1. Kapitel
Manchmal da ist der Strand mein einziger Rückzugsort. Hier bin ich allein. Hier kann ich atmen und vor allem frei sein. Frei von der lauten Welt um mich herum. Von den erdrückend, innerlich schreienden Gefühlen. Von Schuldgefühlen. Frischer Wind, feiner Sand an meinen Füßen, das Geräusch von brechenden Wellen, all das ist das Einzige was mich hier umgibt. Was mich in die Arme schließt, wenn ich dieses Gefühl am meisten brauche. Vielleicht ist es auch der einzige Ort an dem ich mich nicht verschließen muss. An dem ich offen sein kann. An dem ich einfach ich sein kann. Ich liebe meine Eltern, doch auch bei ihnen fehlt mir oft die Luft zum Atmen. Das ist absolut nicht die Schuld meiner Väter, denn sie lieben mich und würden alles erdenkliche für meine Geschwister und mich tun. Alles, was in ihrer Macht steht. Zu dem sie mit eigener Kraft im Stande wären. Alles was andere Eltern auch für ihre Kinder tun können. Aber sie können mir nicht helfen. Niemand kann das. Ein Blick auf mein Handy bewirkt, dass mir die Galle wieder nach oben steigt. Dass ich wieder diese Bauchschmerzen verspüre, die mich in letzter Zeit ständig begleiten und nicht in Ruhe lassen wollen. Es fühlt sich so an als würde mein Körper sagen wollen. ‚Dir geht es scheiße? Wie toll, warte ich hätte hier noch ein kleinen Zusatz!‘ Cool, oder?
Instagram war für mich damals ein Ort an dem ich mit anderen Menschen meine Interessen teilte. Schon als kleines Mädchen war Backen eine große Leidenschaft von mir. Später folgte das Kochen, was ich jedoch nur halb so schätzte wie das Backen. Ich suchte bei den unterschiedlichsten Menschen, die etwas mit Backen posteten, nach Rezepten, um es ausprobieren zu können. In der 4. Klasse hatte ich noch ein paar wenige Freunde dich mich in den Socialmedia-Strudel rissen. In dieser Klasse bekam ich die ersten Anfeindungen, natürlich übertrug sich das auch auf sozialen Netzwerke, die ich verwendete. Auch heute noch.
@Mel18: „Alter, ich finde das so ekelhaft! Wenn ihre ‚Eltern‘ Schwuchteln sind, dann sie sicher auch!“
@Basti: „Dreschen wir ihr das einfach aus dem Kopf! Vielleicht kann sie dann noch unter die normalen Menschen kommen. Oder denkt ihr sie ist zu sehr verstört?:
@Katie-K: „Ich glaube ihre ‚Väter‘ können ihre Hände nachts nicht bei sich lassen.“
Das stimmt nicht. Es stimmt einfach nicht. Meine Eltern würden mir nie etwas antun. Sie hatten niemals Hand an mich gelegt. Sie waren noch nie wirklich laut geworden. Nur einmal waren sie mal so richtig wütend und nicht mal da hatten sie mich wirklich angebrüllt. Ich glaube sogar, dass sie es innerlich gemocht hatten, dass ich die Nachbarin mit Dreck bewarf. Sie war eben halt auch Dreck. Damals als das Ganze anfing, fing es nur mit kleinen Beschimpfungen an, die kleine 12 Jährige schrieben. Sie fanden das Ganze ekelhaft. Aber das empfand ich damals auch so. Die Vorstellung Menschen stecken sich gegenseitig die Zungen in den Hals und suchen im Inneren nach Essensresten. Mir ging es allerdings niemals darum, welche Menschen das Taten und in meinen Augen waren meine Eltern schon immer perfekt zusammen. Ich wollte es nie anders. Auch heute noch. Es widert mich an, dass es Menschen gibt, die über andere urteilen und sie dann auch noch beleidigen, weil sie einander lieben. Weil sie eine Familie haben wollen, wie jedes gottverdammte andere Paar auf dieser Welt. Aus einer meiner vielen Kurzschlussreaktionen heraus, landet mein Handy im Wasser. Mit der Hoffnung, dann würde die Welt endlich still sein. Dann könnte ich durchatmen, meine Eltern ohne Schuldgefühle in die Arme schließen, stattdessen wird mir schlagartig bewusst, dass nicht nur die Umwelt, sondern auch das Geld meiner Eltern langsam unter meinen Aktionen leidet. Aus diesem Grund folge ich meinem Handy ins eiskalte Wasser. Es ist aufgewühlt, grün und ich hasse das Gefühl der Algen an meinen Füßen, doch umso besser ist das Gefühl des Sandes auf dem ich stehe. Trotzdem freue ich mich auf die Dusche später. Vielleicht kann diese auch die restliche Woche über erfolgen.
„Scheiße“, murmle ich als ich erneut ohne Erfolg auftauche. Irgendwo muss doch dieses blöde Teil sein! Ich tauche erneut nach unten. Diese Prozedur erfolgt über eine Halbestunde bis ich endlich erfolgreich mein Handy in die Luft reiße. Es geht nicht mehr an, natürlich nicht. Vermutlich würde hier auch kein Reis mehr helfen. Frustriert laufe ich zum Ufer zurück und natürlich kann ich nicht schadenlos herauskommen. Ich stoße meinen Fuß mit voller Wucht gegen etwas Hartes.
„Verdammt, was ist heute nur los?“ Ich greife ins Wasser und fische den Übeltäter heraus. Es ist eine Glasflasche. Natürlich, ich versuche die Umwelt zu schützen und andere Menschen entsorgen ihren Müll hier. Genervt stopfe ich die Flasche in meine Tasche, genauso wie mein Handy und wickle mich anschließend in mein Handtuch. Ich hatte nicht vor baden zu gehen. Es diente jedeglich für einen Sitzplatz, weshalb es auch nicht wirklich einen großen Teil meines nassen Körpers abdeckte. Die Sonne hat diesen Teil der Erde bereits verlassen, weshalb ich meinen Nachhauseweg im Dunklen bestreite. Eine Viertelstunde später stehe ich vor unserem Haus in dem noch Licht brennt. Als ich die Tür doppelt hinter mir verriegelt habe, stürmt schon ein kleines Mädchen auf mich zu und umklammert mein Bein, kurz darauf biegt ihr Zwillingsbruder um die Ecke und umarmt mein Zweites. „Da bis du ja!“, ruft sie aufgeregt und grinst. „Hey“, murmle ich und streiche Emma eine Strähne aus dem Gesicht. Ihre großen blauen Augen blicken mich verwundert an. „Du bis nass, ih!“ . Ich lasse ihr Kommentar unbeantwortet und lächle stattdessen. Nicklas und Jacob entdecke ich in der Küche. Nicklas sieht mich forschend an.
„Wo warst du?“ Jacob macht sich gar nicht die Mühe aufzusehen und stellt seinem Ehemann einfach den Teller vor die Nase. „Am Strand, ich hab die Zeit ein wenig verpasst“, lüge ich und stelle fest wie dumm diese Aussage ist, wenn man meine triefend, nasse Kleidung betrachtet.
"Und dann warst du mal so eben schnell baden? Bei diesen Temperaturen?“ Ich muss lächeln, denn vor meinen Dads konnte ich noch nie etwas verbergen. Sie durchschauen mich immer und dafür müssen sie mich nicht einmal ansehen.
Ergebend seufze ich. „Mein Handy ist ins Wasser gefallen und ich habe es versucht noch zu retten, aber es ist kaputt.“ Auch das ist gelogen, aber immerhin nur zur Hälfte. Als unser Gespräch zu Ende zu scheinen ist, steht Jacob auf und bittet mich ihm zu folgen. In unserer Familie gibt es kaum Geheimnisse allerdings verstehe ich den Gedanken meiner Eltern, dass sie meine kleinen Geschwister nicht auf dumme Ideen bringen wollen. In meinem Zimmer angekommen, fordert er mich mit einem zärtlichen Blick zum Reden auf. Ich bin jedoch nicht in der Stimmung mir die nächste Lüge einfallen zu lassen, weshalb ich ihn stumm betrachte.
„Das ist nicht zum ersten Mal passiert, Maddie. Was ist los mit dir?“ Tatsächlich landet mein Handy oft unsanft irgendwo auf. Meistens, wenn ich es ‚ausversehen‘ gegen die Wand werfe. Doch bis zu diesem Augenblick bin ich ohne Fragen davongekommen. „Ich bin eben tollpatschig“, sage ich, starre auf einen Punkt hinter meinem Dad.
„Nick auch, und dennoch lässt er alles außer sein Handy fallen.“ Er sieht mich noch immer liebevoll an, als könnte er damit bewirken, dass ich rede wie ein Wasserfall. Es bewirkt genau das Gegenteilige. Wie könnte ich eines Tages zu ihnen sagen, sie werden von den Menschen in meiner Umgebung runter gemacht? Wie könnte ich den Gedanken verkraften, dass sie sich vorwerfen mich adoptiert zu haben, und ich dadurch unter den anderen Menschen leide? Das kann ich nicht und ich möchte es auch nicht. „Dad, ich bin müde. Ich möchte jetzt einfach nur schlafen gehen!“, sage ich leise und gähne um meine Aussage zu verstärken. „Maddie, wir lieben dich! Du kannst uns alles sagen!“ Ich nicke. Als wüsste ich das nicht, doch gerade weil ich die beiden auch liebe, könnte ich das nicht verkraften.
„Ich weiß. Ich euch auch! Es ist wirklich nichts. Ich bin nur unsagbar müde.“ Jacob zieht mich in eine feste Umarmung und ich habe Angst, was in seinem Kopf vorgeht, denn er ist der Teil meiner Eltern, der nicht gerne seine Gefühle zum Ausdruck bringt. Dafür ist Nick da, denn Nick kitzelt Jacob immer liebevoll seine tiefsten Wünsche und Bedürfnisse hervor. „Wechsel dein Zeug noch bevor du schlafen gehst, ja? Sonst wirst du krank, Süße!“ Nickend tue ich das, was er sagt während er mein Zimmer leise verlässt. Meine Eltern sind beide eigentlich viel zu jung für eine 18 Jährige Tochter, doch ich bin froh, dass das so ist. Sie verstehen mich eher als die alten Frauen damals im Kinderheim. Nichts gegen alte Frauen und ich war wirklich froh, dass jemand da war, der sich um uns gekümmert hat. Es ist wirklich hart, wenn man als Kind immer übersehen wird. Ich bin gerade im Begriff mich unter die Decke zu kuscheln, als mir die dämliche Flasche wieder einfällt, die noch immer in meinem Rucksack liegt. Stöhnend quäle ich mich erneut hoch und hole die Flasche raus. Es war ein älterer, teurer Whisky. Damals schmuggelte ein Klassenkamerad so einen in die Schule und gab damit an das er diesen von seinem Großvater geschenkt bekommen hat. Erneut schleiche ich auf Zehenspitzen die Treppe herunter und bin so gut es mir gelingt leise, während ich die Vordertür aufmache. Meine Dads scheinen gerade meine zwei Geschwister ins Bett zu bringen, denn aus der Küche dringt keine einzige Stimme. Kurz bevor die Flasche ihr Leben in dem Container verliert, entdecke ich im Inneren einen Zettel. Eine Flaschenpost? Neugierig öffne ich den Kurgen und fische den Zettel raus. Schließlich beende ich das Leben der Flasche, in dem ich sie im Container zerdeppern lasse. Schnell flüchte ich zurück durch die Eingangstür, schließe sie ab und wiederhole das Selbe bei der Hintertür. Froh wieder in meinem Zimmer zu sein, wickle ich meine Decke um mich und sehe gespannt auf den gefalteten Zettel. Ich wage mich ihn aufzumachen und entdecke… die schlimmste Schrift die ich je sehen musste. Es ist so unlesbar, als hätte das ein Betrunkener geschrieben. Mein erster Gedanke ist ein Alkoholiker, der sich sein Leben genommen hat und zuvor noch einen Abschiedsbrief hinterlassen hat. Das würde meinem mentalen Zustand gerade noch fehlen. Ich atme tief durch bevor ich mich auf die Schrift versuche einzulassen.
„Hey Wasser,
wie geht’s? Scheiße? Mir auch, schau mal wir sind zu zweit! Ist doch super oder? Ach, shit. Im Grunde ist es das Dümmste, was ich je getan habe, denn mir wird nie jemand antworten und naja, meine Gefühle werden eh mit dieser verdammten Flasche untergehen. Aber naja, wer sagte einst, wenn man seine Gefühle herauslässt, wird es einem besser gehen? Ich fange also einfach an. Ich glaube mein Mädchen geht mir eiskalt fremd. Warts ab, es geht noch schlimmer. Ich glaube sogar das sie meinen besten Freund fickt. Ich sollte ihn umbringen oder? Das wäre das Beste. Fällt das auf? Ich hab ne Sege im Schuppen und das Meer verschluckt ja bekanntlich Geheimnisse.
Fuck, sie war die Liebe meines beschissenen Lebens! Wie konnten die beiden mir das antun? Mit wem kuschle ich denn jetzt nachts? Wem stehle ich die Decke, wenn es kalt ist? Ich bin armselig oder? Was solls.
Also Bye
~Wrack"
Stirnrunzelnd lese ich mir alles erneut durch. Also meiner Meinung nach sollte er sich einweisen lassen. Mist! Muss ich das jetzt melden? Und wenn ich es nicht tue, bin ich dann ein Mitwisser?!
„Maddie? Was liest du da?“ Als ich aufsehe, blicke ich genau in die leuchtend grünen Augen von Nick.
„Ich…ehm da war so eine Flasche im Wasser und“, Nick reißt mir den Zettel aus der Hand und liest ihn durch.
„Eine Flaschenpost?“ Nickend warte ich auf darauf, das er fertig liest.
„Scheint so. Denkst du er tut seinem Freund etwas an?“ Nicklas schüttelt grinsend den Kopf. „Ich finde, du solltest ihm antworten!“
„Dad, ermutigst du mich gerade einem Psychopathen zu schreiben?“ Nick sieht mich geschockt an.
„Oh, das sollte ich nicht … oder? Sag das ja nicht deinem Dad, aber ja. Tue das! Was soll schon großartiges passieren? Ich mein, die Wahrscheinlichkeit, dass er es findet ist verschwindend gering. Und du wirst unsere Adresse und deinen Nachnamen nicht erwähnen, klar!“
„Warum soll ich ihm denn antworten? Ich kann ihm keinen hilfreichen Rat geben.“
„Erinnerst du dich noch an diese Aktion an der Grundschule damals? Die mit den Luftballons?“ Ja, leider. Anfangs war ich so froh, das beide meiner Elternteile an einer Veranstaltung meiner Schule teilnehmen konnten. Ich wollte allen zeigen, was für coole Dads ich hatte. Jedoch fingen darauf die Anfeindungen an. Sodass ich es bald darauf bereute. Wenigstens gewann ich dadurch für kurze Zeit einen echt guten Freund.
„Wir ließen Luftballons mit Briefen in die Luft und schrieben darunter unsere Adresse.“
„Der Junge? Wie hieß er gleich? Philipe?“ Ich nicke.
„Ja, er hat ein paar Monate mit mir geschrieben nach dem er den Luftballon in einem Baum vor seinem Schlafzimmerfenster entdeckt hatte. Dann kam irgendwann keine Antwort mehr.“
„Du hattest dich damals wahnsinnig darüber gefreut. Meinst du nicht, der Briefverfasser wollte einfach nur Dampf ablassen?!" Sehnsüchtig gucke ich auf den Brief herunter. Er hat recht. Ich hatte es geliebt einen Freund zum Reden zu haben. Es wäre nicht schlecht das zu wiederholen.
„Was soll ich ihm schreiben?“
„Was immer du einer solchen Person schreiben würdest. Sei offen und ehrlich. Immerhin wird er nie erfahren wer du bist, selbst wenn er es finden würde. Wie gesagt. Für diesen Unwahrscheinlichen Fall.“
„Ich versuche es“, murmle ich und überlege bereits fieberhaft, was ich schreiben möchte.
„Wir wissen, dass dich etwas bedrückt. Aber wenn du noch nicht bereit bist mit uns darüber zu sprechen, dann erzähl es dem Meer, denn Wrack hat recht. Darüber sprechen hilft.“
„Danke Dad!“
„Gute Nacht, Maddie!“ Zwinkernd drückt er mir einen Kuss auf die Stirn und verlässt grinsend mein Zimmer.
„Gute Nacht“, flüstere ich als er bereits weg ist. Und obwohl ich schon todmüde bin, krame ich einen Zettel sowie einen Stift heraus und schreibe tatsächlich etwas auf.
"Hey Wrack,
ich würde dich lieber Psychopath nennen, doch in Anbetracht dessen, dass du vielleicht jemanden zerstückelt haben könntest, verzichte ich darauf. Ich weiß nicht so recht, wo ich genau anfangen soll. Vielleicht am besten damit, dass du aufhören solltest zu trinken, denn es ist weder eine Lösung noch kann ich deine Handschrift richtig entziffern. 2. So eine Flasche hat nichts im Meer zu tun oder hat sonst wo irgendetwas zu suchen. 3. Ja, es ist ziemlich dumm und sorry, dass ich deine geheime Nachricht entdeckt habe und das ich sie gelesen habe. Es geht leider nicht rückgängig zu machen. Auch ich würde dein Geschriebenes gerne vergessen, denn dann wäre ich kein Mitwisser. 4, Ich glaube nicht, dass das Sprichwort so heißt, aber was solls. 5. Dann hör auch auf sie ‚mein Mädchen‘ zu nennen und trenne dich! Mein Gott. 6. Morden ist immer eine schlechte Idee und in Anbetracht dessen, dass ich diese Flasche gefunden habe, ist es nicht unwahrscheinlich auch tote abgetrennte menschliche Teile zu finden. Also absolut schlechte Idee!!! Bitte habe ihn nicht schon umgebracht! Das sind die beiden doch nicht wert. 7. Das sind echt viele Punkte. Puh. Nun, tut mir leid dich enttäuschen zu müssen, aber so etwas wie ‚die Liebe deines Lebens‘ exzitiert nicht. Sorry, einer muss es dir ja sagen und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass du etwas gegen Kuscheltiere zu haben scheinst. 8. Du bist ein Deckenklauer? Dir wäre ich auch fremd gegangen, das hält ja keiner aus! 9. Gott sei dank der letzte Punkt. Ja, du bist definitiv armselig.
Nenn mich nie wieder Wasser, das ist ein grausamer Name, finde ich.
Bye
Mizu"
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