10 Rapunzel und der Turm
Stiles war blind von seinen Tränen und taub vom eigenen Wehklagen und als er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter fühlte, erschrak er beinah zu Tode.
'Bitte sei nicht Peter!' betete er im Stillen, 'Bitte nicht!' und dann vernahm er eine sanfte, beruhigende und vertraute Stimme:
„Hey, mein Junge! Was ist denn mit dir passiert?"
Stiles hob den Kopf und war beinahe glücklich, das gütige, aber irgendwie immer auch ein wenig sorgenvoll wirkende Gesicht des Sheriffs zu sehen.
Stilinski setzte sich neben ihn und legte einen Arm um Stiles, dessen erster Impuls es war, sich an die breite, Schutz spendende Brust des Gesetzeshüters zu werfen und Trost zu suchen.
Doch dann fiel ihm die Umhängetasche mit dem verbotenen Inhalt wieder ein.
Mit einem Fuß schob Stiles die Tasche von sich fort, in einen schattigen Winkel und verkroch sich dann in Stilinskis Armen, wo er stumm eine Weile weiter weinte.
Der Sheriff wirkte ein klein wenig unbeholfen, als er dem jungen Mann tröstend das hellbraune Haar kraulte:
„Sagst du mir nun, was vorgefallen ist?"
Der Sheriff berührte die Würgemale an Stiles Hals:
„Wer war das?"
Stiles blickte den Gesetzeshüter mit riesigen, hellbraunen Kinderaugen an, doch er brachte kein Wort heraus:
„Du kannst es mir sagen, mein Junge, ehrlich! Selbst, wenn es etwas wäre, was dich in Schwierigkeiten bringen könnte. Du weißt, wie ich zu dir und Scott stehe. Wenn du mich lässt und wenn es mir irgendwie möglich ist, dann würde ich versuchen, euch da raus zu hauen!"
Stiles wusste, dass der Sheriff sich gerade sehr weit für ihn aus dem Fenster lehnte. Und für den Bruchteil einer Sekunde klang es für den Jüngeren wirklich sehr verführerisch, Stilinski alles zu sagen; über sein Geschäft, über Peter, einfach über alles, doch er besann sich sehr schnell.
Was, wenn der Sheriff ihn am Ende doch bloß in den Knast stecken wollte?
Stiles schüttelte innerlich den Kopf.
Selbst in seinem verkorksten Herzen wusste er, dass dieser Mann, der niemals etwas anderes als freundlich zu ihm gewesen war, ihn nicht in eine Falle locken würde, wenn er emotional am verwundbarsten war.
Stilinski die ganze Geschichte zu erzählen konnte er aber dennoch nicht wagen, wenn er wusste, dass dieser dann das Gesetz brechen müsste, um Scott und ihn zu beschützen und dadurch Gefahr laufen würde, seine Stellung und sein Ansehen zu verlieren.
Das hatte der Sheriff sicher nicht verdient; dass sie ihn am Ende noch mit sich in den Abgrund zögen!
Sie standen nun einmal auf unterschiedlichen Seiten und es war nicht die Schuld des Gesetzeshüters, dass Stiles immer wieder dumme Entscheidungen für sein Leben getroffen hatte und nun an einem Punkt angekommen war, wo die Rückkehr in ein normales, bürgerliches Leben unmöglich geworden war:
„Tut mir leid, Sheriff, aber ich kann nicht!" sagte Stiles also mit belegter Stimme.
Stilinski nickte:
„Ich verstehe, Kleiner! Aber merk's dir einfach für später, wenn es irgendwann einmal etwas gibt, was ich für dich und Scott tun kann, dann sag es mir bitte! Mein Angebot bleibt bestehen. Ich will dir wirklich helfen!"
Stiles gab nickend zu verstehen, dass er die Worte vernommen hatte, auch wenn klar war, dass er nie darauf zurückkommen wollte.
Stattdessen vergrub er sein Gesicht wieder an der Brust des Sheriffs, wie ein hilfloses Kind.
John Stilinski wiegte Stiles eine Weile sacht hin und her und murmelte dann irgendwann verlegen:
„Weißt du, dass ich mir immer einen Jungen wie dich gewünscht habe, Kleiner?"
Einen kurzen Augenblick lang wusste der emotional verwirrte Stiles nicht, wie das gemeint sein könnte.
War der Sheriff etwa auch bloß so, wie die vielen Anderen zuvor, die lediglich ein Stück von seinem Fleisch wollten?
Er warf einen prüfenden Blick in Johns Gesicht, aber darin lag nichts weiter als Güte, Anteilnahme und Zärtlichkeit.
Da wusste Stiles, dass das Unsinn war!
Der Sheriff war derjenige, der einem Vater in seinem Leben stets am nächsten gekommen war. Es war Stiles lediglich kurz entfallen, aber dann wieder eingefallen, so wie ein Name, ein Gesicht, ein Weg oder eine Vokabel.
Plötzlich spürte Stiles den Wunsch, dem Sheriff etwas zu verraten, was schon sehr lange sein Geheimnis gewesen war:
„Wissen sie eigentlich, woher ich meinen Namen habe?"
Der Sheriff hatte keine Ahnung, worauf der Junge hinaus wollte, blickte ihn ratlos an und Stiles fuhr fort:
„Als man mich gefunden hat, war ich noch ein Baby. Man wusste meinen richtigen Namen nicht und sie haben mich John Doe genannt. Das hat mir nie gefallen, weil es bedeutete, dass ich keine Identität hatte. Dann habe ich Melissa und sie getroffen. Sie beide waren immer so nett zu Scott und mir und ihr Vorname ist ja auch John. Ich wollte einen Namen der so klingt als wäre ich ihr..."
Stiles biss sich rasch auf die Zunge, ehe er diesen jämmerlichen, verräterischen Satz zu Ende sprechen konnte und sagte stattdessen nüchterner:
„Ich wollte einen Namen, der so ähnlich klingt wie ihr Nachname, Sir!"
Der Sheriff hatte Stiles dennoch verstanden und spürte wieder einmal die alte Schuld an sich nagen. Unzählige Male hatten Melissa und er darüber gesprochen, Stiles und Scott zu adoptieren, als diese noch Kinder waren, doch sie hatten bereits drei eigene Kinder und John hatte Angst, eine siebenköpfige Familie nicht ernähren zu können.
Es war Melissa gewesen, die immer wieder gesagt hatte, sie würden das schon schaffen; die darauf hingewiesen hatte, dass diese beiden wunderbaren Jungen im Eichen-Haus vor die Hunde gehen würden, doch John hatte das Gefühl, zum Wohle seiner anderen Kinder derjenige sein zu müssen, der die harte Entscheidung traf, es dann doch nicht zu tun. Stattdessen hatten seine Frau und er stets ein offenes Ohr oder eine warme Mahlzeit für Stiles und Scott gehabt.
Doch es war eben einfach nicht genug gewesen!
Und nun saß neben John dieser abgemagerte junge Mann, den er im Grunde liebte, wie einen Sohn und der höchstwahrscheinlich bis zu seinem malträtierten Hals in irgendeinem Schlamassel, weit größer, als er selbst steckte und aus dem er ohne Hilfe auch nicht wieder hinausfinden würde.
Nur dass Stiles sich dem Sheriff eben nicht anvertrauen wollte!
Und wer konnte es ihm verdenken, denn Stilinski selbst hatte es ja schließlich erst soweit kommen lassen, indem er früher nicht genug für ihn da gewesen war.
Stiles dachte an Scott, der in ihrem kleinen Zimmerchen bestimmt schon die Wände hochging vor lauter Unruhe, weil er unbedingt glaubte Allison retten zu müssen, also erhob er sich selbst und reichte auch dem Sheriff eine Hand.
Dann fiel er dem Älteren um den Hals und murmelte:
„Danke! Ich weiß nicht, was ich heute ohne sie gemacht hätte, Sir. Sie sind wirklich ein guter Freund Sheriff!"
Die Worte kamen dem Gesetzeshüter vor wie Hohn vor, angesichts seines früheren Versagens bei Stiles, doch er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Stattdessen sagte er:
„Denkst du, du wirst dich jemals dazu durchringen können, mich John zu nennen?"
Stiles schenkte ihm ein schüchternes Lächeln, als er erwiderte:
„Irgendwann vielleicht?"
„Vergiss deine Tasche nicht!" sagte der Sheriff und Stiles zuckte ein wenig zusammen, griff sich sein Bündel und wollte schon loslaufen, als der Sheriff noch hinter ihm her rief:
„Warte!"
Irgendwie hatte Stiles den wahnwitzigen Gedanken, der Sheriff könnte ahnen, dass sich in der Umhängetasche etwas Verbotenes befände und dass er sicherlich gleich fordern würde, den Inhalt sehen zu dürfen.
Stattdessen fragte er jedoch lediglich:
„Wann kommen Scott und du eigentlich mal wieder zum Mittagessen vorbei? Ich weiß, Melissa würde sich freuen. Und ich selbstverständlich auch!"
Stiles nickte erleichtert und versprach:
„Ich spreche mit Scott."
Dann wiederholte er noch einmal: „Danke!" schlang ein letztes Mal die Arme um den Hals des Sheriffs und presste sich an ihn, ehe er los spurtete.
Wie erwartet, war Scott bereits in den Startlöchern und maulte:
„Wo warst du denn so lange?"
Dann warf er einen genauen Blick auf seinen besten Freund, deutete auf die Würgemale und fragte entsetzt:
„Was ist mit dir passiert? Hat dich jemand angegriffen? HAST DU GEWEINT, STILES?"
„Nicht so wichtig!" sagte Stiles in einem scharfen Ton, der keine Nachfragen duldete. Dann öffnete er die Umhängetasche: „Ich habe, was ich wollte und das ist alles, was zählt!"
Scott blickte hinab auf die Schusswaffe und warf Stiles einen erschrockenen Blick zu:
„Ist das wirklich dein Ernst. Du willst die Argents erschießen?"
„Natürlich nicht!" gab Stiles beschwichtigend zurück: „ Ich will ihnen nur zeigen, das mit uns nicht zu spaßen ist."
Dann fügte er hinzu:
„Ich weiß noch nicht einmal, ob ich die Waffe laden werde."
Als sie hinüber zum Haus der Argents liefen, war Stiles im Grunde schon klar, dass sie auf eine Katastrophe zusteuerten und er hoffte nur, dass kein Blut fließen möge:
„Bist du wirklich sicher, dass du das tun willst, Scott?" fragte er also noch einmal: „Was glaubst du denn, was geschieht? Dass sie deinen Standpunkt verstehen und Allison mit dir gehen lassen? Sie verabscheuen Leute wie uns! Für die sind wir nichts weiter, als Ungeziefer! Und deshalb haben sie sicherlich auch keine Skrupel, uns unter dem Absatz ihrer Schuhe zu zertreten, wie Käfer."
„Aber vielleicht kann ich Allison wenigstens noch einmal sehen und ihr sagen, wie sehr ich sie liebe. Vielleicht verstehen ihre Eltern es dann?"
Scott sah mit einem Mal aus wie damals, als er noch ein Kind war und die Gemeinheiten, die ihnen im Eichen-Haus viel zu oft zugestoßen waren, einfach nicht begreifen konnte.
Oder nicht begreifen wollte, weil er an eine gerechte Welt und an das Gute in seinen Mitmenschen glauben wollte.
Denn so war Scott nun einmal und dafür liebte Stiles ihn!
Und plötzlich überkam ihn eine Erkenntnis, die er so klar und deutlich nie gehabt hatte: Alles, was in ihm selbst gut, unschuldig und rein war, das war Scott! Der verrottete, verkommene Rest; all die Skrupellosigkeit, Bosheit, Gier und Zügellosigkeit; das war Stiles selbst.
Und deshalb musste er stets alles Übel von Scott fernhalten!
Auf einmal standen sie vor der Tür der Argents und Scott klingelte; einfach so, ohne groß darüber nachzudenken.
Stiles hatte die Hand in seiner Umhängetasche; die Finger fest um die ungeladene Waffe geschlossen. Ihm war der ganze Wahnsinn dieser Situation vollständig bewusst und doch gab es nichts, was er dagegen tun konnte.
Nichts, außer Scott allein in sein Verderben rennen zu lassen. Und das war nun einmal keine Option!
Die Tür wurde von Christopher Argent geöffnet, der lachend sein blendend weißes Raubtiergebiss zur Schau stellte:
„Was wollt ihr zwei Spinner denn hier? Seid ihr lebensmüde? Hast du beim letzten Mal denn noch nicht genug gehabt, Scott?"
„Sir, bitte lassen sie es mich erklären. Ich liebe ihre Tochter von Herzen. Ich habe bestimmt nichts Unrechtes im Sinn!" beeilte Scott sich zu erklären, doch er wurde sofort von Argent unterbrochen, der ihn anbrüllte:
„Denkst du, dein Gequatsche interessiert mich? Du bist ein Stück Abfall! Verschwinde von meinem Grund und Boden, ehe ich dich wegen Landfriedensbruch abknalle!"
„Bitte Sir, lassen sie mich Allison doch wenigstens sehen. Ich meine es wirklich ernst mit ihrer Tochter. Ich werde sie heiraten, wenn sie es erlauben... ich..."
Argent hatte in Windeseile eine Pistole von einem Tisch nahe der Tür gegriffen und presste diese nun unter Scotts Kinn:
„Spreche ich eine Fremdsprache?" knurrte er den Jüngeren an: „Du wirst weder an meine Tochter, noch an das Vermögen meiner Familie jemals herankommen, du kleiner Ganove!"
Das war Stiles Stichwort!
Er zog die Waffe aus seiner Tasche und hielt sie an Argents Kopf:
„Lassen sie auf der Stelle meinen Freund los!" zischte er.
Im ersten Moment wirkte der Ältere überrumpelt, doch dann stieß er Scott von sich, warf ihn zu Boden, entwaffnete Stiles, packte ihn, warf ihn brutal gegen die Hauswand und hielt ihn dort fest:
„Du bedrohst mich auf meinem eigenen Grundstück?" fragte er schneidend.
Er hielt Stiles dessen eigene Waffe an den Kopf, während seine eigene zu Boden gefallen und Argent seinen Fuß darauf abgestellt hatte.
Er fragte:
„Warum sollte ich dich jetzt nicht einfach erschießen, hmm?"
„Weil keine Munition in der Waffe ist!" gab Stiles so kühl und unbeteiligt zurück, wie es ihm möglich war, während sein Gesicht an rauen Putz gedrückt wurde.
Erstaunlicher Weise brachte Christopher Argent diese Information zum Lachen:
„Du kommst her und bedrohst mich mit einem Spielzeug? Wie blöd bist du eigentlich? Man richtet keine Waffe auf jemanden, wenn man nicht die Absicht hat, ihn zu erschießen."
„Ich will aber niemanden verletzen." gab Stiles zurück: „Und bedrohen will ich auch niemanden. Sie sind doch derjenige, der in einem fort die Drohung ausstößt, uns zu töten. Ich bin nur hier, weil ich will, dass sie meinem Freund nicht wehtun, bloß, weil er ihre Tochter liebt. Das ist nämlich kein Verbrechen, wissen sie?"
Scott hatte sich mittlerweile wieder aufgerappelt und flehte:
„Bitte lassen sie Stiles gehen! Er hat mit dieser ganzen Sache doch im Grunde gar nichts zu tun. Er ist nur hier, weil er mich liebt."
An Stiles gerichtet fuhr er fort:
„Entschuldige Bruder! Ich hätte nie erlauben dürfen, dass du mit mir kommst."
Dann sprach er wieder mit Christopher:
„Wenn sie mich kurz mit Allison sprechen lassen, dann werden sie sehen, dass sie genauso für mich empfindet, wie ich für sie. Ich will sie nicht deshalb, weil sie aus einer wohlhabenden Familie kommt, sondern weil sie schön, klug, stark und liebevoll ist."
Stiles wusste nicht, ob er seinen besten Freund für seinen blauäugigen Idealismus lieber ohrfeigen oder küssen wollte, doch beides war ihm momentan verwehrt, weil er sich immer noch fest in Argents Griff befand.
„Verschwindet jetzt, ihr kleinen Arschlöcher!" bellte Christopher Argent, ließ Stiles frei und schubste ihn in Scotts Richtung, als hinter ihm plötzlich seine Frau Victoria auftauchte, eine Hand schraubstockartig um den dünnen Oberarm von Allison gepresst und eisig erklärte:
„Nicht doch Chris! Unser Romeo hier liebt unsere Tochter? Dann sollte er auch wissen, wie sie für ihn fühlt, richtig? Na los, Allison, sag diesem Straßenköter, was du für ihn empfindest!"
Allison richtete ihren Blick zu Boden, trat ein wenig vor und erklärte dann:
„Ich bin der Meinung meiner Eltern, Scott. Mich auf dich einzulassen war ein großer Fehler!"
Sie hob den Blick, schaute vage in Scotts Richtung und doch haarscharf an ihm vorbei, als sie fortfuhr: „Einer wie du ist weit unter meiner Würde. Ich liebe dich nicht, habe es nie getan und ich will dich niemals wiedersehen. Verschwinde von hier Scott!"
Der Angesprochene schüttelte fassungslos den Kopf:
„Sie zwingen dich, das zu sagen. Du meinst es nicht so! Du liebst mich! Ich weiß, dass es so ist!"
Und nun suchten Allisons Augen Scotts, als sie sagte:
„Verschwinde von hier. Komm' nicht wieder!"
Mit diesen Worten verschwand sie im Inneren des Hauses, ohne sich noch einmal umzudrehen:
„Du hast es gehört, du kleine Ratte!" sagte Victoria, ehe sie ihrer Tochter folgte.
Chris blieb bei Scott und Stiles zurück und erklärte:
„Es gibt zwei Umstände, denen ihr beide euer Leben verdankt; zum einen der Tatsache, dass die Waffe, mit der du mich bedroht hast nicht geladen war, Stiles und zum anderen, weil kürzlich jemand hier war, der sich für eure wertlosen kleinen Leben eingesetzt hat und bei dem meine Familie in gewisser Weise in der Schuld steht. Aber das nächste Mal, wenn einer von euch es wagt, mein Land zu betreten, wird der Sheriff das zweifelhafte vergnügen haben, eure unterentwickelten Hirne von meiner Hauswand zu kratzen.
Stiles nickte, griff den fassungslosen und gebrochenen Scott am Arm und wollte gehen, als Argent ihm hinterherrief:
„Warte Junge. Vergiss dein Spielzeug nicht!"
Stiles griff nach seiner Waffe, steckte sie wieder in die Umhängetasche und verschwand mit Scott.
Es konnte nur eine Person gegeben haben, die sich bei den Argents für ihrer beider Leben eingesetzt hatte, wurde Stiles mit einem Mal klar.
Sein Herz pochte wie wild gegen seine Rippen.
Scott war bleich und beklommen und trabte wie mechanisch neben Stiles her:
„Warum hat sie das gesagt?" fragte er tonlos:
„Weil Allison dich beschützen will!" gab Stiles zurück: „Weil sie verstanden hat, dass ihre Eltern sie nicht gehen lassen werden. Weil sie es dir leicht machen will, sie zu vergessen, Scott!"
Scott blickte ihn an, als müsste er angestrengt über die Worte nachdenken. Dann sagte er:
„Du meinst, sie hat das alles gar nicht so gemeint? Dann muss ich zurück und sie holen! Sie braucht mich!"
Scott wollte loslaufen.
'Oh nein, dieser verrückte, verliebte Idiot!', dachte Stiles verzweifelt.
Ihm wurde das Alles auf einmal zu viel:
„Warte!" murmelte er kläglich und Scott wandte sich mit ratlosem Blick zu ihm um.
Die Ereignisse der jüngeren Vergangenheit überrollten Stiles ganz einfach in diesem Moment: Derek, der in seinem Leben aufgetaucht war, wie eine Naturgewalt, nur um dann so kurz danach wieder spurlos zu verschwinden, Scott, der bewusstlos und blutend auf der Straße gelegen hatte, Peter, unter dem er sich vor nicht einmal zwei Stunden noch hilf- und atemlos befunden hatte, ohne ganz sicher zu sein, ob er die Sache überleben würde und die uralten Erinnerungen und Gefühle, die dies hervorgeholt hatte, Christopher Argent, der ein Waffe auf sie beide richtete:
„Ich kann nicht mehr...!" gelang es Stiles gerade noch hervorzubringen, ehe die Welt um ihn plötzlich verschwand.
Als Stiles wieder erwachte, fand er sich in seinem Zimmer, in seinem Bett liegend wieder und eine Hand lag auf seiner Stirn.
Und diese Hand gehörte zu Peter Hale, der auf seiner Bettkante saß!
Stiles zuckte erschrocken zusammen, setzte sich auf und zog sich so weit wie möglich an die Wand hinter sich zurück:
„Was tust du denn hier?" fragte er fassungslos.
Scott, der hinter Peter im Raum stand, antwortete anstelle des Gangsters:
„Du bist zusammengebrochen, Bruder und plötzlich war Peter da. Er hat dich hierher getragen."
Stiles musterte den Mann neben sich stirnrunzelnd und wollte dann wissen:
„Verfolgst du mich etwa?"
„Als du mich vorhin verlassen hast, warst du so..." Peter ließ den Satz im nirgendwo versanden, begann mit fester Stimme noch einmal von vorn und behauptete: „Nein, ich verfolge dich nicht!"
Er erhob sich, drückte Scott etwas, was er aus seiner Jacketttasche gezogen hatte in die Hand und befahl:
„Sieh' zu dass er sich ausruht und das er das hier isst!"
Es war Schokolade.
Und dann verschwand Peter einfach wieder.
„Was war das denn?" fragte Scott ratlos und reichte Stiles die Süßigkeit:
„Das war Peter!" erwiderte Stiles, als würde das irgendetwas erklären:
„Bist du sicher, dass du das essen solltest?" erkundigte sich Scott, als er sah, dass Stiles im Begriff war, in die Schokolade zu beißen: „Vielleicht ist das vergiftet?"
Stiles stieß ein kurzes, trockenes Lachen aus:
„Wenn Peter mich töten wollte, dann würde er es sicher nicht so tun. Er würde mich sterben sehen wollen." er nahm einen Bissen und bot Scott auch von der Süßigkeit an.
Dieser schüttelte den Kopf, nahm auf der Bettkante Platz, berührte ein weiteres Mal die Würgemale an Stiles Hals und fragte:
„Hat Peter das getan? Hat er es...währenddessen...getan?"
Seine Stimme war beinahe nur noch ein Flüstern:
„War das etwa die Gegenleistung, weil er dir eine Waffe gegeben hat?"
Stiles Gesicht verschloss sich. Er zog die Decke über sich, legte sich hin und kehrte Scott den Rücken zu.
Scott holte Luft, als wolle er etwas sagen, doch stattdessen kroch er einfach bloß hinter seinen besten Freund, schlang einen Arm um ihn und küsste seinen Nacken. Nach einer Weile flüsterte er:
„Ich liebe dich und will nicht, dass du solche Sachen für mich tust!"
Stiles griff nach Scotts Hand und war bald darauf eingeschlafen.
In den beiden folgenden Tagen glich Scott einem lebenden Toten, wollte nicht essen, schlief schlecht, weinte viel und wirkte den Rest der Zeit apathisch.
Stiles machte sich Sorgen um seinen Freund und sein gebrochenes Herz und hatte keine Ahnung, wie es mit ihm weitergehen würde, nachdem ihm nun jede Hoffnung genommen war, dass das Mädchen, dass er liebte und er eines Tages zusammen sein würden, doch wenn er versuchte, mit ihm darüber zu sprechen winkte Scott nur ab. Er hatte sich offenbar vorgenommen, diese Sache für sich allein zu bewältigen und Stiles blieb einfach an seiner Seite, und wartete ab. Mehr konnte er im Augenblick nicht tun.
Und während er Scott in aller Stille beistand, dachte Stiles über seine eigene Situation nach.
Er drehte gerade wieder einmal Dereks Schlüssel in seinen Händen und da wurde ihm etwas klar. Er hatte diesen behalten, weil er das letzte Bindeglied zwischen ihm und Derek war. Sobald der Schlüssel überbracht wäre, wäre es vorbei; Stiles hätte kein Andenken mehr und könnte mit der ganzen Sache abschließen.
Bloß wollte er das gar nicht!
Er wollte dieses kleine Stück Metall, das ihn anklagte und auslachte noch ein kleines bisschen länger in seinem Besitz behalten, bevor ihn die gleiche Hoffnungslosigkeit überkäme, wie seinen Freund Scott.
In der zweiten Nacht, nachdem Allison Scott fortgeschickt hatte, erwachte Stiles von etwas, dass eigentlich gar nicht möglich sein konnte.
Verschlafen murmelte er:
„Komm' schon Scott; zieh' die Hand wieder aus meiner Hose!"
Scott dachte gar nicht daran und arbeite sich nun unter den Bund von Stiles Unterhose:
„Was machst du denn da?" fragte Stiles verwirrt: „Was soll das werden!"
Er hielt die Hand fest, die damit begonnen hatte, rhythmisch seinen Penis entlangzufahren:
„Hör auf, Scott! Bist du verrückt geworden. Wieso tust du das?"
Scott ließ den Kopf auf Stiles Brust sinken und seufzte verzweifelt:
„Ich hab' es so satt Bruder!"
Stiles zog Scotts Hand wieder hervor und schlang dann beide Arme um seinen Freund:
„Was meinst du?"
Scott schluckte und erwiderte:
„Ich habe ganz einfach genug davon, darauf zu warten, dass das Leben besser wird, dass wir glücklich werden, dass wir irgendwann keinen Hunger mehr haben müssen und während ich hier sitze und warte, rinnt mein Leben davon, wie Sand durch ein Stundenglas. Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt und immer noch Jungfrau! Das Mädchen, dass ich liebe, kann ich nicht haben und überall um uns herum sind unsere Feinde, die uns möglicherweise töten werden, sobald wir einen falschen Zug machen, oder aber wir landen für unsere Machenschaften im Gefängnis. Ich fühle mich innerlich kalt und hohl und die einzige Sache, derer ich mir jemals sicher sein konnte, bist du, Stiles! DU liebst mich! DU bist für mich da! Darum will ich auch dass du..."
Scott räusperte sich verlegen.
Stiles setzte sich auf und machte die Öllampe an, welche neben dem Bett stand, damit er Scott anschauen konnte:
„Du willst, dass wir miteinander Sex haben?" fragte er ungläubig.
Scott nickte und Stiles fuhr fort:
„Du weißt sicher, dass das eine total bescheuerte Idee ist, oder? Du bist meine Familie, mein Bruder. Und du hast es selbst mehr als einmal gesagt, dass diese Sache nicht dein Ding ist!"
„Ich liebe dich, Stiles! Und wir haben doch auch früher schon...Sachen...miteinander gemacht. Bitte! Ich will einfach mal wieder etwas anderes fühlen, als Traurigkeit und Kälte!"
Scott rückte nahe an Stiles heran, schob eine Hand unter dessen Pyjamaoberteil und begann damit, seinen Bauch und seine Brust zu streicheln.
„Das kann nicht dein Ernst sein!" stellte Stiles fest doch Scott entgegnete:
„Es IST mein ernst! Ich bitte dich um diesen Gefallen, weil ich weiß, dass es für dich keine große Sache ist, sondern so alltäglich, wie Händeschütteln. Bitte, Stiles! Ich will keine Jungfrau mehr sein. Du tust es doch mit jedem, also warum dann nicht mit mir? Bin ich denn schlechter, als jemand wie Peter?"
Stiles rückte von seinem besten Freund ab und funkelte ihn böse an:
„Darum geht es überhaupt nicht. Ich will bloß vermeiden, dass du etwas tust, was nicht richtig für dich ist!"
„Du entscheidest aber nicht, was richtig für mich, Bruder!" gab Scott zurück, griff Stiles am Kragen seines Pyjamas, drückte ihn entschlossen in die Matratze hinab und legte sich auf ihn.
Scott legte seine Lippen auf die seines Freundes, drängte ihm rhythmisch seinen Unterleib entgegen, bis Stiles die Erektion seines Freundes an seiner Hüfte spürte:
„Also gut!" sagte Stiles schließlich: „Wir probieren es aus. Aber wenn du mittendrin merkst, dass du aufhören willst, dann sag' es sofort?"
Und ernst fügte er noch hinzu:
„Aber das eine muss klar sein: Bloß, weil wir es einmal tun, bedeutet auch nicht, dass wir es immer wieder tun werden, oder ein Paar werden, oder was auch immer? Wir machen es bloß, weil du keine Jungfrau mehr sein willst und weil ich nicht will, dass du dein erstes Mal mit irgendeinem ahnungslosen Idioten hast!"
„O.K.!" willigte Scott ungeduldig ein.
Sie zogen sich also aus und begannen: Eine zweiundzwanzigjährige Jungfrau und ein Kerl, der schon mehr Liebhaber gehabt hatte, als er zählen, oder erinnern konnte!
Auch wenn er dieser Sache skeptisch gegenüberstand und sich sicher war, dass Scott ihn an irgendeinem Punkt mit Sicherheit unterbrechen würde, wollte er, dass es für seinen Freund eine angenehme Erfahrung wurde und so gingen sie es sehr langsam und sanft an: Küssen, zarte Berührungen mit den Fingerspitzen, Blicke, zärtlich geflüsterte Worte, Innehalten.
Dann plötzlich beschleunigte Atmung, Hände die zugriffen und sich begierig in Fleisch krallten, Körper, die sich eng und enger einander entgegen drängten, Zungen die miteinander rangen:
„Jetzt!" flehte Scott schließlich.
Stiles war über ihm, runzelte die Stirn, doch sie versuchten es dennoch.
Scott zog scharf Luft ein und sein Freund zog sich sogleich zurück:
„Ist in Ordnung!" versicherte er: „Lass' uns das einfach vergessen und uns schlafen legen!"
Scott schüttelte den Kopf und versuchte Stiles wieder zu sich heran zu ziehen:
„Mach' einfach weiter. Ist egal!" behauptete er.
„Nein!" Bestimmte Stiles und fügte einen Augenblick später hinzu: „Nein, wir versuchen etwas anderes!" wechselte ihrer beider Position und ließ Scott auf seiner Hüfte Platz nehmen:
„Das ist besser!" versicherte er: „So liegt es in deiner Hand !"
Beide blickten einander fest in die Augen, während sie es taten und hatten die Finger ineinander verschränkt. Es war vertraut und innig, aber gleichzeitig auch fremd und eigenartig.
Sie waren Freunde, die sich in und auswendig kannten, beinahe ihr ganzes Leben miteinander verbracht hatten und ihre Reaktionen in beinahe jeder Lebenssituation wussten.
Nur eben nicht in dieser!
Zunächst hatte Scott sich langsam und vorsichtig auf Stiles bewegt, dann wurde er schneller und weniger kontrolliert und als er schließlich kurz vor dem Höhepunkt war, schloss er die Augen und gab schöne, zufriedene, kleine, gestöhnte Laute von sich.
Die Freunde sprachen hinterher nicht darüber, was gerade geschehen war. Stiles griff lediglich nach einem Handtuch und beseitigte ein paar Flecken, als müsse er Spuren verwischen, wie ein Verbrecher.
Sie zogen ihre Pyjamas wieder an und legten sich nebeneinander in ihr enges Bett, so wie jede Nacht; ganz so, als sei weiter nichts Besonderes geschehen.
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