebraucht habe. Ich hoffe, es war Euch nicht zu viel, denn für mich war es genau richtig!

Und entschuldigt bitte dieses Weihnachtsfest im August, denn das habe ich irgendwie auch gebraucht, weil mein eigenes Weihnachten letztes Jahr aus unschönen Gründen ausgefallen ist. Nun habe ich es hiermit amtlich nachgeholt: ;-)

(Und überhaupt: Nächsten Monat stehen in den Supermarktregalen schon wieder die ersten Weihnachtsplätzchen, also passt es doch schon fast wieder :-)


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