Vierzehn
Es war früher Mittag, als ich mal wieder vor der Tür der Sinclairs stand und auf Noah wartete.
Von Kanes Wagen fehlte jede Spur, was mich ein bisschen beruhigte. Er würde die Tür nicht öffnen, dafür allerdings Lea.
Ich lächelte, als ich ihrem sanften Blick begegnete. Es wunderte mich nicht, dass meine Mom sich so gut mit ihr verstand. Die beiden waren sich von der Art her so ähnlich.
»Hey, Lea. Ich wollte zu Noah, eigentlich war vor einer Stunde bei mir vereinbart. Ist er Zuhause?«, fragte ich und schob die Hände in die Hosentaschen.
Leas blonde Augenbrauen zogen sich irritiert zusammen und ich ahnte schon, was kam. Mein Herzschlag setzte einen Takt aus.
»Noah ist vor zwei Stunden raus und meinte, er trifft sich mit Marie zum surfen«
Ich biss die Zähne zusammen und wollte im Erdboden versinken. Auf der Stelle.
Insbesondere, als ich hörte, wie ein Auto hinter mir zum Stehen kam und wenig später eine Tür ins Schloss fiel.
Komm schon, im Ernst? Jetzt tauchst du auf? Jetzt, als ich drauf und dran war, mich zum Affen zu machen?
»Oh, okay. Dann hat er das wohl vergessen oder ich habe mich vertan«, murmelte ich peinlich berührt, obwohl ich wusste, dass Noah mich vergessen hatte. Und meine Enttäuschung konnte nicht so gut überspielen, wie ich dachte.
Eine Gänsehaut breitete sich auf meinem Nacken aus, als mir Leas mitleidiger Blick begegnete.
Sie wusste genau, dass ihr Sohn seinen besten Freund wegen eines Mädchens versetzt hatte. Der würde eine ordentliche Nachricht von mir bekommen. Hätte er mir doch gleich schreiben können, dass er sich lieber mit Marie traf. War doch auch kein Thema, aber er hätte ruhig...naja, egal.
»Bleib doch zum Essen, Sky. Ich rufe nur schnell Simon an und gebe Bescheid, dass ich mit euch Jungs esse und danach in die Firma-«, setzte sie an, wurde allerdings von Kane unterbrochen, der nun dicht neben mir auftauchte.
Er schüttelte den Kopf und sagte: »Fahr ruhig zu Dad und iss mit ihm«
Leas Augen huschten zu Kane, den sie skeptisch beäugte. Ich folgte ihrem Beispiel und betrachtete ihn so unauffällig wie möglich.
Er trug eine knielange Jeans, ein zu großes schwarzes ACDC-Shirt und weil er so dicht neben mir verweilte, konnte ich sogar sein herbes Parfum riechen. Oh man, wenn er nicht so ein Arsch wäre, hätte ich ihm spätestens jetzt gesagt, wie gut er roch.
»Ich weiß nicht, Kane. Dein Vater hat mir geschrieben, dass du heute noch nichts...«, fing sie an, beendete den Satz allerdings nicht.
Trotzdem glaubte ich zu wissen, dass Kane wusste, was sie meinte, denn er versteifte sich.
Und ich auch.
Ich verzog den Mund und biss die Zähne zusammen, weil ich plötzlich verstand, was er heute noch nicht getan hatte.
Das heikle Essensthema.
Kane hatte womöglich wieder nichts gegessen, den gesamten Tag über nicht. Zwar hoffte ich, dass ich mich irrte, aber ein kleiner, realistischer Teil in mir, war davon überzeugt, dass ich mit meiner Vermutung ziemlich richtig lag.
Gerade als ich diesen Stinkstiefel aus der Patsche helfen wollte - warum auch immer - kam er mir zuvor. Er zog den Kopf selbständig aus der Schlinge und wählte ausgerechnet mich als sein Alibi.
»Ehrlich gesagt müssen wir beide noch in die Bar und wollten uns unterwegs was holen, richtig?«
Im ersten Moment realisierte ich nicht, dass Kane sich zu mir gedreht hatte und mich abwartend ansah.
Ich blinzelte verblüfft und bekam echt keinen Ton raus, bis Kane schmunzelte und seinen Kopf zur Seite neigte. Einige seiner braunen Locken fielen ihm dabei in die Stirn.
Scheiße, wie schön war bitte dieses Lächeln?
»Hast du es etwa vergessen?«, fragte er mich und klang ernsthaft enttäuscht. Seine braunen Augen sahen mich eindringlich an und unter der Wucht seines Blickes musste ich schlucken.
Mein Mund öffnete sich und ohne es zu verstehen, entschlüpfte mir ein: »Fuck, ja. Ich dachte, ich wäre mit Noah verabredet und hab das mit der Bar total versäumt. Tut mir leid«
Daraufhin wurde Kanes Lächeln breiter und ich wusste nicht wieso, aber in dem Augenblick war ich froh, dass Noah mit Marie allein Zeit verbrachte.
Und ich kam in den Genuss eines sehr schönen Lächelns, dass mich innerlich seufzen ließ. Er könnte öfter in meiner Gegenwart lächeln.
»Oh, das freut mich, dass ihr beiden euch so gut versteht«, kam es von Lea, deren Anwesenheit ich kurzzeitig entweder verdrängt, oder tatsächlich vergessen hatte - keine Plan.
Als Kane dann seinen linken Arm um meine Schultern legte und mich dichter an seinen glühenden Oberkörper zog, wusste ich nicht recht, wie mir geschah. Mein Herzschlag fing an zu galoppieren und mein Mund wurde ganz trocken. Warum tat er das? Er würde mich doch freiwillig nicht einmal mit der Kneifzange anfassen.
Aber ein Seitenblick auf Leas misstrauischen Blick, der nun lockerer wurde, war die Antwort. Er wollte einfach nur kein Mitleid.
»Ja, Noahs Highschoolfreunde sind gar nicht so kindisch und unverantwortlich, wie ich dachte«, sagte er, lächelte Lea an und ich begriff, dass das alles Teil seiner Show war. Das war kein echtes Lächeln, kein bisschen.
Und sein Satz triefte nur so vor Sarkasmus und ich verstand sehr schnell, dass er beabsichtigt seine Worte so formuliert hatte.
Er hielt mich für kindisch und unverantwortlich.
Ein Schnauben entfloh mir und ließ Kane schmunzeln.
»Na dann wünsche ich euch viel Spaß, Jungs. Schreibt, wenn ihr noch was für die Bar braucht«, entließ uns Lea aus dieser mir heißwerdenden Situation.
Kane zog mich mit sich, während seine Finger in den Stoff meines Shirts verkrallt waren. Ob ihm das bewusst war, dass er mich echt wütend machte in diesem Moment?
Er dirigierte mich schweigend in Richtung seines Wagens, bis die Tür ins Schloss fiel und somit auch sein Arm von mir rutschte.
Ende der Show.
»Manchmal habe ich das Gefühl, du glaubst dem, was du von dir gibst«, murrte ich eingeschnappt und plötzlich lag seine Aufmerksamkeit vollständig auf mir. Er blieb vor der Fahrertür stehen und sah mich abwartend an.
Wenn er darauf wartete, dass ich was sagte, dann würde ich ihm meine Meinung definitiv zur Schau stellen.
»Ich hätte nicht gedacht, dass du so lügen kannst. Warum isst du nicht einfach mit ihr? Sie würde den Tag mit deinem Vater sausen lassen, nur damit es dir-«
Er ließ mich den Satz nicht aussprechen.
Wobei, doch. Er unterbrach mich nicht.
Aber je mehr ich sagte, desto finsterer wurde sein Blick und mit jeder Sekunde mehr, verdunkelte sich auch das Braun seiner Augen, bis es einem tiefen Schwarzton glich.
Ich seufzte auf, schüttelte den Kopf und saß wenig später neben ihm im Auto, als er losfuhr. Meine Arme wie ein bockiges Kind vor der Brust verschränkt. Mein Gott, dann war ich eben kindisch und unvernünftig. Mir doch egal.
»Ich will ihr Mitleid nicht«, sagte er, als wir bereits zwei Minuten unterwegs waren und das einzige, was die Stille durchbrochen hatte, war der leise Song, der im Radio lief.
Mein Blick schoss zu Kane.
»Warum gehst du denn immer gleich davon aus, dass dich jemand bemitleidet, Kane?«, fragte ich eine Spur ruhiger. Möglicherweise ließ ich meine Hände auch auf meine Oberschenkel fallen und sah nicht mehr allzu beleidigt aus.
»Weil es so ist. Es ist jedes verfickte mal das gleiche. Ich erzähle meine Geschichte und dann sehen mich die Leute an, als wäre ich ein scheiß ausgesetzter Welpe oder sowas. Ich bin es einfach leid, das schwächste Glied zu sein, okay? Und jetzt sei still und sag mir, was du zu essen willst, du Nervensäge«
Ich schwieg und erst nach fünf weiteren, langen Minuten fiel ihm das auf.
Wie sehr war er in seine Gedanken vertieft, dass er nichts von alledem mitbekam, das um ihn herum passierte?
»Was ist?«, fragte er und warf mir einen kurzen, irritierten Blick zu.
»Du hast gesagt, ich soll still sein«, sagte ich nicht besonders erwachsen und verantwortlich.
Er stöhnte auf und verdrehte die Augen, aber wenn ich mich nicht täuschte, sah ich auch den Anflug eines amüsierten Lächelns. Vielleicht ja diesmal ein echtes.
»Ich hätte Lust auf ein Sandwich mit viel zu viel Käse«, meinte ich schließlich und er nickte, bevor er bei der nächsten Ampel einen kleinen Umweg zur Bar nahm und wir uns was zu essen holten.
Schon wieder.
Ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht zu schmunzeln, während meine Gedanken sich hektisch im Kreis drehten.
Was ist ihm passiert, dass Menschen ihn bemitleiden? Erzählte er es mir irgendwann? Würde er auch was essen?
»Du wirst übrigens auch was essen, ansonsten lasse ich dein Alibi-Treffen mit mir auffliegen«, entschied ich laut und sah ihm dabei zu, wie er wenig später den Wagen bei einem kleinen Laden parkte, den Motor abstellte und die Handbremse anzog.
»Woah, fahr die Krallen ein, Tiger. Ich werde schon was essen«, kam es von ihm und der Blick, den er mir schenkte, schrie nur so nach Provokation.
Ein Wort mehr, Kane Sinclair und meine Hände liegen an deinem Hals und drücken zu, drohte ich ihm gedanklich.
»Nenn mich nicht so, Nicholas«, knurrte ich, als ich blind nach dem Beifahrergriff tastete und ihn nicht fand.
Daraufhin zog Kane, der das natürlich beobachten musste, eine Augenbraue hinauf.
»Bist du dann fertig mit dem Kindergarten?«
Hah - was?
Meine Augen verengten sich, bevor ich mich den Griff widmete und ausstieg.
Ich knallte die Tür des schwarzen Wagens zu und hätte aufschreien können, als mir auffiel, dass ich keinen Geldbeutel mitgenommen hatte. Shit.
»Ach komm schon, Heaven. Bist du schon wieder pissig?«, stöhnte Kane auf, der seinen Wagen verriegelte und seinen Zweitnamen aus meinem Mund nicht weiterkommentierte. Kleinlaut folgte ich ihm und überlegte nebenbei, wie ich ihm sagen sollte, dass er mich einladen musste.
»Du machst es mir nicht besonders schwer«, verließ meine Lippen. Er schnaubte leise.
Ja, das war wohl die falsche Weise ihm das Geld aus den Taschen zu ziehen.
Wir erreichten die Ladentür, die er öffnete und eintrat. Ich verdrehte die Augen, zog sie mir selbst wieder auf und dackelte ihm wie ein Hund nach.
»Hey, zu meiner Verteidigung. Ich brauche dich wirklich in der Bar«, hörte ich ihn vor mir vor sich hinsagen, bis er stehen blieb und sich hinter zwei Mädchen anstellte, die uns über die Schultern ansahen und dann ihre Köpfe zusammensteckten.
Sie mussten in meinem Alter sein, typische Highschool-Schüler eben. Ich verdrehte erneut die Augen und widmete mich Kane, der die Menütafel über der Kasse überflog. Die Auswahl war für den kleinen, unscheinbaren Laden echt gigantisch und es wunderte mich nicht, dass Kane überfordert schien.
Trotzdem ärgerte ich ihn, einfach weil mir danach war.
»Ach ja? Und wofür brauchst du mich dort? Um mir wieder auf den Geist zu gehen? Mich zu beleidigen? Oh, halt, warte. Ich muss irgendwas putzen und du siehst mir dabei mit deinem typisch spöttischen Blick zu?«, fragte ich und warf dem Mädchen mit den schwarzen Haaren, das mich erneut irritiert musterte, einen genervten Blick zu. Schon wieder steckten sie ihre dummen Köpfe zusammen und tuschelten.
Was war ich denn so gereizt?
»Heaven. Ich hatte ja keine Ahnung, wie du empfindest. Es tut mir so, so leid, deine Gefühle verletzt zu haben.«, murmelte er sarkastisch und als die zwei vor uns mit ihrer Bestellung fertig waren, waren wir dran.
Ich ließ Kane ein Käsesandwich für mich bestellen und er sagte doch tatsächlich: »Und bitte mit viel zu viel Käse.«
Ich lachte, ohne es zu wollen, als die Dame hinter der Kasse die Stirn runzelte, aber nickte. So ein Idiot.
Er bestellte sich eines mit Tomaten und Schinken und ich musste ihm nicht sagen, dass er mein Essen zahlen musste, denn er tat es von sich aus.
Überrascht und mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, verließen wir zehn Minuten später den Laden und ich bedankte mich bei Kane.
Er reagierte nicht darauf, ging zur Beifahrertür und hielt mir diese auf.
Mein Misstrauen meldete sich ganz von selbst, weswegen sich meine Schritte verlangsamten und ich ihn kritisch beäugte.
Kane erwiderte meinen Blick mit hochgezogenen Augenbrauen und zuckte dann mit den Schultern, als wäre diese Geste für ihn total normal und alltäglich.
»Ich will dich weder beleidigen, noch dich mit spöttischen Blick beobachten, oder dich zum putzen zwingen. Ich will dir einfach nur zeigen, wie man die besten Cocktails der Stadt macht, okay?«
Perplex blinzelte ich und deutete mit dem Finger auf ihn.
»Du?«
»Nein, deine Mutter. Natürlich ich«, brummte er und das klang schon eher nach Kane.
Warum hörte und sah es dennoch so aus, als würde mir Kane Sinclair ein stilles Friedensangebot anbieten?
Und warum blieb ich direkt vor seinen Augen stehen und wieso verflucht, lächelte ich ihn so an, wie ich Gavin – meinen dummen Ex – angelächelt hatte, nachdem er es mir wirklich gut besorgt hatte?
Es war, als hätte ich vergessen, dass Kane und ich Differenzen hatten und da gab es nur diesen ruhigen, entspannten Moment zwischen uns.
Sein Blick, der um vielfaches weicher als üblich war und das vorsichtige Lächeln, welches an seinem hübschen Mund zu zupfen begann und sich in ein echtes verwandelte.
Eines, das seine Augen erreichte und das dunkle Braun zum strahlen brachte.
»Was siehst du mich jetzt so abwartend an, Heaven?«, fragte er und ich schüttelte den Kopf.
»Die besten Cocktails der Stadt? Das glaube ich dir erst, wenn ich es sehe«, warf ich zurück und beobachtete ihn dabei, wie er sich mir näherte, die Stirn runzelte und dann wenige Zentimeter vor meinen Lippen flüsterte: »Meinst du nicht eher, wenn du es schmeckst, Heaven?«
So wie ich dein Pfefferminzbonbon auf meinen Lippen schmecke, weil du mir plötzlich so nah bist?
Ich blinzelte angespannt und dann hatte er sich zurückgelehnt und war zur Fahrerseite gegangen, während ich noch drei Sekunden da stand und meine prickelnden Lippen aufeinanderpresste.
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