Zweiundzwanzig
»Danke, Dad. Ich rufe an, wenn sie müde wird«, sagte ich und Dad rieb mir mit der Hand zweimal kurz über den Rücken, bevor er Mom in ihrem Rollstuhl ansah, die minimal lächelte und dann nickte er.
Obwohl Mom den ganzen Tag im Bett gelegen hatte und die Werte sich wieder stabilisierten, sah sie kaputt und ausgelaugt aus.
Ihre Augenringe färbten sich mittlerweile wieder so lila, wie das Tuch auf ihrem kahlen Kopf, welches sie momentan so gern trug.
»Okay. Dann viel Spaß und bis später«, murmelte Dad. Er hatte dem Ausflug zum Leuchtturm nur zugestimmt, wenn Steven - Dr. Kinlay - Mom und mich begleitete.
Ich sah meinem Vater nach, bis er in seinen silbernen Wagen gestiegen war, der vor meinem Schwarzen parkte und erst als er wegfuhr, drehte ich mich zu Mom und Steve.
Steve war zum Glück nicht nur ein Arzt, er war auch ein sehr verständnisvoller Mann, der vor mich trat und sagte: »Ich werde hier in direkter Nähe schauen, ob ich ein gutes Restaurant finde. Wenn irgendwas sein sollte, dann rufst du mich an, Kane. In Ordnung?«
Ich sah in seine grau-blauen Augen und nickte. Voller Dankbarkeit.
Ein paar Stunden mit Mom und Heaven war alles, was ich im Moment wollte.
Und dass ich die Möglichkeit, zeitgleich mit beiden zusammenzusitzen, hatte, machte mich glücklich und lächerlich nervös zu gleich.
»Danke, Steven.«
Steven schob seine schwarze Hornbrille auf seinem krummen Nasenrücken höher und wendete sich schließlich ab, während ich mich Mom zuwendete, die mich mit halbgeschlossenen Augen betrachtete.
»Du bist nervös«, stellte sie fest und lag damit sehr richtig.
Ich zuckte mit den Schultern, um meine Anspannung herunterzuspielen.
»Ein bisschen vielleicht, ja«
Mom schüttelte missbilligend den Kopf. Sie hatte mich schon lange entlarvt.
Okay, Mom. Ein bisschen viel.
»Gibt es denn einen Grund, warum du nervös sein müsstest? Hattet ihr Streit?«, fragte sie stattdessen.
»Nein, nichts dergleichen«, meinte ich und trat von einem Bein auf das andere.
»Wovor hast du dann Angst, Kane?«
Sie klang ehrlich an einer Antwort interessiert, auch wenn sie sie nicht verstehen würde.
Wovor ich Angst habe, Mom?
Abgewiesen zu werden.
Enttäuscht zu werden.
Verletzt zu werden.
Davor, dass ich ihn zu nah an mich heranlasse und er mich verlässt, wenn ich ihn am dringendsten brauche.
»Okay, eine andere Frage«, unterbrach sie meine stumme Verzweiflung und ich schluckte schwer, während ich darauf wartete, dass sie was sagte.
Sie tat es nicht, also murmelte ich in die warme Sommernacht:»Mh-hm...?«
»Möchtest du, dass er heute hier bei uns beiden ist?«
Ich brauchte nicht einmal darüber nachdenken.
Fuck, ich hätte es wohl gerne, aber mein Mund war schneller und mein Kopf hinderte ihn nicht daran, das auszusprechen, was mein Herz sagen wollte.
»Ja. Ich meine, er ist manchmal echt seltsam und bringt mich wirklich auf die Palme, aber...ja. Ich will, dass er hier ist. Ich bin mir sicher, du wirst ihn mögen«
Mom seufzte so laut, dass ich für einen Moment zusammenzuckte und sie perplex von oben bis unten musterte. Was war das denn gewesen? War sie etwa genervt von mir?
»Dann bitte, um alles in der Welt, ruf diesen armen Jungen an«
Shit, sie war genervt von mir. Ich musste breit grinsen und stupste sie mit dem Zeigefinger an der Wange an, die daraufhin zu zucken begann. Mom lächelte, aber ihr Blick blieb eisern.
»Okay, okay. Ich rufe ihn an«, stöhnte ich ergeben.
Moms Lächeln gewann an Stärke. Sie nickte und ich holte mein Smartphone aus meiner Hosentasche.
Heavens Nummer zu bekommen war ein ziemlicher Akt gewesen. Zuerst hatte ich im Internet nachgesehen und nichts gefunden.
Dann hatte ich überlegt, Noah zu fragen. Aber irgendwie sagte mir mein Bauchgefühl, dass das heute nicht sinnvoll gewesen wäre. Noah war im Augenblick sensibel und ich glaubte zu wissen, dass das meinetwegen war. Weil ich ihn so häufig in letzter Zeit von mir gestoßen hatte und im Endeffekt ausgerechnet seinen besten Freund an mich ranließ - wortwörtlich.
Also fragte ich stattdessen Noahs Mom. Und Lea, die mit Heavens Mutter scheinbar eng befreundet war, fragte Nicole.
Dadurch, dass ich in Nicoles Augen scheinbar noch immer Heavens neuer Lover war, hatte sie Lea Heavens Nummer nur zwei Minuten später gesendet. Er hatte also das Missverständnis nicht aufgeklärt.
Fuck. Das war so ein Aufstand, nur wegen...Heaven.
Aber scheiße, spätestens als ich sein verwirrtes »Hallo, wer ist da?« an meinem Ohr wahrnahm, war er die Anstrengungen wert gewesen.
Ich grinste und antwortete: »Dein Stalkingopfer. Ich habe beschlossen den Spieß umzudrehen«
Mom räusperte sich und meine Wangen taten etwas, das sie nur selten machten. Sie erhitzten sich und wurden feuerrot. Verdammt.
Peinlich berührt wendete ich meine Augen von ihr ab und alles was sie murmelte, war: »Rollenspiele waren früher schon im Trend, Kane«
Scheiße, Mom. So genau wollte ich das nicht wissen.
»Kane? Woher zum Teufel hast du meine Nummer?«, fragte Skyler und hörte sich so an, als wäre er mit etwas beschäftigt. Im Hintergrund lief Wasser (glaubte ich), ansonsten war alles sehr still.
Ich war mir darüber im Klaren, dass meine Mutter mich stetig beobachtete. Und all sie sah, wie entspannt ich war, wenn ich mit diesem Kerl telefonierte, da entspannte sie sich auch.
Sie lehnte sich weiter zurück in die Lehne des Rollstuhls und fing an, den wolkenfreien Himmel über uns zu inspizieren.
»Frag' nicht, war nervig genug. Ich bin am Leuchtturm. Kommst du vorbei?«, fragte ich und das Wasser am anderen Ende der Leitung war schlagartig aus.
Da war nur noch diese Stille, weswegen ich die Stirn runzelte.
Solange, bis Heaven fragte: »Ist deine Mom auch da?«
Er klang neugierig. Mein Grinsen kam breiter zurück, als ich den hölzernen Steg betrachtete, der in das dunkle Meer führte.
»Sie ist auch da, ja. Wo bist du?«, hakte ich nach und sah Mom wieder an, die die Augen mittlerweile geschlossen hatte. Der Schlauch an ihrer Nase war leicht verrutscht, weswegen ich ihn vorsichtig wieder in die richtige Position schob.
Dabei flatterten nur ihre Augenlider. Ihre Nase war eiskalt, weshalb ich in meiner Bewegung innehielt und das Grinsen zu einer besorgten, geraden Linie wurde.
Warum tust du dir das an, Mom?
Du hättest auch im Bett bleiben können, aber du wolltest unbedingt hier her und ihn kennenlernen. Wir hätten sicherlich auch einen anderen Tag gefunden.
Einen Tag, an dem es dir besser ging.
»Noch im Luna. Noah und Marie sind draußen, ich frag' Marie, ob sie mich dort absetzen kann«, sagte Heaven und ich legte meine Hand auf dem schwarzen Griff des Rollstuhles ab, der im Vergleich zu Moms Haut warm war.
Was tat Heaven um diese Uhrzeit noch im Luna? Seine Schicht war schon lange vorbei.
Aber ich wollte es nicht hinterfragen, hatte sicherlich einen Grund, warum Heaven freiwillig Überstunden schob.
»Soll ich dich abholen?«, fragte ich. Wer wusste schon, ob Noah und diese Marie ihn rechtzeitig bei mir absetzten. Ich wollte keine Zeit unnötig verstreichen lassen.
»Quatsch, das macht Mary schon. Ach, was wollen deine Mom und du überhaupt trinken? Ich kann was mitnehmen«, bot Heaven - so mir nichts, dir nichts - nebenbei an.
Ich nahm das Handy kurz von meinem Ohr, als ich mich zu Mom beugte und vorsichtig murmelte: »Mom, Skyler fragt, ob du einen Cocktail möchtest. Er würde was mitnehmen«
Daraufhin öffneten sich ihre Augen doch und ich sah in das dunkle Braun, welches meinem so ähnelte. Moms mageres Gesicht sah von der Nähe noch ungesünder aus. Mein Magen machte einen Satz nach unten.
»Ein Piña Colada. Ich habe so lange schon keinen mehr getrunken«, erwiderte sie und schien in Gedanken versunken zu sein. Ihr Blick war nicht klar und in die Ferne gerichtet. Sie war irgendwo, aber nicht hier.
Ich lächelte schwach, als ich mein Handy wieder ans Ohr hielt und sagte: »Ein Piña Colada würde sie wollen«
Natürlich wollte sie den. Das war ihr Lieblingsgetränk, seit ich denken konnte. Es tat gut zu wissen, dass ein paar Sachen noch immer die selben waren und sich nicht alles verändert hatte.
»Und du?«, fragte Heaven.
Ich schwieg und dachte nach. Worauf hatte ich Lust?
Keine Ahnung. Alles, woran ich denken konnte, war, wie es Mom wirklich ging. Welchen Teil ihrer Schmerzen sie mir verschwieg.
Heaven half mir, als er mit höhnischen Tonfall meinte: »Einen alkoholfreien Mojito?«
»Fuck, ja«, kam es von meinen Lippen und überraschte damit nicht nur mich, auch Moms nicht mehr vorhandene Augenbrauen zogen sich hinauf.
Mir blieb nicht viel Zeit, mich für diesen Ausbruch vor ihr zu rechtfertigen, da haute Heaven den nächsten Knaller raus.
»Ich find' es übrigens sehr interessant, wie du Skyler aussprichst. Kannst du gerne öfter tun«
Oh, das hatte er gehört?
Mein Herzschlag beschleunigte sich für eine Weile.
Natürlich hatte er das gehört. Mein Smartphone war auch in direkter Nähe zu meinem Mund, auch wenn ich leiser gesprochen hatte.
Du willst, dass ich dich so nenne, wie dich alle nennen? Shit, Heaven. Ich kann nicht. Du bist nicht nur Skyler für mich. Ich glaube, du bist mehr.
»Träum weiter. Wir sehen uns gleich«
Er lachte, sagte aber: »Bis gleich«, bevor er mich wegdrückte.
Ich schob mein Smartphone zurück in meine Hosentasche und bewegte den Rollstuhl von Mom zum Steg.
Der Steg und alles um ihn herum wurde in sanftes Licht vom Mondschein getaucht.
Leider war der Weg bis zum Ziel absolut katastrophal. Ich benötigte mehr Kraft, als dass ich hatte und war heilfroh, als die dünnen Räder endlich auf dem Holz rollten. Auf meiner Stirn breitete sich ein Schweißfilm aus.
Mom grinste mich von unten an und sah dabei so gruselig aus, dass ich lachen musste. Nicht sonderlich höflich von mir, aber sie nahm es mit Humor und lachte mit mir.
Solange, bis wir das Ende des Stegs erreichten und ich ihr half, sich auf das Holz zu setzen. Sie konnte ihre Beine schon bewegen und den Rest auch, aber auf Dauer verlangte es ihr zu viel Kraft ab und ihre Lunge machte diese Bewegungen nicht mehr mit. Deswegen löste ich meine Arme erst, als sie sicher saß und drehte dann den Rollstuhl, damit der Schlauch des Sauerstoffgeräts ausreichte.
Erst als alles in meinen Augen passte, machte ich es mir neben Mom bequem, die das Meer ansah.
»Er hat irgendwas in dir ausgelöst...du verhältst dich anders, als in den Monaten vor der Therapie«, flüsterte sie irgendwann in das Rauschen des Meeres hinein.
Eine warme Brise fuhr über meine Wangen und als ich mit der Zungenspitze über meine Unterlippe leckte, schmeckte sie salzig von der Gischt der Wellen.
»Wie meinst du?«, fragte ich und zog die Augenbrauen zusammen. Mein Blick war auf den Horizont gerichtet, der in regelmäßigen Abständen vom Leuchtturm angestrahlt wurde, weswegen ich die Reaktion meiner Mutter nicht wahrnahm.
»Du lächelst wieder mehr und du traust dich raus. Wenn ich daran denke, wie blass du warst, als ich losgefahren bin...«
Sie ließ die Reste dieses Satzes in der Luft hängen und irgendwann spürte ich ihre kalten, dünnen Finger, die sich auf meine Hand legten und mich festhielten.
Mein Magen verkrampfte sich dabei und ich senkte den Blick auf ihre bleiche Haut, die trotz der dunklen Umgebung strahlte, als würde sie von innen leuchten.
»Ich habe eher das Gefühl, ich benehme mich in seiner Gegenwart wie ein Idiot, Mom. Mal beleidige ich ihn, dann nerve ich ihn und dann klebe ich an ihm, wie ein Kind. Dass er das alles so mitmacht, wundert mich wirklich«, gestand ich und war mir nicht sicher, wem ich es gestand.
Mir selbst oder meiner Mom.
Ihr Daumen strich beruhigend über meinen Handrücken und ich zog mit der linken Hand derweil meine Schuhe und Socken aus, dann streckte ich die Beine über die Kante aus, bis meine Füße über dem Wasser baumelten.
Es dauerte nicht lange, da schwappte eine kleine Welle gegen meine Zehen. Das Wasser war angenehm und es erinnerte mich daran, dass ich nicht träumte. Das war Realität.
Mom saß neben mir. Sie war da. Und sie unterhielt sich mit mir über Skyler King.
»Du bist ihm scheinbar sehr wichtig. Das wiederum heißt, dass du dich geirrt hast«
Perplex hielt ich meine Füße still, die über der Wasseroberfläche unruhig hin und her wackelten.
Mein Kopf schoss in Moms Richtung.
»Womit habe ich mich geirrt?«, fragte ich und dachte über unsere letzten Gespräche nach, aber ich kam nicht drauf.
Durch den Lichtschein des Leuchtturms war der Steg ebenfalls in regelmäßigen Abständen heller, den Rest der Zeit spendete der Vollmond ausreichend Helligkeit, so, dass ich alles wahrnehmen konnte.
Auch Moms Nasenflügel, die bebten, als sie tief Luft holte. Sie schloss die Augen. Wenn sie Schmerzen hatte, tat sie das oft. Weil sie wusste, dass ich ihr den Schmerz in den Augen ablesen konnte.
Sie hielt den Sauerstoff eine Weile in ihren Lungen und dann atmete sie angestrengt aus, bevor sie erschöpft von sich gab: »Er kann dich für keinen Scheißkerl halten, wenn er so gutmütig ist und immer wieder zu dir zurückkommt«
Die steile Furche zwischen meinen Augenbrauen wurde tiefer.
»Aber das habe ich doch gar nicht gesagt, dass er mich für einen hält«
Ich hatte es gedacht.
Und Mom hatte eins und eins zusammengezählt und ihren Sohn erneut gnadenlos durchschaut.
Ich seufzte ertappt, schmunzelte jedoch keine Sekunde später bereits wieder.
Scheiße, verflucht. Was war mit mir los, dass ich so viel grinste?!
»Nein, er hält mich für keinen«, stimmte ich ihr zu und sah, wie ihr Mund sich zu einem zufriedenen Lächeln verzog.
»Guter Junge«
Gerade als ich was erwidern wollte, registrierte ich Schritte, die bereits sehr nah waren und dann sagte eine unverkennbare Stimme: »Ich hoffe, ihr sprecht über mich«
Ich schnaubte und drehte mich mit dem Oberkörper ihm zu. Mom gelang es nur mit viel Mühe, aber sie wendete sich Heaven ebenfalls zu.
Er trug noch immer das gelbe Shirt und die schwarzen Shorts von heute Nachmittag. Sein braunes Haar war ein wenig durcheinander, unter seinen Augen bildeten sich zwei leichte Schatten der Erschöpfung und er sah kaputt aus. Trotzdem fing er an zu lächeln, als unsere Blicke einander trafen.
In seiner Hand hielt er eine graue Tasche, in der wahrscheinlich die Sachen für die Cocktails drin waren.
»Heaven«, begrüßte ich ihn und rutschte instinktiv nach links. Unsicher, ob er sich wirklich zwischen Mom und mich setzen durfte, blieb er stehen.
»Setz dich erstmal. Ich dachte, dein Name ist Skyler?«
Heaven nahm Moms Angebot an und saß einen Atemzug später zwischen ihr und mir.
Er sah sie an und ich nahm mir die Zeit, ihn abzuchecken.
Die Tasche stand hinter ihm, seine Finger zuckten in seinem Schoß angespannt, weswegen ich mir auf die Unterlippe biss, um nicht zu lachen. Er war genauso beschissen nervös, wie ich.
»Ist er auch, Ma'am. Ihrem Sohn hat er scheinbar nur nicht gefallen«, antwortete Heaven und ich verdrehte die Augen.
Ma'am. Scheiße, Heaven. Sei doch nicht so verkrampft. Und dein Name gefällt mir, reg' dich ab.
Mom lachte rau und sagte: »Du kannst mich ruhig Luna nennen, Skyler«
Heavens Fingerzucken hielt inne. Leider erkannte ich seinen Blick nicht, weil er meine Mutter anstarrte. Aber ich war mir sehr sicher, dass er erschrocken aussah.
»Luna... wie die Bar aus der ich gerade komme? Ist sie nach dir benannt?«, fragte er direkt. Mom, deren Augen zu leuchten begannen, nickte kräftig.
Man sah ihr an, wie gut es ihr gefiel, dass Heaven seine nervigen Fragen ohne Umschweife stellte. Sie sagte ja, Löcher im Bauch wären eine gelungene Ablenkung. Na dann, Mom. Mach dich auf was gefasst.
»Ja. Meine Mutter fand' das damals toll, als sie den Laden mit meinem Vater eröffnet hat«, bestätigte sie Heavens Vermutung und ich lehnte mich zurück, als ich bemerkte, wie nah ich dem Kerl neben mir gekommen war. Immer wenn ich Limetten registrierte, wusste ich, dass Heaven zum greifen nah war.
Die zwei brauchten mich gar nicht, so hatte ich das Gefühl.
Aber anstatt mich wie das fünfte Rad am Wagen zu fühlen, war ich glücklich. Mom und ihm dabei zu zusehen, wie sie einander kennenlernten und beide ab und an grinsten, war interessant. Es gefiel mir.
Heaven fragte Mom so viele Dinge. Belanglose Dinge wie das Wetter in Texas, ihre Lieblingsjahreszeit, ob sie sich wohlfühlte in dem Teil der Stadt, oder ob der Schlauch sie manchmal in der Nase kitzelte.
Dass Mom auf jede einzelne Frage ehrlich antwortete und dabei lächelte, zeigte mir, wie begeistert sie von Skyler King war.
• • • • • • •
Als Mom Heavens Schulter eine halbe Stunde später mütterlich tätschelte, während er von seinem letzten, verlorenen Surfwettkampf erzählte, da veränderte sich die Atmosphäre und das Gespräch. Es wurde ernster, tiefgründiger und ehrlicher, als ohnehin schon.
War das möglich?
Konnte man einen Menschen das erste Mal in seinem Leben sehen und ihm alles darlegen?
Mom war so eigentlich nicht.
Sie brauchte, wie ich, Zeit um sich zu öffnen.
Ob es an Heaven lag, am Ort (ihrem Lieblingsort) oder daran, dass sie sich wohlfühlte, wusste ich nicht.
Aber solange es ihr gut ging, würde ich sie nicht davon abhalten, mehr zu erzählen.
Mom fragte Heaven, ob er mich für einen Scheißkerl hielt und er wurde daraufhin so rot, dass sie sich zu ihm lehnte und flüsterte: »Ich werde dir nicht den Kopf abreisen, dafür tust du ihm zu gut«
Ab dem Zeitpunkt war auch Heaven gänzlich er selbst.
»Manchmal ist er so ein Fiesling, dass ich ihn am liebsten schütteln würde. Aber dann gibt es Momente mit Kane...da ist er ganz anders. Ich glaube, in den Momenten ist er zufrieden und dann ist er wirklich sehr erträglich«
Während meine Mutter freudig lächelte, schlug mein Herz laut in meiner Brust. Und meine Augen wollten nicht aufhören, ihn anzusehen. Mein Hirn dagegen hing sich auf und dachte nur an eines: ich wollte ihn küssen.
Und ihm sagen, dass er nicht so tun sollte, als wäre ich nicht da, wenn er über mich sprach.
»Ich bin also erträglich, wie schön«, murmelte ich und grinste, als Mom laut lachte. So offen und kraftvoll, dass es mir die Sprache verschlug.
Als ihr Lachen abebbte, entstand eine lange Pause in der keiner was sagte.
Aber irgendwann war es Heaven, der mich mit einer Frage zum keuchen brachte und da war all diese Wärme, die ich seinetwegen empfunden hatte, verschwunden.
Es war, als würde sich eine eiskalte Hand um mein Herz legen und mit jedem Atemzug, den ich machte, legte sie ihre spitzen Klauen enger um mich.
»Hast du Angst vor dem Tod?«
Mom beugte sich vor und Heaven sah mich irritiert an.
Die konnten mir doch jetzt nicht weismachen, dass diese Frage in Ordnung war und ich überreagierte.
Wieso fragte er sowas? Konnte er nicht-
»Es ist okay, Kane«
Nein, ist es nicht.
Deswegen starrte ich Heaven wütend an, dem der Schock tief ins Gesicht geschrieben stand.
»Du musst nicht immer deine dämlichen Fragen überall loswerden. Manchmal überschreitest du damit Grenzen«, knurrte ich frustriert.
Heaven schluckte laut. So laut, dass nicht einmal das Rauschen des Meeres es übertönen konnte.
»Tut mir leid. Tut mir so leid, ehrlich«, platzte er raus und drehte sich mit dem Oberkörper Mom vollständig zu.
»Ich hab' mich gerade so wohlgefühlt, dass ich nicht über meine Frage nachgedacht habe. Ich... wollte niemanden damit zu nahe treten. Ich wollte einfach nur eine Frage stellen, die mich beschäftigt und in meinem Kopf klang sie nicht so schlimm, ehrlich. Ich - also - tut mir leid«
Ich traute mich nicht, Mom anzusehen. Ich hatte Angst, dass sie traurig war. Dass Heavens Frage ihr zusetzte. Sie einem emotionalen Abgrund näher drängte.
Sie musste nicht über den Tod nachdenken. Sie würde die nächste Therapie in ein paar Wochen aufnehmen und diesen Scheißkrebs den Mittelfinger zeigen. Aber Mom...
»Du musst dich nicht entschuldigen, Skyler. Kane, Liebling... Es kann sein, dass Skyler deine Grenze überschritten hat. Meine nicht. Deswegen...nein, mein Junge«, sagte meine Mutter erst an Heaven gerichtet, dann an mich und zum Schluss...
Ich nahm all meinen Mut zusammen, während dieser Druck auf meinem Herzen nicht weniger wurde und blickte in die Augen meiner Mom, die mich voller Liebe ansahen. Sie beantwortete Skylers Frage, richtete aber die Antwort eindeutig an mich.
»Ich habe keine Angst vor dem Tod.«
Moms Worte gingen mir durch den Kopf, das Herz, den Bauch und jede andere Faser meines gesamten Körpers. Ich bekam Gänsehaut und zeitgleich brach mir der Schweiß aus, welcher eiskalt war.
Ich habe keine Angst vor dem Tod.
Ich habe keine Angst vor dem Tod.
Ich habe keine Angst vor dem Tod.
Und dann lösten sich die Klauen abrupt und zurück blieb gähnende Leere.
Heaven sah meine Mutter an und meine Mom sah uns beide an, als wäre dieses Thema für sie normal wie die Tatsache, dass die Erde keine Scheibe war.
»Ich würde jetzt sehr gerne einen Piña Colada trinken und dann in mein Bett gehen. Und ihr zwei solltet an diesem wirklich schönen Abend noch was Sinnvolles tun«
Dass Mom so locker war, half mir, mich wieder aufzurappeln.
Sie meinte es ernst. Ihre Augen verrieten sie.
Auch wenn ich keine Ahnung hatte, warum sie so seltsam gegrinst hatte, während sie ›was Sinnvolles‹ sagte.
Heaven griff nach der Tasche, derweil verarbeitete ich die Worte meiner eigenen Mutter noch immer.
Während der Junge neben mir die Getränke vorbereitete und Mom fragte, wieso sie diesen Cocktail so gerne mochte, da wurde mir was klar.
Ich war Heaven nicht sauer...
Ich war ihm dankbar.
Er hatte eine Frage gestellt, die ich mich niemals getraut hätte, auszusprechen. Und seinetwegen hatte ich nun eine Antwort, die etwas in mir hervorrief, dass ich seit langer Zeit nicht mehr gespürt hatte...
Erlösung.
Also wartete ich, bis er Mom den Piña Colada hinstellte, den sie so gern trank, weil er sie an ihren ersten Urlaub erinnerte in Hawaii, mit meinem Vater, als sie nur ein bisschen älter waren, als ich heute.
Ich wartete, bis Heaven mir einen alkoholfreien Mojito in die linke Hand drückte und ich wartete, bis er selbst von seinem Vodka Cola einen Schluck nahm und das Glas dann zwischen Mom und sich abstellte.
Und dann legte ich meine zitternde rechte Hand auf seine linke, die er auf dem Holz abstützte und strich mit den Fingerkuppen sanft über seine weiche, warme Haut, bis er mich flüchtig ansah.
Es dauerte, aber nach viel zu langer Zeit, drehte er seine Hand unter meiner und unsere Finger verschränkten sich ineinander.
Skyler King war Segen und Fluch zu gleich und ich war froh, dass es so war.
• • •
Wir haben mittlerweile
13 Kapitel aus Kanes Sichtweise.
9 sind in Skylers.
Ich brauch' ganz offensichtlich
einen Kane in meinem Leben.
Oder Hilfe. :>
Hoffe euch hat's gefallen,
wir sind aktuell
bei 100 DINA4 Seiten
(ca 65.000 Wörter)
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